11 - Du und Ich und die Sterne

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Als Quincy am Donnerstagabend von ihrer Schicht aus der Eisdiele heimkam, war sie hundemüde. Nach einem kurzen Smalltalk mit Ana und Miles verkroch sie sich in ihr Zimmer, ließ sich rücklings auf ihr Bett fallen und schloss die Augen.

Eigentlich warteten ihre Lernzettel noch auf sie, doch ein kurzer Powernap klang viel verlockender. Hin und hergerissen, was Quincy tun sollte, wurde ihr die Entscheidung von ihrem klingelnden Handy abgenommen.

Müde tastete sie nach dem eckigen Ding und drückte auf den grünen Hörer. Wer sie gerade anrief, konnte sie aufgrund ihrer verschwommenen Sicht nicht erkennen.

Bestimmt Miles, der Quincy dazu überreden wollte, ihr eine kühle Flasche Cola aus dem Vorratskeller zu holen ...

„Quincy?", ertönte am anderen Ende der Leitung überraschenderweise Dales Stimme. Er hörte sich nervös und ein bisschen verunsichert an. „Bist du noch wach?"

Quincy schmunzelte. „Sonst hätte ich wohl nicht abgehoben, oder?" Ganz langsam setzte sie sich auf und rieb sich über die müden Augen.

Hoffentlich rief Dale nicht wegen des magischen Taxis an, denn Quincy war viel zu erschöpft, um ihren Körper oder ihren Geist nochmal anzustrengen.

Ausnahmsweise stand das Schicksal mal auf ihrer Seite, schließlich hatte Dale andere Absichten.

„Na ja, weißt du, ich bin gerade zufällig in der Gegend und wollte, äh, wollte dich fragen, ob ich spontan vorbeikommen kann? Also natürlich nur, wenn das okay ist. Ich möchte dir ja nicht zur Last fallen oder dich von irgendwelchen Aufgaben abhalten. Ich habe halt nur gehört, dass heute viele Sternschnuppen zu sehen sein sollen. Deshalb dachte ich, wir könnten sie uns zusammen ansehen. Wenn das eine blöde Idee ist, sag es einfach."

Mit jedem gestammelten Wort, das Dales Lippen verließ, wurde Quincys Grinsen breiter. Sie fand es unfassbar süß, wie verlegen Dale war. Außerdem freute sie sich darüber, dass er freiwillig Zeit mit ihr verbringen wollte.

Plötzlich fühlte sich Quincy gar nicht mehr müde, sondern topfit.

„Klar, du kannst gerne vorbeikommen", antwortete sie Dale mit fröhlich hüpfendem Herzen. „Klingele dann einfach, ja?"

„In Ordnung."

Kaum hatte Dale das Telefonat beendet, klingelte es an der Wohnungstür.

„Von wegen zufällig in der Gegend ...", lachte Quincy, ehe sie aus ihrem Bett krabbelte und Dale die Tür öffnete.

„Hey", begrüßte Dale sie schüchtern. Er hatte seine Hände in die Taschen seiner Jeans gesteckt und lächelte Quincy verschämt an. „Sicher, dass ich dich nicht störe?"

„Zu hundert Prozent. Komm rein!" Quincy machte einen Schritt zur Seite, sodass Dale die Wohnung betreten konnte. Das dunkelblaue T-Shirt mit dem V-Ausschnitt stand ihm unglaublich gut.

Mittlerweile fragte sich Quincy, wie sie Dale am Anfang nicht attraktiv finden konnte. Vielleicht war er kein aufgepumpter Muskelprotz, doch allein schon seine positive Ausstrahlung machte ihn unfassbar anziehend für Quincy.

Bisher war sie erst ein einziges Mal verliebt gewesen. Quincy wusste, dass das alles viel zu schnell ging, aber in Dales Anwesenheit erwachten die Schmetterlinge in ihrem Bauch zum Leben.

Ihre Gefühle hatten nichts mit dem Taxi oder ihrem Schicksal zu tun. Da war sich Quincy sicher.

„Ich habe übrigens Kekse und Kakao mitgebracht", lenkte Dale Quincy von ihren Gedanken ab.

„Soso ...", schmunzelte Quincy. „Du warst also zufällig mit Keksen und Kakao in der Gegend? Das klingt ja äußerst interessant."

Als Dale realisierte, dass er sich verraten hatte, nahmen seine Wangen einen dunkelroten Farbton an. Er wich Quincys Blick aus und starrte stattdessen auf seine geringelten Socken.

Wieder musste Quincy schmunzeln. So schüchtern und verunsichert hatte sie Dale noch nie zuvor erlebt.

Damit er sich nicht schlecht fühlte, griff Quincy nach seiner Hand und sagte ehrlich: „Ich freue mich, dass du hier bist, Dale. Kekse, Kakao und Sternschnuppen klingen absolut perfekt!"

„Wirklich?" Dale hob hoffnungsvoll den Blick.

„Ja, wirklich!"

