26. Jungle

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Den ganzen Flug über stand Keith wie unter Strom.

Sein Vater war ein wenig zu durcheinander gewesen, als dass er ihm klar und deutlich hatte sagen können, was passiert war. Dies war auch der Grund, warum der Violinist nun nach Tokio flog, nur mit dem Wissen, dass seine Mutter einen Unfall gehabt hatte, aktuell im Koma lag und sein Motorrad zu Schrott gefahren worden war.
Keiths Vater war normaler Weise ein gutmütiger und gefasster Mann- zwar nicht so eiskalt realistisch wie seine Mutter manchmal, aber auch kein Träumer.
Hieß, wenn er die Fassung verlor, musste sie wirklich schlimm aussehen.

Nervös auf seiner Lippe herumbeißend, sah Keith aus dem Fenster in die Dunkelheit hinaus.

Wer wusste, mit was Lance nun zu kämpfen hatte, wenn er den anderen Projektmitgliedern ihre Lage erklären musste.

Sie würden sauer sein, kein Zweifel.

Wahrscheinlich würden sie ihm auch das Gehalt kürzen- doch gerade könnte es ihn nicht weniger kümmern.

Was auch immer seine Mutter angestellt hatte, es sah ihr nicht ähnlich, einen Unfall zu bauen. Sie war eine sichere Fahrerin, zwar etwas impulsiv, doch nie so halsbrecherisch und unberechenbar, dass es ihr gefährlich kommen könnte.

Hätte er gewusst, dass sowas passieren würde, hätte er ihr sein Motorrad niemals ausgeliehen. Doch wer hätte schon wissen können, dass sie in einen so schweren Unfall verwickelt werden würde, dass sie ins Koma fiel?

Niemand.

Und doch fühlte er sich schuldig, während er, den Kopf auf die Hand gestützt, aus dem Fenster sah und die Wolken beobachtete, wie sie vorbeizogen.

---

Die zusammengesackte Gestalt seines Vaters erkannte Keith schon, als er um die Ecke des Ganges bog, in dem seine Mutter stationiert war. Das kantige Kinn des großen Mannes war ihm auf die Brust gesunken und die wirren Haarsträhnen hingen ihm langsam ergrauend in die Stirn. Eines seiner Beine war stolperfallenreif in den Weg gestreckt, das andere war in einem ungelenkigen Winkel nach außen hin zur Seite gekippt.
Er sah kaum mehr so aus, wie Keith ihn in Erinnerung hatte, die Energie und Lebensfreude, die er sonst immer in ruhigen Wellen ausgestrahlt hatte, waren verschwunden. Zurückgeblieben war jemand, den er nur noch als gebrochenen Mann bezeichnen konnte. Es bereitete ihm Übelkeit.

Neben seinem Vater saß Shiro, in die Lektüre eines dünnen Buches vertieft.

Als er Keith näherkommen hörte, sah sein älterer Bruder auf und ein kleines Lächeln erhellte sein Gesicht, während es sein Buch zur Seite legte und aufstand, um den Jüngeren in seine Arme zu schließen, als dieser angekommen war.

Keith schloss seine Augen und sog mit einem kleinen Lächeln den Geruch seines Bruders auf- alt und bekannt und unverändert. Shiros Umarmungen waren schon immer die eines Bären gewesen und nun, da er als Erwachsener vollends in seinen Körper gewachsen war, waren sie nur noch schöner, angenehm warm und herzlich. Zuhause.

„Hey", ertönte an Keiths Ohr, und er drückte seinen Bruder nur noch mehr an sich, glücklich, ihn wieder in Fleisch und Blut vor sich zu haben.

„Hallo", murmelte er, „Wie geht's ihr? Gibt's was Neues?"

Sie ließen sich wieder los und der Ältere schüttelte seufzend den Kopf, einen Blick hinunter auf ihren Vater werfend. Keith tat das gleiche und konnte nicht verhindern, dass sein Herz sich zusammenzog.

Ihr Vater war immer eine konstante Figur der Kraft in ihrem Leben gewesen, ein Ruhepol, ein Fels in der Brandung, zu dem sie immer zurückkehren konnten. Ihn jetzt so zu sehen tat weh.

„Vor drei Stunden haben sie erneut gesagt, dass sie jeden Moment aufwachen sollte, jetzt ist es vielmehr so, dass sie nicht wissen, wann sie wieder zu sich kommt. Kann also sein, dass das hier noch zehn Wochen so geht, wir wissen es nicht", erzählte Shiro leise und Keith drückte seine Unzufriedenheit darüber in ein paar unterdrückten Flüchen aus.

„Aber, aber", meinte Shiro mit einem leicht schrägen Grinsen, auch wenn die Sorge dunkle Ringe unter seine Augen gezeichnet hatte, „Ausdruck, Keith, Ausdruck."

Er grinste breiter, als sein jüngerer Bruder ihm einen genervten Blick zuwarf, doch seine Miene glättete sich schnell wieder, bis Besorgnis aus ihr sprach.

„Wie wäre es mit einem Kaffee? Und etwas Gebäck?", schlug er vor, „Du siehst müde aus."

„Vielen Dank auch", grummelte der Musiker über diesen Hinweis, doch nickte dann zustimmend. Tatsächlich könnte er etwas im Magen vertragen.
Und was hatte Lance ihm eingeschärft? Zu essen.

Also folgte er Shiro, nachdem sie ihrem Vater eine kleine Notiz dagelassen hatten, durch die kahlen Gänge des Hospitals, die nach Desinfektionsmittel, Schmerzen und beruhigenden Ärzten rochen.

Die Cafeteria war so gut wie leer und sie setzten sich an einen der Randtische, beide mit einem dampfenden Pappbecher Kaffee und Keith zusätzlich mit einer süß gefüllten Teigtasche. Wahrscheinlich Rotebohnenpaste oder dergleichen.

