9 - Eine Portion Wahrheit, bitte!

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„Drei verstauchte Rippen, eine geprellte Nase, viele blaue Flecke und eine große Portion Glück, dass keine Organe beschädigt wurden", lautet die Diagnose im Krankenhaus.

Ich bin echt erleichtert, dass ich mir nichts gebrochen habe und so glimpflich davongekommen bin. Schade nur, dass es bei Cameron nicht mal für eine Schwellung gereicht haben wird ...

Da sich nur hundert Meter entfernt von dem städtischen Krankenhaus ein McDonald's befindet und ich tierischen Hunger habe, beschließen wir, der Fast Food Kette einen Mitternachtsbesuch abzustatten.

Während sich Emery für einen Wrap entscheidet, nehmen Rhett und ich jeweils zwanzig Chicken McNuggets mit Süß-Sauer-Soße und eine große Pommes. Auch wenn es vermutlich kontraproduktiv für meine Bauchschmerzen ist, kaufe ich mir zusätzlich noch eine Cola.

Zucker ist jetzt genau das Richtige, um die Risse in meinem Herzen zu heilen.

Ich gebe es nicht gerne zu, aber irgendwie bin ich enttäuscht von Shirin. Statt mir zu helfen, hat sie sich lieber auf Camerons Seite geschlagen und mich wie ein Häufchen Elend am Boden liegen gelassen.

Liebe hin oder her, aber sie hätte sich für mich einsetzen müssen – so, wie es Emery getan hat.

Als wüsste Rhett ganz genau, um wen sich meine Gedanken drehen, sagt er plötzlich an mich gerichtet: „Ich hoffe, dass du dich jetzt von Shirin und Cameron fernhältst, Luca." Sein Blick ist eindringlich und entfacht eine unangenehme Gänsehaut auf meinem Rückgrat. „Lass die beiden doch einfach glücklich zusammen sein."

Im Einklang mit meinem spöttischen Schnauben verdreht Emery ihre Augen. „Das Problem ist aber, dass Shirin nicht glücklich ist!", behauptet sie nun.

„Ach ja? Hat sie dir das etwa gesagt?"

Ich kann genau beobachten, wie Em unter dem Blick ihres Zwillingsbruders in sich zusammensackt. Sie beißt erst nochmal von ihrem Wrap ab, ehe sie kleinlaut zugibt: „Na ja, nicht direkt ..."

Dieses Mal liegt es an Rhett, mit den Augen zu rollen.

Echt beneidenswert, wie gut die Wards-Geschwister das können!

„Und warum wollt ihr die beiden dann so krampfhaft auseinanderbringen?"

„Weil Cameron ein Arsch ist!", antwortet Emery wie aus der Pistole geschossen. „Er behandelt Shirin schlecht, geht ihr fremd und unterdrückt ihre Bedürfnisse. Mich würde es nicht mal wundern, wenn er sie erpresst, nur damit sie nicht mit ihm Schluss macht."

Diesen Gedanken hatte ich auch schon öfter. Leider muss ich mir aber selbst eingestehen, dass Shirin nie ängstlich oder verzweifelt in Camerons Gegenwart aussah.

Mein Kopf weiß bereits, dass Shirin in Cameron verliebt ist, doch mein Herz weigert sich noch immer, diese Tatsache zu akzeptieren.

„Das sind ganz schön heftige Anschuldigungen, Em", murmelt Rhett. „Soweit ich das beurteilen kann, ist Cam ein feiner Kerl. Außerdem ist es Shirins Sache, wie sie sich von ihm behandeln lässt. Es ist natürlich okay, mit ihr über ihre Beziehung zu sprechen, aber mutwillig die Liebe zweier Menschen zu zerstören, ist echt nicht in Ordnung."

In diesem Moment würde ich Rhett am liebsten einen Maulkorb verpassen, denn der Job als Moralapostel steht ihm alles andere als gut.

Natürlich hat er in gewisser Weise Recht, dass man sich nicht in die Beziehung von anderen Paaren einmischen sollte, aber bei Shirin und Cameron bleibt uns einfach keine andere Wahl. Da Shirin zu blind ist, um die vielen Red Flags zu erkennen, müssen Emery und ich nun mal ein bisschen nachhelfen.

„Jetzt mal ganz ehrlich, Luca: Kommst du dir nicht langsam blöd dabei vor, dich für ein Mädchen zu verstellen, das dich kaum beachtet?", fragt mich Rhett nach ein paar Minuten des Schweigens. In seiner Stimme schwingt kein verurteilender Unterton mit, sondern nur Neugierde. „Sonst waren dir Ehrlichkeit und Authentizität doch auch immer total wichtig ..."

