[3] Eine unerwartete Bekanntschaft

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Nachdem sie noch den ganzen Abend über grübelnd in ihrem Bett gesessen hatte, war sie recht schnell mit den Klängen des einsetzenden Regens eingeschlafen, der sie wiederum in der Nacht mitsamt grollendem Donner hatte aufschrecken lassen. Und so wenig sie diese Naturgewalt auch fürchtete, so war weiterer Schlaf damit gestorben, wodurch Kyra noch einige Stunden lang in ihrer kleinen Hütte umhergegangen war.

Erst am frühen Morgen, sobald die Sonne ihre ersten Strahlen gen Boden sandte, wurde das Wetter ruhiger. Heute, so hatte sich in ihrem Entschluss nichts verändert, würde sie erneut zum Strand aufbrechen und sich ein ordentliches zweites Bild von der Mannschaft machen. Zuvor jedoch würde sie nach Lia sehen, von der sie gestern nichts mehr gehört hatte, weshalb sie nach einem eher kargen Frühstück, das aus nicht mehr als einem Apfel und einer Handvoll Beeren bestand, in Richtung Berge aufbrach.

In diesen herrschte bereits eine lockere Stimmung, wie es meist am Morgen der Fall war. Denn scheinbar schienen die meisten Greife keine Freunde des langen Schlafes zu sein oder es kam ihr bloß so vor. Sich darüber jedoch keine Gedanken machend, steuerte sie den selben Weg an, der sie gestern schon zu Lias Hütte geführt hatte und in der sie nichts als Leere empfind. Vorsichtig blinzelte sie dennoch hinein, sah in jede spärlich beleuchtete Ecke, doch bis auf ein paar lose herumliegende Pergamente war alles wie immer.

Ihr fiel nur ein weiterer Ort ein, an dem ihre Freundin zu dieser Uhrzeit sein könnte und so sehr es ihr missfiel dort hinüber zu gehen, so wollte sie nicht gehen, bevor sie sich ausgesprochen hatten. Und so zwang Kyra sich kurzerhand dazu die kleine Hütte zu verlassen und den Hauptplatz eiligen Schrittes zu überqueren. Der Speisesaal war nicht weit entfernt und thronte bereits hier von weitem hinter der gigantischen Marmorstatue ihres Vorfahren auf. Ein Kranz aus weißen Lilien umrandete den Sockel und so sehr sie diesen Ort auch verabscheute, so sehr gefiel ihr die Bedeutung, die diese Blumen innehatten. Reinheit und Wiedergeburt. Genau das, was ihr Volk seit Ewigkeiten prägte und auf das sie stolz sein konnte.

Nachdem sie dann auch an den wenigen jungen Greifen vorbeigegangen war, die leise murmelnd ihre Köpfe ineinandergesteckt hatten, betrat Kyra den riesigen Saal, der von der aufziehenden Sonne bereits durchleuchtet wurde und ein lebhaftes Bild zeichnete. Auch, wenn das meiste hier aus Stein gehauen war, empfing sie die Wärme und Geborgenheit dieses Anblicks wie jedes seltene Mal, in dem sie hierher kam. Azurblaue, samtweiche Teppiche bedeckten den Boden, während Schemel und Bänke, genau wie die Tische auch, mit langen, weißen Tüchern zum Hierbleiben einluden und noch dazu von langen Vasen gesäumt wurden, in denen ebenso Lilien, aber auch andere Blumen standen. Der Duft, der aus der angrenzenden Küche kam, lockte sie genauso noch ein wenig länger hierzubleiben und ließ zudem ihren Magen nur wieder laut grummeln. Denn im Gegensatz zu ihrem Heim, gab es hier Tag für Tag das erlesenste Fleisch, welches von benachbarten Inseln gejagt wurde. Durch das Verbot, auf Minero zu jagen, hatte sie dieses Privileg hier nicht und hatte sich früher immer nur leise hineingeschlichen, um sich etwas zu stibitzen. Zumindest so lange, bis sie Lia getroffen hatte und seitdem immer mal wieder gemeinsam mit ihrer Freundin an einem der langen Tische saß.

