7 | Die Nachricht im Spiegel

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Zuallererst vielen lieben Dank an unsere tollen Leser, für ihre kreativen Ideen und das Mitfiebern bei der Geschichte. Dieses Kapitel ist euch gewidmet!

MiaMcClancy, littlebitofpoetry, RevaReh, HeinrichKramer, _claire_fraser, Hasunohana82

Ich freue mich darüber, das nächste Kapitel schreiben zu dürfen. Aiden lädt Isaac zu sich nach Hause ein. Wird er mitgehen?

„Herr Truman, Zimmer 3" ertönte es erneut aus dem Lautsprecher. Ich zögerte. Grade hatte ich das Gefühl, Isaac würde sich vielleicht vor mir öffnen. Wenn ich jetzt ging, würde er vielleicht verschwinden.

„Bist du das?", flüsterte Isaac und sah mich an.
„Kommt darauf an", antwortete ich.
„Worauf?"
„Ob du noch da bist, wenn ich wiederkomme."
Isaac zog die Unterlippe ein. „Kann ich nicht versprechen", gab er zu.

„Warte bitte noch kurz!", sagte ich, stand auf und steuerte auf den Tresen zu. Mit einem Stück Papier und einem Kugelschreiber kam ich zurück. Ich hockte mich neben Grübchen vor einen leeren Stuhl, den ich als Unterlage benutzte, und schrieb meine Adresse und Handynummer auf den Zettel. Grinsend setzte ich ein Aiden (Engel) darunter.

Dann zog ich meinen Partygroschen aus meinem Portemonnaie und faltete ihn in den Zettel ein. Die Investition in Isaac schien mir sinnvoller als in ein neues App-Abo. Beides reichte ich Isaac, der mich überrascht ansah.

„Meine Wohnung ist links die Straße runter. Kurz davor ist ein Kiosk, wo du im Warmen auf mich warten kannst. Frag nach Yasin und sag, dass du ein Freund von mir bist."
Ich atmete tief ein. Jetzt kam Option zwei. „Wenn du einen anderen Platz zum Schlafen möchtest, nimm nicht das Obdachlosenheim. Nimm dir ein Taxi zum Bahnhof, da gibt es ein günstiges Hostel. Das ist sicherer."

Ich sah noch einmal in die wundervollen blauen Augen und eiste mich dann los. Die Entscheidung lag nun bei ihm. Ich konnte nicht mehr tun, als meine Hilfe anbieten.

Der Weg bis zum Kiosk kam mir endlos vor. Als ich ihn endlich erreicht hatte, schaute ich aufgeregt durch das Fenster. Yasin stand am Tresen und las in einer Zeitschrift. Ansonsten schien der Laden leer. Von Grübchen keine Spur. Enttäuscht ließ ich die Hand sinken, die auf der Scheibe gelegen hatte. Yasin sah auf und erkannte mich. Sein Blick spiegelte Entsetzen wider, kein Wunder, so wie ich inzwischen aussah. Sekunden später stand er neben mir vor der Tür.

„Aiden! Was ist passiert? Hast du dich geprügelt?", fragte er tadelnd.

„Ich wünschte, es wäre so", meinte ich seufzend. „Dann hätte der andere wenigstens auch etwas abbekommen."

„Du wurdest wieder angegriffen?", fragte der Kioskbesitzer, der über die letzten Monate zu einem echten Freund geworden war. Nachdem ich mich lange Zeit kaum vor die Tür getraut hatte, war der kurze Weg zum Kiosk zu einem täglichen Ritual geworden, mich wieder nach draußen zu wagen.

„Es war meine eigene Schuld. Ich habe mich in einen Streit eingemischt und die Quittung dafür kassiert."

„Ich sag ja, halt dich aus den Angelegenheiten anderer Leute raus. Das bringt nur Ärger!", meinte er mit ernstem Blick.

„Du weißt, ich bin so nicht. Wenn ich Unrecht sehe, muss ich etwas tun. Und der Junge brauchte definitiv Unterstützung", erklärte ich.

Yasin seufzte. „Ich hoffe, er ist es wert!" Ich schüttelte den Kopf. Er verstand nicht, warum ich es getan hatte.

