24. Let Her Go

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Für ein letztes Mal fanden sie sich zu einer Bühnenprobe ein.

Diesmal würde es ihre Generalprobe sein, mit Lichtern, den Kostümen und auch dem Farbpulver, das Axca symbolisch eingeplant hatte.

Das Orchester war nicht so laut wie sonst, weniger Blättchen oder Notenständer fielen zu Boden und auch Coran konnte man langsam die Anspannung anmerken. Es herrschte eine merkwürdige Stimmung, eine Mischung aus Angst, Vorfreude und brodelnder Nervosität.

Man konnte es in der Luft schmecken, es war wie ein Knistern, das leise knackte und Funken entzündete.

Lance liebte diese Stimmung, liebte das Blubbern unter seiner Haut, das Flattern seines Herzens und den Durst nach den Scheinwerfern auf seiner Haut. Er liebte das Geräusch, das ein Saal voller Menschen kreierte, selbst, wenn sie still waren. Es war, als könne man Leben hören.

Alleine der Weg zurück nach Hause, wo er sich vor dem Auftritt ausruhen würde, hatte etwas Besonderes an sich. Das Wissen, dass er wieder zurück ins Joan Sutherland Theater kehren würde, um am Abend zu tanzen, ließ alles irgendwie irreal erscheinen.

Tage an denen er auftrat sog er immer wie eine Droge in sich hinein, sie ließen ihn leben, auch, wenn sie gleichzeitig wie ein Traum erschienen.

Der Abend kam schneller als erwartet, die Sonne stand zwar noch nicht so tief, aber es war schon Zeit, schließlich würden die Tänzer schon eine Dreiviertelstunde früher da sein müssen, um letzte Ratschläge anzunehmen, die Kostüme anzuziehen und sich ausgiebig zu dehnen.

Auch, wenn es noch eine Weile hin sein würde, bis die Zuschauer in den Saal gelassen werden würden, tummelten sich schon etliche Menschen auf dem Platz vor dem Opera House und in der Eingangshalle des Theaters.

Es war wie immer ein bizarres Gefühl, zwischen ihnen allen hindurch zu gehen, mit dem Wissen, dass sie erst später erkennen würden, dass er einer der Darsteller war.

Oder konnten sie es aus seiner Sporttasche und der Alltagskleidung schließen?

Oder daraus, dass er einen anderen Weg nahm, als alle anderen, hinunter in die Vorbereitungsräume der Künstler?

Als er bei Romelle und Allura ankam, glaubte er, eine Bombe würde in ihm gezündet werden, die Energie staute sich langsam an und er hatte das dringende Bedürfnis, sich zu bewegen.

Aufregung war tatsächlich etwas Besonderes, auch, wenn sie gruselig sein konnte.

Doch zum Glück schien er nicht alleine damit zu sein, beide Mädchen waren mindestens genauso nervös und rastlos wie er, das konnte man alleine schon daraus schließen, dass sie sich an den Händen gefasst hatten und wild durcheinanderredend auf der Stelle herumhüpften, als er hereinkam.

Sie dehnten sich, bemühten sich jedoch, nicht zu viel zu tanzen oder zu springen, damit ihnen noch genügend Energie für den Auftritt blieb. Ihre Köpfe waren voll und leer zugleich, ihre Geister ruhig und aufgewühlt wie die See bei Sturm.

Dann legten sie ihre Kostüme an, wobei sie darüber noch so gut es ging ihre normale Kleidung zogen, um ihre Muskeln warm zu halten. Romelle bestand darauf, ein Foto zu machen, da sie alle etwas lächerlich aussahen, vor allem die Mädchen, die Jogginghosen unter ihren federleichten Röcken trugen und viel zu geschminkt waren dafür, dass sie sich in Pullis gekuschelt hatten.

Auch Lance hatte sich geschminkt, stärker als eigentlich nötig, doch es musste schließlich durch den ganzen Saal auf Abstand erkennbar sein.

Gerade, als sie in die Kamera grinsten, ging die Tür auf und die ersten Orchestermitglieder kamen herein, um sich ebenfalls vorzubereiten. Sie brachten eine neue Welle an Nervosität mit, die jedoch davon gelöst wurde, dass sie zu lachen begannen, als sie ihre drei Tänzer in deren Aufmachung erblickten.

Schnell glichen sich ihre Launen aus, bis eine konzentrierte und dennoch ausgelassene Stimmung herrschte, immer wieder durchsetzt von Musik, als die Orchestermitglieder ihre Instrumente aufwärmten. Rege Unterhaltungen strichen durch den Raum, der mit jedem Projektmitglied, das eintrat, enger wurde.

Von nebenan waren immer wieder Tonleitern und einzelne Töne zu hören, da dort gestimmt wurde und man konnte bei den Musikern eine Routine erkennen, die sich durch etliche Bühnenauftritte eingebürgert hatte.

Auch, wenn die Tänzer noch ihre bequeme Kleidung trugen, hatten die anderen sich schon vor ihrer Ankunft in Schale geworfen. Sie verströmten eine seriöse und erwachsene Aura, wirkten ernster als sonst, reifer und auch professioneller.

Wie er sie alle hier so stehen sah, erkannte Lance, dass Coran vermutlich die zukünftigen Größen der Musikwelt zusammengesucht hatte.
Ein Schauer überkam ihn und er hatte das Gefühl, als würde er jetzt erst realisieren, wie bedeutend das alles eigentlich war, auch, wenn sie im Vergleich zu anderen Ballettaufführungen und Konzerten eine sehr geringe Mitgliederzahl hatten.

Es würden Leiter von den weltweit größten Ballettkompanien hier sein, es würden Dirigenten hier sein, von denen er bis jetzt nur ehrfürchtige Geschichten gehört hatte, und Allura, Romelle und er würden tanzen. Sie würden tanzen im Joan Sutherland Theater, auf einer der Bühnen, von denen er sein Leben lang geträumt hatte, vor einem Publikum, das mehr als eintausendfünfhundert Menschen umfasste. Über ihr Projekt würde in Kulturmagazinen geschrieben werden, Kritiken würden in Zeitungen erscheinen, Fotos würden geschossen werden, es würden noch weitaus mehr Menschen als die eintausendfünfhundert im Saal erfahren, was sie aufgeführt hatten, weltweit würde davon berichtet werden, und wenn sie einen Fehler machten, würde der überall aufgezeigt werden, alle würden davon erfahren, und-

„Hey", riss Keiths Stimme ihn aus seinen Gedanken, bevor er seine mühsam zusammengekratzte Ruhe verlieren konnte. Lance sah auf und begegnete seinem Blick, suchte kurz Schutz in diesen dunklen, sanften Augen. „Alles gut?", fragte der Musiker besorgt, „du bist ... etwas blass um die Nase."

„Echt? Oh ... nein, alles- alles gut, eigentlich", murmelte er, lachte nervös und rieb sich über den Nacken, „An Nervosität müsste ich eigentlich schon gewöhnt sein, also ist das schon okay."

