10 - Liebe nach 36 Fragen?

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Um ehrlich zu sein ist es ein ziemlich beschissenes Gefühl, am Montagmorgen mit einer blau angeschwollenen Nase durch die Schulflure zu laufen und dabei von allen Seiten wie ein Alien mit acht Armen angestarrt zu werden.

Da gefühlt die halbe Brooklyn High auf Trevors Party versammelt war, hat sich die Ein-Minuten-Prügelei zwischen Cameron und mir natürlich sofort wie ein Lauffeuer verbreitet. Wenn mich nicht alles täuscht, sind wir jetzt sogar das absolute Gesprächsthema Nummer Eins.

Leider ist Cameron derjenige, der wie ein Held gefeiert wird, und ich bin derjenige, über den sich lustig gemacht wird.

Na super, das kann ja ein toller Tag werden. Mal schauen, wie viele blöde Sprüche mir um die Ohren fliegen ...

Ich bin gerade auf dem Weg zum Physikraum, da entdecke ich Shirin und Cameron, wie sie an Shirins Spind lehnen und sich gegenseitig mit ihren Mündern auffressen.

Igitt!

Vermutlich sollte sich dieser Anblick wie ein Messerstich ins Herz anfühlen, aber stattdessen spüre ich gar nichts. Es ist merkwürdig, das zuzugeben, aber es ist mir fast schon egal, dass sich die beiden gerade küssen.

Trotzdem löse ich meinen Blick erst dann von Shirin und Cameron, als sich auf einmal eine keuchende Emery in mein Sichtfeld schiebt. Ihre Wangen sind gerötet, die Gläser ihrer Brille beschlagen und ihre Haare stehen wirr in alle Richtungen ab.

Ohne es kontrollieren zu können, wandern meine Augen zu Emerys Oberteil.

Sie trägt ein schwarzes T-Shirt, auf dem ein Faultier abgebildet ist. Darüber steht in schnörkeligen Buchstaben Und jetzt atmen alle mal tief ein und die Idioten nicht mehr aus geschrieben.

Auch wenn ich ihre Shirts immer noch ätzend finde, zupft ein Schmunzeln an meinen Mundwinkeln. Es wäre wirklich schön, wenn sich Cameron den Spruch zu Herzen nehmen könnte, denn meiner Meinung nach ist er der Inbegriff eines Idioten.

„Hey Em", murmele ich nervös, nachdem ich meine Augen von dem bekifft aussehenden Faultier gelöst habe. „Was gibt's?"

Emery streicht sich eine Haarsträhne hinter das Ohr. Da ihre Brille immer noch beschlagen ist und sie mich deshalb vermutlich nicht sehen kann, setzt sie das Gestell ab, ehe sie mir leise zuraunt: „Ich habe alles mit Shirin geklärt. Ihr könnt euch in der Mittagspause hinter der Sporthalle treffen. Sie wird Cameron nichts sagen, das hat sie mir hoch und heilig versprochen."

„Danke", lächele ich Em ehrlich an.

Auch wenn Shirin so langsam ihren Reiz für mich verliert, starte ich heute einen letzten Angriff. Ich werde ausnahmsweise mal meine Arschloch-Fassade fallen lassen und einfach nur ich selbst sein. Außerdem habe ich noch einen Trick im Petto, den ich unbedingt ausprobieren möchte.

Ob er wirklich so erfolgreich ist, wie die Psychologen sagen, wird sich dann zeigen.

Meine Gedanken werden nur wenige Sekunden später von dem schrillen Gong der Schulklingel zerschnitten.

Emery wirft mir schnell ein gehetztes Lächeln zu, ehe sie mit einem „Viel Glück, Luca!" in der Menschenmasse untertaucht.

Oh ja, Glück werde ich bei meinem Gespräch mit Shirin auf jeden Fall brauchen. Ist nur die Frage, ob ich überhaupt möchte, dass es einen positiven Ausgang nimmt oder nicht ...

***

Mein Herz rast, mir ist schwindelig und Übelkeit bricht wie eine gigantische Welle über meinem Kopf zusammen. Ich habe keine Ahnung, warum ich so furchtbar nervös bin, aber irgendwie habe ich Angst vor dem Aufeinandertreffen mit Shirin.