Gemeinsam gingen Quincy und Dale auf den kleinen Balkon, der an dem Wohnzimmer angrenzte. Quincy schaltete die vielen Lichterketten, die das Geländer schmückten, an und breitete einen Sitzsack auf dem Boden aus. Daneben stellte sie einen kleinen Beistelltisch, auf dem Dale die Kekse und den Kakao ablegte.

Obwohl die Uhrzeiger immer näher auf Mitternacht zuschritten, war es noch angenehm warm draußen. Ein sanfter Wind tanzte durch die Luft und in der Ferne war das Singen von mehreren Eulen zu hören.

Eigentlich war Quincy kein Fan von Romantik, doch selbst ihr gefiel die Idee, gemeinsam in den Sternenhimmel zu schauen und sich dabei zu unterhalten.

Quincy freute sich, dass sie Dale endlich mal ganz für sich allein hatte.

Zusammen kuschelten sich Quincy und Dale schließlich in den Sitzsack. Erst lagen sie bloß angespannt nebeneinander, doch irgendwann sprang Quincy über ihren Schatten und bettete ihren Kopf auf Dales Brust.

Sie konnte seinen schnellen Herzschlag an ihrer Wange fühlen und musste augenblicklich lächeln. Scheinbar war Dale genauso nervös, wie sie selbst.

Ein paar Minuten schwiegen sie noch, ehe Quincy die Stille durchbrach, indem sie wissen wollte: „Kann ich dich etwas fragen, Dale?"

„Natürlich."

Quincy war sich nicht sicher, ob ihre Frage vielleicht unangebracht war, doch letztendlich siegte ihre Neugierde. „Wie, ähm, wie hast du damals gemerkt, dass du lieber ein Mann sein möchtest?"

Quincy konnte spüren, wie sich Dale versteifte. Zuvor hatte er noch mit Quincys Haaren gespielt, doch nun ließ er ihre Strähnen lieblos aus seinem Zeige- und Mittelfinger gleiten.

Dass er nicht gerne über seine Vergangenheit sprach, lag auf der Hand.

„Du würdest es nicht verstehen, wenn ich es dir erkläre", seufzte Dale abweisend. „Manchmal verstehe ich es selbst auch nicht."

„Und bereust du deine Entscheidung?"

„Nein!" Quincy neigte ihren Kopf zur Seite, um in Dales Gesicht schauen zu können. Furchen hatten sich in seine Stirn gegraben und ein Schleier der Trauer umhüllte seine Pupillen. „Am Anfang war es echt hart für mich und auch heutzutage habe ich immer noch mit Mobbing und Diskriminierung zu kämpfen. Ich würde lügen, wenn ich sage, dass mir das nichts ausmacht, aber ich habe gelernt, damit zu leben. Eine andere Wahl habe ich ja auch gar nicht."

Irgendwie klang das ganz schön traurig.

Sie lebten im 21. Jahrhundert. Wie konnten Menschen da immer noch dafür verurteilt werden, dass sie ihr Leben selbst in die Hand nahmen, um glücklich zu werden?

Wie hieß es doch immer? Ach ja, richtig: Leben und leben lassen. Blöd nur, dass sich die Allerwenigsten an diesen Vorsatz hielten.

Quincy wollte gerade ihren Mund öffnen und Dale eine weitere Frage stellen, da kam er ihr allerdings zuvor. „Ich kann verstehen, dass du neugierig bist, Quincy, aber können wir bitte über etwas anderes sprechen? Natürlich ist Aufklärung wichtig, aber ich fühle mich jedes Mal so, als wäre ich nicht normal, wenn ich über meine Vergangenheit und die Geschlechtsumwandlung reden muss. Ich möchte einfach nur wie ein Mann behandelt und akzeptiert werden, okay?"

Quincy schluckte schwer. Es war definitiv nicht ihre Absicht gewesen, Dale zu kränken oder ihm ein schlechtes Gefühl zu vermitteln.

Quincy hatte kein Problem damit, dass Dale transsexuell war. Es war einfach nur ihrer Neugierde zu verschulden gewesen, dass sie Dale mit seiner Vergangenheit konfrontiert hatte.

Um die Stimmung wieder ein bisschen aufzulockern, stupste Quincy Dale mit dem Ellenbogen in die Seite und grinste ihn frech an. „Eine Frage habe ich allerdings noch: Ist es wirklich so cool, überall hinpinkeln zu können, wo man möchte?"

Quincys Worte erfüllten ihren Zweck, denn auch Dales Lippen verzogen sich nun zu einem amüsierten Grinsen. „Glaub mir, es ist noch mindestens zehnmal cooler als in deiner Vorstellung."

Daraufhin mussten Quincy und Dale lachen.

Die nächste Stunde verbrachten sie damit, sich über Dales Ausbildung zum Kindergärtner und über Quincys Studium zu unterhalten. Außerdem erzählte Dale ein paar lustige Kindheitsgeschichten über die tollpatschige Isla.

Die Kekse und der Kakao waren schneller weg, als Quincy und Dale gucken konnten, sodass Quincy zwischenzeitlich den Süßigkeitenvorrat ihrer WG plündern musste.

