Irgendwann drehte sich der Schlüssel im Schloss wieder um und Julia duckte sich rein instinktiv hinter den Schreibtisch nieder.
Die Tür ging auf und die strenge Frau kam rein. Draußen konnte sie noch einen Wächter sehen... also keine Chance zu entkommen.
„Julia?", fragte die Frau verwirrt, als sie sie nicht gleich erspähte. Julia beschloss sich nicht zu rühren. Sollten die Monster doch sonst was denken. Das konnte ihr doch vollkommen egal sein.
„Herrje! Komm da hinter dem Schreibtisch raus, Kind! Du brauchst dich nicht so zu fürchten! Dass hier ist kein Gefängnis, sondern eine Schule. - Schau nur! Ich hab dir Bücher mitgebracht! Und deine Uniform. Außerdem Saft und was gutes zu Essen. Du musst dich nun erst mal hier eingewöhnen, das wird nicht leicht. Auch die Schule wird nicht leicht!
Das hier ist ein Elite-Internat. Wir haben nachmittags Nachhilfe für alle Fächer in denen du Hilfe brauchst. Also musst du dir keine Sorgen machen. Zudem kommt noch dein Einführungsunterricht hinzu. Für Gebissene Mate. Auch wenn du es jetzt noch nicht richtig bist, also eine Mate..., du wirst dich vorerst an deinen Wolf gewöhnen müssen. Und sie muss sich nun normal entwickeln dürfen, sonst wirst du irgendwann unkontrolliert wild und drehst durch! Das ist es was wir eigentlich einen Rogue nennen.
Ach ja, sag es, wenn du was nicht verstehst. Die Preußen kommen mit dem Bayrischen Dialekt oft nicht zurecht..."
Die Frau sah sie kurz prüfend an, doch Julia schwieg nur und blickte starr zu Boden.
Sie seufzte leise auf. „Starrsinn wird dir nicht weiter helfen! Du musst fleißig lernen, Mädchen! Du musst den Alpha davon überzeugen, dass du es wert bist, ein Teil des Rudels zu sein!"
Julia verzog nur Geringschätzig den Mund.
Als ob es das Rudel wert wäre dass sie ein Teil davon sein wollte. Pah!
„Stolzer Trotz wird dich nicht retten, weißt du? Und auch deine menschliche Rebellion nicht. Es wird anders laufen, als du es willst. Anders als du es gewohnt bist. Du musst dich dem beugen oder du wirst ganz schnell von der Rudel-Hierarchie gebrochen! Um sechs Uhr komme ich mit dem Abendessen wieder! Dann hast du deine Tasche ausgeräumt und deine Bücher verstaut! Um 22.00 Uhr geht das Licht aus. Die Hausregeln liegen im Collegeblock. Du solltest sie noch heute gründlich studieren!
Ansonsten... Sitz wo du willst. Aber selbst für einen Werwolf ist der Boden hinter einem Tisch kein passender Platz, es sei denn du willst dich für immer dort verstecken! Doch auch davon rate ich dir ab. Nur körperlich und geistig starke Werwölfe überleben im Rudel. Und nun ruh dich aus! Ab morgen wird es sicher hart für dich. Denn wir haben Anweisungen erhalten dich nicht zu schonen!"
Sie marschierte wieder hinaus und die Tür schlug zu, der Schlüssel drehte sich zwei mal herum... puh!

Was für ein Stress.

Aber es war wohl besser so, wenn sie von vornherein still blieb und passiv. Achim hatte das auch so gesagt. Eines Tages würde sie diesen Bestien dann sicher entkommen. Bald schon! Auf irgendeine Weise!
Sie musste es nur gut durchdenken und planen.

Nathaniel

Er wartete auf Rita und sah derweil aufgebracht aus dem Fenster hinaus. Noch immer konnte er es kaum glauben was da in den letzten Tagen geschehen war.
Sie war es!
Das Mädchen aus seinen schlimmsten Alpträumen. So lange hatte er mit sich gerungen, dass er im rasenden Zorn verurteilend seine eigene noch viel zu junge Mate getötet hatte. So schwer verletzt war sie damals gewesen... von ihm. Doch daran erinnerte sie sich heute anscheinend gar nicht mehr. Zumindest nicht an ihn... in Wolfsgestalt. Schon fast ein Jahr lang glaubte er, ein Seelenverwandt-loser Alpha werden zu müssen oder sich eine matelose Wölfin zu suchen und plötzlich stand sie im Taunus einfach so vor ihm und sah aus wie ein paar mal heftig durch den Fleischwolf gedreht. Sein Wolf hatte verrückt gespielt... doch ihrer hatte überhaupt gar nicht auf seine sofortige Ansprache reagiert.
Neulich im Krankenhaus auch nicht. Obwohl sie doch inzwischen von allen Giften befreit war. Also was zum Teufel hinderte ihre Wölfin nun daran heraus zu kommen? Was hindert sie daran ihn zu erkennen? Denn auch wenn sie erst 15 Jahre alt war, wurde sie vor über einem halben Jahr gebissen und fast getötet. Und Selbst wenn sie Moon war – sie sollte zumindest in der Lage sein mit ihrer inneren Wölfin zu sprechen, wenn schon nichts anderes.
Doch sie schien vollkommen verwildert und entweder eingeschüchtert oder aber aufbrausend und zornig zu sein. Keine guten Vorzeichen.
Ob nun sie schon damit begonnen hatte einen Ausweg aus ihrem Gefängnis zu ersinnen?
Er atmete tief durch, als die Rektorin der Schule mit gerunzelter Stirn herein trat und sich ihm gegenüber an den Tisch setzte.