Keith schien nicht überzeugt zu sein, doch er nickte und wandte sich seinem Geigenkoffer zu, den er auf dem Tisch abgelegt hatte, an dem Lance lehnte. Mit vertrauten Handgriffen öffnete er die Klappverschlüsse und legte das Innere des Koffers offen, ausgekleidet mit einem weinroten, samtigen Stoff. Seine Geige thronte darin, festgeschnallt mit ein paar Riemen.

„Hast du das Ding poliert?", fragte der Tänzer amüsiert, als ihm das frische Glänzen des Holkörpers auffiel, auf dem sonst immer ein paar Fingerabdrücke oder Flecken zu sehen gewesen waren.

„Ja?", der Violinist warf ihm einen leicht irritierten Seitenblick zu, eine Augenbraue gehoben. Erst da fiel Lance auf, dass er seine Haare nach hinten gekämmt und mit Gel oder Spray fixiert hatte.

„Und du hast dich entschlossen, der Welt die Stirn zu bieten!", rief er beinahe schon aus. Es war vergeblich, sich ein Lachen zu verkneifen.

„Ja?", fragte Keith erneut, als wolle er Lance auffordern, ihm sein Problem mitzuteilen, doch der Tänzer schüttelte nur grinsend seinen Kopf, eine Hand vor den Mund gelegt.

„Hör mal", seufzte Keith dann und hob seine Hände, „wenn es mies aussieht, sag es einfach, ich-"

„Oh nein, stopp!", gerade noch rechtzeitig hatte der Braunhaarige nach seinen Händen gefasst und hielt ihn davon ab, sich die schwarzen Strähnen auseinander zu zupfen. „Nein, nein, nein, das lässt du so", bestimmte er, ein Leuchten ließ seine Augen glänzen, „Es sieht klasse so aus!"

„Wirklich?"

„Natürlich!", erwiderte er fast schon entrüstet und ließ Keiths Hände wieder los, um seinen Körper hoch und runter zu gestikulieren, „Ich meine, schau dich an! Du- du-", er stockte und suchte immer noch nach Worten, als Allura sich zu ihnen gesellte, ein Lächeln auf den Lippen.

„Du hast es geschafft", ließ sie Keith amüsiert wissen, während in Lance alles noch hing und nicht weiterlief, „So sprachlos ist er selten."

Sie klopfte ihrem Freund auf die Schulter, was ihn ein wenig aus seiner Starre zu holen schien.

„Sag ihm einfach, dass er gut aussieht", schlug sie Lance vor, als hätte sie so etwas schon öfter machen müssen. Dem Tänzer kroch die Röte leicht auf die Wangen.

„Du siehst gut aus", wiederholte er an Keith gewandt, der nicht wusste, ob er ebenfalls rot anlaufen, oder lachen sollte. Er entschied sich für beides.

„Danke", grinste er also leicht schüchtern, während ihm die Hitze ins Gesicht schoss. Allura lachte kopfschüttelnd über sie beide, ehe sie ihren Weg fortsetzte, zu Lotor, der ebenfalls gerade erschienen war und leicht verzweifelt zu überlegen schien, wo er in diesem Menschenauflauf sein Cello unterbringen konnte.

Während Lance ihr schweigend hinterher sah, widmete Keith sich wieder seinem Instrument und verschwand kurz darauf in dem Nebenzimmer, um in Ruhe Stimmen zu können.

Es dauerte nicht lange, bis sie sich in einem der Probesäle zusammenfinden sollten und Coran mit Axca vor ihnen stand.

Die junge Komponistin trug ihre blauen Haare offen, sodass sie ihr um den Kragen ihres Blazers strichen. Ihr Seitenscheitel saß perfekt und ihre hohen Schuhe klackerten um Achtung heischend, wenn sie lief. Ihr Anzug stand ihr hervorragend und betonte ihre hohe, schlanke Gestalt. Sie sah fantastisch aus.

Coran war genauso wie das Orchester in Schwarz und weiß gekleidet, wobei er sein Jackett offen über dem strahlend weißen Hemd trug. Sein Schnauzer sah frisch gekämmt aus und seine Schuhe glänzten poliert. Zum ersten Mal sah er für Lance wirklich so aus, als wäre er ein Dirigent. Keine hässlichen Hawaiihemden, keine ausgetretenen Flip-Flops, nein, Coran strahlte vor Professionalität und einer konzentrierten Stärke.

„Es ist soweit!", rief ihr Dirigent und bei seiner großen Armbewegung und seiner vorfreudigen Stimme war wieder der alte Coran zu erkennen, der energiegeladene Mann, der sie freudestrahlend durch die anstrengenden Proben geführt hatte, „Gerade in diesem Moment setzen sich die Zuschauer auf ihre Plätze! Wir haben alles vorbereitet, alles doppelt und dreifach geprüft, und nun kann nichts mehr schief gehen! Ich glaube an euch, ich weiß, dass ihr das schafft. Nicht umsonst habe ich monatelang um die Welt telefoniert und manche mehrmals bearbeiten müssen, damit sie kommen."
Er warf vor allem ihren Perkussionisten einen Blick zu. Ezor kicherte.
„Wir haben gemeinsam wochenlang geprobt und jetzt ist es endlich soweit! Zeigen wir ihnen, was wir erarbeitet haben!"

Er begann zu klatschen und nach kurzem Zögern stimmten auch die anderen ein, bis sie sich gegenseitig für ihre Mühen applaudierten.

Dann trat Axca vor und es senkte sich Stille über den Raum.

Lance wusste nicht genau, warum, ob es an ihrer Kleidung lag oder daran, dass sie ihr Kinn stolz erhoben hatte, dass sie sich nicht scheute. Oder daran, dass sie ihr Stück geschrieben hatte, dass sie sie ohne Nachlass verbessert hatte, dass sie aus Shanghai hierhergekommen war, um ihrer Vision ein Bild zu geben.
Doch Axca war das Herz ihres Projektes, kühl und gefasst strahlte sie dennoch ein rastloses Feuer aus, und als sie sie nun alle nacheinander ansah, fühlte der Tänzer sich ein wenig, als wäre sie ihr General und würde ihnen nur ihre letzten Anweisungen geben, bevor sie in den Krieg ziehen würden.

„Ich habe vor zweieinhalb Jahren nicht schlafen können", erzählte sie und hätte sie nicht gesprochen, hätte man eine Stecknadel im Raum fallen hören können, „Es war für die Verhältnisse Shanghais eine dunkle und ruhige Nacht. Und in mir regte sich etwas.
Ich hatte zuvor schon ein paar Mal Stücke geschrieben, für mich alleine, ohne sie jemandem zu zeigen. Bloß einmal habe ich an einem Wettbewerb teilgenommen.
Doch in dieser Nacht konnte ich nicht schlafen und es juckte unter meiner Haut, das, was in mir vorging, aufzuschreiben. Also habe ich das Solo geschrieben."

