Zwei Nitriten-Pflanzen

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          Ich war noch nie jemandem dankbar dafür gewesen, wenn man mir ein Messer an den Bauch hielt. Aber es war nicht die Kehle, also hätte es meiner Meinung nach schlimmer sein können.
Wenn nur Henric nicht so wütend ausgesehen hätte.

Der Hauptmann stand mir und Morem gegenüber, den Schwertarm ausgestreckt, sodass die Klinge direkt unter Morems linkem Ohr zum Ruhen kam. Und trotzdem sahen seine blauen Augen gefährlicher aus als das Schwert. Vor allem, weil er mich ansah.

Ich war das Problem.

Yessis Dolch lag zwischen meinen Füßen, wo ich ihn eben hatte fallen lassen und ich hatte vollkommen sinnlos meine Hände erhoben. Aber meine erste Sorge galt nicht Morem. Nicht, wenn Henric mich so ansah.
„Ab wie vielen Entschuldigungen an einem Tag reden wir von einem Problem?"

Ich zog eine zerknirschte Grimasse, die Henric jedoch überhaupt nicht überzeugte.
„Kaliee, das ist nicht witz-...", setzte er gleichzeitig an, wie die Auftragsmörderin in meinem Rücken antwortete: „Vier? Fünf? Kommt immer auf die Person-..."

Draußen wurden Rufe laut, untermalt von Schritten, die noch weit entfernt klangen. Wir alle hielten die Luft an. Morem hauptsächlich, weil Henric so entschlossen aussah.

„Lass sie gehen, oder ich schneide dir die Kehle auf." Henric machte einen Schritt auf sie zu, bevor sie ihre Überlegung zu Ende bringen konnte.

Morem lächelte. Ich spürte es an meinem Nacken wie eine weitere Klinge. Demonstrativ drückte sie das Messer tiefer in den Stoff meines Kleides rein, sodass ich instinktiv die Luft anhielt.
„Lass mich gehen, oder ich schneide ihr den Bauch auf", äffte sie Henrics Tonfall halblaut nach.

Ich hatte Sorge, dass wenn mein Herz nur noch ein wenig fester schlug, ich mich selbst an ihrem Messer verletzen würde. Lähmende Erinnerungen lauerten am Rande meines Bewusstseins, als warteten sie darauf, dass meine Konzentration abrutschen würde. Wenn ich nur ein klein wenig dem Sog nachgab, würde ich mich überhaupt nicht mehr bewegen können.

Henrics Blick flackerte und ich spürte die Hitze seines Zorns. Nur noch dünne Fäden seines Trainings und seiner Loyalität zu mir hielten ihn zurück. Standen zwischen seinem Hass und Morem. Er umklammerte seinen Schwertgriff so fest, dass er mehrfach seine Position justieren musste.
„Und dann lasse ich dich gehen?", er schnaubte und es war so weit von dem königlichen Hauptmann entfernt, wie ich ihn jemals erlebt hatte: "Ich würde eher-..."

„Uhh brems den Beschützerinstinkt", fiel sie ihm erneut ins Wort, vorsichtig ihren Stand anpassend. Ihr Fuß schob sich über den Boden, bis er kurz vor meinem stand. Ihre Hand in meinen Haaren änderte den Winkel, in dem sie mich hielt. Es war nur subtil aber die Gänsehaut auf meinen Armen war Warnung genug.
„Was ist dir wichtiger? Ihr Leben oder deine Rache?"

Die Frage echote für einen Herzschlag zu lange zwischen uns. Gab mir gerade genug Zeit, um Henrics Zweifel zu sehen.
Sie ließ ihm keine Zeit zu antworten.

In einem Moment hielt sie mich noch umklammert, im nächsten zog sie den Dolch von meinem Bauch weg und stieß mich von sich. Ihr fiel über ihren Fuß und in Henrics Richtung, der versuchte, sein eigenes Schwert wegzuziehen.

Morem nutzte den Überraschungseffekt und sprang an mir und Henric vorbei auf die Tür zu. Schatten sammelten sich um ihre Gestalt, als sie auf der Schwelle kurz innehielt.
„Ich richte deinem Bruder liebe Grüße aus!"

Ich landete hart auf meinen Handflächen, mein letzter Atemzug wie ein Stein in meiner Lunge. Der Rand meines Sichtfeldes flimmerte und verschluckte Morem, bevor sie die Tür hinter sich zugezogen hatte. Jac.
„Nein." Mein Brüllen war ein schmerzverzerrtes Stöhnen. Mehr das Geräusch eines Tieres als meine Stimme.

