5 - Kein gemeinsamer Nenner

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Quincy schaute Isla ungläubig und vielleicht sogar ein bisschen fassungslos an. Hatte sie sich bloß verhört oder sprach das kleine Mädchen tatsächlich von dem magischen Taxi?

Während Quincy in einer Art Schockstarre gefangen war, wandte sich Dale von ihr ab, um stattdessen zu seiner Schwester zu laufen.

„Isla", seufzte er ihren Namen, sobald er neben ihr zum Stehen kam. „Hör zu, Maus, es gibt keine leuchtenden Taxis, okay? Granny hätte dir nicht von dieser dämlichen Legende erzählen sollen ..."

„Aber ich lüge nicht, Dale!", protestierte Isla sofort. Ein Ausdruck der Verzweiflung breitete sich auf ihrem Gesicht aus, während sie die Arme vor der Brust verschränkte. „Das Taxi ist wirklich da!"

„Ach, Isla ..." Dass Dale nicht wusste, was er sagen sollte, konnte man ihm ansehen. Er war überfordert und eventuell auch genervt.

„Quincy kann das Taxi bestimmt sehen!", behauptete Isla nun eingeschnappt. „Oder?" Im Einklang mit ihrem letzten Wort drehte sie sich zu Quincy um und schaute sie erwartungsvoll aus ihren grünen Augen an.

Quincy schluckte einmal, ehe sie sich aus ihrer Starre löste und zu den beiden Geschwistern ging.

„W-Wo steht da-das Taxi denn?", fragte sie Isla mit zittriger Stimme.

Quincy hatte bisher noch nie davon gehört, dass zwei Menschen gleichzeitig das magische Taxi sehen konnten. Umso nervöser klopfte ihr Herz jetzt, schließlich war sie vollends von der Ungewissheit umgeben.

„Da vorne!" Isla deutete mit ihrem Zeigefinger auf die gegenüberliegende Straßenseite. „Vor dem roten Haus!"

Quincy folgte ihrem Finger und hielt überrascht die Luft an.

Wie Isla gesagt hatte, stand dort das magische Taxi. Wenn Quincy nicht alles täuschte, dann leuchtete es dieses Mal sogar noch heller und intensiver als sonst.

„Und?", wollte Isla nervös von Quincy wissen, indem sie an ihrer Hand zupfte. „Kannst du das Taxi sehen?"

Quincy wusste, dass sie Dale mit ihrer Antwort verärgern würde, doch ihr blieb keine andere Wahl, als die Wahrheit zu sagen. Sie holte noch einmal tief Luft, ehe sie nickte und ein überzeugtes „Ja!" von sich gab.

Kaum war dieses eine Wort verklungen, zog Dale wütend seine Augenbrauen zusammen. Blitze schossen aus seinen Pupillen und legten sich wie Ketten aus Stahl um Quincys Kehle.

„Was soll der Scheiß, hm?!", zischte er Quincy zornig an. „Ich verstehe immer noch nicht, was für ein krankes Spiel du spielst, aber lass meine Schwester da raus, klar?!"

Obwohl Quincy eingeschüchtert war, kreuzte sie die Arme vor der Brust und reckte selbstbewusst ihr Kinn in die Höhe. „Ich spiele kein Spiel, Dale", sagte sie mit einer überraschenden Ruhe in der Stimme. „Du möchtest wissen, wer mich zu euch geschickt hat? Fein: Das Taxi aus der Legende!"

Quincy konnte genau beobachten, wie Dale die Gesichtszüge entglitten.

Er musste ein paar Minuten um Fassung ringen, bis sich wieder ein emotionsloser Schleier über seinem Haupt niederließ. „Hör auf, Isla einen Floh ins Ohr zu setzen", krächzte er. „Es gibt keine magischen Taxis und es wird sie auch nie geben! Basta, Punkt, Aus!"

In gewisser Weise verstand Quincy, warum Dale so abweisend reagierte. Sie selbst hatte schließlich auch nicht an die Legende geglaubt, bis das Taxi plötzlich wie aus dem Nichts vor ihr aufgetaucht war.

Irgendwie musste sie es schaffen, Dale von der Existenz des Taxis zu überzeugen, denn sonst sah sie ihr Schicksal in Gefahr.

„Glaub mir, ich kann verstehen, dass sich das alles total wahnsinnig und absurd anhört", versuchte Quincy, Empathie zu zeigen. „Aber warum hätte ich zu euch kommen sollen, Dale? Ich meine, ich kenne euch ja gar nicht. Es war das Taxi, das mich vor eurem Haus abgesetzt hat. Mehrmals sogar."