Sie warf Keith einen Blick zu und Lance spürte, wie der Musiker sich neben ihm ein wenig aufrichtete.

„Eigentlich handelte die Melodie davon, dass ich nicht wusste, was ich mit meinem Leben machen sollte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte und war zwischen zwei Ideen hin und her gerissen. Daraus wurde das Solo geboren."

Sie schwieg kurz und Lance fiel auf, dass sie trotz ihrer Gefassten Haltung die Hände hinter ihrem Rücken fest verschränkt hatte. Beinahe weiß strahlten ihre Knöchel hervor und verrieten, dass sie vielleicht am nervösesten von ihnen allen war. Doch sie festigte ihren Stand und fuhr fort:

„Ich schrieb die ganze Nacht durch, einsam und alleine, nur die Kopfhörer auf meinem Kopf und meinen Laptop vor mir nahm ich wahr. Ich schrieb den nächsten Tag durch und verpasste dabei ein Vorstellungsgespräch bei einer Musikhochschule. Ich war in meinem vorletzten High-School Jahr, aber wenn man sich einen Studienplatz sichern wollte, musste man sich schon früh einschreiben. Ich verließ mein Zimmer nur fürs Nötigste.
Nach und nach begann sich eine Idee in mir zu regen. Es war eigentlich nicht geplant, dass das Ganze mit Tänzern aufgeführt wird."

Sie musterte kurz ihre drei Darsteller, die auf der Bühne stehen würden und sie sahen ihr entgegen, eingepackt in ihre Jogginghosen und Pullis, doch nicht minder stolz, dass sie sich für sie entschieden hatte.

Allura war genauso gefasst wie Axca, hatte ihr Kinn gehoben und erinnerte Lance einmal wieder daran, warum einer ihrer Spitznamen inzwischen „Prinzessin" war. Romelle hatte ein Lächeln auf den Lippen und im Licht der Lampen glaubte Lance, Tränen in ihren Augen glitzern sehen zu können. Das war schon immer Romelle gewesen, eingenommen von Momenten, die sie berührten, begann sie immer zu weinen, wenn die Gefühle sie übermannten. Sie lebte wahrscheinlich intensiver als die meisten Menschen, die er kannte.
Lance selber nickte der jungen Komponistin leicht zu, bedacht und mit dem festen Versprechen in seinem Blick, ihre Vorstellung so gut wie möglich wahr werden zu lassen.

„Ich schrieb meine gesamte Abschlussphase hinweg an dem Stück, feilte an der Geschichte, versuchte, sie sich besser in der Musik wiederspiegeln zu lassen", erzählte Axca weiter, „Und als ich am Abend vor meinem Abschlussball fertig wurde, als ich etliche Male alles durchgegangen war und nichts mehr zu Verbessern gefunden hatte, war es, als würde ich nach Monaten ins Leben zurückkehren. Ich hatte es geschafft", sie nickte ein paar Mal zu sich selber, „Ich hatte etwas erschaffen, und in mir verlangte alles, es wahr werden zu lassen. Also suchte ich nach jemandem, der mir dabei helfen konnte. Und ich fand Coran."

Mit einem warmen Lächeln machte sie eine Bewegung zum Dirigenten, dessen Augen vor Stolz zu schmelzen schienen.

„Wir telefonierten zuerst und er schien der Richtige zu sein. Unsere Ideen ähnelten sich und er war engagiert und bereit, selbst die verrücktesten Dinge durchzusetzen. Also bin ich nach Sydney gekommen. Heimlich und ohne das Wissen meiner Eltern bin ich abgereist. Sie hätten mich sonst nie gehen lassen."

Mit leisem Erschrecken stellte Lance fest, dass nun auch in ihren Augen Tränen glitzerten und ihm wurde klar, dass es viele Dinge gab, die sie über Axca noch nicht wussten.

„Ich habe alles hinter mir gelassen, alle Chancen auf ein Studium in den angesehensten Universitäten Chinas und bin nach Sydney gekommen, um Coran zu treffen. Ich war vollkommen erschöpft und wusste, dass meine Eltern meine Entscheidung nicht gutheißen würden. Und dann erwartete mich dieser Mann am Flughafen", sie lachte leicht ungläubig auf und deutete erneut auf Coran, „Mit einem Bart, wie ihn kaum einer in China trug, alten Schuhen und dem hässlichsten Oberteil, das ich je gesehen habe."

Coran schnaufte empört auf, doch die anderen lachten, während Axca eine schüchterne Träne über die Wange rollte. Sie lächelte und schniefte leise, als Ezor und Nadia vortraten, um sie in den Arm zu nehmen. Romelle folgte ihnen und gemeinsam standen sie bei der Neunzehnjährigen, während diese fortfuhr:

„Er war der Kulturschock in Person, aber einer der herzlichsten Menschen, die ich je kennenlernen durfte. Gemeinsam machten wir uns an die Arbeit. Er war derjenige, der die Idee gehabt hatte, das Ganze zu einem Projekt werden zu lassen, bei dem wir jungen Musikern aus aller Welt die Möglichkeit geben, sich zu präsentieren. Es war ein fantastischer Gedanken und so haben wir uns auf die Suche gemacht. Worauf ich bestanden habe, war, dass wir Arima als Pianisten haben."

Der junge Mann wurde leicht rosa, doch verbeugte sich dankend. Sie erwiderte die Geste.

„Ewigkeiten haben wir nachgeforscht, um diejenigen mit dem größten Potential zu finden, wo auch immer sie waren. Die Telefonate hat Coran übernommen, während ich die letzten Entscheidungen getroffen habe. Und nach und nach seid ihr zusammengekommen. In meinem Kopf füllten sich die Instrumentalstimmen mit Namen und ich konnte es nicht erwarten, endlich mit den Proben zu beginnen. Worauf Coran bestanden hatte, war, dass wir euch drei als Tänzer nehmen. Er war bei einer Aufführung der Academy gewesen und ihr wolltet ihm alle drei nicht mehr aus dem Kopf gehen."

Coran nickte ihnen voller Stolz zu und nun begann auch Romelle zu schiefen, während etwas in Alluras Augen strahlte, wie Lance es nie zuvor gesehen hatte.

„Und dann haben wir begonnen, einen Tag, nachdem mich meine Eltern angerufen hatten, um mir mitzuteilen, dass ich enterbt wurde. Zumindest machen sie nicht mehr irgendwelche Sachen, um mich aufzuhalten", beruhigte sie das empörte Gezischel, das aufgekommen war, „Und es war fantastisch.
Deshalb danke ich euch allen, ihr habt alles dafür getan, um meinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Ihr habt ihn perfektioniert mir eurem verspäteten Erscheinen zu Proben, eurem Gelächter, das jedes Mal so laut im Gang hallt, dass wir schon einmal eine Beschwerde bekommen haben und dem Lärm, den ihr veranstalten könnt, wenn ihr euch aufwärmt."