Etwas darin hakte sich in Henric ein und ließ ihn mitten in der Bewegung zu mir herumwirbeln, als habe ich das Gegenteil gesagt. Als hätte er etwas anderes gehört. Und er wusste sofort warum.
„Kaliee, ich-... du... du blutest."

Oh. Ja.
Es haftete an seiner Klinge und tropfte von meinem kaputten Ärmel runter auf den Boden. Er hatte versucht, sein Schwert wegzuziehen, er war nur nicht schnell genug gewesen. Eine neue Welle brach über mir herein und ich musste die Augen schließen, damit ich nicht auf dem Boden einknickte.
Das war jetzt nicht wichtig.
„Nur ein oberflächlicher Schnitt- Geh!"

Morem hatte unter Beweis gestellt, dass unser Palast in Eslaryn sie nicht aufhalten würde. Henric musste sie stoppen, bevor sie Jac erreichte.
Aber er stand wie angewurzelt vor mir, die Augen groß und rund, seine Schwert nutzlos gen Boden gerichtet. Er starrte es an, als würde es sich jeden Moment in eine giftige Schlange verwandeln.
„Ich habe dich verletzt."

„Nein, ich bin in dein Schwert gefallen", brachte ich mühsam zwischen meinen Zähnen hervor, „Da gibt es einen Unterschied. Geh und hol sie ein, bevor sie Jac-..." Neuer Schmerz raubte mir das Ende meines Satzes und ließ mich beide Hände zu Fäusten ballen. Verflucht noch mal, so hatte sich Andrew gefühlt?

„Du brauchst Hilfe..." Henric klang so leise. So klein als er neben mir auf die Knie ging. Warum hörte er mir nicht zu? Ich wollte protestieren, doch da hob er mich bereits hoch. Vorsichtig darauf bedacht, nicht an meine Schulter zu kommen.

Ich wimmerte trotzdem. Wimmerte, weil meine Sicht gefährlich verschwamm und ich für einen kurzen Augenblick seine Stimme nur aus weiter Ferne hörte.
„Wo ist Yessi?"

Ich antwortete ihm nicht gleich. Wartete, bis ich wieder die Kontrolle über meinen Körper erreichte, auch wenn es mir den Schweiß aus den Poren trieb.
"Wir müssen Jac..."

"Isabella wird Jac schützen. Wo ist der König Tacias?"

Ich verlor einen tiefen Atemzug gegen den Schmerz. Er hatte Recht. Mein Unterkiefer malte. Ich konnte Jac so nicht schützen.
„Im alten Viehstall."

Und schon war er in Bewegung. Aus der Tür, als wir wieder Stimmen im Dunkel des Abends rufen hörten. Fackeln wurden getragen und Lichter entzündet.

Ich krallte mich an Henrics Schulter fest und sonnte mich in der Ironie, dass ich früher alles dafür gegeben hätte, dass er mich irgendwohin trägt und jetzt nur noch herunter wollte, damit er Morem hinterher jagen würde.

Doch das tat er nicht. Und mit jedem verstreichenden Herzschlag war es zu spät. Ich wollte es ihm sagen. Wollte ihm versichern, dass es mir gut ging. Doch wir schafften es genau bis zum Brunnen, als ich mehrere Figuren auf dem Kiesweg stehen sah.

Männer in Rüstungen mit gelben Wappen hatten ihre Schwerter gezogen. Sie sahen in alle Himmelsrichtungen, als flüstere ihnen der Wind zu, dass sie beobachtet wurden. Dass sie nicht mehr alleine in diesem Hof waren.

Aber mein Puls setzte erst aus, als einer von ihnen zur Seite trat und den Blick auf eine wunderschöne Frau in einem mitternachtsblauen Gewand freigab. Sie hielt sich aufrecht, eine Krone in ihren langen Haaren und eine blasse Hand zu dem Soldat ausgestreckt, der sie sofort addressierte.
Sie sind entkommen, Euer Hoheit."

Sie hatte diesen Titel nicht verdient. Aber im Licht der kriegerischen Fackeln sah sie aus, als wäre der Titel nach ihr benannt worden. Als hätte der Mond selbst sie gekrönt und seinen Spott über meine raue Kleidung und Matte Haut gemacht. Fremder Zorn, der wie Eifersucht auf der Zunge schmeckte, mischte sie mit der wachsenden Angst, dass unsere Flucht bereits bemerkt worden war.