„Jeder wäre es wert, dass man sich für ihn einsetzt! Und dieser Junge hat, glaube ich, viel durchmachen müssen. Ich möchte einfach für ihn da sein."

„Dann ist er nicht dein Typ?", stichelte Yasin nun. Ich konnte mir ein Grinsen nicht verkneifen.

„Er ist sowas von mein Typ", grinste ich breit und zeigte dann auf meine Nase. „Aber ich denke, wir hätten erst einmal ganz andere Dinge zu besprechen. Es geht mir dabei nicht um das eine, weißt du? Ich glaube, wir haben uns nicht ohne Grund getroffen. Aber das tut jetzt eh nichts mehr zur Sache. Er ist nicht mehr da!", stellte ich traurig fest.

Yasin zog eine Augenbraue hoch. „Bist du dir da ganz sicher?" Was meinte er damit?
Yasin schien meine Frage in meinem Gesicht zu lesen und nickte nur hinter mich. Langsam drehte ich mich um.

„Hi Aiden."

Noch vor der Eingangstür zu meiner Wohnung im vierten Stock zog ich meine stinkigen Turnschuhe aus und ließ sie neben der Fußmatte stehen. Dann drückte ich die Tür auf und ging in den Flur.

Während ich in der ganzen Wohnung das Licht anmachte, um Isaac zu zeigen, dass es hier niemanden sonst gab und ich nichts zu verheimlichen hatte, schlich dieser vorsichtig wie ein junges Reh in mein kleines Reich. Seine ganze Art, wie er seinen Rucksack fest umklammerte, seinen Blick in alle Ecken schweifen ließ und seine angespannte Körperhaltung, verrieten mir so viel über ihn. Ich ahnte, dass er mir trotz allem noch nicht vertraute. Und ich konnte ihn verstehen.

Die ersten Wochen nach dem Angriff auf offener Straße hatte ich überall nur Feinde gesehen. In der Bahn, bei Bäcker, an der Ampel. Mein Körper hatte mit Anspannung und Angst reagiert, die irgendwann zu Panik geworden waren. So etwas legte man nicht innerhalb von ein paar Minuten ab. Also versuchte ich, mit allem, was ich nun tat und sagte, Isaac zu zeigen, dass ich ihm helfen wollte. Und, dass ich ihn nicht unter Druck setzen würde.

„Das ist meine Wohnung", sagte ich und ignorierte den Umstand, dass die Tür noch offenstand.
„Wenn du möchtest, kannst du duschen, während ich das Bett für dich beziehe. Ich schlafe dann auf dem Sofa. Die Badezimmertür hat einen Schlüssel", erklärte ich.

„Ich schlafe nicht in deinem Bett", sagte Isaac betont ruhig, und ich ahnte, dass eine Diskussion sinnlos war.

„Gut, dann bereite ich die Couch für dich vor. Ich hole dir nur schnell ein Handtuch."

Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, hatte Isaac immerhin den Rucksack abgenommen und die Haustür geschlossen. „Hier, das Handtuch. Und im Badschrank müsste in der Schublade noch eine frische Zahnbürste sein. Falls du keine dabeihast." Ich überlegte kurz.

„Brauchst du sonst noch etwas?" Isaac schüttelte den Kopf und nahm schweigend das Handtuch entgegen.

Während Isaac ins Badezimmer ging, huschte ich schnell in die Küche und zog Hose und T-Shirt aus. Die Hose wanderte direkt in die Waschmaschine und das Shirt warf ich ins Waschbecken und ließ kaltes Wasser ein. Hoffentlich wurde mein Shirt wieder einigermaßen sauber. Dann füllte ich den Wasserkocher für eine Wärmflasche und Tee.

„Aiden?", hörte ich eine Stimme hinter mir. Isaac stand in der Küchentür und sah verlegen weg, als ich mich umdrehte.

„Tut mir leid", entschuldigte ich meine beinahe Nacktheit. „Ich musste nur die Klamotten loswerden und dachte, du seist schon im Bad."

„Ich... ähm... ich wollte nur fragen, ob ich dein Shampoo benutzen darf?", fragte er schüchtern.