„Also, was genau ist passiert?", wollte der Musiker wissen und nippte ab und zu an der schwarzen Brühe, während er aß und Shiro erzählte.

Ihre Mutter war auf dem Weg nach Hause gewesen, als sie mit einem Auto kollidiert war, das die Kontrolle auf der nassen Straße verloren hatte. In ihrer Geistesgegenwärtigkeit hatte sie sich noch rechtzeitig von ihrem Fahrzeug gestürzt, bevor sie unter dem Motorrad und dem Auto begraben wurde, und war in den Straßengraben gerollt.
Doch durch den Schwung hatte sie sich ein paar Mal übel den Kopf gestoßen - ein Helm schien wohl doch nicht alles abzufangen - und eine Gehirnerschütterung davongetragen. Laut den Ärzten war auch eine Kniescheibe vom Aufschlag gebrochen und der linke Ellenbogen angeknackst. Außerdem war sie wohl in einen kaputten Maschendrahtzaun gerollt und hatte sich beim Versuch, aufzustehen, dort auch noch verletzt.
Bewusstlos war sie erst geworden, als die Ärzte sie gefunden hatten, was nur wieder von ihrem unbrechbaren Willen zeugte, der sie wachgehalten hatte, bis sie sich sicher sein konnte, dass sie in guten Händen war.

„Und seit ihrer Operation vor mehreren Stunden ist sie nicht mehr aufgewacht", schloss Shiro, seufzte tief und starrte in seinen Pappbecher hinein.

Keith leckte sich mit nicht minder düsterer Miene den Puder von den Fingerspitzen.

„Hätte nicht gedacht, dass du so schnell herkommst", murmelte Shiro dann, „Ich dachte, du hast noch zwei Konzerte und das wäre deine "ganz große Chance"."

Doch Keith schnaufte bloß.

„Wer mir verbietet, meine Familie zu sehen, wenn sie mich braucht, kann mich mal kreuzweise", brummte er und seufzte dann. „Es wäre auch ein wenig unfair den anderen gegenüber gewesen, wenn ich mit meinen Gedanken anderswo gewesen wäre", erklärte er etwas ruhiger, „Es wäre unhöflich. Außerdem, was wäre, wenn Mama aufwacht und ich nicht da bin? Das wäre ja, als wäre sie mir nicht wichtig genug."

Darauf nickte sein älterer Bruder und sparte es sich diesmal, den Violinisten auf seine Wortwahl aufmerksam zu machen.

„Aber", setzte er dann vorsichtig an, „was machen sie jetzt ohne dich? Denn nun bist du ja nicht nur geistig weg, sondern komplett."

Keith wusste was er meinte. War es besser gewesen, sie ganz alleine zu lassen?

Er hob zögerlich die Schultern.

„Lance wird ihnen die Situation erklären. Und dann- keine Ahnung, Axca hat ihre Computeraufnahmen noch, die können sie einbauen, wenn sie auf die erste Geige nicht verzichten wollen. Dann können die Tänzer darauf tanzen und dann ist das Solo auch noch da und-"

Er stoppte.

Wenn er nicht anwesend war, hatten die anderen keine erste Geige. Das hieß, dass sie eine komplette Stimme des Stückes verloren hatten, zusätzlich zum Solisten.
Wenn sie keine erste Geige hatten, mussten sie also die Aufnahmen hinzunehmen, denn ohne eine komplette Stimme würde etwas Entscheidendes fehlen. Außerdem brauchten sie das Solo, es war einer der Höhepunkte des Stücks.
Wenn sie nun die Komposition des Computerprogrammes dazunehmen würden, dann müssten sich alle an dieses Gerät halten und das Orchester müsste sich an etwas binden, mit dem es noch nie zuvor gespielt hatte. Coran könnte nicht nach Belieben ausgemachte Noten länger ziehen, damit die Tänzer ihre Bewegungen entspannter ausführen konnten, sie müssten praktisch Teile der Choreo umschreiben.

Und wenn er nicht da war, würde auch Lance auf eine Aufnahme tanzen müssen.

Mal ganz abgesehen davon, dass sie nun den Organisatoren erklären mussten, dass sie nicht nach der Pause ein Loch auf dem Bühnenboden entstehen lassen konnten- Lance hatte Schwierigkeiten zu der Aufnahme des Solos zu tanzen.

Wenn Lance also Schwierigkeiten auf der Bühne haben würde, und sich alle würden umstellen müssen, dann würde die Aufführung-

„Oh Gott, was habe ich getan?", wisperte der Musiker und sah seinen Bruder entsetzt und hilfesuchend an, die Hand vor den Mund geschlagen. „Ich habe sie alle im Stich gelassen, obwohl wir gemeinsam monatelang darauf hingearbeitet haben. Und ich habe Lance im Stich gelassen, obwohl ich weiß, dass er ohne live Spiel nicht gut klar kommt.
Und er hat mir auch noch gesagt, dass ich gehen soll..."

Schock machte sich in ihm breit, zusammen mit Entsetzen und Scham, da ihm jetzt erst klar geworden war, was für Konsequenzen seine Tat wirklich haben würde.

Er hatte Lance im Stich gelassen.

Etliche Flüche ausstoßend vergrub er sein Gesicht in den Händen, seine Gedanken rasten.

Es war nicht, dass er glaubte, der andere würde ohne sein Spiel komplett verloren sein. Er persönlich war sogar davon überzeugt, dass Lance eigentlich genauso gut zu einer Aufnahme tanzen könnte, doch da der Tänzer nicht dieser Meinung war, würde er nun vor einem riesigen Berg an Ungewissheit stehen. Lance würde nicht glauben, dass er das schaffen konnte, er würde unter Druck und Stress stehen, würde wahrscheinlich proben, so viel er konnte, würde sich nicht genügend ausruhen, wie es sich nach einem Auftritt gehörte.
Er würde unglaublich nervös sein.
Und Keith verbot sich, zu denken, dass der andere sogar Angst haben könnte, die Tanzfläche zu betreten.