„Dann findet sie."

Ich hätte mir gewünscht, dass sie wenigstens besorgt geklungen hätte. Doch ihre Stimme war melodisch und gefasst, während sie dem Soldaten ihre Hand zum Kuss reichte, ehe sie mit ihren eigenen Männern weiter zum Haupthaus ging.

„Das ist Liona. Yessis Frau", murmelte ich in Henrics Schulter, der sich bewegungslos mit dem Rücken an eine Steinmauer lehnte und wartete.

Er trug mich, als hätte ich kein Gewicht und kaum da auch die Soldaten in eine andere Richtung verschwunden waren, setzte er seinen Weg fort. Aber ich spürte das Zittern seiner Hände unter meinem Körper. Sein angehaltener Atem.

Ich musste ihm den Weg beschreiben und das war auch gut so. Es lenkte mich von dem sickernden Gefühl ab. Von dem dumpfen Pochen in meinem Körper und dem wiederkehrenden Schwindel, der mich zwei Mal fast die Orientierung kostete.

Irgendwo über uns rief eine Eule.

Was die Dunkelheit an Sicht nahm, gab sie an Schutz zurück. Hüllte uns ein und warnte uns vor den Geräuschen anderer Nachtwandler. Schließlich erreichten wir den alten Viehstall und Henric schob mit der Schulter eine Tür auf, deren rostige Scharniere sich standhaft dagegen wehrten. Ihr protestierendes Quietschen begleitete uns in den offenen Raum.

Schatten wartete darin auf uns. Sie sammelten sich um den Strohbedeckten Boden, flüsterten von den hohen Dachgiebeln und verschluckten einige umgestoßene Stühle und Bänke.
Für einen langen Moment dachte ich, wir wären alleine. Dass Yessi sich einen anderen Ort hatte suchen müssen, oder die Soldaten ihn womöglich vor uns gefangen hatten.

Doch dann löste sich sein rötlich-brauner Schopf aus dem Dunkel und ich konnte ein winziges Aufatmen nicht verhindern. Er stockte kurz, als Henric ins Licht eines zersprungenen Fensters trat, dann war er in wenigen großen Schritten bei uns.
„Was ist passiert?"

Ich wusste nicht, warum ich plötzlich erwartete, dass er mich Henric aus den Armen reißen würde. Oder warum Henric so aussah, als zweifle er an seiner Entscheidung, Yessi auszusuchen. Seine Arme um mich herum spannten sich an und er machte instinktiv einen Schritt zurück.
„Mein Schwert... ich...."

Yessis Augen sprangen von mir hoch zu ihm und ich zuckte zusammen. Schluckte gleichzeitig wie Henric, der mich noch fester drückte, bis selbst meine Schulter wieder schmerzte.

Ich hatte diesen Ausdruck schon einmal bei Yessi gesehen, als Bachar mich auf seinem Land gefunden hatte. Hier im Zwielicht sahen seine Augen nicht grau, sondern schwarz aus. Sein Kiefer verkantete sich zu einer harten Linie und tiefe Atemzüge hoben und senkten seinen Körper wie eine allerletzte Warnung.

Vorsichtig streckte ich eine Hand aus, als wollte ich ihn zurückschieben, bemerkte im letzten Moment jedoch dass sie rot von meinem Blut war. Ich schüttelte die Erinnerungen aus meinem Kopf, bevor sie Wurzeln fassen konnten und sah stattdessen den König dieses Hofes fest an, als würden so meine Worte besser zu ihm durchdringen.
„Ich bin in sein Schwert gefallen, Yessi." Und dann- als er mir nicht so recht Glauben schenken wollte, setzte ich noch hinzu, „Lass mich runter, Henric." Ich wackelte ein wenig in seinen Armen, doch die Bewegung ließ mich neue Sterne sehen.

Was keiner bemerkte, weil Yessi immer noch Henric ansah und beinahe unmerklich den Kopf schüttelte, als verkünde er ein Todesurteil. Aber Henric ließ mich trotzdem herunter. Behutsam. Langsam. Als fürchte er, dass ich jeden Moment zusammenbrechen würde.

Und wenn ich ehrlich war, war ich so viel näher da dran, als ich zugeben wollte. Meine Zähne knirschten unter dem Aufwand, mit dem ich mich aufrecht hielt. Mein Gesicht in eine glatte Fassade zwang. Wir hatten keine Zeit dafür. Soldaten suchten bereits nach uns. Morem war auf dem Weg zu Jac.

