24 - Erste Verkaufserfolge

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„Erinnere dich an das, was ich dir gesagt habe." Patrick blickt mich aufmunternd an.

„Die Kunden wissen nicht, was sie wollen, bis ich es ihnen anbiete", zitiere ich die Worte, welche er mir vor zwei Stunden im Büro eingetrichtert hat.

Er nickt zufrieden. „Genau. Und was noch?"

„Wenn du nicht zuhörst, verkaufst du auch nichts."

„Perfekt."

Wir stehen vor der Haustüre des ersten Kunden, den ich heute vollumfänglich beraten muss. Herr Kamp – Patricks Chef – hat nämlich beschlossen, mich ganz an die Front zu befördern. Ich sei ja hübsch und vorzeigbar genug und könne die männlichen Kunden somit leicht um den Finger wickeln. Kaltakquise am Telefon lag mir sowieso nicht so, trotz Patricks tatkräftiger Unterstützung.

Kundenberatung ist allerdings eine ganz andere Liga. Da muss ich so tun, als wüsste ich, was unsere Produkte können. Es ist um einiges komplexer und anspruchsvoller, verspricht allerdings die höhere Wahrscheinlichkeit, mehrere Policen gleichzeitig verkaufen zu können. Was für mich wiederum bedeutet, dass ich schneller meinen alten Job zurückbekommen könnte - vorausgesetzt ich versage nicht auf voller Linie.

Patrick wurde dazu verdonnert, mich zu begleiten, denn kein anderer Aussendienstler hat sich bereit dazu erklärt, mir zu helfen. Aus Angst, sie könnten wegen mir ihre Provisionsziele nicht erreichen. Da Patrick an keine Provision gebunden ist, sondern einen regelmässigen, fixen Lohn bekommt, war er dann das Opfer.

Ihn hat das überhaupt nicht gestört. Ganz im Gegenteil. Er war sogar erfreut darüber, zu erfahren, dass er mit mir auf Kundenberatungstour gehen darf. Vermutlich, weil es ihn von seinen Protokoll-Pflichten befreit. Ausserdem ist so eine Tour eine willkommene Abwechslung zum tristen Büroalltag. Man kommt an die frische Luft, fährt zu den Kunden nach Hause und kriegt dort sogar gratis Getränke.

Patrick betätigt die Klingel. Es dauert nicht lange, bis die Türe von einem Herrn Mitte Siebzig geöffnet wird. Der alte Mann blickt uns aus trüben Augen an.

„Was wollen Sie?", mault er uns recht unfreundlich an.

Mir verschlägt es die Sprache und mein Gehirn setzt auf Durchzug. Eigentlich müsste ich jetzt das Zepter übernehmen und uns professionell vorstellen. Aber es geht nicht. Ich habe das totale Blackout und weiss nicht mehr, wie man einen Menschen begrüsst, geschweige denn wie man existiert.

Zum Glück merkt das Patrick schnell und grätscht ein.

„Guten Tag Herr Huber. Wir sind von der Assekura. Unsere Kollegen haben mit Ihnen gestern telefoniert und einen Beratungstermin für heute vereinbart."

Der alte Mann überlegt und starrt uns noch immer skeptisch an. Der kann sich wahrscheinlich gar nicht mehr daran erinnern. Ab siebzig lässt das Kurzzeitgedächtnis rapide nach.

„Es geht um Ihren Oldtimer", fährt Patrick fort und deutet mit dem Finger zur Einfahrt, in welcher ein Fahrzeug aus einem vergangenen Jahrhundert steht. „Der wunderschöne 1973er BMW."

Der alte Mann hebt die Augenbrauen, als würde er sich jetzt endlich erinnern. Ich staune währenddessen über Patricks Beobachtungsgabe. Das offenbar kostbare Auto in der Einfahrt habe ich glatt übersehen. Ein uralter BMW in Kotzbraun. Wahrscheinlich lag das an meinem Panik-Tunnelblick, der einsetzte, als wir hier ankamen.

„Ach herrje. Natürlich! Verzeihen Sie mir, aber meine Erinnerung ist nicht mehr so gut. Bitte, kommen Sie herein", sagt der Alte und tritt zur Seite, damit wir eintreten können.