Das wollte er nicht verantworten.

„Ich dachte, es wäre in Ordnung und das Richtige", hauchte er verzweifelt, „Lance hat so reagiert, als wäre es das, was ich tun muss, er hat mich sogar zum Flughafen gefahren und mit mir gewartet, ich dachte, es wäre okay, und-"

„Warte kurz", unterbrach Shiro ihn da und hob die Hand, seine Stirn in leichte Falten gekräuselt, „Mit Lance meinst du schon diesen Balletttänzer, oder? Der, von dem du mir erzählt hast?"

Keith nickte und zu seiner Überraschung begann Shiro, zu lachen und schüttelte leicht verzweifelt den Kopf über seinen jüngeren Bruder.

„Kein Wunder, dass du dich so darüber fertig machst, wenn es um ihn geht", grinst er und Keiths Miene verdüsterte sich. Doch Shiro kümmerte das nicht, er lachte weiter.
„Da hast du deinen Worten nach zu schließen einen fantastischen Kerl gefunden, der dich so sehr mag, dass er alles stehen und liegen lässt und jedes Negativszenario auf sich nimmt, um dir zu helfen. Und du merkst es noch nicht einmal." Sein Körper bebte vom Lachen.
„Wirklich, Keith, wenn du ihn nicht heiratest, werde ich ein ernsthaftes Wörtchen mit dir reden müssen."
Er grinste, als der Violinist rot anlief.

„Hast du wenigstens zuvor mit ihm gesprochen, wie ich es dir aufgetragen hatte?", wollte er dann wissen.

„Ich- hm ... nein", grummelte der Jüngere und sah nun auf die Tischplatte, sodass er nicht beobachten konnte, wie das Lächeln aus Shiros Gesicht fiel.

„Was?", hustete dieser und sah ihn ungläubig an, „Was?"

„Ja- also, ich- es- es ist einfach nicht dazu gekommen", murmelte Keith und knibbelte an den Nähten seiner Handschuhe, „Eigentlich wollte ich ihm jetzt in diesen Tagen etwas sagen, aber, naja."

Seine Stimme wurde immer leiser, bis er verstummte, doch seine Gedanken rasten. Und dann erinnerte er sich.

„Oh Gott", stöhnte er und ließ seinen Kopf mit einem Fluchen auf die Tischplatte fallen, sodass der Aufprall dumpf in seinem Schädel widerhallte.

Lance hatte nach dem Auftritt mit ihm reden wollen.

Er hatte ihn mit in einen anderen Raum geschliffen, wo sie alleine sein konnten, privat, unter sich, nur sie beide. Und er war auf eine nervöse Weise leicht über seine Worte gestolpert, Lance, der so gut wie nie nervös oder unsicher war, hatte seine Finger geknetet und hatte ihm leicht vorsichtige, schnelle Blicke zugeworfen, hatte leicht besorgt und verwirrt ausgesehen, da Keith seinem Handy mehr Aufmerksamkeit geschenkt hatte, als ihm, und-

„Shiro", flüsterte er und konnte die Verzweiflung nicht aus seiner Stimme verbergen, „Shiro, bitte, rette mich, erschieß mich, oder was weiß ich, steck mich auch in ein Koma, lass mich mit dem kaputten Motorrad vor einen Zug fahren- ich hab Scheiße gebaut."

Ein leises Seufzen - das Große-Bruder-Seufzen - war zu hören und ein Stuhl kratzte über den Boden, ehe er Shiros Körperwärme neben sich und seine Hand auf der Schulter spüren konnte.

„Wenn du mir keine Begründung dafür lieferst, kann ich schlecht sagen, ob so ein Prozedere für dich angemessen wäre", meinte er auf seine vernünftige, leicht amüsierte und dennoch verständnisvolle Weise.

Diesen Ton hatte er schon oft bei Keith anschlagen müssen, vor allem, als dieser noch jünger gewesen war. Oft war er in Situationen hineingerannt, ohne nachzudenken, hatte getan, was ihm in den Kopf gekommen war und erst später gemerkt, dass es vielleicht nicht ganz ideal gewesen war, Kaulquappen in seinen Schuhen nach Hause zu schleppen und sie in ihrer Toilette leben zu lassen.

Also erzählte Keith ihm alles, schilderte in den kleinsten Einzelheiten die Situation und verfluchte sich regelmäßig für seine taktlose Dummheit und sein unhöfliches Verhalten.

„Weißt du", setzte sein Bruder an, als er geendet hatte und Keith konnte das unterdrückte Grinsen in seiner Stimme hören, „Du bist ein Idiot."

„Danke", grummelte der Dunkelhaarige, „das wusste ich schon, bevor du diese Tatsache so gefühlvoll ausgesprochen hast."

Der andere lachte.

„Schau mal, Keith", meinte er und nahm einen Schluck seines Kaffees, ehe er fortfuhr, „Du hast selber gesagt, dass alles danach aussah, als würde Lance das Thema anreißen wollen. Du hast am Telefon so geklungen, als wärst du dir ziemlich sicher, dass es ihm genauso geht, wie dir.
Also, was ist das Problem?"

„Was das Problem ist?", fauchte Keith und setzte sich ruckartig auf, um die Hände in die Luft zu werfen, „Das verdammte Problem ist, dass ich ihn mag und ihn mit vollem Bewusstsein in diese Situation gezogen habe!
Wie glaubst du, geht es ihm dort in Sydney?
Oder liegt es bei dir an der Tagesordnung, dass man Menschen, die man mag, einfach in eine Schlangengrube stößt und dann mit einem Hubschrauber davonfliegt?"

