12 - Wenn alles zerbricht

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Normalerweise liebte Quincy den Freitag, denn es war der letzte Tag der Woche, an dem sie sich mit der Uni und ihrem Nebenjob herumschlagen musste. Sie hatte keine Ahnung warum, doch an jenem Freitag wachte Quincy mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube auf.

Irgendetwas stimmte nicht. Das spürte sie sofort.

Ob es bloß daran lag, weil es ein Freitag, der Dreizehnte war?

In der Uni konnte sich Quincy beim besten Willen nicht auf ihre Vorlesungen konzentrieren. Die Worte der Professoren wanderten in ihr rechtes Ohr hinein und schnurstracks aus dem linken Ohr wieder hinaus.

Quincy war erleichtert, als sie ihre letzte Vorlesung hinter sich gebracht hatte und sich endlich auf den Rückweg zu ihrer WG machen konnte. Bis zu ihrem Schichtbeginn in der Eisdiele blieben ihr noch gute drei Stunden.

Drei Stunden, die Quincy eigentlich fürs Lernen nutzen sollte, aber definitiv mit Schlafen verbringen würde.

Quincy bog gerade auf die Landstraße ab, die an den Seiten von vielen Bäumen gesäumt wurde, da klingelte plötzlich ihr Handy.

Innerlich rechnete sie damit, dass Miles wissen wollte, ob sie gemeinsam zu Mittag aßen, weshalb es Quincy umso mehr überraschte, als sie Dales Namen auf dem Bildschirm entdeckte.

Ohne zu zögern nahm sie den Anruf entgegen und säuselte ein fröhliches „Hey Dale. Na? Wie geht's dir?" in den Hörer.

Quincy hatte viel über ihren Kuss nachgedacht. Auch wenn sie Dale noch nicht lange und gut kannte, fühlte sie sich bereit dazu, eine Beziehung mit ihm einzugehen. Da sie Dale aber nicht mit ihren Gefühlen überfordern wollte, beschloss sie vorerst, die ganze Sache etwas langsamer anzugehen und auf Zeichen von Dale zu warten.

Quincy gefror das Blut in den Adern, als auf einmal nicht Dales, sondern die Stimme einer aufgelösten Frau ertönte. „Bist du Quincy Morgan?", wollte die fremde Frau wissen.

„J-Ja", stotterte Quincy. Ihr Herz blieb stehen, nur um gleich darauf doppelt so schnell weiterzuschlagen.

Wer war das? Etwa Dales Mutter?

Das ungute Gefühl, das Quincy schon seit heute Morgen heimsuchte, verstärkte sich. Schwindel und Übelkeit breiteten sich in ihr aus und zerrten an ihren Nerven.

„Ka-Kannst du zu uns kommen, bitte?", fragte die Frau mit weinerlicher Stimme. „D-Dale und Isla brauchen di-dich jetzt."

Obwohl Quincy am ganzen Körper zitterte, versuchte sie, sich am Riemen zu reißen. Dale zuliebe antwortete sie: „Natürlich. Ich bin in einer halben Stunde da."

Sobald das Telefonat beendet war, sackte Quincy zu Boden. Ketten aus Stahl hatten sich um ihre Kehle gelegt und schnürten ihr die Luft zum Atmen ab. Erst war es nur eine Träne, die sich an die Freiheit kämpfte, doch es wurden schlagartig immer mehr.

Panik und Angst duellierten sich mit Hoffnung und Liebe.

War Dale etwas zugestoßen? Oder Isla?

Die fremde Frau klang verzweifelt und aufgelöst. Würde es sich nicht um einen Notfall handeln, hätte sie Quincy bestimmt nicht angerufen.

Ein paar Minuten verstrichen, in denen Quincy wie ein Häufchen Elend am Boden kauerte. Dann straffte sie ihre Schultern, wischte sich die Glasperlen von den Wangen und machte auf dem Absatz kehrt.

Wenn Dale und Isla sie brauchten, dann musste sie stark sein. Nicht für sich selbst, sondern für die beiden Geschwister.

Quincy lief so schnell zu dem Haus der Edwards, wie es ihr nur möglich war. Außer Atem und mit schweißbedeckter Stirn kam sie rund zwanzig Minuten später vor der Haustür zum Stehen. Ihre Lungenflügel brannten und ihr Herz raste, als sie die Klingel betätigte.