Sonst habe ich mich immer höllisch gefreut, sie zu sehen, doch heute wünsche ich mir komischerweise rehbraune Augen und eine Harry Potter Brille herbei.

Als Shirin etwa fünf Minuten später um die Ecke der Sporthalle biegt und mich aus ihren babyblauen Augen anfunkelt, bildet sich ein riesiger Knoten in meinem Magen. Weder ihre Anwesenheit noch ihr zögerliches Lächeln schaffen es, mir meine Aufregung zu nehmen.

„Hey", murmelt Shirin leise, sobald sie vor mir zum Stehen kommt.

Sie trägt einen Jeansrock und ein weinrotes T-Shirt. Ihre blonden Locken wellen sich über ihre Schultern und verleihen ihr wie immer das Aussehen eines Engels.

Verdammt, sie ist echt hübsch!

Aber reicht das allein aus, um von Verliebtheit zu sprechen? Ich denke nicht.

Damit ich Shirin nicht nur wie ein hormongesteuerter Psychopath anstarre, zwinge ich mich nun ebenfalls zu einem Lächeln und sage dann: „Danke, dass du diesem Gespräch zugestimmt hast."

Shirin nickt. Sie verschränkt die Arme vor der Brust, wodurch sie sofort Distanz zwischen uns schafft.

Oh je, kein gutes Zeichen.

„Zuerst möchte ich mich nochmal für das Wochenende entschuldigen", beginne ich mit einem Anflug von Übelkeit. „Es war nicht okay von mir, dich zu küssen, obwohl du das nicht wolltest. Ich war in dem Moment egoistisch und habe nur an mich selbst und nicht an dich gedacht. Das tut mir wirklich leid, Shirin. Ich bereue mein Verhalten sehr!"

Ich bin erleichtert, als das Mädchen mit den Engelslocken eine wegwerfende Handbewegung macht und entgegnet: „Schon gut. Ich verzeihe dir. Deine Entschlossenheit war sogar ziemlich heiß, aber pst!"

Dankbar lächele ich sie an. Ihren letzten Kommentar ignoriere ich dabei bewusst.

Es bedeutet mir viel, dass mir Shirin meinen Fehltritt verzeiht, denn ich möchte ihr nicht als übergriffiges Arschloch in Erinnerung bleiben, das ihre Entscheidungen nicht akzeptiert. Eigentlich habe ich sie auch nur geküsst, um eventuell romantische Gefühle in ihr zu wecken, allerdings scheint dieser Plan gewaltig in die Hose gegangen zu sein.

Na ja, wie gut, dass ich noch Plan Z auf Lager habe, richtig?

Da ich merke, wie Shirin mit jeder verstrichenen Sekunde ungeduldiger wird, frage ich sie schnell: „Hast du noch kurz Zeit, um mir 36 Fragen zu beantworten? Ich brauche das für, ähm, für ein Experiment im Literaturkurs."

Shirin seufzt. Ich kann ihr ansehen, dass sie keine Lust auf unser Gespräch hat, doch letztendlich nickt sie. „Na schön, beeil dich aber bitte, Luca. Ich möchte Cam nicht so lange warten lassen."

Bei der Erwähnung von Camerons Namen dreht sich mein Magen einmal um. Shirin hätte sich ruhig für das aggressive Verhalten ihres Freundes entschuldigen können, aber das hält sie wohl nicht für nötig.

Nach wie vor ist ihr blöder Cameron ein Heiliger, der nie Fehler macht.

Ich schlucke meinen Zorn hinunter und möchte dann zur Ablenkung von Shirin wissen: „Wenn du dich für eine beliebige Person entscheiden könntest: Wen hättest du gern als Tischgast beim Essen?"

„Natürlich meinen Freund!"

Super. Das ist genau die Antwort, die ich nicht hören wollte.

„Wärst du gern berühmt? In welcher Form?", stelle ich Shirin die nächste Frage meiner Liste.

Tiefe Furchen graben sich in ihre Stirn und sie scheint ernsthaft nachzudenken. Nach einer Weile gesteht sie mir: „Ich würde echt gerne Influencerin werden. Ich glaube, ich hätte auch das Potenzial dazu, aber Cam möchte nicht, dass ich mich im Internet zeige. Er hat Angst, dass ich dort von zu vielen Typen angebaggert werde."

Typisch. Gibt es überhaupt einen einzigen Traum, bei dem Cameron seine Freundin unterstützen würde? Vermutlich nicht.