Im Hintergrund bewegte sich ein Schatten und offenbarte Koch, die neben Andrew im Stroh kniete. Hilflos sah sie zu mir auf, ein Bündel in ihren Händen.
„Ich habe die Pflanze. Er wird immer schlechter."

Immer ruhiger. Der Steward lag wie eine Leiche in der alten Viehbox. Blass und glänzend. Die Haut wie aus Wachs geformt. Mir gelangen zwei sehr langsame Schritte auf ihn zu, die mich innerlich schluchzen ließen, aber dieses Mal hatte ich meine Stimme im Griff.
„Er kann die Kräuter ohne Aufbereitung bekommen. Sie wirken auch roh sehr gut. Ansonsten braucht er Ruhe."

Blut tropfte auf den Boden.

„Genau wie du." Henric machte einen Schritt auf mich zu, doch Yessi stoppte ihn mit ausgestreckter Hand. Er ging um den Hauptmann herum, als wäre er Teil des Mobiliars hier drinnen und blieb erst stehen, als er förmlich über mir ragte.

„Zeig deine Wunde." Er sprach so sanft mit mir, dass ich unfreiwillig zu ihm aufsah. Dass ich mich vergewissern musste, dass er mit mir sprach. Ich wollte mir einbilden, dass sein Blick wirklich besorgt war. Dass seine Hand an meinem Oberarm mich aufrecht halten wollte und nicht von ihm wegschob.

Ich blinzelte mich frei und sah zur Seite.
„Es ist nur ein Schnitt."

Dass er mir nicht glaubte, merkte ich, als er mich vorsichtig rückwärts auf einen Schemel bugsierte und sich vor mich hockte. Unendlich vorsichtig schob er die Fetzen meines Ärmels auseinander und stahl mir den Atem.

Es war nicht der Schmerz. Mein Arm blutete, aber er tat nicht wirklich weh. Es war die plötzliche Nähe zu Yessi, die allerlei Erinnerungen wie Staub aufwirbelten. An seine Lippen auf meinen. Seine Finger in meinem Nacken, die jetzt heiße Spuren über meine Haut zogen, während er meinen Arm begutachtete.

Ich schluckte trocken und glaubte einen von Yessis Mundwinkeln zucken zu sehen. Er sah nicht auf zu mir, sondern blieb auf meine Wunde fokussiert. „Bist du in Ordnung? Dein Puls..."

„Alles Prima", fiel ich ihm ins Wort, bevor er Henric und Koch verkünden konnte, dass mein Puls plötzlich doppeltes Tempo anlegte. Wenn meine Stimme nicht so hoch und atemlos geklungen hätte.

Mir wurde wieder schwindelig, aber ich konnte nicht sagen woher. Ich wusste, wie schwer es Yessi fallen musste, diese Wunde zu versorgen. Er sah nicht gern Blut, aber er bemühte sich trotzdem. Es war bestimmt leichter, seitdem er mich nicht mehr mochte.

„Es ist nur ein Schnitt", bestätigte er kurz darauf, doch irgendetwas ließ ihn zweifelnd klingen. Mit zusammengeschobenen Augenbrauen holte er aus einem anderen Eck des Stalls etwas, was wie halbwegs sauberer Stoff aussah und einen Eimer mit Wasser.

Behutsam säuberte er meine Wunde und verband sie anschließend.

Ich musste mich ablenken. Dringend.
Mein Blick fiel auf den Gegenstand auf dem Tisch neben dem Eimer. Ein rotes Buch, das so vollkommen fehl am Platz in diesem Raum war, dass ich mich instinktiv ein bisschen aufrechter hinsetzte. Nein... oder? Mein Blick sprang von Yessi zum Buch und wieder zurück.
„Ist das...? Wie hast du das gefunden?"

Das kleine schiefe Lächeln auf seinen Lippen breitete sich zu einem vollständigen Grinsen aus.
„Koch sagte, sie hätten von einem roten, alten Buch gesprochen. Ich war in Andrews Geheimversteck."

Vorsichtig streckte ich meinen nichtverbundenen Arm danach aus. Der Einband war aus abgewetztem Leder und die Schrift auf seinem Rücken verblasst. Es sah wie ein geliebtes Buch aus, aber warum würde Andrew dafür zurückkommen? Und warum hatte Marus sich so sehr darüber aufgeregt? Nachdenklich drehte ich es hin und her.
„Worum geht es?"

