143 - Der Hochzeitsmorgen - Sa. 14.9.1571

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Als ich aufwache, ist es seltsam still im Haus. Und im Zimmer. Und so leer in meinem Bett! Ich richte mich auf und schaue mich nach den Kindern um. Schnell husche ich zu einem der Fenster und öffne die Läden. Keine Kinder zu sehen. Und ihre Festgewänder sind auch verschwunden! Hastig ziehe ich mir Alltagskleidung an und laufe in die Diele. Auch niemand!
Was haben die heute mit mir vor???
Ich setze mich an den Tisch, wo eine Tasse Tee und Getreidebrei mit Früchten für mich stehen.
Aha. Verhungern muss ich also nicht.

Nach dem Frühstück trete ich einfach vor meine Tür mitten auf die Dorfstraße. Und wie ich es erhofft hatte, werde ich sofort gesehen. Der kleine Jasper kommt grade vom Brunnen, sieht mich und flitzt wie der Wind nach Hause. Nur einen Augenblick später kommt Irmel heraus und zu mir. Sie lächelt mich an – und führt mich sofort zurück in mein Haus.
„Na, ihr macht es ja spannend!"
„Ja, meine Liebe, heute brauchst du Geduld."
Wir setzen uns an den Tisch, und ich schaue sie erwartungsvoll an.

„So, Anna. Nun ist er da, der große Tag. Wir alle wollen, dass du diesen Tag in vollen Zügen genießen kannst. Darum haben wir uns heute morgen Deine Kinder herausgeholt, und auch deine anderen Gäste sind jetzt beim Vogt und im Pfarrhaus. Die Herzogin bittet auszurichten, dass sie sich heute morgen schon viel wohler gefühlt hat, und dass sie zu dir kommt und bei dir bleibt, sobald du darum bittest. Und ihre Zofe wird dir beim Ankleiden helfen."
„Wozu die Geheimniskrämerei? Ich bin so sehr erschrocken vorhin!"
Einen Moment ist Irmel still.
„Das ... tut mir leid, Anna. Vielleicht hast du recht und wir hätten etwas besser nachdenken sollen. Wir wollten einfach, dass du ganz lang schlafen kannst."
„Dann sag mir doch einfach, was mich erwartet."

Wieder zögert sie.
„Na gut. Linde und Grete werden den ganzen Tag für die Kinder zuständig sein. Wenn sie bei dir sein wollen, werden wir sie nicht hindern. Wenn du sie allerdings für eine Weile loswerden willst, werden sie dir sofort abgenommen werden. Dein Vater und Clara werden dich zur Kirche begleiten, wenn es soweit ist. Und von da an werdet ihr beiden sehr häufig einfach gefragt werden, wie ihr es am liebsten hättet. Wehre dich, wenn dir etwas zu viel wird. Versprichst du mir das?"
Ich nicke bloß, denn ich habe eigentlich keine Ahnung, wovon sie redet.

„Und jetzt überlege mal, wonach dir zu Mute ist, bis Clara und ihre Zofe kommen."
„Da muss ich nicht lange überlegen. Ich möchte mit dir einen Spaziergang im Wald machen, denn wir werden uns in Zukunft nur noch selten sehen. So haben wir ein paar stille Momente, um uns zu verabschieden in eine neue Zeit."
„Gut! Mir ist das nämlich auch wichtig. Wart einen Moment, ich bin gleich wieder da."
Und schon ist Irmel zur Tür hinaus und informiert wohl die anderen, was wir grade beredet haben.

Dann machen wir uns gemeinsam auf in den Wald. Wir schlendern an den Schleifen der Rhuma entlang. Manche Stelle lädt zum Verweilen ein oder weckt Erinnerungen.
„Irmel, kannst du mir von mir erzählen? Von mir, als ich hierher kam?"
„Aber Anna, so lang ist das doch nun auch wieder nicht her. Erinnerst du selbst nichts mehr?"
„Doch schon. Ich erinnere eine traurige Vierzehnjährige, die ihre Ziehmutter verloren hatte und holterdipolter in ein völlig fremdes Leben und eine große Verantwortung geschubst worden war. Aber wer und wie war ich?"
„Ach, so meinst du das. ... Hm ... Du warst traurig, das tat uns allen in der Seele weh, denn über den Verlust konnte dir keiner hinweghelfen. Aber es zeigte sich auch sofort eine Eigenschaft von dir, die dich bis heute auszeichnet. Du hast dich nicht geweigert oder geduckt, hast nicht wochenlang rumgeheult. Du hast sonntags dein stilles Leid in die Kirche getragen und den Rest der Woche die Ärmel hochgekrämpelt. Du hast schnell verstanden und tapfer zugepackt, auch wenn dir manches noch zu schwer war. Bauer Adam war erst sauer, dass ihm ein so junges Mädchen geschickt worden war. Aber schon nach zwei Wochen hat er nur noch mit Hochachtung von dir gesprochen."