Etwas in Dales Blick veränderte sich. Der Zorn verrauchte, stattdessen blitzten Kummer und Trauer in seinen dunklen Iriden auf.

Quincy erkannte Schmerz und Leid. Emotionen, die tief in Dales Vergangenheit und seinem Herzen verankert waren.

„Seit acht Jahren klingeln ständig irgendwelche Idioten an unserer Haustür, die sich über mich lustig machen, mir drohen oder mich beleidigen", seufzte Dale erschöpft. „Tut mir leid, aber warum sollte es ausgerechnet bei dir anders sein? Und jetzt komm mir nicht wieder mit diesem erfundenen Taxi an ..."

Dales qualvoller Blick bohrte sich wie die Klinge eines Messers in Quincys Seele. Sie hatte bereits am Vortag vermutet, dass das Leben als transsexueller Mann nicht einfach für Dale war, aber diese Tatsache nun laut aus seinem Mund zu hören, war nochmal etwas ganz anderes.

Plötzlich bekam Quincy riesengroßes Mitleid mit Dale.

Sie wollte ihm helfen, doch sie wusste nicht, wie.

Noch bevor sich Quincy über eine passende Antwort den Kopf zerbrechen konnte, hallte Dales aufgeregte Stimme durch die Luft. „Isla!", rief er panisch nach seiner Schwester. „Bleib stehen!"

Quincy sah aus dem Augenwinkel, wie Isla auf die Straße stürmte. Obwohl von rechts und links Autos auf sie zurasten, visierte sie starr das Taxi auf der anderen Seite an.

„Isla! Warte!"

Dale hastete seiner Schwester hinterher. Nur wenige Millimeter trennten ihn von den hupenden Autos, die allesamt kräftig auf die Bremse traten.

Schockiert schlug sich Quincy die Hand vor den Mund.

Würden Isla und Dale jetzt sterben, weil Quincy ihr Schicksal nicht richtig erfüllt hatte? War es ihre Aufgabe gewesen, die beiden Geschwister davon abzuhalten, auf die Straße zu rennen?

Tränen der Angst mischten sich mit Tränen der Schuld.

Quincy musste sich immer wieder mit der Hand über die nassen Augenlider reiben, bis die Glasperlen irgendwann versiegten und sich ihre verschwommene Sicht wieder klärte.

Sofort suchte ihr Blick nach Isla und Dale.

Beide hatten es zum Glück unversehrt auf die andere Straßenseite geschafft. Isla visierte immer noch das Taxi an, doch kurz bevor sie es erreicht hatte, bekam Dale sie am Oberarm zu fassen und zog sie in seine Arme.

Quincy atmete erleichtert die angehaltene Luft aus.

Das war verdammt knapp gewesen!

Quincy konnte sehen, dass Dale wütend auf seine kleine Schwester einredete, doch sie waren zu weit weg, als dass Quincy verstehen konnte, was er sagte.

Trotz ihres rasenden Herzens überquerte Quincy nur wenige Sekunden später die Straße – natürlich dann, als alles frei war.

Ein Blick auf das Taxi verriet ihr, dass der Lichtschimmer immer heller und intensiver wurde. Vielleicht war es lächerlich, doch Quincy war felsenfest davon überzeugt, dass sie das Fahrzeug gemeinsam mit Isla betreten sollte.

„Dale! Isla!", machte Quincy auf sich aufmerksam.

„Hau endlich ab!", erwiderte Dale noch im selben Atemzug wütend. „Deinetwegen wäre meine Schwester beinahe unter einem Auto gelandet!"

Der Schock war Dale wie ein Kunstwerk ins Gesicht gemeißelt. Er hatte Isla fest an seine Brust gedrückt und strich ihr liebevoll durch das dunkle Haar.

„Nein, ich kann nicht gehen", sagte Quincy mit bebender Stimme. „Ich denke, Isla und ich müssen gemeinsam mit dem Taxi fahren. Am besten tauschen wir unsere Handynummern, Dale. Dann kann ich dir schreiben, wo uns das Taxi abgesetzt hat, und du kommst zu uns."

Mit jedem Wort, das Quincys Lippen verließ, weiteten sich Dales Augen ein bisschen mehr.

„Ist das dein beschissener Ernst?!"

Quincy zuckte zusammen. Nie im Leben hätte sie es für möglich gehalten, dass Dale so wütend und aufbrausend werden konnte.