Patrick blickt mich an, in der stillen Aufforderung, mich zu bewegen, aber ich stehe wie angefroren da. Mein Kollege sieht die Panik in meinen Augen und legt den Arm um mich. Während ich locker einer griechischen Marmor-Skulptur Konkurrenz machen könnte, bleibt er die Ruhe selbst.

Er schenkt mir ein ermutigendes Lächeln. Mit sanftem Druck auf mein Kreuz schiebt er mich ins Haus.

„Ladies first", murmelt er, um dem alten Mann nicht zu zeigen, dass ich zur Eisfigur geworden bin.

Der Kunde führt uns in sein Wohnzimmer und lässt uns auf sein senfgelbes Sofa Platz nehmen. Während Patrick für mich die Unterlagen auf dem Couchtisch ausbreitet, macht der alte Mann Kaffee. Mein Blick schweift durch das staubige Wohnzimmer.

Es ist dunkel hier drin, was an den braunen Gardinen liegen muss. Für meine Verhältnisse hat es viel zu wenig Licht. Eine antike Wanduhr tickt lautstark im Takt der Sekunden. Auf einer Kommode in der Ecke verstaubt ein altes Hochzeitsfoto.

Das Wohnzimmer wirkt verödet, so als wohne hier eigentlich niemand. Nur die Zeitung von heute, welche auf dem Sessel uns gegenüber liegt, deutet darauf hin, dass es hier noch ein kleines Bisschen Leben übrig hat.

Ich schlucke leer, denn irgendwie stimmt mich dieses Haus kummervoll. Da spüre ich Patricks Hand auf meinem Rücken. Er streichelt sachte meine Schulter, um mich zu beruhigen. Komischerweise hilft es sogar.

„Hey", flüstert er, sodass uns der Kunde nicht hört. „Ich bin da, wenn du nicht mehr weiter weisst. Okay? Es kann nichts passieren."

„Okay", hauche ich.

Seine grünen Augen glänzen freundlich. Wenn er so sanft mit mir umgeht, ist er eigentlich ganz süss. Da ist nichts von dem Monster übrig, das ich einmal gesehen habe. Er ist viel fürsorglicher geworden und behandelt mich seit unserem Deal wie eine echte Partnerin. Businesspartnerin, versteht sich.

Der alte Mann kommt mit zwei Tassen zurück. Seine Hände zittern etwas, als er sie uns über den Tisch zuschiebt.

„Ich hätte Ihnen gerne Kekse angeboten, aber meine Frau ist vor vier Wochen verstorben. Sie hätte das getan. Ich ... Ich kann nicht backen", sagt er und setzt sich dann auf den Sessel, der uns gegenüber steht. Das Möbelstück ächzt leise.

„Mein herzliches Beileid."

Die Floskel entkommt mir ganz automatisch. Ein Zeichen, dass ich nicht ganz in die Leichenstarre übergegangen bin. Es kann noch sprechen.

Der Mann nickt. Auf seinen Gesichtszügen hängt dieser bittere Ausdruck, den man nur auf Menschen sieht, die eine wichtige Person in ihrem Leben verloren haben. Ich muss automatisch an meine Oma denken. Irgendwie kann ich nachvollziehen, wie er sich fühlen muss. Der Tod eines Familienmitglieds hinterlässt eine tiefe Kerbe im Herzen.

„Wir waren sechsundfünfzig Jahre verheiratet."

Mir klappt die Kinnlade runter. Sechsundfünfzig Jahre ist eine verdammt lange Zeit! Patrick rutscht neben mir unruhig auf dem Sofa hin und her. Ich vermute, er denkt sich, dass ich es in den ersten drei Sekunden schon verbockt habe, nur weil ich unserem Kunden erlaube, seiner Trauer den Raum zu lassen. Der Tod ist kein gutes Thema, um in ein Verkaufsgespräch zu starten. Dessen bin ich mir sehr bewusst.

„Haben Sie denn Ihre Frau einmal mit dem Oldtimer mitgenommen?", frage ich weiter.

Der ernste Ausdruck auf dem Gesicht des Mannes verfliegt. Er lehnt sich nach vorne, wie jemand, der uns gleich eine Geschichte erzählen möchte. Und dann passiert etwas, das ich nicht erwartet hätte.