„Warst du dir denn vollends bewusst, was deine Handlung für Folgen haben würde?", entgegnete Shiro nur mit einer hochgezogenen Augenbraue. „Wusstest du, wie es ihm gehen würde, oder ist es dir jetzt erst aufgefallen?"

Der Violinist wollte schon antworten, doch schloss dann den Mund wieder.

Shiro machte ihn in den meisten Situationen nur noch wütender. Einfach mit der Tatsache, dass er immer Recht hatte.

„Nein", murmelte er, „Mir ist nicht eingefallen, dass das so werden würde."

„Eben", nickte der Ältere und stach ihm mit dem Zeigefinger leicht in die Schulter, „Und hast du ihn „einfach" in die Schlangengrube gestoßen?"

Auch hier schüttelte Keith den Kopf.

„Ich habe mir leichte Sorgen gemacht", murmelte er, „Ich habe mich entschuldigt. Er- er hat gesagt, dass ich mich nicht darum kümmern soll, dass er alles organisieren wird."

„Na siehst du", bekräftigte sein Bruder und stach erneut mit dem Finger auf ihn ein.
„Hiermit bist du nun vom Idiotismus geheilt", verkündete er mit einem abermaligen Stechen feierlich.

Doch Keith rollte eine kleine Träne des Schuldgefühls über die Wange.

„Er hat mir einen Abschiedskuss gegeben", wisperte er.

„Was? Wohin?"

„Auf den Mund."

Ein Klatschen folgte, als Shiro sich gegen seine Stirn schlug.

„Okay, vielleicht bist du doch nicht ganz geheilt", grummelte er und verdrehte die Augen.

„Genau, drück's mir noch rein", brummte Keith, doch sein großer Bruder lachte nur leise.

"Ich kann schon sehen, wie kitschig eure Hochzeit wird, wenn du dich jetzt so wehmütig daran erinnerst und er das tatsächlich durchgezogen hat", grinste er, „Wahrscheinlich werde ich mich wegen zu viel Kitsch übergeben müssen!"

„Wer redet denn von-!", das Gerangel, das entstand, als Shiro lachend versuchte, seine kleinen Schlag- und Boxattacken abzuwehren, erinnerte Keith an ihre Kindheitstage, an die Zeit, wo er tagtäglich von seinem großen Bruder aufgezogen worden war.

Vieles änderte sich nicht, auch, wenn man älter wurde.

Wie immer hatte Shiro es geschafft, ihm die Schuldgefühle ein wenig zu nehmen, ihm zu zeigen, dass es nicht so schlimm war, wie es sich für ihn anfühlte, er hatte seine Tränen versiegen lassen und ihn zum Lachen gebracht. Und die Neckerei hatte er beinahe schon begonnen, zu vermissen.

Auch, als sie wieder in den Gang, in dem sie ihren Vater zurückgelassen hatten, einbogen, lag ein leises Lächeln auf Keiths Lippen und die Röte von Shiros leicht anzüglichen Bemerkungen war ebenfalls noch nicht verschwunden.

Wenigstens schien sein Bruder Lance zu mögen.

---

Sie warteten stundenlang.

Keiths Vater wachte für kurze Zeit ab und zu auf, begrüßte seinen jüngsten Sohn und weinte leise, bevor er wieder in einen Dämmerzustand abknickte, den man nur der Erschöpfung und Sorge zuschreiben konnte.

Shiro las in seinem Buch oder erzählte Keith leise von seinem Studentenleben in Amerika. Er war milde überrascht, als er erfuhr, dass sein Bruder Matts jüngere Schwester kennen gelernt hatte.

„Wie klein die Welt doch ist", hatte er mit einem Schmunzeln gemurmelt.

Wenn sie sich nicht unterhielten, schwiegen sie. Keith hatte nicht viel zu tun, sodass er letztendlich die gegenüberliegende Wand anstarrte und mit den Gedanken abdriftete. Sein Telefon hervorzuholen und seine Nachrichten abzurufen, traute er sich nicht. Wenn er schon den Zorn der anderen auf sich ziehen würde, wollte er den Beweis dafür so spät wie möglich sehen.
Und alleine Lance' Kontakt zu sehen mit dem Bild, das er heimlich bei Alluras Übernachtung geschossen hatte, könnte er nicht ertragen.

Also saß er still auf dem unbequemen Plastikstuhl und ließ sich von seinem schlechten Gewissen auffressen.

In das Zimmer seiner Mutter hatte er nicht gesehen. Es reichte ihm, seinen Vater in dieser Verfassung zu sehen, es sollte nicht auch das Bild, das er von seiner Mutter hatte, zerstört werden. Schließlich schaffte er es gerade so noch, nicht in sich zusammenzusacken. Shiro und er mussten beide stark bleiben. Für ihren Vater.

Sie warteten den gesamten Tag durch, vor den Fenstern ging Tokio seinem täglichen Rhythmus nach, die Sonne wanderte über das Himmelszelt und essen taten sie nur die aufgewärmten Teigtaschen der Kantine und den Kaffee aus Pappbechern. Gäbe es das schwarze Gebräu nicht, würde Keith schon gar nicht mehr auf den Beinen stehen können, inzwischen schien es sein Blut ausgetauscht zu haben.

Bei den Massen, die Shiro im Vergleich zu ihm trinken musste, um wach zu bleiben, ließ sich deutlich ablesen, dass der Ältere schon längst immun gegen normale Dosen war.

Die Sonne begann zu sinken und Keith wurde übel beim Gedanken daran, dass die anderen gerade mit ihrem zweiten Auftritt begannen. Ohne ihn.

Ob sie es schafften? Wie war die Stimmung?

Als die Vorstellung vorbei war, fühlte er sich hohl.

