46 - Abdankung

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DO. 12.4. a.d. 1571

Viel wird passieren heute an diesem Tag. Ich habe in den letzten Tagen das Buch meiner Mutter vollständig durchgelesen. Mir öffnet sich eine ganze, neue Welt. Mutters feine Beobachtungsgabe und sensible Beschreibung wecken tausend Gefühle in mir. Bei ihren letzten Einträgen war sie schon sehr krank. Aber sie hat nicht gejammert. Sie hat sich nur Sorgen um uns Söhne gemacht. Sie hat vorausgesehen, dass es uns hart treffen wird, insbesondere, dass es mich aus der Bahn werfen wird. Sie hatte Schmerzen, die nur zwischen den Zeilen zu finden sind. Denn am meisten hat sie darunter gelitten, dass sie uns den Schmerz des Abschieds nicht ersparen konnte. Ich weine viel. Ich zweifle wieder, ob meine Entscheidung richtig war. Aber Ludo und Karl und auch Karls Vater bestätigen mir, dass ich in den letzten Wochen so glücklich, zufrieden und ausgeglichen war wie noch nie zuvor in meinem Leben, und dass ich bitte daran festhalten soll, auf mein Herz zu hören.

Und so stehe ich nun hier, Knöpfe vor dem Spiegel mein fürstliches Wams zu und bereite mich auf diesen Tag vor. Heute ist Gründonnerstag. Heute ist mein 25. Geburtstag. Und heute ist der Tag, an dem ich vom Erbe meines Vaters zurücktreten, an dem ich abdanken und meinem Bruder den Thron überlassen werde.

Ich frühstücke allein mit Ludo und Karl. Es wird immer konkreter, dass ich bald von diesen beiden Menschen, die mein ganzes Leben lang um mich waren, Abschied nehmen muss. Und so nutzen wir jede freie Minute miteinander. Wieder drücke ich meine Dankbarkeit aus, dass Ludo Karl hat gehen lassen, um mich zu suchen. Und dass Karl mit soviel Umsicht und Schläue in Gieboldehusen herausgefunden hat, wo er mich finden kann.

Anschließend gehen wir gemeinsam in den Thronsaal, wo noch mehr Menschen als bei dem Bankett aufgeregt beieinander stehen und uns erwarten. Als wir den Saal betreten, erstirbt das Geflüster, sinken sie alle hernieder, um uns zu ehren, bis wir an unseren Plätzen angekommen sind. Wir stehen an einem niedrigen Tisch vor dem Thron. Noch wird keiner von uns beiden darauf sitzen. Ich sehe einmal durch den ganzen Saal. Vertraute und fremde Gesichter. Alle schauen mich an.

Symbolisch wird mir die Krone aufgesetzt. Zum Glück muss ich nicht frei sprechen, da bliebe mir in diesem bewegenden Moment das Wort im Halse stecken. Unsere Räte haben sich intensiv mit der rechtlichen Seite dieser Abdankung beschäftigt und mir einen passenden Text vorformuliert. Den verlese ich nun. Zum letzten Mal trage ich den Siegelring des Landes. Ich ziehe ihn ab, unterzeichne das vorbereitete Dokument und siegele es. Dann nehme ich selbst mir die Krone vom Kopf und stelle sie vor Ludo auf den Tisch. Ich überreiche ihm Vaters Siegelring und schiebe ihn auf seinen Finger.
Und dann durchbreche ich das Protokoll, denn ich nehme Ludo in die Arme, bedanke mich bei ihm und wünsche ihm Gottes Segen für sein verantwortungsvolles Amt. Wir halten einander einen Moment fest und atmen tief durch.

Nun wendet sich Ludo an die Anwesenden, verliest ebenfalls ein Dokument und nimmt die Huldigungen der anwesenden Adeligen entgegen. Es ist erstaunlich. Als schließlich die Letzten den Saal verlassen haben und uns beide mit den Pagenstechers alleinlassen, sind tatsächlich fast zwei Stunden vergangen.

