41. Das Bad, das unter Wasser steht

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Ich weiß gar nicht so genau, was mich mehr ankotzt: Dieses saublöde Miststück Vanessa, die anscheinend in Anthonys Garten wohnt – anders ist es ja nicht zu erklären, dass die fünf Minuten später schon antanzt, wo ich gerade das Grundstück verlasse, oder Anthonys Bemerkung. Meine Finger zittern so sehr, dass ich meine Schnürsenkel nicht zukriege und Anthony steht wartend neben mir. Tut so, als hätte er nicht mit Absicht so laut gesprochen. Penner. Achja, Vanessa sieht übrigens umwerfend aus. Habe ich schon mal erwähnt, dass die verdammt große Hupen hat? Wenn sie dann wenigstens richtig fett wäre oder so, aber nein – Wespentaille und zehn Meter lange Beine. Fick dich doch. Das einzige, was nicht perfekt ist an ihr, sind ihre Haare. Die sehen ziemlich mitgenommen aus. Wohl zu oft gefärbt. Ich versuche sie weitestgehend zu ignorieren und wenigstens ein bisschen cool auszusehen. Tja, blöd nur, dass Anthony mir mit seinem Kommentar jegliche Coolness abgenommen hat. Ich hasse den Typ, im Ernst. Ich bin nur froh, mich nicht beim gehen auf die Fresse zu packen. Laufen geht noch einigermaßen. Meine Knie sind zwar wackelig, aber es geht noch. Und so sehr ich auch versuche, Vanessa nicht zu beachten, so sehr starre ich sie an. Ihre Haut ist echt wie die von Schneewittchen, unfassbar. So blass und scheiße ebenmäßig. Die nimmt bestimmt Pillen. Ist ja nicht normal. Und dann komm' ich mit meinen tausend Narben und kurzen Haaren. Okay, die sind zwar gewachsen und sind schöner als ihre, aber trotzdem. Meine zerstochenen Arme von den ganzen Nadeln, die hässlichen Spuren der Lumbalpunktion und ja, vergessen wir mal nicht das grausame Ding, wo dir mir an der Gebärmutter rumgehäxelt haben. Was ja im Endeffekt herzlich wenig gebracht hat, da die Scheiße ja wieder gekommen ist. Wie gesagt, ich war gedanklich schon tot, so viele Metasthasen waren in mir drin. Tja, ich lebe und ich habe keine Lust mehr. Also nicht, dass ich nicht ein bisschen dankbar bin oder so, aber es wäre besser gewesen, wenn es anders gekommen wäre. Toby sagt zwar oft, dass ich nicht so denken soll und dass ich ein Idiot bin und dass er ohne mich nicht kann, aber im Endeffekt habe ich auch nur ihn. Meine Mutter hurt sich durch die Welt, mein Vater scheint sie jetzt nachmachen zu wollen und meine Oma hat sich umgebracht. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass meine Familie kaputt ist. Toby ist alles was ich habe und so ist es vielleicht auch andersrum, das weiß ich aber nicht. Er hat Freunde, ich habe vielleicht noch Liam und manchmal Ginger. Doch es ist jetzt nicht so, dass ich die Straße entlang laufen könnte und überall klingeln kann. Es ist nicht so, dass ich überall willkommen bin, ich bin eher das Gegenteil. Anfangs hatten viele noch Mitleid mit mir und das haben sie immer noch, aber bei den meisten hat das „So eine Scheißkuh“-Denken Überhand genommen. Ich bin ein Arsch, ja, aber wie soll ich sonst auf sie reagieren? Wie kann ich endlich leben wollen? Ich bin hässlich und zerstochen und verdammt dämlich. Tränen beißen sich bitter in meine Nase und ich kicke eine leere Coladose auf dem Gehweg weg. Sie knallt gegen einen Zaun und bleibt liegen. Ich würde gerne mit ihr tauschen. Was für ein Schwachsinn. Zuhause ist es verdächtig still. Hat Toby Fußball oder was ist da los? Und was ist heute für ein Tag? Ich weiß es nicht mehr. Montag vielleicht, aber da bin ich mir nicht sicher. Ich hab Hunger, vielleicht sollte ich mir auch ein Sandwich machen. Und dann Vanessa damit abwerfen. Oder Toby, wenn ich den finde. Und Barbossa sollte mal wieder gefüttert werden. Duschen wäre auch nicht schlecht. Ich habe eigentlich ziemlich viel zu tun. Im Endeffekt entscheide ich mich dann aber irgendwie doch dafür, mit Klamotten und Gesicht ins Küssen gedrückt ins Bett zu fallen und erstmal ein paar Stunden lang so liegen zu bleiben.

Geweckt werde ich dadurch, dass mir jemand mit voller Wucht auf den Arsch springt. Mit dem Schock meines Lebens bin ich wach und versuche mich irgendwie zu bewegen, aber das ist ziemlich schwierig. Ich kann mich nur auf den Rücken drehen und Toby in sein dummes Gesicht sehen.

