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MI. 18.4. a.d. 1571

Als ich von meinem Kammerdiener Laub geweckt werde und er die Vorhänge aufzieht, stelle ich fest, dass es schon hellichter Mittwoch Vormittag ist. Ich springe erschrocken aus dem Bett und starre ihn nur stumm an. Der gute Mann verbeugt sich vor mir.
„Guten Morgen, Hoheit. Ich habe wohl gemerkt, dass Ihr sehr unruhig geschlafen habt. Als Euer Bruder in der Frühe kam und ich ihm das berichtet habe, hat er beschlossen, Euch schlafen zu lassen und die Vettern aus Braunschweig und Lüneburg allein zu verabschieden."
Ich rubbele mir die wirren Haare. Na, hoffentlich sind die beiden nicht sauer, dass ich zu ihrer Abreise nicht erschienen bin.
„Welche Kleidung soll ich Euch zurechtlegen, Hoheit?"
Ich denke einen Augenblick lang nach.
„Ich werde in die Stadt gehen und einige Dinge erledigen. Also schlicht bitte, ich muss nicht auffallen."
„Wer wird Euch begleiten?"
„Niemand?"
Laub wirft mir einen sehr zweifelnden Blick zu, wendet sich zu meinem Ankleideraum und kommt dann mit einigen Kleidungsstücken wieder, die ich klaglos anziehe, um den armen Mann nicht vollends zu verwirren. Denn was ich unter „schlicht" verstehe, deckt sich durchaus nicht mit seiner kostbaren Auswahl.

Ich muss an den Kammerdiener vom Brudenhusen denken, der in Gieboldehusen sitzt und bange wartet, ob ich wirklich eine Aufgabe für ihn haben werde. Dieser Mann hier ist so unglaublich würdevoll und standesbewusst und überkorrekt, dass wir beide dort wahrscheinlich nicht miteinander froh werden würden. Wieder denke ich, dass ich ihn vielleicht einfach hier lassen sollte. Mir muss nur noch einfallen, wie ich das anstelle, ohne ihn zu brüskieren. Aber vielleicht hat Ludo ja eine Idee, wie Laub hier beschäftigt werden kann.
Kaum bin ich fertig, klopft es, und Ludo kommt herein.
„Guten Morgen, Bruderherz. Hast du gut geschlafen?"
„Ja, Dank dir, Ludo. Und du?"
„Ich? Habe eine Idee, was wir mit dem Kästchen und den Briefen machen können. Kommst du einfach mit?"
Neugierig folge ich ihm hinunter und hinaus in den Schlosspark. Wir reden nicht viel und gehen zügig – auf das Familienmausoleum zu. Ich stocke.
„Ludo, was ..."
„Hab Geduld. Gleich."

Als wir dann vor der Familiengruft stehen, schaut er mich direkt an.
„Hannes, was hältst du davon, wenn wir dieses Kästchen zu Mutters Grab bringen? Unsere Kinderträume und Wünsche. Unsere Liebe zu Mutter und Vater. Ich glaube, das ist der richtige Ort dafür."
Wir schweigen. Wieder schießen mir die Tränen in die Augen. Aber ich lausche in mich hinein, und es fühlt sich richtig an. Ja, ich habe sie geliebt, und sie hat das gewusst. Aber sie hat nie gewollt, dass ich mein ganzes Leben traurig im Rückwärts verbringe. Sie würde wollen, dass wir beide aufrecht und frei und glücklich nach vorne schauen.
„Du hast recht, Ludo. Das ist wirklich ein guter Platz."
Also betreten wir das Mausoleum und verharren eine Weile still im Gebet vor den Grabstellen von Vater und Mutter. Dann stellen wir das rostige Kästchen mit unseren Briefen so hinter den Sarkophag von Mutter, dass es nicht gleich zu sehen ist. Nicht, dass ein Bediensteter das für Müll hält und wegräumt!

Auf dem Weg zurück finden wir dann endlich in ein entspanntes Gespräch.
„Was hast du noch vor, solange du in der Stadt bist?"
„Ich habe eine Liste von Dingen, die im Waisenhaus sofort gebraucht werden. Und ich muss einen oder zwei Lehrer für meine Schule finden. Denn die will ich so schnell wie möglich wieder eröffnen. Manches werde ich wahrscheinlich auch nur bei den Handwerkern oder Händlern bestellen können. Das müssen die dann zu mir bringen. Ich werde es sehen."