Doch kaum haben sich die hohen Türen des Saales geschlossen, gehen sie schon wieder auf, und ein Diener tritt an uns heran. Abwartend sieht er zu mir.
„Was gibt es?"
„Hoheit, draußen ist der junge Herr Gunther von Thaden und fragt, ob es möglich sei, mit Euch zu sprechen. Soll ich ihn fortschicken?"
„Keineswegs. Bittet ihn herein."
Während der Diener wieder zur Saaltür eilt, frage ich Ludo, ob es in Ordnung ist, wenn ich mir genug Zeit für von Thaden nehme.
„Aber natürlich, Hannes. Für heute steht nur noch der Festgottesdienst zu Gründonnerstag an. Ich freue mich, dass du einen neuen Verwalter gefunden hast, der seine Aufgabe offenbar schon jetzt sehr ernst nimmt."

Ich gehe Gunther von Thaden entgegen und verlasse mit ihm den Saal in Richtung meiner Privatgemächer.
„Guten Morgen, von Thaden. Was kann ich für Euch tun?"
Er zögert wieder.
„Herr, ... ich ... ich habe nun drei Tage lang darüber nachgedacht, ob Ihr das wirklich ernst gemeint habt. Ich bin doch noch so jung und unerfahren und ..."
Himmel, hilf! Der Junge macht sich grade kleiner, als er ist.
„Wollt Ihr von der Aufgabe zurücktreten? Oder wollt Ihr mir glauben, dass Ihr mit der Einarbeitung durch den alten Bader der Aufgabe sicher gewachsen sein werdet?"
Ich lächele ihn von der Seite an und halte ihm die Tür zu meinem privaten Wohnraum auf.
„Ho... Herr, warum seid Ihr Euch so sicher?"

„Weil Ihr, junger Mann, der einzige Mensch in Eurer Familie seid, der gradeaus denken, sich ordentlich benehmen und ein sachliches Wort herausbringen kann.
- Setzt Euch doch. -
Eben, weil Ihr Euch nicht hinstellt und sagt:'alles kein Problem!' Sondern Ihr vergewissert Euch, fragt nach, habt Respekt vor der Aufgabe. Das heißt für mich: Ihr wollt Eure Aufgabe stets gut machen. Und den Rest werdet Ihr lernen."
Er verbeugt sich leicht, und ich sehe, dass er grade innerlich ein kleines Stück gewachsen ist.
„Wisst Ihr, Ihr seid von Eurer Familie offenbar bisher nicht für voll genommen worden. Ihr habt wenig Selbstvertrauen. Aber das wird wachsen. Ich erzähle Euch einfach ein bisschen mehr über mich und über das Lehen dort, soweit ich selbst es bisher kennen gelernt habe."

Ich beschreibe ihm das Schloss, die Dörfer, die Menschen. Ich schildere ihm die Zustände, die Brudenhusen und Hauser dort hinterlassen haben, zeichne ein Bild davon, was die nächsten Aufgaben sein werden.
"Ich kann Euch ziemlich sicher versprechen, dass Ihr Euch wohlfühlen und mit dem alten Bader gut auskommen werdet. Er ist ein gewissenhafter und vor allem ein sehr humorvoller Mensch, er hat Menschenkenntnis, er nimmt mir gegenüber kein Blatt vor den Mund, er ist ein sehr angenehmer Gesellschafter. Und er wird all sein umfangreiches Wissen aus seinen vielen Jahren als Verwalter an uns beide weitergeben. Denn ich bin genauso Lernender wie Ihr."
Eine Weile ist von Thaden ganz still, dann schaut er mich an.
„Herr, es ist so ungewohnt, einen Fürsten so freimütig reden zu hören. Einen Fürsten zu erleben, der am liebsten selbst den Ochsen vorm Pflug führen und mit seinen Untertanen das grobe Brot teilen würde. Ich glaube fast, Ihr würdet es tun."

Ich muss lächeln und an den Tag vor fast vier Wochen denken, als ich mit Klaas und Rudolph aufs Feld gegangen bin zum Pflügen.
Danach hat Karl mich abgeholt, und ich bin in dieses Leben hier zurückgekehrt. Aber - ja, ich freue mich darauf, wieder gemeinsam mit meinen treuen Freunden dort das grobe Brot zu essen.
„Ich habe beides bereits getan."
Über sein verblüfftes Gesicht nun muss ich herzlich lachen.
„Ihr werdet Euch an einiges Ungewöhnliche gewöhnen müssen, von Thaden. Ich verdanke diesen feinen Menschen dort mein Leben. Einer der Bauern dort redet mich - obwohl er inzwischen weiß, wer ich bin - auf meinen Wunsch hin tapfer weiter mit Hannes und Du an."
Wieder muss ich lachen. Mal wieder erzähle ich eine auf meinen Zuhörer zugeschnittene Version meiner Erlebnisse der letzten beinahe fünf Monate.
Und dann beweist mir der junge Mann, dass ich ihn durchaus richtig einschätze. Denn er hat genau zugehört. Als ich mit meiner Erzählung zu Ende bin, hat er sich inzwischen von seiner Verblüffung erholt. Er sitzt mir nun ganz entspannt gegenüber, schmunzelt.
„Dann sollte ich mich wohl mit Klaas Rand und Anna Adam gut stellen, wenn ich in diesen Dörfern bestehen will. Richtig?"
„Schlagt ein. Ich WEIß, dass Ihr Euch bei mir in Gieboldehusen wohlfühlen und gute Arbeit leisten werdet!"