„Bist du bescheuert?“, fauche ich ihn an und er grinst.

„Ich hab uns was zu essen gemacht, also heul nicht rum“, meint er und steht auf. Er greift nach meiner Hand und zieht mich hoch.

„Ich hasse Menschen“, murmele ich in mich hinein.

„Ich liebe dich auch“, gluckst Toby fröhlich vor mir und ich stolpere fast auf der Treppe. Was hat der Typ genommen, dass der so gut drauf ist? Ah, Olga ist da. Sie sitzt auf der Couch und stochert mit der Gabel auf ihrem Teller rum. Toby nimmt sich seinen vom Tisch und setzt sich neben Olga, nachdem er sie noch auf die Wange geküsst hat. Ich will wieder schlafen.

„Jetzt iss doch mal“, fordert Toby und deutet auf meine Portion. Schlecht gelaunt tue ich was er sagt und starre dabei auf den Fernseher. Toby und Olga reden und lachen und küssen sich und ich werde immer müder. Vielleicht werde ich ja krank oder so. Nach einer Weile hört man die Tür im Flur auf und zugehen und dann Absatzschuhe klappern. Dass Mom überhaupt noch weiß, wo wir wohnen, ist ja echt ein Wunder. Hätte ich ihr nicht zugetraut.

„Ihr habt ja schon gegessen, wie schade“, höre ich plötzlich Dads Stimme im Rücken. Ungläubig drehe ich mich um. Er und Mom stehen mit verschränkten Händen und einer Tüte von KFC in der Tür.

„Ja, wir haben nicht mit euch gerechnet“, antwortet Toby genauso überrascht und die einzige, die meine Eltern freundlich anlächelt, ist Olga.

„Aber hier wohnen dürfen doch schon noch, oder?“ Wie lustig, Misses Morell. Findet die Hure meines Bruders auch, die fängt ernsthaft an zu lachen. Das war nicht witzig, nein, wirklich nicht.

„Wenn' s sein muss“, zucke ich mit den Schultern und stehe auf, um meinen Teller in die Küche zu bringen. Mom und Dad setzen sich dort an den Tisch und fangen an zu essen.

„Wie läuft' s mit Hermia, Zoe?“, fragt Dad und gießt sich Cola ein, während meine Gabel im Geschirrspüler versenkt wird.

„Genau, Zoe-Schatz, wie läuft' s mit Hermia?“, steht auf einmal auch Toby neben mir, mit seinem und Olgas Teller.

„Ich möchte nicht darüber reden“, schnaube ich und wieder lachen sie, diesmal alle.

„Warum denn nicht?“ Ich wasche mir die Hände und wende mich zum gehen. Dieses pseudo-Familiengehabe geht mir auf die Nerven. Toby versperrt mir aber die Flucht.

„Aber wenn du berühmt bist und reich, dann kriegt dein Lieblingsbruder doch was ab, oder?“, fragt er und ich bin mir nicht sicher, ob er das ernst meint oder nicht.

„Du bist der erste, den ich enterbe“, ziehe ich die Augenbrauen hoch.

„Ach komm schon, ich liebe dich doch“, spielt er den Beleidigten und umarmt mich. Also jetzt echt, was ist los mit dem? Wieso kann er mich denn nicht einfach loslassen und gehen lassen? Wieso kann ich nicht einfach in mein Zimmer gehen und schlecht Laune haben und mein Leben hassen und heulen? Wieso? Und wieso muss ich jetzt ausgerechnet anfangen zu flennen? Toby sieht meine Tränen und zieht die Augenbrauen zusammen.

„Was ist denn los?“, fragt er und alle Blicke liegen auf mir.

„Nichts ist los, Scheiße, jetzt lass mich los“, schreie ich schon fast und er hört sofort, wobei alles ruhig wird. Keiner lacht mehr. Das ist alles Anthonys Schuld. Und Vanessa.

„Süße...“, setzt meine Mutter an, doch ich hebe die Hand und unterbreche sie.

„Ich bin nicht deine Süße“, verbessere ich sie und dann gehe ich raus und ins Bad. Rote Augen blicken mir im Spiegel entgegnen und ich muss immer weiter weinen, bis ich mich auf den Boden setze und die Beine anwinkele. Das Schluchzen hört nicht auf und ich weiß nicht mal woher es kommt. Es läuft in den Teppich, bis das Bad unter Wasser steht und ich das leise Klopfen an der Tür nicht mehr höre.

Etwas berührt meine Hand und ich öffne blinzelnd die Augen. Toby sagt meinen Namen und mein verschwommener Blick gleitet nach oben. Olga ist nicht da, wir sind alleine. Ich liege auf dem Badewannenvorleger und setze mich langsam auf. Toby sagt erstmal nichts, sieht mich nur an und dann beuge ich mich vor. Er legt beide Arme um mich und er ist mal wieder mein Halt.

„Wegen ihm, oder?“ Ich nicke langsam und er tut es mir gleich. Wegen ihm.