Automatisch muss ich schwer schlucken.

Als sich Emery und ich am Anfang der Woche zusammengesetzt haben, klang unser Plan, um Shirin und Cameron auseinanderzubringen, total simpel. Ich sollte mich einfach nur wie ein nettes Arschloch verhalten und schon würde Shirin ihren blöden Cameron für mich fallenlassen.

Dass wir uns beide in Shirins Gefühlen getäuscht haben, wird mir spätestens jetzt bewusst.

Warum soll ich mich weiterhin anstrengen, wenn sie sowieso nur Augen für Cameron hat?

Ich habe keine Lust mehr, mich zu verstellen und zum Affen zu machen. Entweder Shirin mag mich so, wie ich bin, oder sie hat nichts in meinem Leben zu suchen.

Und genau das sage ich Emery und Rhett jetzt auch.

„Ich werde einen allerletzten Versuch bei Shirin starten, um ihr Herz zu erobern", teile ich ihnen meine Entscheidung mit. „Ganz ohne dieses dämliche Arschloch-Gehabe. Wenn sie danach immer noch bei Cameron bleiben möchte, werde ich mich endgültig von ihr fernhalten. Versprochen!"

Während mich Emery aus großen Augen anschaut, nickt Rhett zufrieden.

„Das klingt ausnahmsweise mal nach einem halbwegs vernünftigen Plan", lobt mich mein bester Freund. „Darauf sollten wir uns noch einen McFlurry mit extra vielen Smarties genehmigen!"

„Aber nur, wenn du zahlst!"

***

Es ist fast drei Uhr in der Nacht, als wir endlich den Bauernhof der Wards erreichen. Gemeinsam putzen wir uns die Zähne und ziehen uns unsere Schlafanzüge an.

Als Kind habe ich immer in Rhetts Zimmer auf einer Luftmatratze übernachtet, aber da er mittlerweile so laut wie ein Grizzly schnarcht, muss ich mit der Couch im Wohnzimmer Vorlieb nehmen.

„Hast du alles, Luca?", fragt mich Emery, nachdem wir noch einen Schluck Wasser in der Küche getrunken haben. Rhett hat sich in der Zwischenzeit schon mal ins Land der Träume verabschiedet und beglückt uns nun mit einem Privatkonzert. „Oder brauchst du noch etwas?"

Wie von selbst landet mein Blick auf Ems Nachthemd. Es ist weiß und reicht ihr ungefähr bis zur Mitte der Oberschenkel.

Emerys Beine sind lang und dünn. Außerdem schimmert ihre Haut im matten Lichtschein wie flüssiges Karamell.

Es fällt mir schwer, das zuzugeben, aber in dem kurzen Nachthemd und mit den verwuschelten Haaren sieht sie unglaublich süß aus.

Je länger ich sie anschaue, umso schneller schlägt mein Herz.

Nicht einmal der dumme Spruch auf ihrem Schlafshirt ändert etwas an meiner Nervosität. What's a king bed without a queen? steht dort geschrieben. Ganz schön einfallslos, oder?

Ich zwinge mich dazu, meinen Blick von ihren Beinen zu nehmen und stattdessen wieder in Emerys funkelnde Augen zu schauen. „Äh nein", stammele ich verlegen. „Ich habe alles, danke."

„Okay." Emery streicht sich eine braune Haarsträhne hinter das Ohr. Irgendwie wirkt sie nervös, wie sie da gerade vor mir steht und ständig von dem rechten Fuß auf den linken hüpft.

Ob sie wohl auch diese Spannung zwischen uns spürt?

Um diese Situation nicht noch unangenehmer zu machen, schenke ich ihr ein erschöpftes Lächeln und sage dann: „Gute Nacht, Em. Schlaf schön."

Sofort erwidert sie mein Lächeln, womit sie mein Herz zum Tanzen bringt. „Träum süß, Luca."

„Du auch!"

Mit diesen Worten wende ich mich von Emery ab und verkrümele mich danach im Wohnzimmer. Dort mache ich es mir auf dem Sofa bequem, kuschele mich unter die Decke und schließe die Augen.

Ist es komisch, dass ich mir zum ersten Mal wünsche, nicht von Shirin, sondern von Emery zu träumen?

Hoffentlich nicht ...