Und nach eben dieser hielt sie nun Ausschau, da ihr das Geflüstere, welches bei ihrem Anblick die Runde machte, bereits jetzt bitter aufstieß. Sie hatte es schließlich früh genug verstanden. Sie war hier die merkwürdige Außenseiterin, die sich kaum blicken ließ und über die die jungen Greife lediglich Mutmaßungen aufstellten. Vollkommene Übertreibungen ihrer Meinung nach, doch tat sie auch nichts, um diese zu widerlegen. Immerhin hatte ihr Fernbleiben von der Gemeinschaft einen bestimmten Grund und sie wusste, dass es nicht viel bringen würde hierherzuziehen.

Als sie den dunklen Haarschopf ihrer Freundin schließlich ausfindig machte, seufzte sie erleichtert auf und schlängelte sich auf der Stelle zu ihr hin, nur um sich mit einem letzten kleinen Sprung auf dem leeren Platz neben ihr niederzulassen.

»Ich weiß immer noch nicht, wie du das jeden Tag hier aushalten kannst. All diese lauten Idioten auf einem Haufen ... schrecklich«, stieß sie laut die Luft aus, ehe ihr Grinsen auf ein müdes Gesicht traf, das sie lediglich mit schwerem Schweigen traf. War sie etwa noch immer wütend? Unwohl biss Kyra sich leicht auf die Unterlippe, bevor sie sich leise räusperte und ihre Unterarme auf dem Tisch ablegte. »Was ... waren das eigentlich für Pergamente bei dir? So unordentlich kenne ich dich gar nicht.«

»Nicht so wichtig. Was machst du hier?«, kam es stattdessen ruhig von Lia, die sie dabei noch immer nicht ansah und stattdessen lustlos in ihrem Müsli herumstocherte. Und nun konnte sie sich definitiv sicher sein, dass ihre Freundin noch immer sauer war, war die andere schließlich ein wahres Vorzeigebeispiel für gutes Benehmen und würde somit zumindest den Augenkontakt pflegen. Auch das unangerührte Essen machte ihr etwas Sorgen, weshalb Kyra die Arme wieder vom Tisch nahm und stattdessen Lias nahm, damit ihre Freundin sie endlich ansehen würde.

»Hör mal, es tut mir wirklich leid, was gestern passiert ist. Ich verstehe, dass es dich wütend macht, wenn ich dir etwas vorenthalte, aber ich mache das nicht aus reiner Laune heraus. Ich möchte nur nicht, dass irgendjemand hier in Schwierigkeiten deswegen kommt.«

»Was denn? Hast du etwa gegen unsere Gesetze verstoßen? Erzähl mir etwas Neues, Kyra. Etwas, das mich wirklich verstehen lässt, wieso du mir noch immer nicht die Wahrheit sagst, denn wenn du wirklich etwas verbrochen hättest-«

»Hab ich nicht, wirklich! ... Und das letzte Mal war auch nicht meine Schuld gewesen! Kann ja nichts dafür, wenn dieser Arsch mich grundlos provoziert. Aber der Kern ist der, dass es dieses Mal mehr ist als nur eine Schlägerei oder das Klauen von Keksen aus der Küche. Dieses Mal würde es jeden, der es weiß, tatsächlich mächtig in die Scheiße reiten, also vertrau mir doch bitte, dass ich dir nur nichts sage um dich zu schützen.«

Ihre Stimme hatte mittlerweile einen flehenden Klang angenommen, während sie die anderen Hände fest in ihren hielt und sich nichts mehr wünschte, als dass Lia ihr glauben würde. Deren goldene Augen hatten sich endlich hart auf ihre eigenen geheftet, um die Lüge darin zu erkennen, die gar nicht existierte. Und erst, als ihr das klar wurde, schlang sie plötzlich ihre Arme um Kyra und riss diese in eine enge Umarmung.

