25 - Das rote Sommerkleid

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Meine Finger zittern vor Aufregung, als ich die Klingel bei Chris' Haustüre betätige. Ich kann es nicht glauben, dass er mich zu sich nach Hause eingeladen hat! Als die WhatsApp-Nachricht auf meinem Telefon aufpoppte, bin ich kreischend aufgesprungen. Ich sass in dunkelblauen Mercedes von Patrick und konnte somit nicht wirklich springen, aber zusammengezuckt bin ich auf jeden Fall. Patrick, der sich gerade auf den Verkehr konzentrierte, erlitt fast einen Herzinfarkt und ging auf die Bremsklötze, sodass wir beide in die Gurte gedrückt wurden.

Pizzaparty heute Abend

Bei mir

Bist du dabei?

Das war Chris' Nachricht. Noch nie in meinem Leben haben mich acht Wörter so glücklich gemacht wie diese. Als ich ganz verzaubert meinem Chris die Antwort schrieb, hat mich Patrick angehauen, ich solle mich nicht so schnell in "irgendwelche Typen" verknallen. Das sei nicht gesund. Ich habe ihn mit einem lauten „Pfff, halt die Klappe, Schweinchen!" zum Schweigen gebracht. Hier hat mir niemand reinzureden, ganz zuletzt Patrick.

Das allererste Mal in meinem Leben scheint etwas richtig gut zu laufen. Ich habe zwar Angst, es zu ruinieren, aber gleichzeitig will ich auch jede Sekunde davon einfach nur geniessen. Man sollte in seinem Glück schwelgen, solange es anhält.

Die Haustür wird aufgerissen und Teos exotisches Gesicht kommt zum Vorschein. Mein überraschtes Blinzeln zaubert ein Grinsen auf seine Lippen. Die türkisen Augen schimmern schelmisch im Licht der Eingangslampe.

„Hast du auf sturmfreie Bude gehofft, damit ihr hemmungslos rammeln könnt? Du kleines, notgeiles Ding", begrüsst er mich.

„Äh", stakse ich, als hätte er mich auf frischer Tat ertappt.

Ich muss ehrlich gestehen, dass ich mir überhaupt keine Gedanken darüber gemacht habe, was Chris unter Pizzaparty meinen könnte. Obwohl, wenn ich so nachdenke, war hemmungsloses Vögeln tatsächlich eine Option, die ich dann aber in die Kategorie "wäre zwar nett, ist aber höchst unwahrscheinlich" gesteckt hatte. Man sollte ja realistisch bleiben.

So naiv, wie ich bin, habe ich mir auch keine Sorgen darüber gemacht, dass er mich möglicherweise zu sich nach Hause locken könnte, um mich einzusperren, zu foltern, zu vierteilen und danach im Garten zu vergraben. Da vertraue ich meiner relativ guten Menschenkenntnis. Chris hat mir keinen Eindruck gemacht, ein Psychopath oder Serienkiller zu sein. Dafür küsst er viel zu gut und in meiner Welt kann das nur jemand mit echtem Feingefühl.

Ven", winkt mich Teo herein. „Chris ist hinten im Garten."

Bevor ich eintrete, huscht mir irgendwas Flauschiges zwischen den Beinen durch. Verwirrt blicke ich auf den Boden, kann aber nicht sehen, was da an mir vorbeigerannt ist.

Ich folge Teo ins Innere und hänge meinen Blazer an die Garderobe. Da Chris' Einladung so spontan kam, hatte ich keine Zeit, mich aufzuhübschen. Die Arbeitskleidung riecht nach Büro und wahrscheinlich müsste ich den Strohhaufen auf meinem Kopf einmal durchkämmen und mich in einer Deowolke wälzen. Allerdings bin ich nicht in einem Frauenhaushalt gelandet, wo dies möglich wäre, sondern bei einem Feuerwehrmann. Es würde mich sehr verwundern, wenn ich hier einen Schminktisch vorfinden würde.