„Ich ... glaube, das habe ich von meiner Mutter. Sie hat immer zu uns gesagt, wenn jemand von uns das Christophorus-Haus verließ:'Bevor ihr jammert und aufgeben wollt - überlegt euch immer, was noch schlimmer wäre. Dann lernt ihr Dankbarkeit und Zuversicht und könnt euch jeder Aufgabe stellen.' Ich habe einfach gesehen, wie sehr Frau Adam gelitten hat, wie viel Schmerzen sie hatte – und vor allem, wieviel Angst sie vor dem Sterben hatte. Sie war doch auch noch ganz jung. Und Jacob Adam hat mir nie gezeigt, dass er eigentlich jemand anderen gewollt hat. Er hatte von Anfang an so viel Geduld."
„Du hast aber auch sehr schnell gelernt, hast dich nie gescheut, mich zu fragen, hast dir gerne helfen lassen. Warst dir für keinen Dreck zu schade. Und wir hatten schnell großen Respekt vor dir, weil du dich mit Birgitta angefreundet hast. Sie ist ja nicht so viel älter als du, und sie hatte herausgefunden, dass du lesen und schreiben kannst."

„Es war so furchtbar, ihr beim Sterben zuzusehen. Lene hat alles getan, was sie konnte. Und ich konnte sehen, dass sie wusste, dass sie es nicht schaffen würde. Sie hat Jakob noch in die Arme gelegt bekommen und ihm seinen Namen gegeben. Dann hat sie mich angesehen und ihn mir gegeben. 'Pass gut auf ihn auf und lehre ihn deine Zuversicht. Er ist jetzt dein Sohn.' Ich bin so sehr erschrocken, dass ich ihn kaum halten konnte. Aber als sie wenige Minuten später starb, hatte ich bereits das starke Gefühl, dass Jakob mein Sohn ist, den ich lieben und großziehen will, als wäre ich wirklich seine Mutter."

„Ja, in der Zeit hatten wir nochmal alle große Sorgen, weil wir nicht ahnen konnten, wie schnell du dich wiederum in diese neue Rolle einfinden würdest. Bauer Adam hatte lange Mühe, sein Kind anzunehmen, denn er hat seine Frau geliebt. Indem du Jakob so geliebt und versorgt hast, hast du auch seinem Vater wieder Hoffnung gegeben."
„Ich habe mich auch geliebt gefühlt von ihm. Das war keine Zweckheirat, um den Sohn und den Haushalt zu versorgen. Er war immer gut zu mir."

„Als du mit Susanna guter Hoffnung warst, hatten wir ein bisschen Sorge. Wir haben gemerkt, dass dir Jakobs Geburt noch in den Knochen steckte. Du hattest ziemlich Angst. Aber dann ist ja alles gut gegangen."
„Ja, das hat es dann bei Peters Geburt leichter gemacht, obwohl Jacob inzwischen in den Tod getrieben worden war. Aber lassen wir das jetzt hinter uns. Seine drei Kinder und ich bekommen heute ein neues Zuhause. Es wird seinen Kindern besser gehen, als er sich das jemals erträumt hätte."

In der Zwischenzeit sind wir an der Waldkreuzung angekommen, wo Hannes damals überfallen wurde. Schweigend bleibe ich einen Moment stehen. Mir schießen so viele Gedanken durch den Kopf!
„Gerechtigkeit ist ein seltsames Ding. Den Thronfolger ermorden zu wollen, war eindeutig Frevel. Aber danach folgten daraus die Vertreibung der Peiniger, Gerechtigkeit für die Menschen im Lehen, ein noch festeres Band zwischen den beiden Brüdern und ein neues Leben für uns. Ich kann es nur als Geschenk Gottes ansehen, dass ER aus allem etwas Gutes für seine Menschen machen kann."

Wir wenden uns wieder dem Dorf zu. Während wir unterwegs sind, hören wir eine Kutsche kommen. Es sind die Freeses aus Rhumaspring, die zu unserer Hochzeit eintreffen. Wir winken uns zu, während sie an uns vorüberrattern.
„Komm, Anna. Es wird Zeit."
Wir gehen nun zügig zurück und kommen bald ins Dorf. Während Irmel mich sanft in Richtung meiner Haustür schiebt, sehe ich noch, dass grade Clara und ihre Zofe aus dem Pfarrhaus treten und auf uns zulaufen. Kurz darauf treffen sie bei mir ein, und Irmel verabschiedet sich.
„Bis nachher, Anna. Genieße es! Die Mädchen bringen kurz vorher die Kinder zu dir."