Zum Glück musste Quincy nicht lange warten, denn schon nach wenigen Sekunden wurde ihr die Tür geöffnet.

Zum Vorschein kam eine Frau im mittleren Alter. Sie hatte dieselben dunklen Haare wie Isla und Dale und dieselben weichen Gesichtszüge.

Dass es sich um Lydia Edwards handeln musste, war Quincy sofort bewusst.

„Ha-Hallo", stammelte Quincy überfordert, während sie Lydia ihre Hand entgegenstreckte. Die Frau ergriff sie und schüttelte sie kurz.

„Danke, dass du so schnell kommen konntest, Quincy." Ein trauriges Lächeln umspielte Lydias Lippen. Wenn Quincy nicht alles täuschte, dann befanden sich sogar getrocknete Tränenspuren auf ihren Wangen. „Komm doch bitte rein."

Lydia führte Quincy in ein kleines Wohnzimmer. Obwohl Hochsommer war und die Temperaturen an der Dreißig-Grad-Marke kratzten, saß eine ältere Dame vor dem lodernden Kamin und strickte einen Pullover.

‚Dales Großmutter', schoss es Quincy durch den Kopf. Wenn sie sich richtig erinnerte, hatte Dale mal erwähnt, dass sie kaum noch ansprechbar war und an Alzheimer litt. Spielenachmittage waren die einzige Möglichkeit, um sie aus ihrem Schneckenhaus zu locken.

Quincys Augen wanderten suchend durch das Zimmer, doch sie konnte weder Dale noch Isla entdecken.

„Möchtest du etwas trinken, Quincy?", erkundigte sich Lydia höflich bei ihr.

„Nein, danke", lehnte Quincy ab.

Sie fühlte sich unwohl, mit zwei fremden Frauen in einem Raum zu sitzen – wobei Dales Großmutter sie bisher gar nicht wahrgenommen hatte. Es war, als würde sie in ihrer eigenen Welt leben.

„Warum sollte ich herkommen?", traute sich Quincy schließlich die Frage auszusprechen, die ihr seit dem Telefonat wie Gift auf der Zunge brannte.

Kaum hatten sich ihre Worte in dem Zimmer verloren, bildeten sich Tränen in Lydias hellen Augen. Ein Ausdruck des Schmerzes breitete sich auf ihrem Gesicht aus und verpasste Quincy einen unangenehmen Fausthieb in die Magengrube.

Irgendetwas Schlimmes musste passiert sein.

„Islas Kinderarzt hat vor etwa einer Stunde angerufen", zwang sich Lydia dazu, unter Tränen zu erzählen. „Die Ergebnisse des Bluttests sind da und-" Sie brach ab. Lydias Stimme wurde von lauten Schluchzern verschluckt und davongetragen.

Bei dem Anblick der aufgelösten Frau zog sich der Knoten in Quincys Bauch enger zusammen. Sie hatte Angst davor, was sie gleich erfahren würde.

Auch wenn sich Quincy hilflos, allein und überfordert fühlte, rutschte sie vorsichtig zu Lydia hinüber, um nach ihrer Hand zu greifen. Kraft war jetzt vermutlich genau das, was sie am Allermeisten brauchte.

Quincy drängte Lydia nicht dazu, weiterzusprechen. Sie saß einfach nur neben ihr auf dem Sofa und hielt ihre Hand.

Irgendwann waren die Schluchzer abgeklungen, sodass Lydia es schaffte, ihre Erzählung fortzusetzen. „Isla ... Sie hat Blutkrebs."

Die Worte schlugen wie eine Bombe in Quincys Herzen ein und zerfetzten es in tausend Splitter. Tränen sammelten sich in ihren Augen und quollen wie geplatzte Hoffnungsschimmer über ihre Wangen.

„Nein." Quincy schüttelte den Kopf. Das konnte nicht sein. Isla war topfit und strotzte nur so vor Energie und Lebensfreude. Da musste ein Missverständnis vorliegen. Eine Verwechselung.

„Der Arzt sagt, es grenzt an ein Wunder, dass sich Isla noch so gesund fühlt", fuhr Lydia mit zittriger Stimme fort. „Der Krebs ist schon weit fortgeschritten. Isla braucht dringend einen Stammzellenspender."

Die Worte wollten Quincys Hirn nicht erreichen.