Nach einem gemeinsamen Mittagsmahl mache ich mich zu Fuß auf in die Stadt, mit meiner Liste in der Tasche. Ich steuere verschiedene Handwerker an und bespreche mit ihnen, was ich brauche. Zum Beispiel müssen die Kinder im Waisenhaus egal was aus einem Blechnapf essen. Ich möchte aber, dass sie ordentliches Geschirr benutzen dürfen. Die Hannovers hatten gesagt, dass die Kinder nachts frieren – also brauchen sie Decken. Das Hospiz braucht mehr Verbandsmaterial, auch mehr Decken und mancher Patient dort hat kaum Kleidung am Leibe. Ich möchte dort also eine Kleiderkammer einrichten. Meine kleine Schule habe ich noch nicht von innen gesehen, aber einige Schiefertafeln und Griffel kann ich sicher brauchen. Wie ich den ganzen pompösen Kitsch loswerden soll, den der Brudenhusen zusammengesammelt hat, das ist mir noch nicht so ganz klar. Darum bestelle ich mir mehrere Handwerker und Künstler, die bei Hofe beschäftigt sind, zusammen ins Schloss, lege ihnen eine Liste vor, in der Bader verzeichnet hat, was und von welchem Handwerker ich verkaufen will. Die Herren sind zunächst genauso ratlos wie ich, und wir bereden eine Weile das Für und Wider. Schließlich kommen wir darauf, dass der Hofbaumeister Ziegler Kontakte in Braunschweig, Hamburg und Bremen hat. Und dass man in so großen Städten doch eine Möglichkeit finden müsste, die Dinge zu veräußern. Wir kommen überein, dass er versuchen wird, in einer dieser Städte ein Handelshaus zu finden, dass die Dinge für mich verkaufen soll gegen einen angemessenen Anteil vom Gewinn.

Und so bleibt mir nur noch das Problem, wie ich Lehrer für meine Schule finden soll. Also spaziere ich am Nachmittag noch einmal in die Stadt und steuere die Lateinschule an. Als ich in die Eingangshalle trete, verabschiedet der Direktor gerade zwei junge Männer, die mir flüchtig bekannt vorkommen. Während ich abwarte, dämmert es mir. Es sind die Wanderer aus Richtung Uslar, an denen ich an Karfreitag Nachmittag vorbeigeritten bin.
„Es tut mir leid, meine Herren Weise, dass ich Euch keine positivere Auskunft erteilen kann, aber leider sind an unserer Schule zur Zeit alle Lehrerstellen besetzt. Vielleicht haben sie auf dem Lande eine Möglichkeit, als Privatlehrer bei einer Adelsfamilie oder in einem Pfarrhaus unterzukommen. Ich wünsche Euch viel Erfolg."
Ich werde hellhörig. Und als sich die beiden Männer mit besorgten Mienen nach draußen begeben wollen, halte ich sie gleich wieder auf.
„Wartet bitte, vielleicht kann ich Euch weiterhelfen. Geht nicht weg, ich bin gleich wieder hier."

Nun stelle ich mich dem Direktor der Schule vor, der sich sogleich verbeugt und mich in sein Büro bittet. Dort erkläre ich ihm mein Anliegen und frage ihn nach den beiden Männern aus.
„Es sind zwei Magister von der Universität Marburg. Sie werden wohl tüchtig sein, meine Fragen konnten sie jedenfalls alle beantworten. Ihre Zeugnisse sind ganz in Ordnung. Sie haben eine Zeit lang an einer Lateinschule in Kassel unterrichtet und sind nun auf der Suche nach einer neuen Stellung. Warum fragt Ihr, Hoheit?"
Also erzähle ich ihm ein bisschen von Gieboldehusen, von der Freifrau von Lenthe und von meiner kleinen Schule, die ich wieder eröffnen möchte. Der Mann schüttelt den Kopf. Es ist ihm offensichtlich unbegreiflich, warum ich ausgerechnet für Waisenkinder eine Schule aufbauen möchte. Aber er denkt doch, dass die beiden jungen Männer, die grade irritiert in der Eingangshalle auf mich warten, verzweifelt genug seien, um mein Angebot anzunehmen. Ich weiß nicht, ob ich ihn auslachen oder für seine Ignoranz maßregeln soll. Schließlich entscheide ich jedoch, dass er die Kinder ja nicht unterrichten wird und es mir darum egal sein kann, ob er mich versteht. Entscheidend ist, ob diese beiden Magister bereit sind, Kinder egal welchen Standes und welcher Klugheit vorurteilsfrei miteinander zu unterrichten, ob sie mit mir und mit den Hannovers gemeinsam das Beste für unsere Schützlinge wollen.