»Wieso hast du nur das unschöne Talent, dich ständig in Schwierigkeiten zu manövrieren...?«

»Scheint meiner Familie wohl im Blut zu liegen«, murmelte die junge Greifin mit einem hauchzarten Schmunzeln auf den Lippen, ehe sie Lia eine Armesbreite von sich drückte und ihr die sanft glitzernden Tränen von der Wange wischte. »Heißt das, du verzeihst mir?«

Ein stummes Nicken, gefolgt von einem leisen Schniefen und schon tauchte auch bei ihrer Freundin ein Lächeln auf, auch wenn es in ihren Augen etwas gezwungen wirkte. Doch da störte ihr leerer Magen die Stille und ließ sie leise grummeln, während Lia ihr ihr Müsli hinschob. »Schon gut, iss. Und weil ich weiß, wie wenig du drüben hast, hol ich uns noch eine Kleinigkeit.«

Noch bevor Kyra sie hätte aufhalten können, war Lia bereits aufgesprungen und in Richtung Essensausgabe verschwunden, sodass sie ihre Aufmerksamkeit bereits auf die volle Müslischale widmen wollte. Doch sobald sie den Löffel in die Hand nahm, stemmte sich rechts von ihr ein Arm kraftvoll auf den Tisch und keine Sekunde später tauchte die arrogant grinsende Visage eines Greifen auf, den sie leider schon viel zu lange und viel zu gut kannte.

»Kyra! Na das nenn ich doch mal eine Überraschung. Was verschafft uns einfachen Bürgern diese Ehre?«

Daerons Stimme triefte nur so vor Spott, während sie lediglich den Löffel ins Müsli tunkte und sich wenig später der frische Geschmack von Weizen und getrockneten Früchten auf ihrer Zunge breit machte. »Wonach sieht es denn aus? Ich frühstücke. Also tu mir doch bitte einen Gefallen und geh weiter Gewichte heben oder mit diesen dummen Puten flirten, die dir immerzu auf den Arsch glotzen. Aber ich kann gerne auf deine Gesellschaft verzichten.«

Es war bloß für den Bruchteil einer Sekunde, dass seine Züge sich verhärteten, ehe alles wieder beim Alten war und der unverhohlene Hass bloß noch in seinen absinthgrünen Augen flammte. »Da ist wohl jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden, hm? Oder hat der Missmut etwa was mit deiner kleinen Begegnung am Strand zu tun?«

Augenblicklich griff sie an seinen Kragen und zerrte ihn hinab, während ihre Zähne harsch aufeinander drückten. »Woher weißt du davon?« Bedrohlich leise brachte sie diese Worte hervor, doch sein Grinsen schien nur noch größer zu werden, als er sich von ihr fortriss und in die Mitte des Saales stapfte. Sofort war es mucksmäuschenstill, denn eines musste man diesem Mann lassen: er zog Menschen an wie Motten das Licht.

»Ich habe blendende Neuigkeiten zu teilen! Also hört gut zu, denn das wollt ihr euch sicher nicht entgehen lassen!«, erschallte seine kräftige Stimme, während er die Arme ausgebreitet hatte und sich mit diesem perfekten Siegerlächeln einmal um sich selbst drehte. Doch noch bevor er weitersprechen konnte, war auch Kyra aufgesprungen und verschränkte beide Arme vor der Brust.

»Ich denke nicht, dass jemanden deine ach so tollen Lügengeschichten interessieren wird. Also erspar den Leuten hier lieber deine blendenden Neuigkeiten und geh lieber mal arbeiten wie jeder tüchtige Greif in deinem Alter!«

»Sagt genau die Richtige. Wer von uns hängt denn wie ein verrückter Eigenbrödler mitten im Nirgendwo ab und trauert noch immer Mami und Papi hinterher, hm?«

Noch bevor Kyra vorstürmen konnte, hielt Lia sie plötzlich fest und redete ihr leise zu sich bitte zu beruhigen. Aber sobald ihre Eltern ins Spiel kamen, war mit ihr nicht länger zu scherzen und sie würde gerade nichts lieber tun, als diesem Schnösel sein widerwärtiges Grinsen von der Fresse zu polieren!