Was hatte sie bloß falsch gemacht? Sie war immer nett zu Dale gewesen und hatte ihm eigentlich keinen Grund für seine Abneigung gegeben.

Oder?

War Dale vielleicht einfach von Grund auf ein misstrauischer Mensch? Oder hatten ihn die letzten acht Jahre, in denen er zu einem Mann geworden war, für die Ewigkeit negativ geprägt?

Quincy wusste es nicht. Sie wusste nur, dass sie endlich gemeinsam mit Isla in das Taxi steigen musste.

„Bitte, Dale!", flehte Quincy verzweifelt. „Wenn wir nicht mit dem Taxi fahren, könnte etwas Schlimmes passieren!"

„Etwas Schlimmes?", wiederholte Isla daraufhin ängstlich. Sie löste sich langsam aus Dales Armen und schaute Quincy aus weit aufgerissenen Augen an.

„Hör nicht auf sie, Maus! Sie versucht nur, dir Angst einzujagen." Dale streichelte seiner Schwester zärtlich über den Kopf. „Es gibt kein Taxi, also kann auch nichts Schlimmes passieren!"

So langsam wurde Quincy ungeduldig und wütend.

Warum fiel es Dale so schwer, ihnen zu glauben, dass sich nur zehn Meter entfernt von ihnen ein magisches Taxi befand? Zwei Menschen konnten das Fahrzeug sehen. Das war doch Grund genug, um die Wahrheit der Legende zu hinterfragen, oder?

„Die Zeit rennt, Dale. Isla und ich müssen jetzt echt los, um unser Schicksal zu erfüllen."

Quincy trat zwei große Schritte auf die Geschwister zu und streckte ihre Hand nach Isla aus. Noch bevor sie auch nur in ihre Nähe kam, schlossen sich Dales Finger wie giftige Fesseln um Quincys Handgelenke.

„Fass sie nicht an!", zischte er wütend. „Geh zurück in die Klapse, aus der du ausgebrochen bist!"

Dales Worte waren so scharf wie Messerklingen. Obwohl er Quincy mit seiner Ausdrucksweise verletzte, versuchte sie weiterhin, ihre Emotionen hinter dicken Gitterstäben wegzusperren.

„Ich verspreche dir, dass ich auf Isla aufpassen werde! Ihr wird nichts in dem Taxi passieren!"

Zu Quincys großer Überraschung meldete sich nun das kleine Mädchen, das Dale so ähnlichsah, erneut zu Wort. „Ich möchte mit Quincy mitfahren, Dale", murmelte sie so leise, dass sich ihre Worte nach nur einem Atemzug in der Luft verloren. „Sie ist die Einzige, die das Taxi auch sehen kann."

„Sie sieht das Taxi nicht, Isla!", behauptete Dale sofort fest entschlossen. „Sie lügt!"

Mittlerweile hatte Quincy einen Punkt erreicht, an dem sie nicht mehr wusste, wie sie Dale von der Wahrheit überzeugen sollte. Seit der allerersten Sekunde war sie ihm sowieso nur ein Dorn im Auge gewesen.

Er gab ihr gar keine Chance, sie besser kennenzulernen und ihr zu vertrauen.

„Weißt du was, Dale?", seufzte Quincy erschöpft. Ihr Kopf rauchte und ihre Schläfen pochten vor lauter Stress. „Ich werde jetzt gehen. Aber sollte in den nächsten Tagen irgendetwas Schreckliches mit dir oder deiner Familie passieren, dann bist du allein schuld daran!"

Quincy schaute in die dunklen Augen von Dale. Für ein paar Sekunden schien es so, als würde er seine Meinung nochmal überdenken, doch dann nahm er Islas Hand und überquerte gemeinsam mit ihr die Straße.

Dale schaute sich nicht mehr um. Nur Isla warf Quincy einen letzten hilflosen Blick zu.

„Es tut mir so leid, Isla", flüsterte Quincy zu sich selbst. „Ich hoffe, du bist nicht diejenige, die vor ihrem Schicksal gerettet werden muss."

Obwohl sich alles in Quincy dagegen sträubte, Dale und Isla allein zurückzulassen, kehrte sie dem weißen Haus ihren Rücken zu und machte sich stattdessen auf den Weg zu der nächsten Bushaltestelle.

Ab sofort lag das Schicksal von Familie Edwards nicht mehr in ihren Händen, sondern in denen von Dale!

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