Yessis Lachen verwandelte sich in einen ernsten Ausdruck, der mir sagte, dass ich auf eine weitere Ungereimtheit gestoßen war.
„Es ist dieses alte Mythen-Buch aus dem Andrew uns als Kinder immer wieder vorgelesen hat."

Meine Augenbrauen hoben sich von alleine und ich ließ das Buch auffallen, auf seiner meistgelesenen Seite. Die verschlungene Sprache Tacias sprang mir entgegen und kleine, mit Tinte gekratzte Zeichnungen dazwischen.
„Daher kanntest du das Symbol der alten Götter." Versunken ließ ich ein paar Seiten umblättern, doch ich sah nichts als noch mehr Schrift. Es war definitiv kein Kinderbuch. Die Geschichten hatten düstere Titel und keine Bilder sondern Illustrationen. Fast wie ein Handbuch. „Irgendetwas darin über den mehrfachen Mord an Königinnen und Königen?"

Yessi schüttelte den Kopf, aber etwas stoppte ihn mitten in der Bewegung, als hätte er einen Alarm gehört. Es ging durch seinen ganzen Körper. Sehr langsam drehte er den Kopf und sah mich an, als müsse ich ebenfalls die Warnung sehen.
„Wenn der Mann im See wirklich Träger der Krone tötet, ist Marus in Gefahr."

Ich schluckte. Weil Marus eigentlich der Erstgeborene war. Ein Umstand, der ihn mehrere Menschen hatte töten lassen, einschließlich-...

Henric brachte den Gedanken für mich zu Ende. Irgendwann in den letzten Minuten hatte er wieder zu sich gefunden und Yessis Untersuchung mit verschränkten Armen beobachtet. Jetzt trat er vor, als habe er sich gerade verhört: „Dein Bruder? Der, der versucht hat, Kaliee umzubringen?"

Koch schnappte im Hintergrund hörbar nach Luft, eine Hand vor den Mund gepresst, als wollte sie Henrics Anschuldigung sofort zurücknehmen. Dabei schüttelte sie versehentlich Andrew, der sanft aber anklagend stöhnte,
„Das würde er nicht wagen!"

Yessi drehte sich zu keinem der beiden um. Stattdessen hing sein Blick auf der Narbe an meinem Hals, als spüre er die Schmerzen selbst. Als erlebe er diesen Abend noch einmal, nur er wäre derjenige, der im kalten Matsch seinen letzten Atemzug tat.
„Ich möchte ihn retten." Es war kaum mehr als ein Flüstern.

Dagegen klang Henrics Stimme wie ein Donnerschlag.
„Das kann nicht dein Ernst-..."

Yessi fuhr zu ihm herum, als hätte Henric ihn geohrfeigt. Er war auf den Beinen, bevor ich ihn aufhalten konnte, doch irgendwie sah er so aus, als wolle er mich schützen, anstatt ausgrenzen. Als habe er sie im Rücken wie andere Verstärkung.
„Was, wenn er genauso vom Mann im See kontrolliert wird, wie ich?" Die Worte waren aus ihm herausgebrochen wie Felsbrocken und er bereute sie sofort. Stoppten ihn, bevor er mehr sagen konnte. Sie waren ein Testament all der Dinge, die für ihn auf dem Spiel standen. Die er bereits verloren geglaubt hatte.

Für einen langen Herzschlag schloss er die Augen, als wünsche er sich woanders hin. Er tat einen tiefen Atemzug und strich sich mit seinen Fingern die Stirn glatt, ehe er deutlich ruhiger fortfuhr: „Ich kenne meinen Bruder und all seine Fehler. Er ist kein Mörder."

„Er ist nur kein Mörder, weil Boltier Kaliee wieder zusammengeflickt hat."

Es war ein Fausthieb aus Anschuldigungen und obwohl neuer Schmerz vor meinen Augen explodierte, erhob ich mich von meinem Schemel.
„Technisch gesehen nicht richtig." Rasselnde Atemzüge begleiteten meine Bewegung, doch ich ignorierte sie. Kaar hatte mich gerettet und das auch nur, weil ich einen Auftrag zu erfüllen hatte.

Aber Henric sah von mir zu Yessi, als verstünde er und biss sich auf die Lippe. Er wusste nicht, dass ich-... Nicht darüber nachdenken. Für ihn hatte Yessi mir das Leben gerettet, als er mich heimgebracht hatte und ich würde ihn in diesem Glauben lassen, wenn das ein wenig Frieden bedeutete.