Chris wird mich nehmen müssen, wie ich bin.

Ich werfe einen kurzen Blick in den Spiegel, der hier im Gang hängt. Jesus! Ein tiefer Seufzer entflieht mir aus meiner Brust. Ich sehe aus wie die weibliche Version von Frankenstein. Das wird Chris wohl eher laut schreiend in die Flucht schlagen, als ihn zu verführen.

„Du bist bildschön, Mamacita. Red dir niemals etwas Anderes ein", sagt Teo, der gesehen haben muss, wie ich mir mein wirres Haar zurechtrupfe.

„Ich trage Augenringe des Todes und stinke nach Knoblauch. Wirklich umwerfend."

Meine Stimme trieft vor Sarkasmus, als ich Teo kopfschüttelnd anblicke. Dieser mustert mich, dann dreht er sich um und deutet mir an, ihm zu folgen.

„Komm, ich kenne da jemanden, der dir helfen kann und dich im Handumdrehen auffrischen wird", meint er.

Widerwillig folge ich ihm ins Wohnzimmer. Vor mir eröffnet sich eine gemütliche Stube. Im offenen Kamin knistert ein Feuer. Davor steht ein Ledersofa und gleich daneben ein grosser, weicher Sessel, der meinem Stricksessel sehr ähnlich sieht. Der weisse Teppich, der nur dazu einlädt, Marshmallows am Feuer zu schmelzen, rundet das warme Ambiente ab.

Ein Esstisch aus massiver Eiche trennt die gemütliche Wohnstube von der offenen Küche. Als mein Blick über die modernen Küchengeräte schweift, erblicke ich eine unbekannte Frau vor der Spüle. Sie wäscht sich die Hände.

Maria, ven aquí, porfa!", ruft Teo und winkt die etwas mollige Dame zu uns.

Ein wunderschönes Lächeln strahlt mir entgegen, als sie auf uns zukommt und mir die Hand hinstreckt. Diese Frau ist einen Kopf kürzer als ich, mit braunen Haaren und dunklen Augen. Ich vermute, sie ist ebenso lateinamerikanischen Ursprungs wie Teo. Ihre Figur würde ich als Sanduhr bezeichnen, aber mit sehr grosszügigen Glaskolben. Die Frau hat einen wirklich schwungvollen Körperbau.

„Ich bin Maria, mucho gusto", stellt sie sich vor.

Und einen niedlichen Akzent hat sie auch.

„Freut mich, dich kennenzulernen, Maria", sage ich etwas verwirrt. „Ich bin Emma."

„Ah ! Chris hat viel von dich erzählt."

Meine Wangen beschliessen einmal mehr, vor Publikum rot anzulaufen. Schüchtern schiebe ich mir eine Strähne hinters Ohr.

„Oh, ich hoffe, es war nur Gutes ...", murmle ich das, was man so sagt.

Mira, Mami. Haz me el favor y búscate una pinta bien calientahuevos para prestarle a la chica de mi Broder aquí."

Maria nickt. In ihren Augen funkelt etwas auf, das ich nicht genau erkennen kann. Ich habe mit meinen Spanischkenntnissen nur Bahnhof verstanden und blinzle verwirrt von einem Latino zur anderen. Die Art und Weise, wie sie sich anschauen zeigt mir, dass sie einander nahe stehen müssen.

„Was hast du gerade gesagt, Teo?", frage ich, aber da werde ich bereits am Handgelenk gepackt.

Ven conmigo", sagt Maria und dirigiert mich durch das Haus. Wir steigen die Treppe hoch in den ersten Stock und gehen einen Gang entlang.

Es ist merkwürdig, bei Chris zuhause zu sein. Ich fühle mich wie eine kleine Einbrecherin, die sich einfach Zutritt verschafft hat und jetzt in seine intimsten Ecken und persönlichsten Sachen sehen kann. Ob er das wirklich will, dass ich ihn so kennenlerne?