Es war, als wäre er eine Hülle, ohne Füllung, und gleichzeitig wurde ihm der Boden unter den Füßen weggerissen. Sein Geleichgewichtssinn litt schon, das musste es sein. Es fühlte sich an, als würde er fallen und erschrocken sprang er beinahe schon auf, die Arme um sich geschlossen, und begann, im Gang auf und ab zu laufen.

Was hatte er getan? Was hatte er getan? Wie konnte er nur?

Die Luft, die durch das angekippte Fenster hereinwehte, half ihm nicht im Geringsten. Sie schmeckte nicht nach Meersalz und Möwengeschrei, nicht nach Sonne und vielen Menschen in kurzen Hosen. Es war nicht Sydneys Luft.

Das Zittern in seinem Körper blieb bis tief in die Nacht, krallte sich in ihm fest wie ein wildes Tier und fauchte.

Mitternacht ging vorüber und mit Erstaunen bemerkte er, dass der Platz seines Vaters leer war. Er hatte gar nicht gemerkt, dass er gegangen war.

„Er ist zu Mama gegangen", ließ Shiro ihn leise wissen, „Vielleicht glaubt er, dass seine Anwesenheit im Zimmer etwas bewirken könnte."

Es klang so trostlos, dass Keith schlucken musste.

Die Ärzte und Schwestern hatten es inzwischen aufgegeben, irgendwen von ihnen nach Hause zu schicken. Die Uhr tickte träge weiter, auch, wenn die Zeit in dem stillen Gang beinahe still zu stehen schien. Jede Sekunde fühlte sich an, wie die Vorherige, ein monotoner, zäher Schlamm, in dem sie gefangen waren.

Es war wahrscheinlich fünf Uhr morgens, als Shiro auch Keith überzeugen konnte, sich in das Krankenzimmer zu setzen. Die drei Männer saßen schweigend um das Bett herum, in dem das schwarze Haar der Frau, die darin lag, wie Kohle auf Schnee wirkte.

Krolia Kogane war vielleicht die schönste Frau, die Keith je in seinem Leben gesehen hatte. Manche mochten ihm da vielleicht widersprechen, und es konnte auch sein, dass er nur so dachte, weil sie seine Mutter war, doch seiner Meinung nach hatte es nie eine schönere weibliche Person gegeben.

Doch nun musste selbst er sein Urteil überdenken.

Seine Mutter war übel zugerichtet worden, etliche Kratzer gruben Furchen in ihre Haut, eine Hälfte ihres Gesichts war blau und violett angeschwollen. Unter der Decke konnte man nur erahnen, wo Verbände und Nähte ihre Haut zusammenhielten und Schienen ihre Knochen stützten.
Ihre Hände sahen blass aus, beinahe schon klein, wie sie einsam auf dem Laken lagen, reglos.
Ein regelmäßiges Piepen zeigte, dass ihr Herz normal schlug und auch ihr Brustkorb hob und senkte sich in einem konstanten Tempo.

Doch auch, wenn das bedeutete, dass sie letztendlich wohlauf war und lebte und alles funktionierte, wie es sollte, sah sie nicht aus wie die starke Person, die Keith kannte.

Falten lagen um ihren Mund und ihre Augen, ihre Haut wirkte nicht so straff wie zuvor, sie hatte einen leichten Gelbstich im Farbton, der sie krank aussehen ließ.

Das war es. Seine Mutter sah krank aus, hilfsbedürftig und verletzt.

Es tat weh, sie so zu sehen.

Krolia war eine Kämpferin, sie war eine starke Frau mit hoch erhobenem Kinn, einem festen Händedruck, einem kühlen Kopf und den wärmsten Augen, die er kannte. Sie war seine Mutter, immer da, wenn er sie brauchte, unter ihrem gefassten Äußeren der hitzige Südpol zum Nordpol seines Vaters.

Auch, wenn er eigentlich gemeinsam mit Shiro stark bleiben wollte, konnte er nichts mehr gegen die Tränen tun, die ihm über die Wangen rollten.
Doch sein Bruder strich ihm nur schweigend über den Rücken und legte einen Arm um ihn, sein weiterer Ruhepol im stürmischen Leben.

Während sein Schniefen gemeinsam mit dem Piepen der Geräte der Stille im Zimmer Gesellschaft leistete, bewegte sich etwas.
Sein Vater sah es zuerst. Ein kleines Zucken, eine minimale Bewegung der Muskeln.

„Krolia?"

Bei der Stimme ihres Vaters wandten sich beide Brüder um und sahen, wie der Mann sich näher über seine Frau beugte.

Sie hielten ihren Atem an und dann konnten sie es auch erkennen. Ein Zucken. Eine minimale Bewegung der Muskeln.

„Mama?", fragte nun auch Shiro und trat auf die andere Seite des Bettes, Eile im Schritt, Spannung in den Schultern.

„Mama?", wiederholte Keith selber leise, Hoffnung keimte in ihm auf.

Ihre Augen waren auf die Frau im Bett gerichtet, deren Augenbrauen sich langsam, Stück für Stück zusammenzogen und dann wieder entspannten, um dann wieder zueinander zu rücken. Dann bewegten sich ihre Augenlider, flatterten leicht, als würde sie träumen, bevor sie langsam aufklappten.

Sie war aufgewacht.

Shiro ging mit einem erleichterten Laut neben ihrem Bett auf die Knie, und Keiths Vater wisperte ihr leise Koseworte zu, während ihr Blick sich langsam fokussierte und dann im Raum herumhuschte, bis sie nach und nach erkannte, wo sie war und wer bei ihr stand.

Bei ihrem schmalen und erschöpften Lächeln fielen Keith tausend Steine vom Herzen. Vorsichtig tastete er nach ihrem Bein, ehe er sich am Fußende des Bettes niederließ.

Die Tränen waren diesmal von Erleichterung getränkt und Freude flatterte in seiner Brust auf.