Er lächelt.

Trotz seiner tiefen Trauer, schafft er es, zu lächeln.

„Im Sommer 1989 war das. Als ich sie mit meiner schönen 73er nach Korsika genommen habe. Wir sind mitten in der Nacht losgefahren. Meine Erna wusste nicht, wohin ich sie nehme. Um vier Uhr morgens sind wir in Italien am Hafen angekommen und als sie die Fähre sah, ich sage es Ihnen, ich habe meine Frau noch nie so strahlen gesehen. Das war ihr erstes Mal auf einer Fähre und dann war es gleich noch eine, auf welche man das Auto laden konnte! Es war der schönste Urlaub, den wir zusammen erlebt haben. Korsika ist unbeschreiblich. Landschaftlich ein wahres Paradies! Die wunderbaren Wanderwege, die zerklüfteten Gipfel, die wilden Küsten, der Duft von blühender Macchia in der Luft ..."

Seine Augen funkeln glücklich ob der weit entfernten Erinnerung und ich muss automatisch lächeln. Am Ende ist das alles, was uns von einem lieben Menschen bleibt: Die kostbaren Momente, die wir mit ihnen geteilt haben.

„Die Insel der Schönheit nennt man sie, nicht wahr?", hake ich nach.

Innerlich danke ich meinem allwissenden Bruder, dass er mir das einmal beigebracht hat. Korsika, die französische Insel im Mittelmeer, ist der Stolz vieler Franzosen. Den Menschen dort wird eine Rauheit und Leidenschaft nachgesagt, die wahrscheinlich von der Natur abzuleiten ist. Die Korsen sind ein hartnäckiges Volk. Das hat ihr berühmtester Vertreter, Napoleon Bonaparte, der Welt genügend bewiesen.

„Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht, Fräulein", sagt der Mann und lehnt sich dann wieder zufrieden in seinen Sessel zurück.

Manchmal ist so ein intelligenter älterer Bruder halt doch für etwas zu gebrauchen. Ich nehme mir vor, ihm später dafür zu danken, sollte sich dieses Verkaufsgespräch positiv entwickeln. Ausserdem muss ich ihm sowieso von meinem erfolgreichen Bestechungsversuch erzählen. Jonas wird Bauklötze staunen, wenn ich ihm sage, dass sein Tipp hinsichtlich Chris tatsächlich hilfreich gewesen ist. Und er wird es mir bis an mein Lebensende unter die Nase reiben. Mit Sicherheit.

„Genug der Nostalgie. Sie sind ja hier, um mir was unterzujubeln", sagt der alte Herr und blickt mich herausfordernd an. Ich blinzle mehrmals, um mich selbst aus meinen Gedanken zu holen. Fokus ist gefragt!

Patrick will intervenieren, aber ich lege meine Hand auf sein Knie ab, um ihn zum Schweigen zu bringen. Ich habe alles unter Kontrolle.

„Ich will Ihnen nichts andrehen, Herr Huber. Ich will nur sicherstellen, dass die Dinge, die für Sie einen unermesslichen Wert haben, für eine ganze Weile noch erhalten bleiben."

Das scheint den alten Mann zu überzeugen.

„Dann bin ich ja mal gespannt", sagt er.

Ich nehme einen Schluck aus der Tasse. Kaffee ist meine Turboflüssigkeit. Die zwei Herren werden sich noch wundern, was ich alles aus mir herausholen kann, wenn ich muss. Die Starrheit und die Unsicherheit sind wie verflogen. Die Zuversicht fliesst durch meinen Körper. Ich werde meinen Charme – gemäss Chris soll das ja meine Geheimwaffe sein – spielen lassen. Dann kann hoffentlich nichts mehr schiefgehen.

„Also gut. Bisher sind Sie folgendermassen gedeckt", beginne ich mein Verkaufsgespräch.

Ich zeige Herr Huber in einer Sachlichkeit und Kompetenz, die mich selbst überrascht, dass er seinen Oldtimer seit einer Weile extrem unterversichert hat und erläutere ihm, warum das auf Dauer ein Risiko für ihn darstellt.

„Sie wollen ja mit diesem schönen Schmuckstück sicherlich noch lange fahren können, nicht wahr?", suche ich um Bestätigung.