„Oh Z“, murmelt er in meine meterlangen Haare und lässt mich nicht los. Ich sitze halb auf seinem Schoß und für ihn muss das echt unbequem sein, aber er regt sich nicht, solange ich nicht aufstehe.

„Wie spät ist es?“, frage ich irgendwann und ziehe den Rotz in meiner Nase hoch.

„Spät. Dad schreibt dich krank für morgen“, informiert er mich.

„Und was steht dann auf der Entschuldigung? Dass ich 'n Korb von 'nem Typen bekommen habe und deswegen unfähig bin, normal zu ticken?“

„Nö. Da steht drauf, dass du deine Tage hast und du den Putzfrauen nicht noch mehr Arbeit als sonst machen willst.“ Ich muss leise lachen und Toby hat erreicht, was er wollte.

„Willst du trotzdem mal schlafen gehen?“, fragt er irgendwann und ich nicke. Ein bisschen schwankend stehe ich auf und helfe ihm hoch. Mir ist ein bisschen schwindelig, aber das kommt bestimmt vom Wasserverlust. Oder so. Wie heißt das? Dehydration. Noch nie so viel geheult in meinem Leben. Ich bin allgemein nicht so der emotionale Typ. Als ich erfahren habe, dass ich Krebs habe, habe ich geheult. Aber Toby noch mehr als ich, daher ging das schon klar. Sonst heule ich eigentlich recht selten. Wenn irgendwas schlimmes passiert, lache ich eigentlich eher. Als ich mir den Fuß beim Balett gebrochen habe, hat Toby mich so lange ausgelacht, bis ich auch lachen musste. Die Sanitäter dachten erst, dass wir unter irgendwelchen Drogen standen, aber wir waren ja noch Kinder. Und so unverantwortungsbewusst war Mom nicht. Die ist ja auch immer völlig businessmäßig mit so 'nem langen Rock und Bluse rumgerannt. Und Brille. Obwohl ich glaube, dass sie die gar nicht braucht. Diese hässlichen Klamotten hat sie immer nur im Krankenhaus getragen, weil sie da keine Lust hatte, sich schick zu machen. Außerdem durfte sie oft kürzer arbeiten gehen oder sich freinehmen wegen Extremfällen oder so. Wenn ich gerade Chemo hatte zum Beispiel und den ganzen Tag gespuckt habe. Da wollte sie immer dabei sein, keine Ahnung warum. Ich fand das nicht so ansehnlich. Wobei mir einfällt, dass ich immer noch nicht weiß, was sie beruhflich macht. Vielleicht arbeitet sie ja bei der Mafia oder so. Obwohl die da doch bestimmt eher praktische Sachen tragen. So Lara-Croft-mäßig. Ob ihre Titten praktisch waren? Bestimmt nicht. Die waren doch so groß und spitz. So wie bei Kim Possible. Das ist auch sowas, das ich nie verstanden habe. Kim hatte immer solche Waffeltüten und die Olle, mit der sie immer Beef hatte, hatte normale Brüste. Rund und nicht spitz. Bonnie hieß die. Also das Mädel, nicht die Titten. Gut, die Coolste war ja eh Shego. Die konnte immer so geniale Sprünge und dieses grüne Plasmazeug rumschleudern.

„Zoe?“, reißt Toby mich aus meinen Gedanken und ich stelle fest, dass ich seit bestimmt zehn Minuten vor meinem Schrank stehe und mich nicht bewege.

„Du wolltest dich umziehen“, erinnert mein Bruder mich. Ah, das war' s.

Am nächsten Tag muss ich wirklich nicht in die Schule und Toby schwänzt seine Exkursion mit der Begründung, dass er doch nicht extra an den Arsch der Welt fährt, um da einen Regenwurm aufzuschneiden.

„Obwohl ich echt gerne wissen würde, wo die Viecher ihre Eier haben“, bemerkt er beim Frühstück und Mom sprüht ihren Kaffee über den Tisch.

„Du gehst da trotzdem hin. Ich kann dich auch mitnehmen. Das ist nicht weit vom Krankenhaus entfernt“, bietet Dad an und wischt mit Tüchern die Sauerei wieder weg.

„Ne geht schon, ich fahr mit Bus“, redet Toby sich raus und räumt vorbildlich den Tisch ab. Eigentlich ist es echt bescheuert, dass ich nicht in die Schule gehe. Es ist jetzt gerade mal zehn und mir geht’s ja wieder gut. Aber da werde ich mich nicht beschweren. Wäre ja dämlich. Mom und Dad verabschieden sich und Toby gibt vor, den nächsten Bus gleich zu nehmen. Als die Tür ins Schloss fällt, wirft er sich auf die Couch und fängt an zu zocken.

„Hey, Zoe-Babe, weißt du eigentlich schon, was wir am Wochenende machen?“, ruft er von dort aus.

„Nein?“, ziehe ich das Wort vorsichtig in die Länge.

„Ich stelle dir meinen Dealer vor, der verdammt geiles Gras hat und dann feiern wir, dass du single bist und daher mit jedem Typen im Club rummachen darfst und wirst.“

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