»Wobei ... wer weiß ob dein Vater nicht doch noch lebt und einfach keine Lust mehr hatte, sich um solch ein störrisches Kleinkind zu kümmern? Sicher waren ihm deine ständigen Prügeleien einfach zu viel und er macht sich jetzt da draußen ein schönes Leben mit seinen Piratenfreunden. So jemand hat es ohnehin nicht verdient sich einer von uns nennen zu dürfen!«

Mit einem letzten Ruck befreite Kyra sich aus Lias Griff und stürmte auf Daeron zu, dem sie endlich ihre geballte Faust entgegen hieb und dabei zuhörte, wie das Nasenbein unter der Kraft nachgab und brach. Frisches Blut lief ihm daraufhin über das untere Gesicht und voller Abscheu blickten sich beide Greife nun entgegen, beide Körper voller Anspannung und dazu bereit den Kampf nach draußen zu verlegen. Ihre Krallen blitzten bereits auf, als sich diese nun begannen leicht in ihre eigene, weiche Haut zu bohren.

»Du weißt nichts! Absolut nichts! Also nimm nur gerne noch einmal solche Worte in den Mund und ich reiße dir mit Freuden deine verlogene Zunge raus!«, brachte sie nur mit Mühe hervor, ehe sie noch auf dem Absatz kehrt machte und alles andere ignorierend nach draußen eilte.

Was noch alles im Speisesaal vor sich ging und was nun noch alles auf ihre Gerüchte hinzukam, war ihr schleierhaft und noch dazu mehr als egal. Sie brauchte gerade einfach einen Ort, an dem sie alleine sein konnte, um nichts und niemanden zu verletzen. Denn die Wut in ihr brodelte unaufhaltsam und drohte fast an die Oberfläche zu kommen. Bereits zu oft war ihr dies passiert und sie würde den Teufel tun solche Fehler nun zum hundertsten Mal zu wiederholen!

Mit diesen Gedanken lief sie einfach weiter in die dichten Wälder hinein, war dabei aber nicht auf dem Weg zu ihrer Hütte. Stattdessen lief sie weiter und bog in noch dichteres Unterholz, riss sich an den rauen Wurzeln entlang und bog schließlich auf einen breiten Pfad ein, an dessen Ende ihr bereits der Klang fließenden Wassers entgegen kam. Und sobald sich das tiefe Blätterdach lichtete, offenbarte sich der Greifin eine große Quelle, die von einem rauschenden Wasserfall gespeist wurde, auf dessen Klippen sie als Kind oft gesessen hatte. Heute jedoch blieb sie unten, riss sich unwirsch die wenigen, kurzen Klamotten von ihrem Leib, streifte die Stiefel ab und stürzte sich kopfüber in das eisige Nass, welches ihren Körper sogleich wie eine dunkle Schneedecke umgab und ihre Haut prickeln ließ.

Der kurze Schmerz war eine willkommene Ablenkung und nachdem Kyra einige Atemzüge lang unter Wasser geblieben war, durchbrach ihr Kopf nach wenigen Minuten die Oberfläche. Die Augen dabei geschlossen und das Gesicht gen Himmel gereckt, an dem die Sonne noch immer für Wärme sorgte. Dabei bemerkte sie nicht einmal, wie sich das perlende Wasser mit ihren Tränen vermischte und sich gemeinsam in der Quelle fand, welche für einen Sekundenbruchteil von einem mystischen Leuchten durchdrungen wurde. Ein Leuchten, das sie kaum bemerkte und welches sofort wieder verschwand, sobald sie die Lider vorsichtig öffnete.

Vater ... wo bist du bloß?

Alte Erinnerungen brandeten auf die junge Greifenfrau ein, doch noch bevor sie sich diesen hingeben und alten, friedlichen Zeiten nachtrauern konnte, ließ sie eine fremde Stimme voller Panik innehalten.

»Habich dich also endlich gefunden, Federchen.«     

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