***

Ich habe keine Ahnung, wie lange ich mich unruhig auf dem Sofa hin und her wälze, doch irgendwann stoße ich ein genervtes Seufzen aus und schwinge meine Beine über die Kante. Da an Schlaf überhaupt nicht zu denken ist, tapse ich möglichst leise in die Küche und lasse mich dort mit einem Glas Wasser auf einem Stuhl nieder.

Schade, dass ich Trevors Geheim-Mische nicht mitgenommen habe, denn die könnte ich gerade echt gut gebrauchen!

Die ganze Zeit kreisen meine Gedanken um Emery und Shirin. Ich bin verwirrt und weiß irgendwie nicht mehr richtig, was ich möchte und was nicht.

In den letzten Tagen hat sich etwas verändert. Jetzt muss ich nur noch herausfinden, was genau das ist.

„Luca?" Ich zucke zusammen, als plötzlich mein Name ertönt. Wie vom Blitz getroffen drehe ich mich zum Türrahmen um, in dem ich Emery erkenne.

Ich weiß, dass es gemein klingt, aber ohne ihre Harry Potter Brille sieht sie direkt nochmal niedlicher aus.

„Kannst du auch nicht schlafen?" Emery betritt barfuß die Küche und kommt wenig später vor dem Stuhl, auf dem ich wie ein Häufchen Elend sitze, zum Stehen. Ihre rehbraunen Augen sind leicht angeschwollen, was vermutlich ihrer Müdigkeit zu verschulden ist.

„Nein", antworte ich ihr schließlich. „Du ja offenbar auch nicht."

Emery lächelt schüchtern. Dann fragt sie mich: „Soll ich uns einen Kakao machen? Wir könnten uns auf die Terrasse setzen und ein bisschen quatschen. Also natürlich nur, wenn du Lust hast ..."

Es ist süß, wie verunsichert sie aussieht.

Am liebsten würde ich Em in meine Arme ziehen und ihr einmal sanft in die roten Wangen knuffen, aber stattdessen murmele ich: „Klingt nach einem guten Plan."

Nur fünf Minuten später hocken wir gemeinsam auf der Veranda und schauen gedankenverloren in den dunklen Nachthimmel. Die Sterne kämpfen sich nur vereinzelt durch die trübe Wolkendecke hindurch und auch der Mond ist kaum zu erkennen.

Nichtsdestotrotz genieße ich es, hier mit Emery zu sitzen und an meinem Kakao, der ein bisschen zu sehr nach flüssiger Schokolade schmeckt, zu nippen.

Obwohl Em und ich nie sonderlich viel Zeit miteinander verbracht haben, fühlt sich dieser Moment zwischen uns sehr vertraut und intim an.

„Darf ich dich etwas fragen, Luca?", durchbricht Emery nach einer Weile das angenehme Schweigen. Sie ist in eine flauschige Decke eingehüllt und kauert sich nur wenige Zentimeter neben mir auf ihrem Stuhl zusammen. Ihr Blick verliert sich zwar in den Weiten des Nachthimmels, aber ich erkenne trotzdem, wie ein Fünkchen Ungewissheit in ihren Augen aufflammt.

„Klar. Schieß los."

Emery holt noch einmal tief Luft, ehe sie von mir wissen möchte: „Warum bist du eigentlich in Shirin verliebt?"

Ihre Frage trifft mich unvorbereitet.

Ich kann spüren, wie ich für ein paar Sekunden die Luft anhalte und mein Herz an Geschwindigkeit zulegt.

Oh man, was soll ich Em bloß antworten? Am besten die Wahrheit, oder?

„Na ja, Shirin ist echt hübsch", stammele ich verlegen.

Sofort wandern Emerys Augenbrauen in die Höhe. „Andere Mädchen sind aber auch echt hübsch."

Ich schlucke schwer, denn ihre Aussage erinnert mich an die Worte von Rhett. „Jetzt mal ehrlich, Luca: Andere Mütter haben auch hübsche Töchter."

Damit ich nicht wie ein oberflächliches Arschloch wirke, was ich leider in manchen Situationen bin, schiebe ich schnell hinterher: „Außerdem finde ich es toll, dass Shirin die Natur liebt und Tiere mag."

Keine Ahnung, wie sie das schafft, aber Emery zieht ihre Augenbrauen so hoch, dass sie beinahe unter ihrem Haaransatz verschwinden. „Seit wann mag Rini denn die Natur? Das wusste ich gar nicht."

„Ähm, damals hat sie immer Blumen gesammelt oder Kränze geflochten."