Ein „Aww" ging durch die Reihen der Musiker und sie grinste schniefend, wie sie noch nie gegrinst hatte.

„Ich bin gerade glücklich, wie selten", sagte sie, „Und egal, was heute oder morgen oder übermorgen passiert, ich werde so glücklich bleiben. Egal, was irgendwelche Leute sagen, ich weiß, dass ihr fantastisch seid und einen tosenden Applaus verdient. Ihr habt hart gearbeitet. Wir alle haben hart gearbeitet. Deshalb werden wir heute Abend mit den Sternen um die Wette strahlen.
Danke für alles."

Unter dem Klatschen aller Anwesenden und dem Pfeifen von ein paar Orchestermitgliedern wurde sie in der Umarmung der drei Mädchen zerquetscht und der Raum hallte, als sie ihrer jungen Komponistin zujubelten, die sich ihnen heute so gezeigt hat, wie sie war. Nicht distanziert oder zurückgezogen, wie es manchmal schien, sondern als genauso emotionsgeladen wie sie alle.

Ihre Wege trennten sich kurz darauf, Allura folgte dem Orchester unter die Bühne, und auch Romelle stand nicht neben Lance hinter der Bühne, weshalb sie sich noch einmal umarmten.

„Wir sehen uns auf der Bühne", grinste Romelle, und auch Allura wisperte einen kurzen Abschiedsgruß, ehe die drei Tänzer in verschiedene Richtungen gingen, um pünktlich beginnen zu können, wie sie es geprobt hatten.

Keith hatte Lance in dem Tumult nur noch ein Lächeln zugeworfen, warm wie die Sonne, und der Tänzer hatte es mit Schmetterlingen im Bauch erwidert.

Seine Nervosität hatte sich gelegt, hatte sich zusammengerollt in seinem Magen, wo sie nur noch angenehm schnurrte. Zuversicht hatte sich stattdessen in ihm ausgebreitet, gemeinsam mit Vorfreude kribbelte sie in seinen Gliedern, während er zu seinem Startplatz lief, von wo aus er beginnen würde.

Er stand nun im linken Bühneneingang, versteckt hinter dem Vorhang und einer Ecke des Bühnenbildes. Der Saal war erfüllt vom Stimmengewirr vieler Menschen, dem Rascheln von Kleidung und dem Stühlerücken, das aus dem Orchestergraben nach oben drang, als die Musiker ihre Plätze einnahmen. Applaus brandete auf, als die Anwesenden erkannten, dass das Orchester hereingekommen war und die Lautstärke des Klatschens ließ eine Gänsehaut über Lance' Rücken streichen.

Wie viele Menschen würde er sehen können?

Wie würde es sich anfühlen, wenn sie am Ende klatschten, würde der Bühnenboden erzittern?

Langsam kehrte Ruhe ein. Axca war im Graben bei den Musikern. Das hatten sie so entschieden, sicherheitshalber, falls etwas passieren sollte.

Die Ruhe legte sich über den Saal und Lance hatte Corans Bild vor Augen. Wie der Dirigent seine Musiker ansah, darauf wartete, dass sie zurückblickten, darauf wartete, dass er die Aufmerksamkeit aller hatte. Wie er sicher ging, dass es jedem gut ging, dass jeder alles geben konnte, dass sie alle bereit waren.

Und beim Heben seiner Arme würden sie ihre Instrumente ansetzen.

Und wenn er einzählte, würden die Bühnentechniker den Vorhang sich öffnen lassen.

Ein leises Rucken ertönte über Lance und die Stoffbahnen begannen sich zu bewegen, gerade als der erste Ton die gespannte Stille zerriss.

Es ging los.

---

Lance war geblendet.

Er war geblendet von dem Gefühl der Freiheit.

Egal wie oft sie geprobt hatten, egal, wie oft sie den Ernstfall nachgeahmt hatten, es war immer etwas anderes, mit Publikum zu tanzen.

Wirklich sehen konnte er nur die vorderen Reihen, der Rest des Zuschauerraumes verschwand in einem Meer aus schwarzen Schatten und dunklen Schemen. Und dennoch lag etwas in der Luft, etwas bewegte sich, umschloss ihn und er konnte die Blicke hunderter Menschen auf sich liegen spüren.

Alle Nervosität, jedes bisschen Angst war verschwunden. An ihren Platz traten etwas, das sich wie Fliegen anfühlte, etwas Federleichtes, Atemloses, Freudiges, Ungezügeltes.

Es war Freiheit, wie er sie nur erlebte, wenn er tanzte.

Der Bühnenboden war nicht zu hart, nicht zu weich, die Musik des Orchesters war wunderschön und umgab die Tänzer zuverlässig, stützte sie, begleitete sie, ließ sie schweben.

Die Scheinwerfer waren heiß und hell, doch versicherten sie Lance nur, dass sein Körper warmgehalten werden würde.

Seine Arme und Beine, sein Rücken und seine Brust, er war sich vom Haaransatz bis zu den Zehen jeden Teil seines Körpers bewusst, wusste, was er tat, wusste, wie er sich bewegte, wusste, wie er aussah.
Es war eine Freiheit, die er nur durch diese Kontrolle seiner Gliedmaßen erreichen konnte, so paradox es auch klingen mochte.
Selten fühlte er sich so im Besitz seines Körpers, selten fühlte er sich so lebendig.

Und er war nicht der einzige, dem es so ging, auch Allura und Romelle schienen zu fliegen, er konnte es in ihren Augen lesen, in dem Strahlen, das sie erfüllte, in ihrem leuchtenden Lächeln, dass sie dem schwarzen Meer vor sich schenkten, an der Kraft mit der sie tanzten.

Dass sie dieses Gefühl zu dritt teilten, war wohl das schönste an der gesamten Aufführung. Es schweißte sie zusammen, ließ sie zu einer Einheit werden, vertiefte ihre Freundschaft und ihr Vertrauen ineinander.

Es war wunderschön.

Wie ein Wirbel strich die erste Hälfte viel zu schnell vorbei, in einem Strudel aus Tanzschritten, Lampenlicht und dem Flattern ihrer Kostüme.

Und als die Scheinwerfer abgedunkelt wurden und der Vorhang zugezogen wurde, erfuhr Lance, dass der Bühnenboden erzittern konnte, vor Applaus.

Leider war es ihm nicht möglich, einen Blick darauf zu erhaschen, wie viele Menschen ihnen zusahen, da der Vorhang sich schon längst geschlossen hatte, als die Lichter im Saal wieder angeschaltet wurden, doch das Stimmengewirr, das nun wieder langsam einsetzte, zeugte von vielen, vielen Seelen.

Er wandte sich zu Romelle und Allura zu und sah, dass sich sein Lächeln in ihren Gesichtern widerspiegelte.

Doch keiner von ihnen brauchte zu versuchen, das, was in ihnen vorging, zu beschreiben, jeder wusste, was der andere fühlte. Also grinsten sie nur und machten sich zu dritt auf den Weg in den Backstagebereich, von wo aus sie in den Gang hinunterlaufen würden, in dem der Eingang zum Orchestergraben lag.