Ein leises Krächzen war zu hören und seine Mutter musste sich ein paar Mal räuspern und mehrmals ansetzen, ehe sie es schaffte, zu reden.

„Nicht weinen, mir geht es gut."

Dass sie danach hustete, verlieh ihren Worten nicht wirklich Glaubhaftigkeit, doch sowohl Keith als auch Shiro lachten verschnupft auf und wischten sich die Tränen von den Wangen, während ihr Vater seine Ehefrau mit Küssen bedeckte und sich um ihre Worte nicht scherte.

Sobald er sich zur Genüge versichert hatte, dass sie wach wahr und ihn erkannte, sackte er auf dem Stuhl neben ihrem Kopfende zusammen und hielt ihre Hand, als würde er sie nie wieder loslassen wollen.

Auf Keiths Lippen tanzte ein Lächeln, während die Erleichterung in Wellen durch seine Venen gepumpt wurde. Vorsichtig legte er seine Hand auf das unverletzte Bein seiner Mutter und drückte es leicht als Gruß, während Krolia nun einen nach dem anderen ansah.

Shiro schenkte sie ein warmes Lächeln und Keiths Vater strich sie mit schwerem Arm liebevoll durch die Haare und die Wange entlang.

Jeder, der die Szene sah, wusste, dass diese drei Männer ohne Krolia Kogane überhaupt nicht wüssten, was sie tun sollten.

Auch ihrem jüngsten Sohn schenkte sie ein Lächeln, doch dann schienen Erinnerungen und Wissen wieder ihren Kopf zu durchfluten und sie runzelte die Stirn.

„Welcher Tag ist heute?", fragte sie.

"Der vierte März, kurz nach halb fünf am Morgen", las Shiro von seiner allwissenden Uhr ab und sie runzelte ihre Stirn nur noch stärker. Kurz schienen ihre Rädchen zu rattern, ehe sie Keith ins Auge fasste.

„Keith, nimm mir das jetzt nicht übel, aber was machst du hier?", fragte sie und der Musiker wusste nicht, ob er verletzt sein oder sich ertappt fühlen sollte.

„Ich-", begann er, doch sie schnitt ihm das Wort ab, trotz immer noch schwacher Stimmbänder.

„Hattest du nicht gestern einen Auftritt und vorgestern? Und was ist mit heute?"

„Also, ich bin nach dem ersten Auftritt hier her geflogen...", murmelte er, den Kopf gesenkt.

„Du warst nicht beim zweiten Auftritt?"

„Schatz, vielleicht solltest du jetzt nicht darüber nachdenken, du bist doch gerade erst aufgewacht", gab ihr Ehemann zu bedenken, „Keith weiß schon, was er tut."

Sie warf ihm zwar einen liebevollen Blick zu, doch ließ das Thema nicht ruhen.

„Haben sie einen Ersatz für dich?", wollte sie wissen und er traute sich beinahe nicht, den Kopf zu schütteln.

Sie fluchte und bei ihrer derben Ausdrucksweise zuckten sie alle zusammen. Dann grinste sie.

Shiro begann zu kichern und sein Blick strahlte nur so vor Amüsement und Freude darüber, dass seine Mutter sich benahm, wie sonst auch immer.

„Gott, Keith, du hast echt Nerven", seufzte sie, doch ein leises Schmunzeln zuckte um ihre Mundwinkel und er konnte sich ein leicht hilfloses Lächeln nicht verkneifen.

Kurz herrschte Stille, in der sie alle Anwesenden nochmal musterte.

„Heith, wann hast du das letzte Mal gegessen?", fragte sie ihren Mann, doch ließ ihn nicht lange überlegen.
„Shiro, Schatz, bitte nimm deinen Vater mit und treib irgendetwas zu Essen auf. Ich hätte eine Checkliste schreiben sollen, bevor die Notärzte gekommen sind", brummte sie und ihr ältester Sohn stand grinsend auf, ehe er ihren Handrücken küsste und seinen Vater mit nach draußen begleitete.

Zurück blieb Keith mit seiner Mutter, die den zwei anderen nachsah, ein Lächeln in den Augen. Als die Tür sich schloss nahm er den Platz seines Vaters ein und umschloss ihre nun kleine Hand mit seinen Fingern.

„Ihr benehmt euch, als würde ich sterben, ich fühle mich alt, wenn ihr das alle macht", grummelte sie, doch strich ihm mit ihrem Daumen über den Handrücken. Er grinste.

„Die Handschuhe trägst du immer noch?"

„Warum dachtest du, ich würde sie ausziehen?"

„Keine Ahnung, in Sydney ist es heiß."

Er schmunzelte und schüttelte leicht den Kopf.

„Du weißt, dass du dorthin zurückmusst, nicht?", fragte sie dann leise, „Du kannst nicht einfach so aussteigen, bloß weil ich einen Purzelbaum gemacht habe."

„Das war kein Purzelbaum", berichtigte er kritisch und sah sie an, wie sie beim Sprechen kaum den Mund aufbekam, da alles geschwollen war. „Und wer mich daran hindern will, meine Familie zu sehen, wenn etwas passiert ist, der kann mich mal kreuzweise", wiederholte er seine Worte Shiro gegenüber.

„Du bist ein Mann mit festen Grundsätzen", schmunzelte sie, „Sowas ist attraktiv, weißt du? Vor allem, wenn es um so etwas wie Liebe geht."

„Sag sowas nicht, das ist komisch", brummte er, doch sie lachte nur leise, bloß um kurz darauf wieder zu husten und dann das Gesicht zu verziehen.

Besorgnis huschte wieder durch Keith. Sie sah aus, als hätte sie Schmerzen.

„Verdammte Rippen", zischte sie, „Die sind viel zu gebrechlich, wozu haben wir sie überhaupt, wenn sie nicht standhalten?"

