10. Kapitel

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„Es ist einfach nicht fair, dass wir bei diesem Wetter draußen Sport machen müssen und die anderen drinnen!", schimpft Anja, während sie sich eine Hand an die Stirn hält, um ihre Augen vor dem Nieselregen zu schützen. Mit der anderen Hand wischt sie sich immer wieder über die Arme, um sie zu wärmen.

Ich kann mich nur zu einem schwachen Lächeln hervor ringen. Tief atme ich ein und sofort wieder aus. Trotzdem reicht es nur, um mir genügend Luft zu geben. Wie auch immer ich das gleich bei Langlauf machen möchte, wenn mir jetzt schon schwindelig ist.

„Wirklich, wir haben Mitte November! Was denkt sich Herr-" Sie verstummt, als unser Lehrer neben uns auftaucht, die Augenbrauen hochgezogen. Sofort wendet sie sich zu mir, wirft mir einen panischen Blick zu. Leicht grinse ich.

„Was denke ich mir?", fragt Herr Jaff im nächsten Moment. Ein amüsierter Unterton ist in seiner Stimme zu hören, weshalb Anja erleichtert ausatmet. Dann schüttelt sie den Kopf. „Nichts. Alles gut, ich habe nicht von ihnen geredet. Komm Mary, Katharina wollte noch irgendetwas von uns." Sie greift nach meinem Arm und beeilt sich, von unserem Lehrer wegzukommen.

„Mary, warte bitte. Ich möchte noch einmal mit dir reden!" Sofort bleibt Anja stehen, welche mich ein paar Schritte hinter sich hergeschleift hat und schaut mich mit zusammengezogenen Augenbrauen an.

Ich senke nur meinen Blick und fange an, mir auf meiner Unterlippe herumzubeißen. Aber es war zu erwarten, dass die Lehrer mich abfangen, denn wahrscheinlich wissen sie nicht, wie sie damit umgehen sollen, oder wie sich mich benoten wollen.

„Geh schonmal vor", murmle ich in Richtung Anja, welche noch kurz verwirrt ist, dann aber wirklich zu Katharina joggt. Leicht hebe ich meinen Kopf und warte, bis Herr Jaff neben mir ist. Dann passe ich mich seinem gemütlichen Schlendertempo an – normalerweise müssen wir Schüler uns anstrengen, um mit ihm mitzuhalten. Für kurze Zeit ist Stille, nur die Gespräche unserer Mitschüler sind zu hören.

„Wie geht es dir?"

Als ich aufschaue, begegne ich dem Blick von Ryder, welcher sich fest auf mich geheftet hat. Sobald er sieht, dass ich ihn bemerke, wendet er sich ab und redet weiter mit seinen Freunden. Dann sehe ich zu meinem Lehrer. „Gut." Ich möchte jetzt nicht reden. Mir geht es nicht gut und dann fragt Anja mich später, was er mit mir besprechen wollte.

„Okay." Es überrascht mich, dass er es einfach so hinnimmt und nicht zehnmal nachfragt, ob es mir wirklich so geht, oder was genau mir weh tut. Eine angenehme Abwechslung. „Wenn du etwas nicht machen kannst, sagst du es mir einfach, damit ich es weiß. Das ist vollkommen okay." Er macht eine kurze Pause, weshalb ich nicke. „Zudem werde ich deine Leistungen nicht werten." Das ist neu! Mit gerunzelter Stirn schaue ich ihn an, warte darauf, dass er weiterredet. „Soweit ich weiß, hat sich das ganze Kollegium dafür entschieden. Natürlich kannst du dich trotzdem anstrengen, wir Lehrer freuen uns darüber." Ich muss mir verkneifen, nicht erleichtert zu seufzen. Dann ist es wirklich egal, was ich in Musik mache.

„Okay. Vielen Dank." Leicht lächle ich und werfe einen Blick zu meinen Mitschülern. Anja und Ryder sehen kurz zu mir, als Ryder mich wieder bemerkt, wendet er sich sofort ab, Anja hingegen lässt sich zurückfallen, bis sie neben mir herläuft.

Sofort schlägt die Stimmung um. Eben noch war sie entspannt und es war, als hätte ich nur mit meinem Lehrer über das Wetter geplaudert. Aber Herr Jaff scheint zu merken, dass Anja nichts davon weiß, weshalb er sich kurz räuspert. „Ich lasse euch Beide dann mal alleine." Dann geht er davon, in seinem typischen Tempo, in welchem die Meisten anfangen müssen zu joggen.