Maria schiebt mich in ein Zimmer, dass eindeutig einem Gästezimmer gleicht. Ein offener Koffer liegt auf dem Bett. Die Kleider, die sich eigentlich in dem Gepäck befinden müssten, sind alle quer im Raum verstreut. Es sieht aus, als wäre hier eine Kleiderbombe hochgegangen.

Maria wühlt im Koffer und wirft noch mehr Kleider um sich. Die Latina scheint sich nicht um das Chaos zu scheren, welches sie damit verschlimmert.

„Du musst das weg machen", meint sie und deutet mit ihren Augen auf meine Kleidung, die ich am Körper trage: Den dunkelblauen Blazer mit gleichfarbiger Hose und das weisse Hemd.

„Was muss ich? Die Kleidung ausziehen?", frage ich.

Sie nickt. Dann streckt sie mir ein kleines rotes Bündel in die Hände.

Este le va a encantar muchíssimo a Chris. Te lo prometo."

Sie tätschelt meine Hand, als sie mir den Stoff reicht. Schon wieder lächelt sie so siegessicher und ich habe nichts verstanden. Wenn ich doch bloss Spanisch in der Schule gewählt hätte, dann verstünde ich jetzt, dass sie mich wahrscheinlich hochnimmt!

Ich forme meine Augen zu Schlitzen. Die kleine Schweizerin in mir will schon meckern, dass man Fremden nicht zu vertrauen hat. Irgendwas ist hier faul.

„Maria?", frage ich misstrauisch.

„Los. Ansiehen! Ich mache Haare", redet sie unschuldig weiter und verlässt das Zimmer.

Von Weitem höre ich, wie sie im Badezimmer rumkramt. Ich senke meinen Blick auf den Stoff in meinen Händen. Es fühlt sich weich an. Langsam falte ich es auseinander und ziehe dann scharf die Luft ein, als ich meine Augen über das weiss geblümte Muster auf dunkelroter Farbe gleiten lasse.

Es ist ein Sommerkleid, was mir Maria in die Hand gedrückt hat. Aber nicht irgendein Sommerkleid. Damit kann ich in Andalusien locker als professionelle Flamenco-Tänzerin durchgehen!

Es hat einen V-Ausschnitt, der meine Brüste wahrscheinlich gleich komplett entblössen würde. Ausserdem ist es kurz. Für meine Beine viel zu kurz! Sowas kann ich nicht anziehen. Sowas habe ich noch nie angehabt!

„Nein", flüstere ich.

Andale!", kommandiert die kleine Diktatorin, als sie mit ihrer riesigen Schminktasche aus dem Badezimmer zurückkehrt.

„Hast du nicht etwas Anderes, das ich anziehen könnte? Etwas, das mehr ungezwungener Pizza-Abend anstatt reich mir die Kastagnetten schreit? Zum Beispiel eine Schlabberhose oder ein Austronautenanzug?", frage ich und lege das gewagte Kleid wieder zurück in den Koffer.

No!", protestiert Maria. „Du tragst das."

Mit ihrer Körperhaltung macht sie deutlich, dass es keinen Raum für Diskussionen gibt. Den Ärger kleiner Frauen sollte man nicht auf sich ziehen. Das weiss ich von meiner Tante. Deren Zorn ist aufgrund der kompakten Körpergrösse in seiner Explosivität doppelt so brutal, also tut man lieber, was einem gesagt wird.

Ich schaue an mir herunter. Ehrlich gesagt will ich tatsächlich diese Arbeitskleidung loswerden. Die Hose ist viel zu eng und das weisse Hemd klebt unangenehm an meinem Rücken. Es war ein stressiger Tag und ich muffe nach Schweiss. Das sollte ich Chris wirklich nicht antun, also gebe ich nach. Ich werde mich in dieses übersexualisierte Kleid zwängen.