Doch Wasser lehnte sie ab, sie wollte nichts trinken. Auch die Schwester sollte er nicht holen, die würde zu viel Aufhebens machen. Sie wollte doch nur reden.

„Du musst zurück nach Sydney", bekräftigte sie nochmal und sah ihn an mit den Augen, die ihn jeden Morgen im Spiegel betrachteten.

„Aber du bist doch hier und-"

„Schau mal", unterbrach sie ihn erneut - eine ihrer schlechten Angewohnheiten - und nahm seine Hand um sie sich aufs Dekolleté zu legen, direkt über ihr Herz, „mein Herz schlägt, das spürst du doch, oder?"

Er nickte. Stetig und kräftig arbeitete der Muskel unter ihrer Haut.

„Ich lebe, Keith, ich lebe und werde wieder gesund. Und ich kann dir versichern, dass ich dir die Hölle unterm Hintern heiß machen werde, wenn du nicht sofort nach dem nächsten Flug zurück suchst. Du kannst dir sicher sein, meine Knochen heilen schneller, wenn ich dich selber dorthin verfrachten muss."

Ihr Gesicht war unter all den Schwellungen grimmig und selbst, wenn sie aktuell noch nicht einmal im Stande dazu war, sich selbstständig im Bett umzudrehen, glaubte Keith ihr jedes Wort. Schließlich war es seine Mutter, die da sprach.

„Du bist dir sicher, dass es dir gut geht?", fragte er dennoch und konnte die Besorgnis in seiner Stimme nicht verstecken.

Sie nickte.

„Natürlich. Und ich will dir auch nicht sagen, dass deine Entscheidung falsch war, hier her zu kommen. Ich freue mich, dich zu sehen.
Aber du hast etwas Wichtiges zurückgelassen, du hast bestimmt irgendwen mit deinem Handeln verletzt. Deshalb musst du so schnell wie möglich zurück, um die Scherben wieder zusammenzusetzen."

Sie drückte seine Hand.

„Ich weiß doch, dass du Sydney vermisst hast", flüsterte sie, ein sanfter Ausdruck lag in ihren Augen, „Warum sollte ich also der Grund sein, der dich schon wieder davon abhält, zu Hause zu sein?"

Er nickte kurz und sie nickte zurück, als Zeichen, dass er sofort beginnen sollte, seine Rückreise zu planen.

Also suchte er nach dem nächsten Flug, der jedoch erst um halb neun gehen würde. Er reservierte ein Ticket.

„Wir haben noch Zeit", ließ er Krolia wissen, die schweigend zugesehen hatte.

„Gut", sie nickte, „Dann erzähl doch, wie war es? Du hast dich erstaunlich wenig gemeldet, dein Vater und ich haben uns schon gewundert."

Keith lachte leicht verlegen.

„Tut mir leid", entschuldigte er sich, „Ich hab einfach nicht daran gedacht. Also- nicht, dass du denkst, ich hätte euch vergessen oder so! Aber ich war einfach ... beschäftigt."

Ein Lächeln huschte über ihre Züge, verständnisvoll und voller Wärme, auch ein kleiner Funken Stolz blitzte in ihren Augen auf.

„Dann lass mal hören", schmunzelte sie.

Also erzählte er.

Er erzählte alles, was ihm einfiel, die gesamten drei Monate ließ er Revue passieren, die abendlichen Proben mit Lance, das Kennenlernen von Hunk und Pidge, Corans Angewohnheit, immer irgendwo zu verschwinden und die Proben hinauszuzögern, die Übernachtung bei Allura und ihre Bühnenproben.
Nichts ließ er aus, kein Essen mit Lance, keinen Spaziergang, keinen Moment, in dem er im Schoß des Tänzers eingeschlafen war, keine ihrer Streitereien und keinen Moment, in dem sie einander aufgeholfen hatten.
In schillernden Farben berichtete er seiner Mutter vom ersten Auftritt, vom Licht, das in den Augen aller geleuchtet hatte, erzählte ihr, was für eine beeindruckende Person Axca war, wie herzlich die McClains sich ihm gegenüber verhalten hatten, wie alle Projektmitglieder gemeinsam einen Film angesehen hatten und er und Lance auf der Couch seiner Großeltern eingeschlafen waren.

Krolia hörte zu, mal mit offenen Augen, mal mit geschlossenen und strich ihm über den Handrücken, um zu zeigen, dass wie wach war, lachte ab und zu leise, oder schmunzelte in sich hinein.

Sehnsüchtig schilderte er ihr Sydneys Leben, die Wärme, die durch die Stadt pulsierte, das Hupen der Autos, das Rauschen der Wellen und das Röhren der Schiffshörner, erzählte von der Sonne und dem Geruch nach Essen, Salz und Sonnencreme.

Er beschrieb ihr das Joan Sutherland Theater, erzählte von ihrer dortigen Führung und dem Rest ihres gemeinsamen Ausfluges und den Verbindungen, die zwischen den Projektmitgliedern entstanden waren. Ezor und Zethrid waren gemeinsam mit Allura und Lotor die Paradebeispiele, doch auch die Freundschaft zwischen Shay und Lance oder Romelle und der Querflötenspielerin waren wunderschön, genauso wie das Vertrauen, dass James Ryan und inzwischen auch Ina entgegenbrachte.

Er redete so viel, wie er selten sprach, die Sonne war inzwischen langsam aufgegangen und unterbrochen worden waren sie nur von einer Schwester, die ein paar Checks gemacht hatte, als sie erkannt hatte, dass die Patientin aufgewacht war.

Weder Shiro, noch sein Vater waren zurückgekommen, wahrscheinlich hatte sein Bruder ihn überzeugen können, ordentlich Frühstücken zu gehen.

Nachdem er seine Theorie, wie die anderen ohne ihn aufgetreten waren, dargelegt hatte, schwieg er.