Ich verabschiede mich von dem Schuldirektor, gehe zurück in die Eingangshalle und lade die beiden Männer ein, mir in ein Wirtshaus zu folgen. Dort genehmigen wir uns ein Bier, und ich erfahre ihre Geschichte. Friedrich und Wilhelm Weise sind Brüder und haben gemeinsam in Marburg studiert. Sie wollten sich nicht trennen und suchen darum nun nach einer Schule, an der zwei Lehrer gebraucht werden. Darum kommt für sie auch nicht in Frage, als Privatlehrer zu arbeiten, weil sie dann sicher getrennt würden. Sie hätten schon Erfahrungen gesammelt, weil sie in Kassel eine Zeit lang gegen Kost und Logis einen erkrankten Lehrer vertreten durften. Doch dann hätten sie sich wieder auf die Socken machen müssen, um eine neue Stellung zu finden.

Nun erzähle ich auch ihnen von Freifrau von Lenthe, von ihren Methoden, ihren Schützlingen einen guten Start ins Leben zu ermöglichen, und von meiner Suche nach Lehrern für diese Kinder.
„Meine einzige Bedingung ist, dass Ihr alle Kinder egal welchen Standes gerecht und freundlich behandeln und jedem Kind das Beste ermöglichen werdet, meine Herren. Wenn Ihr Euch das vorstellen könnt, seid Ihr von jetzt an versorgt."
Die beiden sehen sich an, seufzen erleichtert auf und nicken.
„Herr, selbst wenn wir nicht verstünden, was Ihr meint, würden wir sofort zugreifen. Denn wenn wir ehrlich sind, sind unsere Reserven bald aufgebraucht, und wir wollen ungern an unserer Bildung verhungern. Aber wir sind selbst Söhne eines einfachen Mannes und hatten das Glück, vom Pastor unseres Dorfes unterrichtet zu werden. Ohne seine Unterstützung wären wir nie soweit gekommen. Darum sagen wir von Herzen gern zu und freuen uns auf diese Aufgabe."

Wir reden noch eine Weile hin und her, und am Ende habe ich tatsächlich das Gefühl, dass ich auch für diese Aufgabe an die richtigen Leute geraten bin.
„Ich habe die Schule noch nicht von innen gesehen, aber man sagte mir, dass darin eine kleine Lehrerwohnung vorhanden sei. Um die Einrichtung können wir uns dann kümmern, aber zunächst wäre die Unterbringung gesichert."
„Herr, wir haben nicht viel, was untergebracht werden muss. Das will erst noch verdient werden."
„Braucht Ihr einen Vorschuss, damit Ihr Euch mit allem Nötigen ausstatten könnt?"
„Das wagen wir nicht zu erbitten, Herr!"
„Das ist doch Unsinn. Jetzt seid Ihr in der Stadt, wo Ihr alles bekommen könnt. In Gieboldehusen werdet Ihr manches nicht erstehen können."
Ich gebe den beiden genug Geld, dass sie sich ein Quartier suchen und sich mit allem Nötigen ausstatten können.
„Am Besten wird es sein, wenn Ihr noch in der Stadt bleibt und vielleicht schon ein wenig plant, wie Ihr arbeiten möchtet. Und dann werdet Ihr Anfang nächster Woche gemeinsam mit mir nach Gieboldehusen reisen. Einverstanden?"
„Sehr! Habt Dank, Herr. Wir freuen uns auf diese Aufgabe."