„Von Herzen gern. Ich glaube, eine spannendere Aufgabe wird mir in meinem ganzen Leben nicht mehr über den Weg laufen. Darf ich fragen, wie meine Unterbringung sein wird?"
„Im Schloss gibt es drei Räume, die wie eine richtige kleine Wohnung abgeschlossen sind. Im Moment bewohnt Bader zwei der drei Räume wieder. Aber Ihr könnt entweder im ersten Jahr im dritten Raum wohnen oder bekommt genug Raum für Euch bei den Gästezimmern. Für die Arbeit steht ein Arbeitszimmer zur Verfügung, das direkt an meines grenzt. Wir werden sozusagen Seite an Seite arbeiten. Und wenn der Bader uns beide in die Selbständigkeit entlässt, dann steht Euch die ganze Wohnung zur Verfügung. Da lässt sich sogar eine kleine Familie gründen. Solltet Ihr jemals mehr Raum benötigen, wird auch das selbstverständlich möglich sein. Wenn ich eines gelernt habe in den letzten Monaten, dann, dass ich von zufriedenen Menschen umgeben sein will, weil dann alles leichter geht."
In herzlichem Einvernehmen verabschieden wir uns voneinander. Ich habe noch eine Stunde Zeit, bevor ich mich zur Kirche aufmachen werde.

Da ich heute schon genug Aufregung hatte, bleibe ich einfach nachsinnend in meinem Sessel sitzen und konzentriere mich auf mein Inneres. Die Abdankungszeremonie heute Vormittag fällt mir wieder ein.
Es ist spannend. Ich war so aufgeregt, als wäre es meine Krönung gewesen und nicht der Befreiungsschlag von einer Berufung, die nie meine war. Ludo hingegen war so ruhig, als stünde er mir zur Seite und hätte nicht mit diesem Ring eine unermesslich große Verantwortung übertragen bekommen. Ich selbst trete mit meiner Person, mit meinem Leben in seinen Schatten und habe die Freiheit, alles, was mein ist, so zu gestalten, wie ich es für richtig halte. Welch großes Geschenk Ludo mir damit macht!
Mein Blick fällt auf Mutters Buch.
Mutter, Vater, seid Ihr einverstanden mit dem, was Eure Söhne hier auf der Erde tun? Habe ich Euren Segen für den Weg, den ich gewählt habe? Hat Ludo Euren Segen, wenn er als Herzog von Grubenhagen Euer Erbe antritt?#
Eine ruhige Gewissheit erfüllt mich, dass diese wundervolle Mutter, die uns durch und durch gekannt und geliebt hat, über uns wachen wird, wo auch immer wir sind.

Mein Kammerdiener erscheint und erinnert mich an den Gottesdienst. Also trete ich aus meinen Gemächern und gehe hinunter in den Hof, wo Konrad bereits mit Hurtig auf mich wartet, damit ich gemeinsam mit Ludo ausgiebig durch die Straßen der Stadt zur Kirche reiten kann. Unter den Augen des gesamten Adels unseres Landes feiern Ludo und ich Seite an Seite das letzte Abendmahl Christi. Und ich weiß, dass er nun so für mich betet, wie ich für ihn bete.