„Natürlich. Nächstes Jahr habe ich mit dem Oldtimer-Club einen Ausflug nach Apulien geplant. Das muss mein Kätzchen noch schaffen", antwortet er mir.

Ich nicke und mache mir eifrig Notizen, um den Überblick nicht zu verlieren.

„Mit unserer Versicherung, die wir speziell auf solche wertvollen Fahrzeuge wie Ihres ausgerichtet haben, garantieren wir Ihnen auch einen Pannenservice im Ausland. Sie kennen die Garagen in Italien bestimmt. Die gehen mit den Motoren dieser Schönheiten nicht unbedingt zimperlich um."

Herr Huber nickt und an seinem Gesichtsausdruck kann ich erkennen, dass er eine solch ähnliche Erfahrung in seinem langen Leben bereits gemacht haben muss. Italienische Garagen haben nicht überall einen guten Ruf.

„Deswegen bieten wir unseren Kunden einen exklusiven Abschleppservice, der dafür sorgt, dass ihr Fahrzeug nicht zu Schaden kommt. Bei diesen Kostbarkeiten muss man mit äusserster Vorsicht hantieren. Das geben wir nur den besten und zuverlässigsten Partnern im Ausland in die Hände."

Nachdem ich den Kunden mit diesem Argument komplett eingelullt habe, ist es ein Kinderspiel, ihm auch noch eine Reiseversicherung für seinen Urlaub zu verkaufen.

Patrick kommt aus dem Staunen gar nicht heraus. Die erste Kundenberatung und ich habe gleich zwei Produkte gleichzeitig verkauft, ohne den Kunden zu nötigen, sondern schlichtweg, indem ich ihn von unseren Leistungen überzeugt habe. Up-Selling ist offenbar eine meiner versteckten Stärken, stelle ich fest.

„Sollten Sie jemals nach Korsika gehen, müssen Sie unbedingt einen Halt in Centuri machen", meint Herr Huber, als er uns zum Ausgang begleitet.

Seine trüben Augen glänzen glücklich. Der Mann verbindet wirklich viel mit dieser Insel im westlichen Mittelmeer.

„Centuri?", frage ich interessiert.

„Das schönste Fischerstädtchen am Cap Corse, das es gibt. Ein kleiner Geheimtipp, falls sie sich jemals mit Ihrem Freund", sagt er und blickt dabei Patrick ins Gesicht, „dorthin verirren sollten."

„Oh", sage ich, „wir sind nicht–"

„Vielen Dank und auf Wiedersehen", kichert der alte Mann und schliesst die Tür, bevor ich ihm erklären kann, dass Patrick sicher nicht mein Freund ist. Und es auch niemals sein wird!

Patrick gluckst vergnügt, als ich mich ihm augenverdrehend zuwende. Wir gehen zusammen zurück zu seinem Auto. Er fährt eine unglaublich teure Karre, die nur jemandem gehören kann, der im Vertrieb arbeitet. Irgendein dunkelblauer Mercedes, Sportedition.

Erst als der Motor aufheult und wir vom Parkplatz losfahren, findet er die passenden Worte für meinen ersten Kundenbesuch.

„Das war genial, Emma", lautet seine Beurteilung.

Ich grinse breit, denn ich bin stolz. Stolz auf mich, dass ich mich selbst überwunden habe, einem Menschen etwas anzudrehen und stolz, weil ich selbst denke, dass es angemessen war, was ich ihm angeboten habe. Diesen alten Herrn hätte ich nie über den Tisch ziehen können. Der hat mir zwei unserer Produkte abgekauft, die ihm tatsächlich von Nutzen sein werden.

„Vielleicht hatte ich ja einen guten Ausbilder", sage ich und rutsche tiefer in den Autosessel. Es ist echt gemütlich hier drin. Patrick schmunzelt nur, während er sich auf die Strasse vor uns konzentriert.

Wir haben noch zwei weitere Kundentermine vor uns und wenn diese genauso gut verlaufen, wie der Erste, dann bin ich meinem Ziel schon wieder ein paar tausend Franken näher gekommen.

✵✵✵


Hallo meine Lieben

Tja, leider ist es nur ein Kapitel mit Patrick. Arbeit ist eben langweilig ;-)

Macht's gut ♡

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