Ich gebe den beiden Geld, bezahle die Zeche und wir trennen uns einvernehmlich. Die beiden gefallen mir. Es macht Freude, Menschen zu finden und um sich zu scharen, die bereit sind, ihr Herz in eine Aufgabe zu geben.

Aufbruch in ein neues Leben

MO. 23.4.1571

Die nächsten Tage sind wie im Fluge vergangen. Ludo hat viel zu arbeiten, und Karl und sein Vater sind immer bei ihm. Aber wir nehmen uns auch weiterhin viel Zeit füreinander. Ich regele einige Dinge, die nicht aufgeschoben werden können. Es ist schnell klar, dass Konrad fest an meiner Seite bleiben wird. Und es ist fast genauso schnell klar, dass Laub nicht in die kleine Stadt verpflanzt werden möchte, zumal auch seine Frau eine Stellung bei Hofe hat. Zu meiner großen Erleichterung spricht er selbst das Thema eines Morgens an und bittet darum, bleiben zu dürfen. Die Sorge kann ich ihm schnell nehmen, indem ich ihm versichere, dass dort bereits ein anderer Kammerdiener auf eine Anstellung hofft.

Und dann beginnt die Reihe der „letzten Male". Ein letztes Mal durch die Stadt spazieren, ein letztes Mal zusammen den Gottesdienst besuchen, ein letztes Mal durch Schloss und Park streifen, wichtige Plätze der Kindheit aufsuchen, Erinnerungen nachhängen, ein letztes Mal durch den Geheimgang zu Karl gehen, einen letzten weinseligen Abend zu dritt verbringen, ein letztes Mal einander gute Nacht sagen, ein letztes Mal von Laub angekleidet werden, ein letztes Mal mit Ludo frühstücken, ein letztes Mal aus dem Portal treten, aufsitzen, zurückblicken, dem lächelnden Ludo in die Augen blicken, winken und aus dem Tor reiten.
Vor über fünf Monaten bin ich, nur von Konrad begleitet, bei Nacht und Nebel von hier geflohen. Heute verlasse ich die Stadt mit zwei Wagen voller Gepäck für mich, das Hospiz, das Waisenhaus und die Schule. Es folgt eine Kutsche mit zwei Lehrern, die sich hoffentlich als die richtige Wahl herausstellen. Joseph, Benjamin und Ruven begleiten mich. Sie hatten Freude an der Zeit mit Karl und dann auch mir und haben meiner Bitte darum gern entsprochen. Und Ludo lässt sie gern mit mir ziehen. Wenn dann vielleicht auch noch meine drei „Heiligen" aus Duderstadt herkommen, habe ich in Gieboldehusen sechs Männer, auf die ich mich wirklich bedingungslos verlassen kann. Aber da muss ich die Rückkehr des Boten abwarten, den Karl von Lütgenhusen aus losgeschickt hat.

Das Wetter ist nun wieder unbeständig, aber wir haben keine Eile. Wir lassen uns mit den langsameren Wagen vier Tage Zeit, kehren immer wieder ein, um einen Regenguss abzuwarten, und genießen die Zeit miteinander. Die Abende in den Privatzimmern der Gasthäuser sind eine gute Gelegenheit, Friedrich und Wilhelm Weise näher kennenzulernen. Und Konrad, Joseph, Benjamin und Ruven lachen sich schief über die Verwunderung aller anderen. Denn natürlich schwenke ich nach dem ganzen affigen Hof-Getüddel sofort und mit Freuden zurück auf Hannes. In diesen Privatzimmern sitzen mit mir auch die drei Kutscher, die drei Landsknechte, der Stallbursche und die zwei Lehrer und trauen ihren Ohren und Augen nicht. Sie sitzen mit mir an einem Tisch, sie bekommen dasselbe Essen, ich unterhalte mich ganz normal mit ihnen. Und ich genieße es!
Wenn wir uns sattgegessen und unsere Glieder am Kamin aufgewärmt haben, unterhalten wir uns angeregt miteinander. Wir lassen einander teilhaben an den verschlungenen Pfaden, die unsere Leben bisher gegangen sind. Die beiden Lehrer hören aufmerksam zu, als ich ihnen mehr von Schule und Waisenhaus unter der Führung der beiden adeligen Damen erzähle. Sie können sich durchaus vorstellen, eng mit dem Waisenhaus zusammenzuarbeiten und den ungewöhnlichen freien Ideen viel Raum zu geben.