„Also ...", zieht Anja das Wort lang. Dann dreht sie ihren Kopf zu mir, scheint auf eine Antwort zu warten. Als ich auch nach ein paar Sekunden nichts gesagt habe, seufzt sie leise. „Was ist momentan los? Du bist geheimnistuerischer? Sagt man das so? Du verschweigst uns irgendwie viel mehr. Möchtest du uns das nicht erzählen, da du denkst, dass es uns nichts angeht? Sag das einfach und ich bin still." Sie hebt die Hände und blickt wieder nach vorne. „Ryder starrt dich an."

Langsam lasse ich meinen Blick zu ihm wandern, woraufhin er sich sofort abwendet. Aber wirke ich wirklich so? Ich möchte sie doch nur schützen und nicht dafür sorgen, dass sie sich noch mehr Gedanken machen! Und ich möchte wie ein normaler Mensch behandelt werden und nicht wie jemand, der kurz vor seinem Tod steht. Bei dem Gedanken schießen mir sofort wieder die Tränen in die Augen.

Einen Tag nach den Atemproblemen bei Vinz waren wir beim Arzt. Mittlerweile hat mein Krebs in meine Lunge gestreut, weshalb meine Atemfunktion eingeschränkt ist. Nicht so sehr, dass ich nicht damit leben kann, aber so sehr, dass normales Laufen für mich anstrengend ist – von Treppen will ich gar nicht erst anfangen. Zudem sind meine Schmerzen stärker geworden, weshalb ich eine höhere Dosis Tramadol nehmen muss. Und durch die Umstände ist meine Lebenserwartung erstaunlich schnell gesunken und es wird davon ausgegangen, dass ich nächste Ostern nicht mehr erleben werde. Ich meine, die Schoko-Eier mochte ich sowieso noch nie.

Eine Hand legt sich auf meine Schulter. „Mary?" Anja und ich sind stehengeblieben. In ihrem Blick liegt dieselbe Sorge wie in dem von Vinz, als er mich voller Schmerzen gesehen hat.

„Hm? Nein, alles super! Es ging nur darum, dass ich momentan nicht so gut bin und er mich darauf angesprochen hat!", rattere ich runter, was mir in den Kopf kommt. Das ist nicht einmal so unrealistisch.

„Achso, okay." Sie nickt. „Wenn du möchtest, können wir uns zusammen auf den Sportunterricht vorbereiten. Für Langlauf können wir beide zusammen joggen gehen!", schlägt sie vor. Die Sorge ist Vorfreude gewichen, weshalb ich innehalte. Wenn ich jetzt ablehne, verletze ich sie und sie ist wieder misstrauisch. Aber ich kann nicht zusammen mit ihr joggen gehen, dafür ist sie viel zu schnell für mich.

„Wenn wir das Theme haben, gerne."

„Wir fangen heute mit Langlauf an." Anja zieht ihre Augenbrauen zusammen und mustert mich. „Das hatte er gerade auch gesagt. Ist wirklich alles okay mit dir?"

Scheiße! Dann fällt sofort auf, dass etwas nicht stimmt. Ich kann umknicken, dann haben meine Mitschüler eine Erklärung. Oder ich ziehe damit weiter, dass ich meine Tage ganz extrem habe und nach Hause muss. Dann machen sich meine Eltern aber wieder Sorgen, da sie mir das nicht abkaufen. „Klar, mir geht es super. Ich bin momentan irgendwie ein bisschen durch. Kommt wahrscheinlich durch den ganzen Klausur-Stress." Sofort drehe ich mein Gesicht weg, damit sie nicht sieht, wie ich lüge. Es fühlt sich nicht gut an. Wird es das je?

„Oh, okay. Mach dir da keinen Kopf, du kriegst das hin!" Sie legt ihren Arm um mich herum. „Und selbst wenn nicht, im nächsten Jahr kannst du es wieder rausholen."


Zehn Minuten später stehen wir Mädchen auf der Laufbahn, die Jungs haben die Timer in der Hand, um unsere Zeit zu messen. Sieben Runden sollen wir laufen. Ich bezweifle, dass ich sie im Gehen schaffen würde. Aber wer weiß, vielleicht klappt es und dann bin ich noch stolzer auf mich und habe mir bewiesen, dass es mir doch nicht so schlecht geht.

„Okay!", ruft Herr Jaff von der Seite. „Auf die Plätze, fertig, los!"