Schon als sie die Treppen hinunterliefen, war das wilde Durcheinandergerede der Musiker zu hören, die sich wohl alle auf einmal versuchten, durch den Türrahmen zu quetschen. In einer großen Traube schafften sie es letztendlich, in den weiß gestrichenen Flur zu stolpern, wo die Tänzer sich kopfschüttelnd, aber grinsend erwarteten.

„Was auch immer ihr macht, ich habe das Gefühl, dass es fantastisch ist!", rief Ezor Romelle zu und sprach damit die Gedanken aller aus, während sie zur blonden Tänzerin lief, „Ich weiß nicht was passiert, aber jedes dumpfe Poltern, das von oben zu hören ist, ist im Takt und ich habe ernsthaft Gänsehaut bekommen, als wir deinen Einstiegsteil gespielt haben!" Sie schauderte erneut und umfasste ihre Arme.

Ein paar letzte Orchestermitglieder kamen aus dem Graben heraus, unteranderem Shay, Keith und Axca, die einen Finger auf die Lippen legte und sie ermahnte, nicht so laut zu sein, da es erstens im Gang hallte und man zweitens durch die geöffnete Tür alles im Zuschauerraum hören konnte. Schließlich war der Orchestergraben dazu da, den Klang effektiv weiterzuleiten.

Die Fagottistin gesellte sich zu Lance und warf Ezor einen amüsierten Blick zu.

„Sie hat Recht", meinte sie dann jedoch ein wenig ernsthafter, „Mir geht es genauso, ich hab auch das Gefühl, dass heute alles noch besser läuft, als bei jeder Probe. Habt ihr euch irgendwie gedopt, oder was ist passiert?"

Sie lachten und unterhielten sich weiter über den bisher unglaublich guten Auftritt, als Keith nun auch nähertrat.

Hier, im hellen Licht des Ganges und nun auch ohne die Nervosität fiel Lance nur einmal mehr auf, wie unglaublich gut der Violinist heute Abend aussah. Wie auch immer er auf die Idee gekommen war, sich das Haar aus dem Gesicht zu kämmen, der Tänzer hätte nie gedacht, dass es ihn so attraktiv erscheinen lassen könnte.

Shay ging kurz darauf weiter, um sich mit Axca über die Sitzplatzverteilung zu unterhalten, um herauszufinden, wo ihre Familie sitzen könnte.

Lance und Keith blieben zurück und der Braunhaarige betrachtete sein Gegenüber nochmal ein wenig, während dieser mit halbem Ohr dem Gespräch von Lotor, James und Ryan lauschte.

In diesem Moment konnte er sich einfach nicht vorstellen, dass irgendetwas schief gehen sollte, wenn er Keith von seinen Gefühlen erzählte. Nicht bei dem Blick, mit dem der Schwarzhaarige ihn in letzter Zeit betrachtete, nicht mit diesem Lächeln, das immer in seinen Augen lag, wenn er ihn ansah.

„Und, bereit, dem Publikum die Stirn zu bieten?", fragte er leise und spielte damit auf Keiths Erscheinen auf der Bühne an, mit dem die zweite Hälfte des Stücks beginnen würde.

Das Solo. Ihr gemeinsamer Höhepunkt.

Keith hob seinen Blick, um ihm in die Augen sehen zu können und schnaubte leise, während sich ein kleines Lächeln auf seinen Lippen ausbreitete.

„Ich war noch nie so bereit, glaub mir", erwiderte er, und Lance hatte vollkommen die Zeit vergessen, doch es mussten nun schon fünfundzwanzig Minuten vergangen sein, da Coran die Musiker wieder hineinwinkte.

„Dann pass bloß auf, dass du nicht mit dem Spielen aufhörst, wenn ich tanze", grinste Lance, als auch Keith sich zum Gehen wandte und der Musiker hob amüsiert eine Augenbraue.

„Pass du eher auf, dass meine Frisur dich nicht beim Tanzen genauso zum Stocken bringt, wie sie es beim Sprechen geschafft hat", erwiderte er schmunzelnd und es blitze schon wieder dieses Etwas in seinen Augen auf, das Lance jedes Mal den Atem raubte.
„Achso, und", er stoppte nochmal, bevor er verschwand und drehte sich wieder halb zum Tänzer um, „ich habe gehört, dass sie den Scheinwerfer für mich austauschen mussten. Nicht, dass weiße Oberteile plötzlich durchsichtig werden."
Mit einem Grinsen im Gesicht verschwand er und ließ Lance leicht sprachlos zurück.

Mit einem Mal war der Tänzer sich hundertprozentig sicher, dass absolut gar nichts schief gehen würde, wenn er seine Karten offen auf den Tisch legen würde.

Dieses Gefühl ließ ihn leicht erstaunt zurück und mit einem wahrscheinlich etwas dümmlichen Lächeln auf den Lippen machte er sich auf den Weg zurück zur Bühne.

Der Vorhang war noch geschlossen, doch das Loch im Bühnenboden zeigte, dass Keith schon bereit war, hochgefahren zu werden. Und das laute Stimmengewirr im Saal bestätigte, dass die Zuschauer wieder ihre Plätze einnahmen. Als die Lichter wieder abgedunkelt wurden und sich Ruhe über den Saal legte, ging er in Position.

Bei der ersten leisen, tragenden Note, die aus dem Orchestergraben zu ihnen hinauf drang, ruckelte es über ihm erneut und der Vorhang wurde aufgezogen, während auch die Plattform unter Keith begonnen haben musste, sich in Bewegung zu setzen.

Die ersten richtigen Tanzschritte begannen erst, als der Violinist zu spielen begann.

Keiths Melodie strahlte klar und kräftig im Licht der Scheinwerfer und es sah aus, als würde ein Engel aus schwarz und weiß aufsteigen, als er sichtbar für Lance und das Publikum nach oben gefahren wurde.

Und Lance' Körper reagierte auf die Musik, als würde sie ihn leiten, als wäre er eins mit ihr, jeder Tanzschritt in seine Muskeln eingraviert, ein Ergebnis von stundenlangen Proben. Er ließ sich führen von Keiths Spiel, ließ sich darin fallen, schwebte in der Schwerelosigkeit, die er erzeugte.

Seit Atem ging mit den Phrasen der Musik, sein Körper spannte und entspannte sich mit Keiths, sie waren eins in diesem Moment, ein Kunstwert aus Bewegung, Musik, Kraft und schwarz und weiß und grau.

Der neue Scheinwerfer ließ das weiße Hemd des Musikers zum Glück nicht durchsichtig werden, doch es ließ ihn strahlten wie einen Stern.
Selten hatte er den Violinisten so präsent erlebt, so konzentriert und aufmerksam und dennoch versunken in der Musik und ihrem Effekt. Und doch, auch, wenn Keith wie in seiner eigenen Welt gefangen schien, konnte Lance seinen Blick auf ihm liegen spüren, konnte spüren wie er seinen Bewegungen folgte und ihn kein einziges Mal losließ, da er schon wusste, wohin er sich wenden würde. Ein aufmerksamer Blick, ebenfalls antrainiert in Stunden von gemeinsamen Proben.