Einen Abend lang spinnen wir an der Frage herum, wie es möglich sein könnte, auch den Dorfkindern wenigstens etwas Bildung zu ermöglichen. Nicht jeder Dorfjunge, so pfiffig er sein mag, ist von der Wissbegierde eines kleinen Jakob Adam. Aber Lesen, Schreiben und Rechnen hat noch niemand geschadet. Klar ist, dass die Kinder, sobald sie alt genug sind, im Sommer in den Dörfern und auf den Feldern gebraucht werden. Aber im Winter könnten schon drei Monate zu finden sein, wo die Kinder zur Schule gehen könnten. Bliebe die Frage, wie man die Kinder findet, die das betreffen könnte, wie man die Eltern überzeugt, ihre Kinder zur Schule zu schicken, wie man die Kinder dann auch zur Schule bekommt. Kommen die Kinder in die Stadt, oder kommt die Schule aufs Dorf? Die Herren Weise sind mit Feuereifer dabei und freuen sich auf diese große Aufgabe.

DO. 26.4.1571

Viele Fragen sind noch ungeklärt, als wir uns Gieboldehusen nähern. Aber die Brüder Weise werden mir immer sympathischer. Es ist nun Donnerstag Morgen und noch eine Tagesreise, und ich werde immer aufgeregter. Am liebsten möchte ich vorausreiten. Meine Gedanken richten sich nach vorne. Was hat der Bader noch alles gefunden, und wie sehen seine Pläne aus, das Lehen wieder auf Vordermann zu bringen? Wann wird von Thaden hier eintreffen und loslegen können? Was haben die Hannovers im Christophorus-Haus bereits ändern und erreichen können? Und: hat Heinrich Hannover in der Kammer etwas über Anna finden können?
Im nächsten Moment biegt mein Herz nach Süden ab. Nach Lütgenhusen. Zu Anna und den Kindern. Ich möchte am liebsten gleich durchreiten, um sie nur schnell wiederzusehen. Aber ich weiß ja, dass ich noch ein wenig Geduld haben muss, bevor ich mich auch in den Dörfern offiziell als Lehnsherr vorstellen und dort nach den Schicksalen, Gegebenheiten und Wünschen fragen kann. Und dann werde ich endlich Zeit für Jakob haben. Und für Anna. Hoffentlich machen es ihr die Kinder nicht zu schwer. Wenn sie allzu sehr trösten und hinhalten muss, wird es sehr schwer für sie. Und Jakob kann ganz schön hartnäckig sein! Das ist eine Gabe, aber in diesem Falle wahrscheinlich für Anna eine Last ...

Ich schrecke etwas zusammen, als Konrad mich von der Seite anspricht. Ich war wohl wirklich sehr weit weg in Gedanken.
„Herr? ... Wollt Ihr ...? Ich glaube, Ihr wärt gerne schon da. Vielleicht solltet Ihr mit den Landsknechten vorausreiten, und ich begleite weiter die Wagen. Dann hat Frau Jansen auch wenigstens einen kleinen Vorsprung, um Unterkünfte für all diese Männer vorzubereiten."
Ich denke einen Moment lang nach.
„Nein, Konrad. Die Wagenladungen sind zu wertvoll. Wir lassen Joseph, Benjamin und Ruven bei den Wagen und reiten zu zweit voraus. Das ist eine gute Idee. In der Tat, ich brauche jetzt ein bisschen flottere Bewegung. Und Hurtig auch."
Schnell ist alles besprochen und geregelt. Die drei Landsknechte waren schon zweimal hier und kennen sich aus, die beiden Lehrer sind furchtlos, und so können Konrad und ich schon bald unsere Pferde antreiben und nach Gieboldehusen durchstarten.