Während ich meine enge Bürohose abstreife und mein Hemd aufknöpfe, mustert Maria meinen Körper, als sei sie auf Viehschau und suche die schönste Kuh. Offenbar ist das in ihrem Kulturkreis kein Problem, einen Menschen beim Ausziehen anzustarren.

Dios mío, que cuerpo delicioso!", stösst sie aus und hält sich die Hand an die Brust.

Auch wenn ich nicht ganz verstanden habe, was sie soeben gesagt hat, kann ich es mir denken. Das klang nach einem Kompliment. Ich sage allerdings nichts und zwänge mich in das Kleid. Es ist ein bisschen zu gross, aber so liegt es angenehm luftig an meinem Körper.

Maria hilft mir und zupft es zurecht, streicht die Falten glatt, sodass es richtig sitzt.

Lindíssima!", meint sie dann und beginnt sogleich mein Vogelscheuchenhaar zu kämmen.

Sie macht mir einen Messy Top Bun und zupft ein paar Strähnen heraus, damit die elegant an meinen Wangen liegen. Ich staune nicht schlecht, als ich mich selbst im Spiegel betrachte. Die hat mich fast zu einer Latina gemacht. Ich sehe echt scharf aus.

„Oh", sage ich, „gar nicht mal so übel."

Das knielange Sommerkleid schmiegt sich perfekt an meine Rundungen. Der V-Ausschnitt ist nicht so ausladend, wie ich es zuerst gedacht hatte. Tina und Nina sitzen ordentlich und anständig an ihren Plätzen. Die Schmetterlingsärmel lassen das Kleid verspielt wirken, die Naht an der Taille betont jedoch meine Weiblichkeit, die Maria mit meiner Frisur unterstrichen hat.

Maria reicht mir das Deo und bespritzt mich mit einem Parfüm, das den Namen Amor infinito trägt. Dann wendet sie sich meinem Gesicht zu und streicht mir die verschmierte Mascara von den Augen. Sie trägt meinen Lidstrich nach und frischt mein bleiches Gesicht mit einem Hauch Make-up auf. Nicht zu doll, denn ich will nicht wie eine Puppe aussehen und das scheint Maria genau zu spüren.

Mit so wenigen Mitteln hat mich die Latina um mindestens vier Akzente attraktiver gemacht. Ich betrachte mich zufrieden im Spiegel. Ein luftig lockeres, hübsches Outfit trage ich da und meinem Lächeln zufolge kann sogar ich sehen, dass ich mich wohlfühle.

Chicas! Wo bleibt ihr?", hören wir Teo von unten rufen.

Ya!", erwidert Maria grinsend und schiebt mich aus der Tür.

Wir steigen zusammen die Treppe runter. Chris und Teo stehen in der Küche und breiten die Zutaten aus dem Garten auf dem Küchentresen aus. Zwiebeln, Tomaten und Kräuter liegen gut sortiert auf der schwarzen Oberfläche.

Ay, que belleza!", ruft Teo aus, als er uns sieht.

Chris hebt fragend den Kopf und folgt seinem Blick. Ich bleibe auf der Treppe stehen, als könnte ich nicht mehr weiter gehen. Meine Knie werden weich. Ich muss stehen bleiben, sonst purzle ich noch die letzten Stufen hinunter.

Chris' Augen treffen auf meine. Sein Gesichtsausdruck verändert sich schlagartig. Er lässt die Tomaten, die er in den Händen hielt, langsam runter und legt sie auf der Arbeitsplatte ab, ohne aber dabei den Blickkontakt mit mir zu verlieren. Seine Mundwinkel wandern in die Höhe und in den Kaffeeaugen erkenne ich das glückliche Glitzern, das ich da schon so oft gesehen habe.

Er trägt ein elegantes, weisses Hemd und dazu eine dunkle Jeanshose. Das Hemd hat er an den Unterarmen bis zu den Ellbogen hochgekrempelt. Das gibt schreckliche Falten, aber ihn scheint das nicht zu stören.