Ich versuche mir meinen Missmut nicht anmerken zu lassen, als ich Shirin frage: „Hast du jemals geübt, was du sagen wirst, bevor du jemanden angerufen hast? Warum?"

Direkt schleicht sich ein Grinsen auf Shirins Lippen. „Natürlich. Jedes Mal, wenn ich beim Pizzalieferdienst anrufe, übe ich vorher mindestens dreimal meinen Text. Einfach, um mich nicht zu verhaspeln oder zu blamieren."

Okay, das macht Shirin direkt wieder sympathisch, denn ich selbst rufe auch nicht so gerne beim Pizzalieferdienst an.

Ich wünschte, Shirins Lachen, das ihr Gesicht zum Strahlen bringt, würde ein Flattern in meinem Herzen auslösen, aber das tut es nicht. Von den Schmetterlingen, die sonst immer meinen Magen geflutet haben, fehlt jede Spur.

Komisch ...

„Was macht für dich einen perfekten Tag aus?"

Dieses Mal dauert es wieder etwas länger, bis mir Shirin antwortet. Begleitet von einem sehnsuchtsvollen Blick sagt sie: „Den ganzen Tag am Strand liegen, dem Rauschen der Wellen zuhören und Erdbeereis mit Sahne essen."

Ihre Beschreibung kommt einem perfekten Tag wirklich sehr nahe. Ich selbst fahre zwar lieber in die Berge, aber gegen einen entspannten Strandurlaub hätte ich ab und zu auch nichts einzuwenden.

„Wann hast du das letzte Mal für dich selbst gesungen? Oder für jemand anderen?"

Kaum ist meine Frage verklungen, zieht Shirin misstrauisch ihre Augenbrauen zusammen. Ihr Grinsen fällt und macht stattdessen Platz für einen genervten Gesichtsausdruck. „Sei mir nicht böse, Luca, aber deine Fragen sind echt dämlich. Wozu braucht ihr die in eurem Literaturkurs überhaupt?"

Ich schlucke schwer.

Dass ich Shirin diese Fragen nur stelle, weil der amerikanische Wissenschaftler Arthur Aron sie zu dem Zweck entwickelt hat, um Verbundenheit zwischen zwei Menschen zu erzeugen, die sich dann schlussendlich ineinander verlieben sollen, kann ich ihr ja schlecht sagen, oder?

Als ich gestern Abend das Internet nach Tipps zum Beeindrucken einer Frau durchforstet habe, bin ich auf den Artikel des Amerikaners gestoßen. Angeblich seien seine 36 Fragen die perfekte Formel zum Verlieben.

Nur blöd, dass sie bei Shirin und mir gerade eher das Gegenteil bewirken ...

Statt mich Shirin emotional näher zu fühlen, kommt es mir so vor, als würden wir uns bloß noch weiter voneinander distanzieren.

„Ich, ähm, das ist geheim", antworte ich Shirin schließlich stotternd. „Kannst du die Frage vielleicht einfach beantworten?"

Zu meinem großen Entsetzen schüttelt Shirin ihren Kopf, sodass ihre blonden Locken aufgeregt hin und her hüpfen. „Ich habe da jetzt gerade keine Lust mehr drauf", sagt sie mit einem entschuldigenden Lächeln. „Lass uns einfach morgen oder wann anders weitermachen, ja? Cam wartet sicherlich schon auf mich."

Wut lodert bei ihren Worten wie ein Feuer in meinem Herzen.

Wieder mal gebe ich mir Mühe und wieder mal wird meine Anstrengung achtlos mit Füßen getreten.

„Seit wann verbringst du gemeinsam mit Cameron die Mittagspause?", kann ich es mir nicht nehmen lassen, Shirin zu provozieren. „Sonst hat er dich doch in der Schule nie beachtet. Vielleicht Schuldgefühle, weil er dich so oft betrogen hat?"

„Tja", zuckt Shirin angriffslustig mit den Schultern. „Seit mich irgend so ein Idiot am Wochenende geküsst hat, weicht mir Cam nicht mehr von der Seite. Also danke, Luca, dass du uns noch enger zusammengeschweißt hast! Wenn du mich jetzt entschuldigen würdest ..."

Eingebildet wirft sich Shirin ihre Locken über die Schulter und verschwindet dann.