Das alles klang wie ein Albtraum, nicht aber wie die Realität.

Aus dem Biologieunterricht wusste Quincy noch, dass die Überlebenschancen bei Blutkrebs nicht allzu hoch waren. Angst machte sich in ihr breit und nistete sich wie ein Bienenschwarm in ihrem Herzen ein.

Quincy wollte nicht, dass Isla starb. Es musste doch irgendeine Möglichkeit geben, um das kleine Mädchen zu retten!

„Dale ist total fertig. Ich habe echt Angst, dass er sich etwas antun könnte." Lydia drückte Quincys Hand fester. „Kannst du bitte mal nach ihm sehen? Er lässt mich nicht in sein Zimmer."

Am liebsten hätte Quincy gesagt, dass sie erstmal ein paar Minuten für sich selbst brauchte, um die grausamen Neuigkeiten zu verarbeiten, doch Lydia zuliebe stellte sie ihre eigenen Bedürfnisse hinten an.

„Natürlich", murmelte Quincy mit Tränen in den Augen. „Ich schaue, was ich machen kann."

Lydia nickte dankbar. Dann führte sie Quincy eine Treppe ins Obergeschoss hinauf. Vor einer Tür, die so schwarz wie die Nacht gestrichen war, kamen sie zum Stehen.

„Viel Glück", lächelte Lydia schwach. „Und Quincy?"

„Ja?"

„Es freut mich sehr, dich endlich kennenzulernen. Du tust Dale und Isla unfassbar gut!"

Unter anderen Umständen hätte sich Quincy über dieses Kompliment gefreut, doch nun wurde ihr Herz so schwer wie Blei. Sie wollte unbedingt zu Dale, ihn in ihren Armen halten und ihn von seinem Kummer befreien.

Die Schmerzen, von denen Dale derzeit zerfressen wurde, mussten gigantisch sein.

Quincy holte noch einmal tief Luft, ehe sie zögerlich an Dales Zimmertür anklopfte.

Mehrere Sekunden verstrichen, doch es folgte kein einziger Laut.

„Dale?", fragte Quincy ängstlich. „Darf ich reinkommen?"

Dales Antwort war deutlich. „Nein!"

Quincy wusste, dass es unangebracht war, doch die Tränen sprudelten wie ein Wasserfall aus ihren Augen. Dales Zurückweisung tat ihr unheimlich weh.

Trotzdem wagte Quincy noch einen weiteren Versuch. „Bitte, Dale!", flehte sie. „Wir müssen auch nicht reden. Ich möchte dich einfach nur sehen."

Normalerweise war Quincy ein Mensch, der die Privatsphäre anderer respektierte, aber dieses Mal musste sie eine Ausnahme machen. Ihre Finger legten sich wie von selbst um die eisige Türklinke und drückten sie hinunter.

Abgeschlossen. Dale hatte tatsächlich die Tür verriegelt.

Quincy begann am ganzen Körper zu zittern. „Bitte, Dale!", wimmerte sie erneut.

„Geh einfach, Quincy!", ertönte Dales gebrochene Stimme von der anderen Seite der Tür. Dass er fürchterlich weinte, war nicht zu überhören gewesen. „Ich brauche jetzt Zeit für mich, okay? Ich melde mich die Tage bei dir. Versprochen!"

Obwohl Quincys Herz in Trümmern lag und sie nichts lieber tun wollte, als Dale in ihre Arme zu schließen, akzeptierte sie seinen Wunsch. Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengrube wandte sie sich von Dales Zimmertür ab und ging in Richtung Treppe.

Kurz bevor sie die erste Stufe erreicht hatte, hallte eine Stimme durch die Luft, die Quincy noch einmal innehalten ließ.

„Quincy?", freute sich Isla. „Was machst du denn hier? Spielst du mit mir?"

Quincy fühlte sich miserabel, doch sie schaffte es nicht, sich zu Isla umzudrehen. Der sorglose Ton in ihrer Stimme verriet ihr, dass Isla keine Ahnung hatte, wie nah sie bereits auf der Schwelle zum Tod stand.

Neue Tränen brannten unter Quincys Lidern und drängten sich an die Freiheit.

„Quincy?"

„T-Tut mir le-leid, Isla." Das war alles, was Quincy stammelte, bevor sie das Haus der Edwards fluchtartig hinter sich ließ.

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