Sein Blick liegt auf meinem Gesicht, eine ganze Weile lang. Er begrüsst mich stumm, alleine mit diesen mysteriösen, dunklen Augen, die auf mir ruhen – mich in meiner Ganzheit sehen. Dann gehen seine Kaffeebohnen auf Wanderschaft. Gleiten an meinem Dekolleté herunter, wandern meiner Taille entlang zu meiner Hüfte bis zu meinen entblössten Knien und nackten Füssen.

Ich senke den Blick auf meine Zehen, die ich unglaublich hässlich finde. Am liebsten würde ich die in einem fetten Sockenpaar verstecken, aber die würden nicht zum Kleid passen. Mir bleibt nichts anderes, als zu hoffen, dass Chris meine verkrüppelten Zehen von Weitem nicht sehen kann.

Maria packt mich am Unterarm und zieht mich das letzte Stück mit sich. Sie muss gemerkt haben, wie Chris und ich uns in eine Starre befördert haben, aus der wir es selbst nicht mehr herausschaffen. Man muss uns helfen.

Teo rammt Chris den Ellbogen in die Rippen, sodass auch er aus seinem Gaffen herauskommt. Ich lächle schüchtern. Chris hat mich so offensichtlich angeglotzt, dass es sogar mir aufgefallen ist. Und ich bin normalerweise blind bei solchen Dingen. Ihm muss das rote Sommerkleid auch gefallen. Sehr sogar.

Dieser Gedanke lässt die kleinen Schmetterlinge in meinem Bauch schon wieder aufgeregt flattern.

„Was kommt als Nächstes?", fragt Teo seinen besten Freund und blickt erwartungsvoll von ihm auf die Zwiebeln, die auf dem Tresen liegen.

„Schälen", antwortet Chris. Seine Stimme klingt seltsam rau. Er hat seinen Blick noch immer nicht von mir abgewendet und beobachtet, wie ich mit Maria langsam näher komme.

„Hi", hauche ich, als wir uns zu ihnen gesellen.

Aus einem blöden Reflex winke ich ihm vorsichtig zu. Der Küchentresen steht zwischen uns und wir haben Zuschauer. Da können wir uns wohl nur schlecht abschlecken. Ich weiss auch wirklich nicht, wie ich ihn begrüssen soll. Mit einer Umarmung? Einem Kuss? Händeschütteln? Da war Winken die einfachste Lösung.

„Schön, dass du so spontan kommen konntest", bricht er die Stille, die sich kurz über uns gelegt hat.

„Bei Pizza kann ich nicht nein sagen", erwidere ich.

Er lacht. Oh Gott, ich liebe sein Lachen. Wie sich seine Augen dabei kräuseln und er den Kopf leicht in den Nacken legt. Wie sich sein Adamsapfel mit der Vibration seines Zwerchfelles auf und ab bewegt. Und der tiefe, raue Ton seiner Stimme.

„Chris macht die beste selbstgemachte Pizza auf Erden! Danach wirst du nie wieder dieses Tiefkühlzeug essen wollen, te lo juro!", ruft Teo.

Ich hebe interessiert eine Augenbraue in die Höhe. Das klingt nach einem weiteren – für mich hoffentlich ungefährlichen – Abenteuer. Pizza machen. Mit Freunden.

„Ich habe Pizza ehrlich gesagt noch nie selbst gemacht", antworte ich.

„Das habe ich vermutet", meint Chris grinsend. „Darum werden wir dir das heute zeigen."

„Chris kann dir noch sooo viel mehr beibringen", sagt Teo und zwinkert mir zu. „Das ist nur der Anfang, Schätzchen. Der Anfang eines langen und anstrengenden Lernprozesses. Mach dich auf heftigen Muskelkater gefasst."