Ich fange langsam an. Aber schon nach den ersten zehn Metern merke ich, dass mein Körper es nicht mitmacht. Schwer atme ich ein und aus, presse meine Hände auf meine Brust. Die Schritte der Anderen sind schon längst nicht mehr zu hören, so weit sind sie weg. Als ich zu ihnen schaue, erkenne ich Anja, welche an der Spitze läuft und mir kurz einen Blick zuwirft, nach dem Motto: Was ist los?

Bloß weiterlaufen. Einfach nur die sieben Runden schaffen. Eine Viertelrunde habe ich ja schon! Nach einer halben Runde fängt meine Lunge an zu brennen und ich keuche mehr, als zu atmen. Viel zu wenig Luft kommt in meine Atemwege. Als ich das erste Mal stolpere, kann ich mich nur knapp auffangen. Langsam fängt mein Sichtfeld an den Seiten an Schwarz zu werden und meine Schritte auf der harten Bahn, fühlen sich nicht mehr an, als würden sie wirklich passieren. Sobald ich aber nach unten zu meinen Füßen schaue, fange ich an zu schwanken und Sterne erscheinen in meinem Sichtfeld. Warum ... warum dreht sich alles? Ich werde langsamer, taste mit meinem Arm nach etwas, um mich festzuhalten. Sobald ich die Umrandung spüre, lasse ich mich sinken. Meine Lunge brennt, aber noch immer kann ich nicht gut atmen. Nach vorne übergebeugt ringe ich nach Luft, krächze immer wieder. Der schwarze Nebel zieht sich immer dichter über mein Sichtfeld und um mich herum wird es still. Keine Vögel mehr, welche zwitschern. Kein Peitschen der Bäume. Und selbst den Nieselregen, welcher vorher in mein Gesicht gestochen hat wie Nadeln, nehme ich nicht mehr auf meiner Haut wahr. Es ist, als würde ich auf der höchsten Wolke schweben. Niemand ist dort und die Sonne scheint auf mich hinunter, legt sich wie eine warme Decke über mich.

Die Wärme auf meinen Schultern erhöht sich. Dann wird mein Körper geschaukelt, damit ich mich entspannen und einschlafen kann. So schön gemütlich .

„Mary!", dringt eine Stimme zu mir. Aber von wo? Hier ist niemand. Das Schaukeln wird stärker, wandelt sich zu einem Rütteln. Was soll das? „Ruft einen Krankenwagen! - Mary, hörst du mich? Scheiße, was ist los?" Schlagartig verändert sich die Hitze auf meiner Wange und sie fängt an zu brennen. „Wach auf!" Aber ich bin doch gerade erst eingeschlafen? Warum soll ich wieder aufwachen? „Genau, atmen! Tief ein und aus. Gut!"

Schwer schlage ich meine Lider auf, kneife sie aber sofort wieder zu. So hell!

„Ja! Komm, schau mich noch mal an!" Erneut öffne ich meine Augen, blinzle mehrmals, bis ich etwas erkenne. Dann öffne ich meinen Mund, um einzuatmen. Als meine Lunge mit Luft gefüllt wird, schießen mir Tränen in die Augen. Im nächsten Moment laufen sie meine Wangen runter und ich ziehe meine Knie an meinen Körper. Ryder sitzt vor mir, die braunen Haare fallen ihm nass in die Stirn. Ich verziehe mein Gesicht, als mir der Geruch von Zigaretten in die Nase steigt.

„Du lebst!" Bevor ich noch eine Sekunde mehr über sein Rauchverhalten nachdenken kann, liege ich in seinen Armen. Erstarrt halte ich inne, warte darauf, dass er mich loslässt. Erst nach kurzer Zeit verstehe ich, warum er so reagiert. Vinz meinte, Ryder hatte Tess gefunden, als sie schon tot war, aber trotzdem versucht, sie irgendwie zum Leben zu bringen. Und ich habe ihn wahrscheinlich daran erinnert. Aber auch ich werde sterben und ihn verletzen. Instinktiv drücke ich mich von ihm weg, weshalb er mich nur anstarrt. Wasser läuft über sein Gesicht – ob es von dem Regen kommt, welcher stärker geworden ist, oder Tränen sind, weiß ich nicht. „Was ist passiert?", wispert er und streicht sich mit dem Handrücken über die Wangen.

Bevor ich antworten kann, taucht Herr Jaff neben uns auf. Seine Augen sind leicht aufgerissen, als er neben mir in die Hocke geht. „Geht es wieder?"