Verschnaufpause

FR. 13.4. a.d. 1571

Karfreitag als höchster evangelischer Feiertag ist völlig ausgespart von allen Krönungsfeierlichkeiten. Andächtige Stille senkt sich über die Stadt und das Land. Ein jeder tut Buße und gedenkt des Todes Christi am Kreuz. Auch ich gehe zur Beichte und denke laut vor dem Pastor und leise im Gebet nach über das, was mein Leben mir im letzten halben Jahr zugemutet und geschenkt hat, über all meine Schwächen, die mir dabei offenbar geworden sind, bringe meine Zukunftspläne vor Gott und bitte um seinen Segen dazu. Ich erbitte Vergebung für alles Leid, dass durch mein Handeln oder Unterlassen entstanden ist, und erflehe mir Jesu Beistand, damit ich in Zukunft in der Lage bin, umsichtiger und weiser zu entscheiden und zu handeln, zum Wohle der mir anvertrauten Menschen.

Und über allem steht: ich muss lernen, meine Bedürfnisse und Ideen nicht so impulsiv auszuleben sondern mit Bedacht zu Werke zu gehen, damit ich nicht mehr so viel Durcheinander veranstalte wie in den letzten Monaten. Ich bereue zutiefst das ganze Leid in den Dörfern, das durch meine übereilte Flucht vor der Verantwortung entstanden ist. Aber ich bin doch auch dankbar, dass letzten Endes mit der Verhaftung von Brudenhusen, Hauser und Stolzer und der Krönung Ludos zum sicherlich besseren Herzog viel Gutes daraus erwachsen ist. Und ich stelle dabei fest, dass es nicht leicht ist, sich selbst im Spiegel seiner Taten zu betrachten und sich Verfehlungen selbst einzugestehen. Aber dass es noch viel schwerer ist, diese auch vor einem Beichtvater laut auszusprechen, sich dem göttlichen Urteil zu stellen.

Ein paar Gedanken behalte ich allerdings für mich, die muss der Beichtvater nicht unbedingt wissen. Anna. Je länger ich darüber nachdenke, desto wirrer wird es für mich. Ich möchte Anna am liebsten überreden, mit den Kindern zu mir zu kommen. Aber es ist ihre Entscheidung. Ich möchte ihr zeigen, wie wundervoll sie ist, sie auf Händen tragen. Aber dann würde ich sie in ihrem Wesen beschneiden, und das ist das Schlimmste, was man ihr antun kann. Ich möchte eine Lösung finden, wie sie Jakob gerecht werden kann, ohne sich selbst dafür völlig hintenan stellen zu müssen. Aber es bleibt ihre Entscheidung. Die ich respektieren muss. Ich sehne mich nach ihr, nach ihrer stillen Weisheit, ihrem Humor, ihrer positiven Ausstrahlung. Aber noch sehe ich keinen Weg.

Den ganzen Vormittag lang hat es geregnet, irgendwie passend zu Karfreitag und Buße. Aber am Nachmittag klärt es auf, und so lasse ich mir Hurtig satteln und reite aus der Stadt zu den Niederungen der Leine. Die Frühjahrshochwasser haben sich weitgehend verlaufen, die Wege sind noch matschig, aber zu Pferde gut zu bewältigen. Ich lasse den Gedanken freien Lauf. Die Seitenarme und Überschwemmungen der Leine erinnern mich an die Rhuma. Das Flüsschen entspringt ja dem Hügel bei Rhumaspring, darum führt die Rhuma keine Massen von Schmelzwasser aus dem Harz. Aber auch so hat in der Gegend genug Schnee gelegen, dass man im Grenzwald jetzt wohl nasse Füße bekommt.

Nach der intensiven Rückschau am Vormittag wandern meine Gedanken nun in die Zukunft. Ich muss meine Einkünfte als Bruder des Herzogs klären, damit ich weiß, wie schnell ich in Gieboldehusen die Modernisierungen vorantreiben kann. Das Waisenhaus fällt mir ein, die Schule, die Befreiung der Bauern. Ich bin neugierig, wie Gunther von Thaden und der alte Adam miteinander klarkommen werden. Das Leuchten in den Augen von Maria und Jochen Hannover, als sie mir erzählt haben, dass die Kinder ihnen vertrauen, war so berührend. Die beiden sind auch schon älter und brauchen in ein paar Jahren eine Ablösung. Aber im Moment sind sie genau die Richtigen für diese Aufgabe.

Wieder bleiben meine Gedanken an der Schule hängen.
Richtig, ich wollte mich nach einem geeigneten Lehrer für meine Schule umschauen. Ich weiß nur nicht recht, wo ich damit anfangen soll.
In Salzderhelden gibt es eine Schule für die Söhne der Adligen, der Räte und der reichen Kaufleute. Vielleicht kann mir dort jemand raten, wie ich suchen soll. In Hildesheim, Göttingen, Hannover und Braunschweig gibt es Gelehrtenschulen, aber das ist mir alles zu weit weg, um dort zu suchen. Ich muss hier fündig werden.