Zwar konnte sie nicht mit Keksen dienen, aber Schokolade war mindestens genauso gut, richtig?

Quincy und Dale hatten schon beinahe den Grund vergessen, warum sie mitten in der Nacht auf einem Balkon lagen, da quietschte Quincy auf einmal aufgeregt: „Eine Sternschnuppe!"

Ihre Augen verfolgten fasziniert den leuchtenden Schweif, der über den dunklen Horizont sauste.

Noch nie zuvor hatte Quincy eine Sternschnuppe gesehen. Irgendwie fühlte es sich besonders an, diesen Moment mit Dale zu teilen.

„Schau mal!" Dale deutete mit seinem Zeigefinger in den Himmel. „Da ist noch eine Sternschnuppe!"

„Wow", raunte Quincy.

Das Lichterspiel, das sich ihr am finsteren Himmelszelt bot, war eindrucksvoll und faszinierend. Am liebsten hätte sie ihren Blick gar nicht mehr von den fliegenden Sternen gelöst, doch Dale zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, indem er leise raunte: „Jetzt darfst du dir etwas wünschen."

Ohne es kontrollieren zu können, glitt Quincys Blick zu Dales Lippen.

Sollte sie es wagen, ihren Wunsch laut auszusprechen?

Nein, lieber nicht.

Quincy bemühte sich, ihren Fokus zurück auf Dales funkelnde Augen zu richten, als sie erwiderte: „Du darfst dir aber auch etwas wünschen."

Wie in Zeitlupe nickte Dale. Seine rechte Hand platzierte er an Quincys Wange, um kleine Kreise auf ihre Haut zu malen.

„Weißt du, auch wenn ich es dir am Anfang vielleicht nicht richtig zeigen konnte, bin ich echt froh, dich kennengelernt zu haben, Quincy."

Bei Dales Worten vervierfachte sich Quincys Herzschlag. Ihre Augen weiteten sich und ihr Hals wurde staubtrocken. Sie hätte gerne etwas erwidert, doch kein einziger Ton wollte ihr über die Lippen gehen.

„Danke, dass du mich so akzeptierst, wie ich bin", sprach Dale weiter. Dass er Quincy mit jedem Wort näherkam, realisierte sie kaum. „Vielleicht hatte mein Vater Unrecht und ich werde nicht allein und ungeliebt sterben."

Quincy schüttelte ihren Kopf. Es kostete sie all ihre Kraft, mit krächzender Stimme zu sagen: „Nein, wirst du nicht."

Eine weitere Sternschnuppe sauste über ihre Köpfe hinweg.

„Dale?"

„Hm?"

„Darf ich dich küssen?"

Für einen kurzen Moment wirkte Dale überrascht, doch dann nickte er.

Ganz langsam kamen sich Quincy und Dale entgegen. Ihre Blicke waren miteinander verwoben, als Quincy ihre Hände in Dales Nacken legte und Dale seine Fingerspitzen über Quincys glühende Wangen streichen ließ.

Es war ein stummes Versprechen für die Ewigkeit, das sie sich gaben, als sich ihre Lippen zärtlich und hingebungsvoll berührten.

Der Kuss war vorsichtig und zurückhaltend.

Quincy genoss das warme Gefühl, das Dales Lippen verströmten. Sein Mund fühlte sich weich an und schmeckte nach einer Mischung aus Schokolade und Kirschen.

Vorsichtig bewegten Quincy und Dale ihre Lippen im selben Rhythmus aufeinander. Während sie sich gegenseitig Zuneigung schenkten, tanzten ihre Herzen im identischen Takt.

Quincy war glücklich. So glücklich, wie noch nie. Auch wenn es kitschig klang, ließ Dale sie aktuell im Siebten Himmel schweben.

Nach ein paar Sekunden mussten sich Quincy und Dale atembedingt voneinander lösen. Statt jedoch wieder Distanz zu schaffen, lehnte Dale seine Stirn gegen die von Quincy.

„Das war ..." Dale suchte nach den passenden Worten. Da es ihm scheinbar die Sprache verschlagen hatte, beendete Quincy den Satz für ihn. „... wunderschön!"

Dale lächelte und Quincy tat es ihm gleich.

Für ungefähr eine halbe Stunde lagen sie noch unter dem funkelnden Sternenhimmel und kuschelten miteinander. Dann seufzte Dale schließlich leise: „Ich denke, so langsam sollte ich gehen. Nicht, dass wir morgen beide wie Zombies aussehen."

Obwohl Quincy gerne noch mehr Zeit mit Dale verbracht hätte, stimmte sie ihm mit einem Nicken zu. Sie begleitete ihn zur Wohnungstür, wo sie ihn hoffnungsvoll fragte: „Sehen wir uns morgen wieder?"

Als Antwort hauchte Dale Quincy einen federleichten Kuss auf die Stirn.

„Bis morgen, Quincy!"

„Bis morgen, Dale!"

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