Maria lacht sich ins Fäustchen und ich frage mich, ob sie das tatsächlich verstanden hat. Zweideutige Botschaft inklusive.

„Teo", warnt Chris. In seiner Stimme liegt plötzlich etwas Bedrohliches. „Halte deine Zunge im Zaum."

Aber er lächelt während er das sagt. Er meint es also nicht so ernst, wie es klingt. Teo hebt unschuldig die Hände in die Luft.

„Das ist bei Dominikanern unmöglich. Das weisst du doch. Ich kann nicht auf dem Mund sitzen, ich muss meine Gedanken aussprechen, egal wie anzüglich die sind."

Chris seufzt.

Maria. Porfavor, ponle un bozal a tu hombre", sagt er in fliessendem Spanisch.

Maria nickt kichernd, während meine Kinnlade aufklappt.

„Du sprichst Spanisch?", stosse ich aus, meine offensichtliche Überraschung nicht verbergend. Das war für mein ungeübtes Ohr akzentfrei gesprochen!

Gleich als ich die Frage stelle, realisiere ich, dass mir Chris ja von seinem längeren Aufenthalt in Lateinamerika erzählt hatte. Da musste er die Sprache gelernt haben, vermute ich. Ich kann es nicht vermeiden, schon wieder leichten Neid zu verspüren. So gerne würde ich einmal in einem anderen Land leben und die Sprache lernen. Aber das bleibt mir wahrscheinlich für immer verwehrt, wenn mein Leben so weitergeht. Assekura forever, wie es aussieht.

„Dreimal darfst du raten, wer ihm die Sprache der Leidenschaft beigebracht hat!", sagt Teo grinsend und zeigt mit beiden Daumen auf sich. „Übrigens. Wusstest du, dass Männer, die das R rollen können auch wirklich akrobatische Moves mit der Zunge–"

„Teo, cállate cabron!", interveniert Chris, aber meine Wangen sind bereits tiefrot angelaufen.

Teo kichert vergnügt, bekommt allerdings von Maria eins über den Kopf gezogen. Er macht sich kleiner und flucht irgendetwas Unverständliches auf Spanisch, was dazu führt, dass sie ihm gleich noch eins über den Kopf haut. Teo winselt. In Lateinamerika haben offensichtlich die Frauen die Männer in der Hand.

Maria blickt ihn streng an, dann lacht sie, legt ihre Hände auf seiner Brust ab und haucht ihm einen Kuss an die Lippen. Diese zärtliche Geste verrät mir endlich, wie sie zueinander stehen. Es ist alles andere als einen geschwisterlichen Kuss, den sie sich schenken.

Chris gesellt sich zu mir auf die andere Seite des Tresens. Er hat beide Hände auf der dunklen Platte abgestützt, eine davon nur wenige Zentimeter von meiner entfernt. Die zwei wilden Latinos scheinen voneinander so eingenommen zu sein, dass sie keine Augen und Ohren für ihre Mitmenschen haben. Wir haben einen kurzen Moment für uns.

„Es freut mich wirklich, dass du gekommen bist", sagt Chris etwas leiser. „Wegen der Pizza natürlich."

Diese Worte sind nur an mich gerichtet. Er hat mir das ins Ohr geflüstert und dort, wo sein Atem auf meine Haut traf, kribbelt es immer noch.

„Die konnte ich mir ja nicht entgehen lassen", hauche ich und richte meinen Blick auf unsere Hände, die nebeneinander liegen und sich so sehr nach der Berührung des anderen sehnen.

Etwas zittrig hebe ich meinen kleinen Finger. Erst berühre ich nur den Rand seiner Hand, ganz sachte. Ich erschaudere ab dem Gefühl seiner warmen Haut. Chris zieht seine Hand nicht weg, sondern schiebt sie näher zu mir. Meine Fingerspitzen fahren über die leicht dunklen Härchen auf seinem Handrücken, streichen über seine rauen Knöchel.