Obwohl sie eigentlich für das Publikum da waren, obwohl es eigentlich gerade darum ging, anderen zu zeigen, was sie eingeübt hatten, war es, als würde es in dem Moment nur sie beide geben.

Nur sie beide, Keith und Lance, Lance und Keith, auf einer Bühne, irgendwo, egal wo, versunken in einer Welt, die man nicht erfassen konnte, in einer Art Zwischendimension, in einem Ort zwischen Zeit und Raum, da, wo nichts anderes zählte als dieses Gefühl und der Wind, der sie beide einzunehmen schien.

Sie teilten nicht viele Blicke, doch die, in denen ihre Augen aufeinandertrafen und sich verhakten, sprachen mehr als tausend Worte. Alle Antworten lagen in ihren, alles, was sie sich mitteilen und versichern wollten, alles, was unausgesprochen zwischen ihnen hing.

Lance hoffte, dass es nicht zu offensichtlich war, dass keinen von ihnen die vielen Menschen kümmerte, denen ihre Aufmerksamkeit eigentlich gelten sollte.

Es war ein berauschendes Gefühl, zart und dennoch mächtig, das den Tänzer durchströmte, und es hielt ihn den gesamten Rest des Abends gefangen, hielt sein Herz fest umschlossen.
Egal, ob Keith wieder von der Bühne verschwand, ob er selber zwischen Romelle und Allura hin und her geworfen wurde, ob Farbpulver in der Luft glitzerte und er sich bemühte, sich nicht daran zu verschlucken- es begleitete ihn auf Schritt und Tritt und ließ ihn sich leichter fühlen als eine Feder und dennoch geerdet.

Es stand an seiner Seite, als das Stück mit einem dramatischen Akkord endete und Applaus losbrach, der ihn beinahe zusammenzucken ließ.
Es hielt ihn an seiner Hand, während er sich mit Allura und Romelle freudestrahlend verbeugte, ließ ihn auch nicht los, als Erleichterung, Glück und Stolz seine Systeme fluteten.
Es beobachtete ihn, während auch Coran und Axca auf die Bühne kamen, um ihren Applaus entgegen zu nehmen, blieb, als auch das Orchester gebührend gewürdigt wurde, war immer an seiner Seite, egal, wie oft er wieder auf die Bühne trat und sie wieder verließ.

Als der Vorhang endgültig für diesen Abend fiel und die Lichter im Publikumssaal ein letztes Mal angeschaltet wurden, umarmte es ihn gemeinsam mit Romelle und Allura, lächelte, während sie lachend die Aufführung Revue passieren ließen und folgte ihnen hinunter in den Gang unter der Bühne.

Anstatt auf die Musiker zu warten, liefen sie so schnell wie möglich in den Raum zurück, wo sie ihre Sachen inmitten der verschiedenen Instrumentenkoffer liegen gelassen hatten und tranken so viel sie konnten, da keiner von ihnen in der Pause daran gedacht hatte. Ihre Kostüme waren verschwitzt und Alluras Rock war an einer Stelle gerissen, als sie über den Boden gerollt war.

Die Mädchen verschwanden gleich in den Umkleidekabinen und Lance blieb alleine im Raum zurück und beobachtete die Musiker, wie sie alle nacheinander eintraten, Erleichterung und Freude auch in ihren Gesichtern, zusammen mit einem unbändigen Stolz.

Das Gefühl hatte sich in sein Herz eingenistet, flatterte vorfreudig und wisperte ihm glückliche Dinge zu, als der Violinist gemeinsam mit Ryan den Raum betrat.

Es breitete sich bei Keiths Anblick in seinem Körper aus, füllte jede Pore von ihm, und als er dann den Musiker mit einem Lächeln auf seinem Gesicht auf sich zulaufen sah, stand sein Entschluss fest.

"Hey", begrüßte Keith ihn, und sein dunkles Haar bildete einen wunderbaren Kontrast zu seinem weißen Hemd. Seine Augen strahlten. "Schön getanzt."

Auf Lance' Gesicht breitete sich ebenfalls ein Lächeln aus und sein Herz wurde warm. Am liebsten würde er dem Musiker hier und jetzt um den Hals fallen, das Gefühl in ihm drängte ihn beinahe schon dazu, aber alle anderen waren auch hier und wenn er Keith seine Gefühle gestehen wollte, dann lieber unter vier Augen.

Der Dunkelhaarige hatte sich dran gemacht, seine Geige in den Koffer zu packen und nahm gerade sein Handy in die Hand, als Lance ihn kurz antippte, um seine Aufmerksamkeit zu bekommen.

"Ähm, also erst Mal, schön gespielt", gab er das Kompliment etwas spät zurück und lachte verlegen. Der Musiker nickte mit einem höchst amüsierten Grinsen. Er war wunderschön.
"Ich wollte, äh, kurz mit dir reden", begann Lance nun doch etwas stockend und gestikulierte schlampig in Richtung Tür, "Würde es dir etwas ausmachen, kurz, äh, irgendwo hin zu gehen, wo wir - ehrm - ungestört wären?"

Man konnte es beinahe schon hinter Keiths Stirn rattern hören, ein kleiner Unglaube lag in seinen Augen, während er Lance' Worte verarbeitete. Auch, wenn ein leises Wissen in ihm aufkeimte, bemühte er sich, diese Gedanken aus dem Weg zu schieben, bevor er unvorbereitet mit etwas anderem konfrontiert wurde. Doch er nickte und folgte dem Tänzer aus dem Raum, sein Handy, das er wie alle anderen in den Hinterräumen hatte lassen sollen, wieder anschaltend, um zu sehen, ob er neue Nachrichten bekommen hatte.
Während Lance den Gang nach einem ungestörten Raum absuchte, begannen die Nachrichten, seinen Bildschirm zu fluten.

83 verpasste Anrufe, 42 ungelesene SMS.
Das meiste war von seinem Vater, auch Shiro hatte ein paar Mal angerufen und geschrieben, der Rest war von einer unbekannten Nummer.

Etwas musste passiert sein.

Mit einem Mal waren alle Gedanken über Lance wie aus seinem Kopf gewischt, verdrängt von dem eisigen Wasser, dass in seine Adern geschüttet wurde.

Etwas musste geschehen sein, während er aufgetreten war, oder zumindest in dem Zeitraum, in dem sein Telefon ausgeschaltet gewesen war. Etwas war geschehen. Jemandem aus seiner Familie.

Und wenn er nur Nachrichten von seinem Vater und Shiro bekommen hatte, musste es um seine Mutter gehen.

Ein Tropfen Angst mischte sich ins kalte Wasser und breitete sich Sinnflutartig in seinem gesamten Körper aus.