„Du siehst traurig aus", bemerkte seine Mutter.

„Natürlich tu ich das", erwiderte er, „schließlich habe ich sie einfach dort gelassen und bin gegangen. Du hattest sicherlich auch schon mal ein schlechtes Gewissen."

Sie nickte.

„Weißt du, das ist was Gutes. Es zeigt dir, dass sie dir nicht egal sind. Es zeigt, dass du menschlich bist. Merkst du es nicht, Keith? Du lebst dein Leben gerade so intensiv, dass es kaum noch stärker geht. Und darüber kannst du dich freuen. Schlechtes Gewissen und andere Schmerzen gehören dazu, alles, was du machen kannst, ist sie zu lindern.
Und das wirst du können, wenn du zurückfliegst.
Versprich mir etwas, Keith", sie drückte seine Hand und brachte ihn dazu, ihr ins Gesicht zu sehen. Er senkte sein Kinn als Zeichen, dass er hörte.

„Versprich mir, dass du beim dritten Auftritt wieder mitspielst, egal, ob du mittendrin einsteigen musst", schärfte sie ihm mit leiser Stimme ein, „Versprich mir, dass du ihnen zeigst, wie wichtig sie dir sind, versprich mir, dass du dich für das entschuldigst, was dir leidtut. Und versprich mir, dass du mit diesem Lance sprichst." Sie zwinkerte mit ihrem heilen Auge. „Er klingt nach einem wundervollen Menschen."

Er nickte und lächelte.

„Das ist er", bestätigte er, „Und, ja, ich versprech's."

Zufriedenheit lag in ihren Augen, Stolz und Liebe.

„Gut", meinte sie, „dann raus mit dir, ich glaube, die Schwestern wollten mich irgendwie waschen oder so, aber ich muss meinen Ruf noch bewahren, also fände ich es besser, wenn du da nicht zusiehst."

Er grinste und sie schmunzelte.

„Iss auch was. Und so leid es mir tut, Shiro gegenüber werde ich auch noch ein Bild aufrechterhalten müssen, also darf erst einmal nur euer Vater rein, wenn die beiden wieder da sind.
Bevor du gehst will ich mich aber noch verabschieden, also vergiss nicht, bei deiner alten Mutter vorbeizusehen, ehe du wieder auf und davon fliegst."

Mit einem leisen Lachen versicherte er ihr, dass er schon nicht einfach so gehen würde, und wandte sich der Tür zu, um ihr ihre Privatsphäre zu lassen.

„Keith", hielt ihre Stimme ihn auf, bevor er die Tür hinter sich schließen konnte, leise und schwach, und dennoch mit Stärke im Ton.

Seine Mutter. Eine Kämpferin.

„Ja?", fragte er und drehte sich noch einmal zu der Frau im weißen Krankenhausbett um.

„Ich bin stolz auf dich."

Er lächelte.

„Hab dich lieb", meinte er leise, ehe er die Tür vorsichtig schloss und sich auf die Suche nach etwas zum Essen machte.

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In der Zeit, die ihm blieb, schaffte er mehr, als er angenommen hatte.

Er telefonierte wegen seinem Motorrad herum, sorgte dafür, dass es sicher untergebracht wurde und forschte nach, ob eine Reparatur sich lohnen würde.

Auch ein wenig Hygiene konnte er betreiben, als er kurz in seine Wohnung fuhr, wo er duschte und sich ein Shirt und eine Jogginghose zusammensuchte, zusammen mit einem frischen Hemd für den Auftritt am Abend.

In einem kurzen Schockmoment fiel ihm auf, dass er seine Geige einfach im Theater gelassen hatte und hoffte, dass es ihr gut ging.

Gemeinsam mit seiner Familie verbrachte er noch die restliche Zeit im Krankenhaus, bevor Shiro ihn zum Flughafen fuhr.

„Dann schau mal, dass du die Falten ausbügelst", meinte sein Bruder und legte ihm die Hände auf die Schultern.

Mit einem leisen Seufzen sah Keith zu ihm auf. Er war sogar größer als Lance und auch wenn der Musiker in seinen High-School Jahren ordentlich gewachsen war, hatte er ihn nie überholen können.

„Ich hoffe wirklich, dass alles gut wird", murmelte er. „Was, wenn ich dieses Mal so großen Mist angestellt habe, dass ich es nicht wieder zurechtbiegen kann?"

„Du schaffst das schon", wischte Shiro seine Zweifel jedoch zur Seite. „Und stell dir erst einmal vor, was für eine Freude du einer gewissen Person machen wirst, wenn du wieder auftauchst." Er zwinkerte.

Keith warf ihm einen leicht entnervten Blick zu, doch seufzte dann erneut leise.

„Ich vermisse ihn", murmelte er und Shiro stöhnte.

„Okay, das war genug Kitsch für heute, ab mit dir", bestimmte er und drückte seinen jüngeren Bruder an sich, ehe er ihn in die Richtung der Eingänge schob.
„Sorg dafür, dass er das auch weiß", schmunzelte er jedoch noch an Keiths Ohr, bevor er ihn losließ und ein paar Schritt zurück ging, die Hand zum Gruß erhoben.

Der Musiker drehte sich zu ihm um, die Hände in die Gurte seines Rucksacks geschoben.

„Das werde ich", versprach er und hoffte, dass er keines der Versprechen, die er heute gegeben hatte, vergessen würde. Dann lief er zu seinem Bruder und umarmte ihn noch ein letztes Mal fest. Ihn würde er auch vermissen, wer weiß, wann sie sich wiedersehen würden.

Der Weg ins Flugzeug war wie ein Übergang in eine andere Welt.

Tokio und seine Familie ließ er hinter sich zurück. Sydney und seine Freunde lagen vor ihm. Und Lance.

Er würde zurückkehren.

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