Wir lassen auf ebener Landstraße unsere Pferde richtig ausgreifen und genießen in einvernehmlichem Schweigen die frische Luft und die geschmeidigen Bewegungen der Pferde unter uns. Nach ein paar Stunden drosseln wir das Tempo und halten nach einer Herberge am Wege Ausschau. Es dauert nicht lang, bis wir unsere Pferde einem Stallburschen anvertrauen und uns zu einem einfachen Mahl niederlassen können. Dann geht es weiter, und am Nachmittag können wir die Silhouette von Gieboldehusen mit dem Kirchturm am Horizont erkennen. Wir treiben noch einmal die Pferde an und sind bald in der Stadt. Wir reiten zum Wirtschaftshof des Schlosses, wo wir die Stallburschen auf die Ankunft der Kolonne vorbereiten. Albrecht Bader steht grade im Hof und bespricht etwas mit dem Stallmeister. Freudig begrüßt er uns, und ich sehe mit Erleichterung, dass er nicht strapaziert und übermüdet aussieht sondern im Gegenteil gut gelaunt und zufrieden wirkt. Konrad übernimmt Hurtig und macht sich auf in den Stall.

Ich gehe ins Haus, begrüße Frau Jansen und Herrn Barkhausen und kündige auch hier die weiteren Personen in Stall und Haus und unser Gepäck an. Und dann gehe ich in meine Gemächer, um mich etwas auszuruhen. Kurz darauf kommt Seidel zu mir, um mir aufzuwarten. Nur mühsam versteckt er seine Hoffnung, nun als mein Kammerdiener bleiben zu dürfen. Und so verkünde ich ihm gleich, dass Laub in Salzderhelden geblieben ist und er gerne hier als mein persönlicher Diener arbeiten darf.
„Aber Ihr werdet Euch ein wenig umgewöhnen müssen. Ich bin anders. Mein Rang tut nichts zur Sache. Ich will unter diesem Dach kein 'Hoheit' hören. Ich werde grade jetzt am Anfang sehr viel draußen unterwegs sein, manchmal sogar einfach mitarbeiten. Es wird nahezu keine Gelegenheit geben, zu der ich mich herausputzen will. Praktische Kleidung ist viel wichtiger. Es wird mir einfach gut tun, jemand um mich zu haben, der mich mit der Zeit gut kennen wird und für mich da ist."
Große Erleichterung ist aus seiner Stimme zu hören, als er mir aus den Reitstiefeln hilft und mir warmes Wasser bereitstellt, damit ich mich nach dem langen Ritt frisch machen kann.
„Sehr gerne, Herr. Ich bin glücklich damit. Darf ich Euch sagen, dass sich hier in den letzten Wochen sehr viel verändert hat? Es herrscht allgemein Aufbruchstimmung, die Angst ist verschwunden aus der Stadt. Wir sind alle so sehr froh, dass Ihr gekommen seid."
Erstaunt schaue ich auf.
„Das ist ja hervorragend. Ich hatte schon gehofft, dass sich mein Erscheinen und meine Absichten im Lehen herumsprechen werden. Habt Dank für diese guten Nachrichten. Ihr könnt dann gehen, Seidel."

Nun freue ich mich noch mehr auf das Abendessen mit Bader. Auf seinen Humor und auf seine Neuigkeiten. Ich ruhe mich ein wenig aus. Und schon wandern meine Gedanken wieder nach Süden.
Beim Abendessen sind Bader und ich wieder zu zweit. Wir plaudern viel, reißen nur kurz an, was wir jeweils in den letzten Wochen geplant, erledigt und erreicht haben und verabreden uns für den nächsten Morgen für eine Einführung in den Stand des Lehens durch Bader und eine Begehung von Haus, Hof, Hospiz, Schule und Christophorus-Haus. Dann begibt sich Bader zur Ruhe, und ich warte mit einem Glas Wein vor dem Kamin, bis mein Trupp aus Wagen und Reitern hier eintrifft, damit ich sicher sein kann, dass alles gut gelaufen ist. Als ich die Räder in den Wirtschaftshof rollen höre, gehe ich nach draußen, erteile Anweisungen, was erstmal wo hingebracht werden soll, übergebe die Kutscher dem Stallmeister und bringe die Brüder Weise zu Barkhausen, damit er für ihre Unterbringung sorgen kann. Dann gehe auch ich zur Ruhe und falle schnell in tiefen Schlaf.

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31.1.2022

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