Was war geschehen?

Lance, der tatsächlich ein kleines Zimmer gefunden und sich nervös in die Mitte des Raumes gestellt hatte, überlegte bei dem besorgten und beunruhigten Blick des Musikers, ob er das Ganze vielleicht verschieben sollte. Keith schien gerade etwas ganz anderes zu beschäftigen, die freudige Röte war von seinen Wangen gewichen. Er war blass geworden.
Doch, wenn er das Ganze jetzt abbrechen würde, dann würde ihn wahrscheinlich der Mut verlassen und die Chance gerade war vielleicht auch nur einmalig-

"Also", räusperte er sich und bekam dadurch wieder Keiths Augen dazu, ihn anzusehen, "Ich weiß nicht, ob das jetzt der richtige Moment ist, oder, ob sich das vielleicht irgendwie auf die nächsten beiden Auftritte auswirken könnte, aber ich dachte mir, dass du es wissen solltest, weil es mich in letzter Zeit durchgängig beschäftigt hat."

Er hatte nicht wirklich das Gefühl, dass Keith ihm gerade zuhören wollte, die Augen des Schwarzhaarigen lagen zwar auf ihm, aber sie schienen irgendwie durch ihn hindurch zu sehen. Es sah nicht so aus, als würde er auch nur ein bisschen von dem, was er sagte, in sich aufnehmen. Seine Finger umklammerten beinahe krampfhaft das Mobiltelefon in seiner Hand.

Eigentlich sollte ich aufhören, dachte Lance, doch er hatte nun angefangen und es würden Fragen aufkommen, wenn er es jetzt abblies, also fuhr er fort:

"Ähm, ja, was ich sagen wollte, ist, dass-"

In dem Moment begann das Telefon in Keiths Händen zu klingeln und seinen Augenbrauen zogen sich besorgt zusammen, während seine Augen sich mit einem kleinen Entsetzen weiteten.

"Ich muss da- Ich muss da drangehen", murmelte er, warf Lance noch einen kurzen, abwesenden und dennoch entschuldigenden Blick zu, ehe er abhob und sich wegdrehte, um in eine Ecke des Zimmers für mehr Privatsphäre zu gehen.

"Ja?", konnte Lance ihn sagen hören, seine Stimme war etwas höher als sonst und so ruhig, dass es nur gespielt sein konnte. Es folgten Worte von der anderen Seite des Gesprächs und langsam übertrug sich die Besorgnis des Musikers auch auf ihn.

"Was ist passiert? Nein, hör mir zu, es ist okay, sag mir einfach, was passiert ist", redete Keith auf den Gesprächspartner ein. Seine Tonlage war nun wieder normal und er klang eigentlich ganz ruhig, gefasst sogar, doch unten drunter konnte man ein Beben von Angst heraushören.

Was war passiert?

Ein tiefes, leicht wackliges Seufzen war zu hören.

"Okay, okay, ja, ich weiß, ich hatte gerad die erste Aufführung, das hab ich euch doch gesagt! ... Was?! Aber- wie? ... Okay, ja, darum werde ich mich kümmern, keine- ... Hör zu, alles wird gut, vor allem, wenn sie sagen, dass sie jeden Moment aufwachen- ... Ja, ich weiß, dass sie sich auch täuschen können, Papa, sie sind auch nur Menschen, aber sie machen ihren Job nicht umsonst, die wissen besser, was sie sagen, als du."

Ein Seufzen, während er der anderen Person am Ende der Leitung - seinem Vater - zuhörte.

Lance stand noch da, wo er vorher gestanden hatte, nun die Arme um sich geschlungen und Unruhe seine Systeme flutend.
Keiths gesamte Haltung war angespannt, er schien schon fast krampfhaft mit seiner Linken seinen rechten Ellenbogen zu umfassen und die Fingerknöchel seiner rechten Hand waren weiß geworden, so fest hielt er das Gerät an seinem Ohr.

"Ist Shiro bei dir?", fragte er als nächstes und nickte bei der Antwort, "Gut. Hat er was zum Essen geholt? ... Gut ... Nein, mach dir keine Sorgen, ich weiß, dass es schlimm aussehen muss- nein, lass das Motorrad doch einfach mal Motorrad sein, das ist jetzt nicht wichtig! ... Ja, dann sag ihnen halt, dass sie es bei uns in der Garage abliefern sollen! ... Papa, hör mir zu, um das Fahrzeug kümmer ich mich sobald ich da bin, ja? ... Ja, natürlich nehme ich den nächsten Flug, ich weiß aber nicht, wann der geht, da muss ich dann schauen."

Um die in ihm angestaut Energie los zu werden, begann Keith nun, leicht mit der Faust gegen die weiße Wand zu pochen, mal leicht, mal heftiger. Das Geräusch füllte dumpf und rhythmisch den Raum.

"Ich melde mich bei Shiro, wenn ich angekommen bin, versuch bitte zu schlafen, ja? Es wird alles gut, ich bin auf dem Weg. ... Ja, hab dich auch lieb, und iss was, ja? ... Okay. Tschüss."

Lance glaubte für einen Moment, sich das Brechen in Keiths Stimme am Ende des Telefonats eingebildet zu haben, schließlich hatte er zuvor noch so geklungen, als könnte er sich beherrschen, als hätte er alles unter Kontrolle. Doch als der Schwarzhaarige sich nun wieder zu ihm umdrehte, standen Tränen in seinen Augen und er sah alles andere als ruhig und gefasst aus.

"Ich hab dir ja erzählt, dass meine Mutter sich mein Motorrad ausgeliehen hat", erklärte er leise, sein Blick wanderte über den Boden, bevor er sich an Lance hochangelte, "Sie hatte einen Unfall und wacht nicht mehr auf. Die Ärzte sagen, dass sie jeden Moment wieder zu sich kommen könnte, aber die können das ja auch nicht hundertprozentig wissen."

Seine Stimme brach und in dem Moment, in dem die erste sorgenvolle Träne rollte, war Lance bei ihm und schloss ihn in seine Arme.

"Ich muss nach Tokio", schniefte Keith in die Schulter des Tänzers, der ihm in kreisenden Bewegungen über den Rücken strich, "Mein Bruder ist schon da, er wollte schließlich mit meinen Eltern zur zweiten Aufführung kommen, aber mein Vater ist ein absolutes Nervenbündel und ich sollte für sie da sein."

Lance drückte ihn sachte an sich und auch, wenn die Situation im Grunde genommen nicht so schön war, genoss er es, dass der Violinist sich mit beiden Armen fest an ihn klammerte und sein Gesicht in seiner Halsbeuge vergrub.

Es machte etwas mit ihm, Keith so zu sehen, so planlos, voller Angst und Besorgnis. Und das, was es mit ihm machte, war nicht schön.

Alles war in den Hintergrund gerückt worden, alles, was er vorgehabt hatte, das gesamte Schloss an Gefühlen und Erwartungen, das er aufgebaut hatte, alles zu Staub zerfallen, in sich zusammengebrochen.