„Wenn du deinen Bruder retten willst, müssen wir herausfinden, was hier vor sich geht", sprach ich schnell weiter, denn Yessi sah aus, als wolle er Fragen stellen. Als glaube er mir schon wieder etwas nicht, „Andrew hatte sicher eine Idee, aber selbst mit der Nitriten-Pflanze wird es dauern, bis er wieder klar bei Verstand ist."

Etwas änderte sich im Gesicht von Tacias König. Es war schwer, genau zu sagen was, aber plötzlich sah er wieder wie der Mann in den Zellen Eslaryns aus, der nichts mit mir zu tun haben wollte.
„Du solltest verschwinden." Die Worte fielen hart aus seinem Mund und er sah mich nicht mehr an. Machte sie so unpersönlich, als spräche er mit der Bank, „Nimm deinen Hauptmann und bring dich in Sicherheit."

Da war es wieder. Ich wusste, dass er mich von Anfang an hatte loswerden wollen, aber jetzt gerade wusste ich nicht warum. Und weil ich mich nicht traute, auf eine Erklärung zu hoffen, stellte ich auf stur.
„Nein." Das Wort blieb knapp, weil eine weitere Welle an blubberndem Schmerz mich kurz mein Gefühl für Raum und Zeit kostete. Aber ich schaffte es, die Hand zu heben und Yessi wartete mit seinen Widersprüchen, bis ich weitersprechen konnte, „Koch sollte Andrew in Sicherheit bringen. Ich bin in einem viel besseren Zustand und habe eine Idee, wer vielleicht weiß, was hier los ist."

Es wäre so viel glaubhafter gewesen, wenn ich nicht einen Arm um meine eigene Mitte hätte schlingen müssen. Aber wie durch ein Wunder drehte Henric sich fort, als habe er die Diskussion mit mir aufgegeben und Yessi hörte zu.

„Ich kann in meinen Träumen mit Moira reden", ich wusste nicht, warum es so schwer war, diesen Satz laut zu sagen oder warum ich beinahe über die Worte stolperte, in meinem Versuch, ihn möglichst schnell herauszubringen, als hinterließe er einen schlechten Geschmack, „Aber dazu muss ich tief schlafen. Und darf nicht entdeckt werden."

"Wie tief?", Yessi sah skeptisch aus, "Brauchst du das Kraut, mit dem du mich damals ausgeknockt hast?"

Das hätte er nicht extra erwähnen müssen.
Aber er hatte recht. Und ich nickte, weil ich meinen Atem und das letzte bisschen Konzentration noch für andere Dinge brauchte.
„Und Kochs und Andrews Flucht als Ablenkungsmanöver." Meine Sicht verschwamm in den Winkeln meiner Augen. Blut tropfte noch immer neben meinen Füßen auf den Boden, doch ich verwischte es schnell im Stroh.

„Du kannst mit der letzten Nevanam sprechen?" Henric klang, als hätte ich behauptet, ich könne mit Toten kommunizieren.

Was ich auch getan hatte. Also war seine Reaktion vollkommen gerechtfertigt.

Sehnsucht nach Moira kam wie die Gezeiten an unserem See. Moiras Gegenwart war selbst nach ihrem Tod so selbstverständlich für mich geworden, dass es schwer war, die Wahrheit in seinem Gesicht zu sehen. Dass sie eigentlich ruhen sollte. Stumm.

„Ich hab es nicht mehr gemacht, seit..." Fast hätte ich es laut ausgesprochen. Fast wäre ich zurück diesen Ort gestolpert, ohne darüber nachzudenken, doch meine eigene Panik kam ungerufen und abrupt. Sie beendete den Satz wie eine fallende Axt, meine eigene Zunge plötzlich zu schwer, mein Atem zäh. Bilder drängten in mir hoch. Erinnerungen an Kälte. Angst und Kälte.

Allein der Schmerz in meinem Bauch erdete mich genug, dass ich noch Yessis unleserlichen Blick bemerkte. „Ich denke der Platz unter den Trauerweiden würde selbst mir genug Magie geben", brachte ich mühsam heraus und betete innerlich zu einer gewissen Eule, dass die blubbernde Wunde in meinem Bauchraum mich bis dahin nicht fällen würde.

Vorsichtig schob ich eine weitere Falte meines Kleides über den zerschnittenen Ledernen Mitteteil.
Dafür hatten wir keine Zeit. 

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"Voted für Dr. Yessaia und Koch, die versehentlich Patienten schüttelt." - Kaliee, ein bisschen verwirrt vor Schmerzen.

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