Mein Fazit nach diesem Gespräch? Ganz einfach: Scheiße!

***

Da die Mittagspause erst in einer Viertelstunde endet, mache ich mich auf den Weg in die Mensa. Dort angekommen suchen meine Augen sofort nach Emery. Sie sitzt allein an einem Tisch und stochert lustlos – und vielleicht auch traurig – in ihrer Gulaschsuppe herum.

Wenn ich so recht darüber nachdenke, dann habe ich sie bisher immer nur im Doppelpack mit Shirin gesehen.

Ob Emery wohl auch noch andere Freundinnen hat? Irgendwie bezweifele ich das.

Mit schnellen Schritten eile ich zu ihr und lasse mich möglichst euphorisch auf dem freien Stuhl gegenüber von ihr nieder. „Möchtest du einen Witz hören?", frage ich Em, um ihr wieder ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Tatsächlich zucken ihre Mundwinkel bei meiner Frage in die Höhe und sie nickt schüchtern.

‚Okay, jetzt bloß keinen Blödsinn erzählen, Luca. Reiß dich zusammen!', ermahne ich mich selbst.

Ich hole noch einmal tief Luft, ehe ich Emery frage: „Was ist der Unterschied zwischen einer Raupe und Cameron?"

Em runzelt die Stirn und tippt sich grübelnd mit dem Zeigefinger gegen die Schläfe. Es ist süß, wie sich ihre Wangen zartrosa färben und sich ihr Blick nachdenklich in der Luft verliert.

Einige Minuten verstreichen, bis mich Emery enttäuscht anschaut und mit den Schultern zuckt.

„Aus der Raupe wird nochmal was!"

Erst traue ich mich nicht, zu lachen, doch sobald sich Emerys Lippen zu einem schadenfrohen Grinsen verziehen, gebe ich glucksende Geräusche von mir. Sofort steigt Em in das Gelächter mit ein und verdrückt sogar ein paar Lachtränchen.

Der ernste Ausdruck, der noch vor wenigen Minuten ihr Gesicht geziert hat, ist komplett verschwunden. Zum Glück!

„Das war echt fies, Luca!", grinst mich Em an, sobald sie die Tränenspuren beseitigt hat. Leider ändert sich ihre Miene daraufhin wieder und wird ernst. „Wie war eigentlich das Gespräch mit Shirin?", möchte Emery nun vorsichtig von mir wissen.

Ohne es verhindern zu können, entflieht mir ein genervtes Seufzen.

Shirin McAdams ist verloren und Cameron Kingsley ist ihr persönlicher Untergang. Aber ganz ehrlich? Das ist mir mittlerweile egal.

„Es tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen, Em, aber unser Plan Ein nettes Arschloch werden ist offiziell gescheitert."

Innerlich rechne ich damit, dass Emery jetzt deprimiert oder traurig sein wird, aber stattdessen sieht es fast schon so aus, als würde sich ein Schleier der Erleichterung über ihren Körper legen.

„Das ist überhaupt nicht schlimm, Luca", versichert sie mir mit einem unterdrückten Lächeln. „Wir haben unser Bestes gegeben. Du bist einfach zu gut für diese Welt und nicht mal als allerliebstes Arschloch des Planeten geeignet."

„Hey!", sage ich gespielt empört. „Soll das etwa eine Beleidigung sein?"

Emery kichert. „Nein, natürlich nicht!", behauptet sie. Dann fragt sie mich mit einem herausfordernden Funkeln in den Augen: „Hast du gerade zufällig noch einen Anmachspruch auf Lager? Die waren nämlich das Beste an deinem Arschloch-Dasein."

„Ein Anmachspruch? Kommt sofort!" Ich zwinkere Emery einmal zu, woraufhin sich ihre Wangen dunkelrot färben.

Oh Gott, war sie eigentlich schon immer so niedlich?

Bevor ich mich in Emerys Strahlen verlieren kann, schüttele ich einmal den Kopf, um meine Gedanken zu vertreiben. Jetzt bloß nicht die Nerven verlieren ...

„Wenn du ein Burger bei McDonald's wärst, dann würdest du McBeautiful heißen!"

Und obwohl es ein sehr fragwürdiges Kompliment ist, ist es das erste Mal, dass ich einen Anmachspruch ernstmeine.

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