Keith ging es nicht gut. Und er würde nach Tokio fliegen, mit dem nächsten Flug, so bald wie möglich.

"Okay", murmelte er nach einer Weile, sein Gehirn war am Arbeiten, "Was hältst du davon, wenn wir dir dein Zeug schnappen und du so schnell wie möglich zu deinen Großeltern fährst? Auf dem Weg dorthin schickst du mir nochmal die Adresse, ich hol dich dann dort ab.
Pack dir einen Rucksack mit dem Nötigsten, vergiss deinen Reisepass nicht und das andere Zeug, das du brauchst, um über die Grenzen zu kommen.
Bis ich dich abhole, werde ich dir den nächsten Flug nach Tokio raussuchen und dich dann zum Flughafen fahren, der ist zum Glück nicht so weit weg.
Okay?"

Keith schniefte, doch nickte dann. "Okay", murmelte er, "Okay."

Er schien ein wenig erleichtert, dass zumindest einer von ihnen einigermaßen klar denken konnte.

Lance ließ sich sagen, wo genau Keiths Sachen lagen, sodass der Musiker nicht selber in den anderen Raum gehen und sich mögliche Fragen anhören musste. Bevor also einer der anderen Mitwirkenden etwas bemerken konnte, hatten beide schon das Gebäude verlassen, Lance ein wenig später, da er zuerst das Kostüm hatte loswerden müssen. Sie waren unbemerkt vorbeigehuscht, hinaus, weg von den anderen, und fuhren nun auf dem schnellsten Weg nach Hause.

Und weniger als eine Stunde später saßen sie im großen Familienwagen der McClains, auf dem Weg zum Flughafen, von dem aus der nächste Flug nach Tokio in eineinhalb Stunden gehen würde.

Das Ticket wurde ohne Probleme gekauft und trotz seiner Müdigkeit, die ihn immer nach Auftritten übermannte, entschied der Tänzer sich, noch zu warten, bis Keith in den Flieger gehen konnte.

Aneinandergelehnt saßen sie auf einer der vielen Sitzgelegenheiten der großen Wartehalle, jeweils eines der Sandwiches in der Hand, die Lance schnell irgendwo aufgetrieben hatte, damit sie beide zumindest ein wenig zu Abend aßen.
Sie warteten.

"Tut mir leid", wisperte Keith, sodass er zwischen all den anderen hallenden Klängen um sie herum kaum zu hören war. Seine Stimme war rau und erschöpft, und ein paar Strähnen seiner Haare fielen ihm in die Stirn. "Wer weiß, ob ich bei einem der nächsten Auftritte anwesend sein werde."

Daran hatte Lance auch schon gedacht und, um ehrlich zu sein, bereitete der Gedanke ihm Bauchschmerzen. Aber es würde keinem von ihnen geholfen sein, wenn er Keith nun Vorwürfe machen würde, dass er sich entschlossen hatte, zu gehen. Außerdem hatte er selber schließlich auch nicht versucht, den Schwarzhaarigen aufzuhalten.

"Das wird schon", antwortete er also leise, "Kümmere du dich um deine Mutter und den Rest deiner Familie, ich kläre das mit dem Projekt."

"Okay", seufzte der Violinist leise und ließ es zu, dass der Tänzer einen Arm um ihn legte und ihn näher an sich zog.

"Was wolltest du mir eigentlich vorhin sagen?"

"Das", meinte Lance und versuchte, die Bitterkeit und Resignation in seiner Stimme zu verstecken. Jetzt konnte er nicht mehr damit kommen. "Das kann nun warten. So wichtig war es nicht, gerade haben wir andere Prioritäten."

Keith warf ihm zwar einen leicht skeptisch-besorgten Blick zu, doch beließ es dabei.
Stattdessen spielte er nervös mit dem Saum seiner Handschuhe, die er wieder trug, und für eine Zeit lang klappten ihm sogar die Augen zu.

Ihre Wartezeit war bald vorbei, Lance weckte den müden Musiker mit kleinen Stupsern auf und begleitete ihn noch, soweit er konnte.

Als sie sich voneinander verabschiedeten, nahm er Keiths Gesicht in seine Hände und betrachtete den Schwarzhaarigen besorgt. Er sah fertig aus, müde und erschöpft, ausgelaugt und nicht mehr im Stande, einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn, ihn festzuhalten.

Kurz zögerte er, doch dann beugte er sich vor und gab ihm einen Kuss, federleicht und sorgenvoll, traurig und müde vom Warten.

Im Blick seines Gegenübers zogen etliche Emotionen vorbei, Erstaunen sie alle dominierend, doch schnell schwappte die Besorgnis wieder über sie hinweg und auch seine Brauen, die sich für einen kurzen Moment entspannt hatten, zogen sich wieder zusammen.

Er war tatsächlich nicht in der Lage, sich auf das zwischen ihnen zu konzentrieren, erkannte Lance und eine kalte Hand umfasste sein Herz.

"Sieh mich an", murmelte er und der zuvor wieder weggleitende Blick des anderen fokussierte sich wieder, "Sie wird aufwachen. Ich regle alles hier, mach dir keine Sorgen.
Schlafe auf dem Flug, du wirst es brauchen. Iss auch was, du darfst dich nicht vernachlässigen. Alles wird gut."

Wie in Trance nickte der Dunkelhaarige.

Sie umarmten sich ein letztes Mal und während Keith die letzten Schritte ging, um an Bord des Flugzeugs zu kommen, sah Lance ihm nach, sah dem Mann nach, in den er sich so sehr verliebt hatte, und sah zu, wie er ihn alleine ließ.

Als Keith mitsamt seinem zerknitterten Anzug aus seiner Sicht verschwand, fühlte er sich, als würde er jeden Moment in Tränen ausbrechen.

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Sobald der Braunhaarige wieder im Auto saß, seufzte er leise und zog sein Handy heraus.

So gut wie jeder aus ihrer Freundesgruppe hatte geschrieben. Allura, genauso wie Romelle, hatte sogar angerufen und selbst von Axca und Coran waren verpasste Anrufe aufgezeichnet worden.

Es wunderte ihn nicht, schließlich hatten sie Keith nicht mehr gesehen, seit er mit ihm verschwunden war, und Lance war sich sicher, dass sein Blick, als er ihre Sachen aus dem Raum geholt hatte, Bände gesprochen hatte.

Er scrollte durch seine Kontaktliste, doch entschied sich dann um. Jetzt würden ihm seine besorgten Freunde nicht weiterhelfen können, ein Gespräch mit Allura konnte warten.

Also ging er zurück an den Anfang der Liste und wählte Axcas Namen aus.

"Hallo?", hob diese nach nur einem Klingeln ab.

"Hey", er seufzte leise, die Müdigkeit lag schwer in seinen Knochen, "Lance hier. Wir müssen reden. Es geht um Keith. Er sitzt in einem Flugzeug nach Tokio."

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