Überfordert huscht mein Blick zwischen den Beiden her. Was ist passiert? Ich habe mich nur kurz hingesetzt, um durchzuatmen. Und dann war ich weg? Leicht nicke ich. Noch immer wirkt Ryder, als könnte er es nicht fassen. Dann schaut er zu seinen Händen, dreht sie hin und her. Dann sinkt sein Kopf nach unten und sobald ich seine bebenden Schultern sehe, möchte ich ihn trösten. Ihn in die Arme nehmen, sagen, dass alles gut wird. Aber das geht nicht.

„Ich hatte dir doch gesagt, dass du mir sagen sollst, wenn etwas nicht geht!", ermahnt mich mein Lehrer. „Auch wenn es dir peinlich ist, bitte sag es mir! Ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll, oder was du machen kannst. Das liegt komplett bei dir. Aber so etwas wie gerade, das haut uns alle aus der Bahn." Sein Blick richtet sich auf Ryder, welcher gerade seinen schlimmsten Albtraum zu durchleben scheint. Immer wieder blickt er entgeistert auf seine Hände und mich. Sein Kiefer bebt und als er aufblickt, erkenne ich seine roten Augen. Was habe ich nur angerichtet?

„Mary!", brüllt auf einmal jemand. Anja! Als ich meinen Kopf in die Richtung drehe, aus der der Ruf kam, sehe ich sie. Im schnellen Tempo sprintet sie auf uns zu, das Gesicht ist komplett rot. Kurz vor uns kommt sie zum Bremsen und stützt sich auf die Knie um tief durchzuatmen. „Es tut mir leid", keucht sie. „Ich durfte nicht zu dir kommen. Herr Jaff meinte, ich soll weiterlaufen, Ryder würde sich kümmern." Als sie ihn sieht, zieht sie die Augenbrauen zusammen und schaut fragend zu mir.

Mit einer Handbewegung winke ich ab. „Ist okay, war nichts Schlimmes."

Dem mahnenden Blick, mit welchem unser Lehrer uns anschaut, kann ich nicht ausweichen. „Mary, Ryder. Ihr beiden geht zum Krankenzimmer. Falls etwas passieren sollte, habt ihr ein Handy dabei." Auf meinen fragenden Blick hin nickt er zu Ryder. „Nein, Anja. Du bleibst hier", fügt er an, als meine Freundin ihm dazwischenreden möchte.

Resigniert lässt sie den Kopf hängen. Bei ihm weiß man, dass man ihm beim Wort nehmen kann.

„Okay, machen wir", murmle ich und greife nach der Stange über mir, welche den Laufplatz begrenzt. Als ich mich hochziehe, kann ich erstaunlich gut stehen dafür, dass meine Beine sich so wacklig anfühlen, wie bei einem ungeschickten Rehkitz.

Als ich zu Ryder schaue, um zu sehen, ob er die Worte gehört hat, merke ich, wie etwas in meiner Brust sticht. Ich bin schuld daran, dass es ihm so schlecht geht! Hätte ich meinen Stolz heruntergeschluckt und gesagt, dass ich meine Tage habe, wäre das alles nicht passiert. Niemand wäre misstrauisch und Ryder würde es gut gehen. Wahrscheinlich hätte er sich darüber amüsiert, dass ich deshalb nicht mitmachen könnte.

„Ryder", wispere ich und gehe vor ihm in die Hocke. Sanft lege ich meine Hand auf seinen bebenden Rücken und streiche über ihn. Bei meiner Berührung hebt er den Kopf und schaut mir mit verheulten Augen entgegen. Ich habe die Wunden wieder aufgerissen, welche noch nicht zu Narben verheilt sind. Vor allen Anderen. Vor denjenigen, vor welchen er sich als unnahbar und hart ausgegeben hat, habe ich ihn schwach dastehen lassen. Und ihn verletzt. „Wir sollen zum Krankenzimmer. Kommst du?" Langsam richte ich mich auf und halte ihm meine Hand hin. Kurz zögert er, dann nimmt er sie an und zieht sich hoch.

„Wir reden noch!", meint Anja, als ich mich wegdrehe. Sofort wende ich mich zu ihr und umarme sie. Noch immer sind meine Tränen nicht versiegt, auch wenn sie nicht mehr regelmäßig kommen. „Es tut mir leid", bringe ich nur hervor und löse mich dann von ihr. Es reicht nicht für die Lügen, welche ich ihr eben aufgetischt habe und erst recht nicht für das, was noch bevorsteht. Dafür ist es viel zu schwach. Aber mit einem leisen „okay" nimmt sie es hin, schenkt mir noch einmal ihr Vertrauen, welches ich weiterhin missbrauche. Ein letztes Mal lächle ich sie an, dann gehe ich mit Ryder los.

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