„Mit Essen kann man dich also anlocken", sagt er. Seine Augen folgen den zärtlichen Berührungen meiner Finger auf seiner Hand.

„Naja", erwidere ich dann wahrheitsgemäss, denn verleugnen kann ich meinen Crush auf ihn ja nicht mehr. Hat er eh schon gemerkt. „Eigentlich bin ich nur wegen dir hier."

Als ich das sage, verstärkt er den Druck auf unsere verkeilten Finger. Eine kleine Bewegung, kaum merkbar, aber sie bedeutet alles für mich. Er lächelt, als ich seinem Blick begegne.

„Lasst uns auf heute Abend anstossen!", johlt Teo plötzlich so laut, dass wir zusammenzucken.

Die zwei lateinamerikanischen Oktopoden haben sich ganz unerwartet voneinander gelöst. Chris zieht seine Hand wieder zu sich. Teo geht zum Kühlschrank, um dort eine Flasche Prosecco herauszuzaubern.

„Schliesslich muss ich mich morgen von meiner Mamacita verabschieden!", sagt er. Mir entgeht der traurige Unterton dabei nicht.

„Abschied?", frage ich. „Wir feiern einen Abschied?"

Wir setzen uns an den grossen Esstisch. Maria und Teo lassen sich mir gegenüber nieder. Der Platz neben mir ist für Chris vorgesehen.

„Teo und Maria führen eine Fernbeziehung. Er hier und sie in Venezuela. Morgen geht ihr Flieger und dann sehen sie sich während ganzen sechs Monaten nicht mehr", erklärt mir Chris, während er die Sektgläser aus einem elegant anmutenden Vitrinenschrank nimmt.

Das erklärt den Koffer im Gästezimmer und Marias akzentreiches Deutsch. Ich staune nicht schlecht, denn so hatte ich Teo nicht eingeschätzt. Eine Fernbeziehung ist für mich die Kür der Beziehungen. Die höchste Schwierigkeitsstufe. Dass so ein offener Kerl wie Teo das durchziehen kann, grenzt für mich an ein Wunder.

„Wow! Ich glaube, dass ich sowas nicht könnte", stosse ich aus.

Chris zuckt mit den Schultern.

„Das dachte ich von Teo auch", meint er, wobei er dafür einen schiefen Blick seines besten Freundes kassiert. „Er ist nicht unbedingt der unschuldigste Mann, aber Maria hat es ihm angetan. Seit er sie kennt, ist er anständiger geworden."

Ich lache trocken auf, denn das kann ich mir bei dem Schlingel kaum vorstellen. Allerdings denke ich, dass Chris seinen besten Freund wohl besser kennen muss. Wenn er das sagt, dann muss das seine Richtigkeit haben.

„Die Liebe, Emma, die Liebe hat es mir angetan. Für diese Frau würde ich um die Welt reisen, ohne Dach über meinem Kopf auf der Strasse schlafen oder tagelang hungern. Sie ist alles, was ich brauche", meint Teo und lässt den Korken knallen.

Der laute Ton lässt mich den Kopf einziehen, denn ich habe schlechte Erfahrungen mit fliegenden Korken gemacht. Die Gläser werden gefüllt und als sich der Schaum legt, stossen wir an.

„Auf die Liebe!", sagt Teo und wackelt bedeutungsschwanger mit seinen Augenbrauen.

Maria drückt ihm einen Kuss auf die Lippen, um seinen nervigen Blick von uns abzuwenden.

„Auf das Leben!", antwortet Chris grinsend.

„Auf die Pizza!", sage ich.

Die Gläser klirren, als wir gemeinsam anstossen.


✵✵✵


Hola chicas ;-)

Na, wie hat euch der erste Teil der Pizzaparty gefallen? 

Es knistert und knastert. Vielleicht explodiert da ja bald wieder was zwischen den zwei Turteltäubchen.

Ich wünsche euch eine gute Woche!

Eure Fleur

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