Ich verlasse die Niederungen der Leine und schlage einen großen Bogen, um von der anderen Seite wieder zur Stadt zu gelangen. Die Wege sind hier einigermaßen trocken, und so lasse ich für einen Moment das Denken und Hurtig die Zügel schießen. Es ist ein Genuss, auf einem vertrauten, ausgeruhten Pferd durch die frische Frühlingsluft zu fliegen. Und auch Hurtig scheint den intensiven Auslauf sehr zu genießen. Wir setzen über Hecken und Zäune, landen einmal aus Versehen in einem Haufen Hühner, die panisch gackernd auseinanderstieben, und überholen auf der Landstraße von Uslar her ein paar Wanderer, die stehen bleiben und mich freundlich grüßen. Als wir uns von Westen der Stadt nähern, weichen uns ein paar Burschen mit einem beladenen Esel aus. Inzwischen habe ich beschlossen, nach den ganzen Feierlichkeiten in der Schule vorzusprechen und um Hilfe bei der Suche zu bitten.

Konrad begrüßt mich mit breitem Grinsen, als ich in den Schlosshof trabe. Er schaut mir ins Gesicht und klopft Hurtig den Hals."
"Dat war als Abwechslung wohl dringend nötig."
Ich übergebe ihm die Zügel.
„Sehr. Jetzt habe ich den Kopf wieder frei. Zu viel Stille und Denken auf einmal ist einfach nichts für mich."
Mit einem leichtem Kopfschütteln führt er Hurtig in den Stall, während ich mich ins Schloss begebe.

Ich mache eine kleine Pause und richte mich wieder etwas her, bevor ich mich mit Ludo zum Abendessen treffe. Wir sind allein und haben Zeit zu reden.
„Ich habe beschlossen, Brudenhusen und Hauser noch ein Weilchen schmoren zu lassen. Und ich glaube, es ist ganz gut, wenn Du schon weg bist, wenn ich mich mit ihnen befasse. Karl ist hier, kann als Zeuge fungieren. Du hast überlebt und wirst deiner Wege gehen. Was hältst du davon? Unter Umständen wäre es klug, wenn du mir einige Unterlagen schicken könntest, aus denen der jahrelange massive Betrug hervorgeht. Bist du überhaupt schon soweit, dass du das ganze Ausmaß erkennen kannst?"
„Ich denke, dass Bader und Hannover bis zu meiner Rückkehr die ganzen Papiermassen besiegt haben und mir genauere Zahlen und Umstände werden nennen können. Sie haben sich beide mit Feuereifer in diese Aufgabe gestürzt. Ich kann dir ja dann eine Aufstellung mit ein paar besonders haarsträubenden Beispielen zukommen lassen."
„Ja, ich denke, das wäre gut. Wenn man ihnen mit ihren eigenen Unterschriften vor der Nase rumwedeln kann, sind sie vielleicht nicht ganz so dreist. Wobei mir der Kerkermeister hat melden lassen, dass das ganz große Toben inzwischen einer gewissen Resignation gewichen ist."
Kurz schauen wir uns in stummem Einverständnis über die Ränder unserer Weingläser an.