„Natürlich, du darfst alles benutzen, was du brauchst. Fühl dich wie zuhause", bot ich an.

Isaac sah kurz auf und mich an. Ein scheues Lächeln huschte über seine Wangen. Gott, er war so hübsch. Ich musste mich beherrschen, ihn nicht an mich zu reißen, ihn zu umarmen und an seinen Haaren zu riechen. Stattdessen sah ich ihm nach, als er zurück ins Bad ging und bereitete dann die Couch für die Nacht vor.

Ich holte ein Shirt aus dem Schrank, um meine Blöße zu bedecken und legte ein zweites, frisches für Isaac bereit. Dann füllte ich die Wärmflasche und überprüfte den Inhalt des Kühlschrankes. Viel war nicht darin und so platzierte ich noch das Müsli aus dem Schrank auf der Arbeitsfläche, stellte eine Tasse dazu und legte verschiedene Teesorten bereit.

Als ich die Tür hörte, ging ich wieder ins Wohnzimmer. Isaac stand etwas unschlüssig vor seinem Bett für die Nacht und starrte auf das Shirt, das ich ihm hingelegt hatte.

„Ich wusste nicht, wie viel Kleidung du dabeihast", erklärte ich verlegen. „Du kannst es benutzen, wenn du willst. In der Küche habe ich eine Wärmflasche für dich hingelegt und Teewasser ist auch fertig. Falls du morgen früh vor mir wach bist, bediene dich ruhig am Kühlschrank oder mach dir ein Müsli. Aber iss auf jeden Fall etwas, bevor du gehst, ja. Ich meine, ich würde mich freuen, wenn wir uns morgen früh noch sehen würden, aber ich weiß ja nicht, wann dein Zug fährt, aber du solltest was essen, bevor du gehst. Und wenn du möchtest, kannst du mich jederzeit anrufen. Also wenn du willst." Ich spürte, dass ich viel zu viel geredet hatte und biss mir auf die Unterlippe.

„Ich geh dann auch mal duschen", beendete ich meinen Monolog und ging schnell ins Bad, bevor Isaac noch bemerkte, wie nervös ich auf einmal war. Dieses Gefühl war neu für mich. Ich konnte den Jungen so schwer einschätzen und doch löste er Gefühle in mir aus, die ich noch nicht richtig zuordnen konnte.

Als er mich so keck im Club angesprochen hatte, wäre ich am liebsten gleich über ihn hergefallen. Mir gefiel seine Art, sein Aussehen, sein verschmitztes Grinsen... Doch dann war eine andere Komponente dazugekommen. Eine verletzte Seite, eine zarte Seele, ein kämpferischer Geist. Und das alles in einer Person. Und bei mir waren alte Muster wieder zum Vorschein gekommen. Mein Drang zu helfen. Für andere da zu sein. Gebraucht zu werden.

Als ich vor wenigen Stunden diese Wohnung verlassen hatte, hatte ich bei einer Medizin für mich nur an körperliche Nähe gedacht. Dass auch meine Seele sich nach Zuwendung sehnte, hatte ich in diesem Moment außen vor gelassen. Doch das Helfen-Können, linderte in diesem Moment den Schmerz der letzten Monate bei mir genauso, wie ich das auch für Isaac hoffte.

Es war befreiend, als das warme Wasser meinen Körper ein Stück weit von dem Schmerz und der Scham dieses Abends reinigte. Als ich aus der Dusche stieg, zeigte der Radiowecker am Regal bereits nach zwei Uhr morgens an. Ich rubbelte meine Haare trocken und wollte nur noch schnell Zähne putzen, als bei dem Blick in den beschlagenen Spiegel, mein Herz kurz weich wurde.

Jemand, der natürlich Isaac gewesen sein musste, hatte etwas mit dem Finger auf die glatte Oberfläche gemalt.

‚Danke!' stand dort. Einfach nur 'Danke'.

Auf dem Weg zum Schlafzimmer, wagte ich einen letzten Blick auf den schlafenden Körper auf meinem Sofa. Ob er morgen noch da sein würde, wenn ich aufwachte?

„Gute Nacht, Grübchen" murmelte ich.

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