Kopfschüttelnd erwidert Emery: „Das ist ja schon eine halbe Ewigkeit her. Ich möchte dich echt nicht enttäuschen, Luca, aber heutzutage kann Shirin der Natur nichts mehr abgewinnen. Sie ist ja schon genervt, wenn sich nur mal ein Blatt in ihren Haaren verfängt."

„Und was ist mit den Tieren?", ignoriere ich Ems letzte Aussage. „Mag sie die noch?"

Emery lacht. „Ja, natürlich. Aber sie hat im Laufe der Zeit eine Allergie gegen Katzen, Hunde und Pferde entwickelt."

„Oh, okay."

Irgendwie weiß ich nicht so richtig, was ich noch sagen soll.

Vermutlich klingt das total armselig, aber mir fällt jetzt erst auf, dass ich Shirin so gut wie gar nicht kenne. Kann ich wirklich in ein Mädchen verliebt sein, das ich nur optisch attraktiv finde? Sind die Charaktereigenschaften nicht eigentlich das Wichtigste an einem Menschen?

Bevor ich mich in dem Strudel meiner Gedanken verlieren kann, lenke ich das Thema von mir ab und frage Emery stattdessen neugierig: „Und du? Bist du aktuell verliebt?"

Trotz der Dunkelheit, die uns wie ein Schleier umgibt, kann ich erkennen, dass sich ein zarter Rotschimmer auf ihren Wangen ausbreitet. Emery wirkt verlegen und verunsichert, als sie mir nach einem tiefen Seufzer verrät: „Ja, bin ich."

Wow, damit habe ich nicht gerechnet.

Wahrscheinlich sollte ich nicht weiter nachhaken, doch am Ende ist es meine Neugierde, die siegt. „Kenne ich den Glücklichen?"

Wie in Zeitlupengeschwindigkeit richten sich Emerys rehbraune Augen auf mich. Ein undefinierbares Funkeln, das mir eine Gänsehaut über die Wirbelsäule tanzen lässt, säumt ihre Pupillen. „Ja, du kennst ihn." Ems Stimme ist so leise, dass sie sich im Flüstern des Windes verliert. „Sehr gut sogar."

Ohne es verhindern zu können, bildet sich ein riesiger Kloß in meinem Hals. Die Art, wie mich Emery gerade anschaut, macht mich ziemlich nervös.

Weil ich Angst habe, mich in ihrem Blick zu verlieren, senke ich peinlich berührt den Kopf. „Und, ähm, was magst du so gerne an ihm?"

Innerlich rechne ich damit, dass mir Em keine Antwort geben wird, doch zu meiner großen Überraschung wispert sie nach wenigen Sekunden: „Er ist liebevoll, romantisch, fürsorglich und aufmerksam. Außerdem kann man sich super mit ihm unterhalten, viel Spaß haben und auch mal kindisch sein. Oh, und er hat echt faszinierende Augen!"

Mit jedem Wort wird der Knoten in meinem Magen größer.

Beschreibt Emery etwa gerade mich?

Ich habe keine Ahnung, wie ich auf diese Idee komme, aber sie lässt mich nicht mehr los. Obwohl sich ein warmes Gefühl in meinem Herzen ausbreitet, klammert sich gleichzeitig auch die Furcht um meine Seele.

„Ich, ähm, ich gehe dann mal wieder rein", stammele ich, ohne etwas auf Emerys Worte zu erwidern. „Danke für den Kakao, Em."

Ich werfe ihr noch ein halbherziges Lächeln zu, ehe ich mich fast schon fluchtartig von meinem Stuhl erhebe und die Schiebetür, die ins Innere des Hauses führt, ansteuere.

Kurz bevor ich sie erreicht habe, lässt mich Emery ein letztes Mal innehalten.

„Luca?"

„Ja?" Ich wage es nicht, mich zu ihr umzudrehen.

„Ich möchte dir bezüglich deiner Gefühle für Shirin nicht dazwischen grätschen, aber bitte höre auf dein Herz, okay?"

Automatisch schließe ich die Augen und lausche tief in mein Inneres.

Da ist eine Stimme, die ruft: „Gib Shirin nicht auf! Das Kämpfen wird sich lohnen!"

Zu meinem großen Entsetzen ist da aber auch noch eine andere Stimme, die mit jeder Sekunde lauter wird. Was sie sagt? „Dein Herz gehört einem anderen Mädchen, Luca, und das weißt du auch!"

Verdammt! Was soll ich denn jetzt machen?

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