„Etwas ganz anderes, Ludo. Wie sieht der Tag morgen aus? Sonntag und Montag werden extrem anstrengend sein. Haben wir morgen noch etwas Luft?"
Einen Moment lang mustert er mich. Dann lacht er.
„Himmel, was bin ich froh, dass ich dir diese Aufgabe abgenommen habe. Wenn wir beide jetzt auf dem jeweils anderen Stuhl säßen, wäre deine Antwort auf diese Frage mit Sicherheit von jede Menge Unruhe und Ungeduld geprägt."
Ich lächele zurück.
„Da kannst du Gift drauf nehmen. Obwohl – ne, lieber nicht. Sonst muss ich doch noch ran."
Nun lachen wir beide.
„Im Ernst. Ich habe Dir jetzt wochenlang bei all den Vorbereitungen zugesehen, und ich bewundere dich zutiefst. Du bist ruhig, gelassen, interessiert, du gehst auf in dieser Aufgabe. Ich hatte eine Zeit lang ein schlechtes Gewissen, dass du das vielleicht nur mir zuliebe machen könntest. Aber gestern bei meiner Abdankung, da habe ich begriffen, dass du das wirklich willst und in dieser Aufgabe genau an deinem Platz bist. Du glaubst nicht, WIE froh ich über diese Erkenntnis war. Und es wird ja auch Zeit, dass in diesem Land wieder Ruhe und Gewissheit einkehren. Mein Verschwinden und die lange Ungewissheit haben sicher viel Unruhe erzeugt."
„Sehr. Ich konnte einfach nicht ewig verbergen, dass auch ich nicht weiß, wo du steckst. Und ob du noch lebst. Durch deine kurze Nachricht habe ich mir ja erstmal kaum Sorgen gemacht. Aber als Konrad hier ohne dich auftauchte und berichtete, dass dein Verwalter ihn fortgeschickt habe, hatte ich gleich das böse Gefühl, dass da was schief gegangen sei. Je länger die Ungewissheit sich hinzog, desto mehr habe ich mir selbst Vorwürfe gemacht. Aber vielleicht musste ich so unter Druck stehen, um zu begreifen, dass nichts festgemauert ist und wir tatsächlich unseren eigenen Weg gehen müssen."
Kurz zieht sich ein Schmerz über sein Gesicht. Die Erinnerung an seine verzweifelte Suche nach mir wird ihn noch eine Weile verfolgen.

„Wir haben ja sowieso schon die herrschenden Gepflogenheiten durchbrochen, indem Vater beschlossen hat, das kleine Land nicht nochmal zu teilen sondern einem zu geben und den anderen zu dessen Berater zu machen. Dann können wir auch gleich noch die Erbfolge auf den Kopf stellen. Ich habe in den letzten Wochen mit den anderen Welfenfürsten korrespondiert, und sie alle haben sich ... nennen wir es mal ... verwundert einverstanden erklärt."
Ich atme erleichtert aus.
„Das beruhigt mich. Wenn die Großfamilie dahinter steht, ist wirklich alles gesichert."

„Aber um darauf zurückzukommen – was kommt morgen auf uns zu?"
Ludo denkt kurz nach.
„Proben. Und der Fahneneid der Landsknechte und der Stadtwache. Und der Braunschweiger und der Lüneburger Vetter treffen morgen ein."
Er grinst mich an.
„Und du musst nur bei den Proben dabei sein. Beim Fahneneid darfst du dich verkrümeln. Den Vettern wirst Du allerdings nicht entgehen."
Ich würde lügen, wollte ich behaupten, dass ich bei der Antwort nicht erleichtert aufseufze.

Wir genießen noch eine Weile die Ruhe vor dem Kamin und leeren die Flasche Wein. Mitten in die angenehm entspannte Schweigsamkeit hinein seufzt Ludo plötzlich zufrieden auf.
„Hannes?"
„Hm?"
„Ich habe gestern nach dem Gottesdienst noch die Pagenstechers besucht."
Sofort fliegt mein Kopf zu Ludo rum. Er strahlt – und ich beginne zu grinsen.
„Lass mich raten. 'ja' und 'ja'. Richtig?"
Ludo nickt nur und schaut versonnen ins Kaminfeuer.
„Dann meinen allerherzlichsten Glückwunsch, Brüderlein. Ich freue mich aufrichtig für dich."
„Und das Tolle ist – ich weiß, dass sie nicht den Herzog heiraten will – sondern mich."
„Sie wird eine wundervolle Herzogin sein. Würdig, in Mutters Fußstapfen zu treten."
„Ja. Aber erzähl ihr bitte nichts davon. Ich möchte, dass sie ihre eigene Rolle findet und ausfüllt. Eines Tages werde ich ihr das Buch zeigen."
„Keine Sorge. Familiengeheimnisse auszuplaudern, wird deine Aufgabe sein."

„Sag mal ... willst du das Buch eigentlich mitnehmen?"
Ich überlege einen Moment lang.
„Ich glaube, ich würde es gerne mitnehmen, um mich noch eine Weile damit zu beschäftigen. Vielleicht lasse ich auch ein paar Passagen abschreiben für mich. Und dann bringe ich es dir – sagen wir mal – zu deiner Hochzeit wieder zurück?"
Ludo nickt nur. Erneut senkt sich einvernehmliches Schweigen auf den Raum, bevor wir uns schließlich zur Ruhe begeben, um an Ludos großem Tag ausgeruht zu sein.

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27.1.2022

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