Wir betreten mein Haus und meine Kammer. Clara hat schon ihr feines, aber ganz schlichtes Gewand an, das ihr ganz wunderbar steht.
„Ich wollte nicht so sehr auffallen hier auf dem Dorf. Ich hoffe, das ist mir gelungen. Deine schlichten Gewänder haben mir so sehr gefallen."
Sie kichert kurz.
„Meine Schneiderin und meine Zofe haben bei meinen ungewöhnlichen Wünschen die Hände überm Kopf zusammengeschlagen."
Ihre Zofe lächelt.
„Aber nur kurz, Euer Hoheit. Ich hatte mir vorher zwei Wochen lang angehört, wie Ihr von den Gewändern von Frau von Brabeck-Lenthe geschwärmt hattet. Und ich fand die Gewänder ja auch alle so hübsch."

Ich zeige der Zofe mein Gewand für heute, das als Trachtengewand ziemlich farbenfroh ist. Dazu einige farblich passende Bänder, die sie mir in die Frisur einarbeiten kann. Frau Bünte hat extra daran gedacht, dass das schön zusammen aussehen würde. Ich steige in mein wunderbares Gewand und fange langsam an zu begreifen, dass heute wirklich der Tag ist, an dem ich endlich ganz zu Hannes gehören werde. Dann lasse ich mich geduldig in einem Stuhl nieder und warte einfach ab, was die freundliche Zofe mit meinem Kopf veranstalten wird. Ich hatte aus der Hauptstadt auch für jede Kammer einen größeren Spiegel mitgebracht, und so kann ich nun zusehen, was da entsteht.

Clara schaut sich suchend um.
„Kann ich dir helfen?"
„Ich suche noch einen Stuhl ..."
„Oh, werden dir die Beine schwer? Dann leg dich bitte einfach auf mein Bett und die Beine hoch. Das hilft."
Clara legt sich hin, und ihre Zofe faltet ihr die Decken unter den Knien zusammen. Sie entspannt sich allmählich wieder.

Eine kleine Ewigkeit später sind meine Haare hochgesteckt und mit drei bunten Bändern durchflochten. Dennoch sieht das ganze irgendwie noch nicht fertig aus. Da richtet Clara sich wieder auf.
„Ludwig und ich haben uns überlegt, was wir dir zur Hochzeit schenken könnten. Da sind wir auf den wunderschönen Schmuck seiner Mutter gekommen, den du bei unserem Ball getragen hast. Und wir haben beschlossen, dass er nun dir gehören soll."
Im Spiegel sehe ich, wie sie mir ein Kästchen entgegenhält. Ich fahre vom Stuhl auf und starre auf das kleine Silberkästchen.
„Für mich? Aber ... das ist doch so wertvoll. Willst du das nicht eines Tages tragen?"
„Ach, Anna. Ich habe von zwei Müttern so viel Schmuck geerbt. Und es hat so wunderschön an dir ausgesehen. Bitte nimm es an. Es passt zwar von den Farben her nicht zu diesem Kleid, aber vielleicht ja zu dem, das du übermorgen beim Ball in Gieboldehusen tragen willst."

Andächtig nehme ich das Kästchen entgegen und öffne es. Darin liegen die wunderbaren Saphire der seligen Herzogin. Und dazu einige Haarnadeln mit feinen Perlen daran, die wunderschön zu dem Schmuck passen. Einen Augenblick überlege ich.
„Clara, was meinst du? Wäre es überladen, wenn ich zu den Bändern auch noch die Perlen im Haar trüge?"
Die Zofe nimmt die Haarnadeln und betrachtet meinen Kopf. Dann steckt sie entlang eines roten Bandes die Perlen wie einen schwungvollen Bogen in mein Haar. Es sieht zauberhaft aus.
„Nein, Anna. Das ist nicht überladen. Das ist wunderbar. Lass dich mal ganz ansehen."

Ich stehe auf und drehe mich vor ihr, dass die Röcke breit schwingen.
„Meine Schwägerin. Die schönste Frau im ganzen Land."
„Ach, Unsinn!"
Spielerisch klapse ich ihr auf den Arm, und wir lachen uns an. Es klopft an der Tür, und Irmel steckt den Kopf herein.
„Anna? Wie weit bist du? Dein Vater ist jetzt hier."
Automatisch fange ich an zu strahlen. Irmel geht wieder nach Hause, um sich nun auch fein zu gewanden. Clara und ich gehen nach vorne in meine gemütliche Küche zu meinem Vater.

Vater trägt ein festliches Gewand in gedeckten Farben, aber auch das ist sehr schlicht. Ich freue mich so, dass alle unsere edlen Gäste sich Mühe geben, sich dem Dorf anzupassen, damit sie nicht zu sehr auffallen und überheblich wirken. Jeder hat sich so viel Mühe gegeben, diesen Tag für uns unvergesslich zu machen!

Tränen glitzern in Vaters Augen, als ich auf ihn zugehe.
„Anna!"
Er nimmt mich in die Arme.
„Du bist so ... schön! So schön wie deine Mutter. Ich kann gar nicht sagen, wie glücklich ich bin."

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10.6.2020

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