„Ich glaube nicht, dass das Internat eine gute Idee für dieses wilde Wölfchen ist, Alpha. Auch wenn ich wirklich gerne helfen würde, sie sitzt nun hinter dem Schreibtisch in der Ecke und wagt sich nicht raus. Du hättest sie nicht fast erwürgen sollen... so kenne ich dich übrigens auch gar nicht, Nathaniel! Willst du sie wirklich weiterhin so grob behandeln? Dann fürchte ich wird sie irgendwann wohl daran zerbrechen.", seufzte die strenge Rektorin nachdenklich.
„Sie ist es bereits! Und ich im Übrigen auch.
Ihr Großvater hat meinen Vater getötet, Rita. Sie ist die Enkelin des Kanzlers! Was also meinst du wird das Rudel sagen, wenn sie das erfahren? Meinst du, sie wird dann hier noch akzeptiert sein? Oder denkst du wirklich, ich könnte sie so einfach akzeptieren?", grollte er leise auf.
Rita atmete nur tief tief durch bevor sie schließlich leise schniefend die Augen schloss.
„Sie ist also deine Mate, die du verloren glaubtest?", forschte sie besorgt nach.
Er nickte nur aufgewühlt und raufte sich kurz die Haare.
„Ja. Und sie steht bereits mit einem Fuß im Grab! Gebissen habe ich sie schon... Sogar mehrfach. Wir sind also bereits verbunden, ich habe es sofort gespürt.
Und wenn sie stirbt, reißt sie mich mit in den Abgrund. Was meinst du was die anderen Rudel machen werden, wenn sie sie in die Finger bekommen und feststellen, dass die kleine Rogue -Wölfin Julia die Luna von Bayern ist? Was soll ich dann bitte meinen Rudel sagen? - Die Enkelin des Mörders eures geliebten Alphas ist meine Mate? Ich hasse sie und liebe sie trotzdem irrerweise, also bitte behandelt sie mit Respekt?
Sie sollte längst tot sein, Rita!
Statt dessen wird die Kleine nun zu unserer Luna und dem Hassobjekt aller Rudel."
Rita seufzte nur Wieder leise auf.
„Nichts ist für dich jemals einfach, Nathaniel. Nichts!
- Angefangen mit deiner Geburt, deiner Ausbildung und den frühen Verlust deiner Eltern. Du musst immer noch kämpfen, um dich als Alpha zu behaupten. Es ist kein Wunder, dass du nun also deine eigene Mate ablehnst... Wenn Sie wirklich die ist, die du glaubst in ihr zu sehen. Jedoch erinnere ich mich noch ganz genau an jene Nacht, als du zu mir kamst, Neffe, und mir mitteiltest dass du an eben jenem Tag zunächst unwissentlich deine eigene Mate getötet hast. Und du hast in meinen Armen geweint wie ein Schlosshund!", erinnerte sie ihn sanft.

Nathaniel erbleichte kurz und rieb sich dann aber elend fühlend über das Gesicht.
„Sie war noch nicht ganz tot... und starb dann auch nicht. Offensichtlich. Die Menschen haben sie gerettet. Seither lebt sie in Angst vor ihrem inneren Wolf, in dem sie nur eine grausame Bestie sieht. Wie nun auch in mir!
Und wie sollte sie das auch nicht?
Ich kann sie nicht gut behandeln. Ich kann es einfach nicht, sonst findet das Rudel heraus wer sie ist! Doch zumindest erinnert sie sich nicht mehr daran, dass ausgerechnet ich sie einst halb tot gebissen habe.
Sie hat mich schließlich schon in Gestalt gesehen. Ich wurde Wolf und sie hat nicht mal Ansatzweise darauf reagiert."
„Sie ist eine gebissene Werwölfin und nun auch erst 15 Jahre alt, Nathaniel. Im Frühjahr war sie noch ein Kind.
Aber du hast natürlich recht. Eure Verbindung steht unter keinem guten Stern. Ihr Großvater tötete deinen Vater und du, zusammen mit deinen Leadern, tötetest dafür ihre Eltern und ihren Bruder. Da ist so viel Hass auf beiden Seiten und Angst und Schmerz. Doch nun da sie noch lebt, hast du schlicht keine Wahl mehr, als dein Schicksal zu akzeptieren und damit auch diese junge kleine Wölfin als deine Mate und Luna anzunehmen.
Ob du es nun willst oder nicht. Entweder du hilfst ihr jetzt durch ihr Elend hindurch eine Moon-Wölfin zu sein, oder du tötest euch beide."
„Oh Göttin! Warum bist du nur so grausam?!", knurrte er verzweifelt vor sich hin und Rita atmete nochmals tief durch.
„Vielleicht ist es ja keine Grausamkeit, welche die Göttin leitet, Nathaniel, vielleicht ist es ja doch eher Güte und Barmherzigkeit. Denn sie schenkte dir nun eine zweite Chance doch noch glücklich zu werden."
„Glücklich, mit der Enkelin des Mörders meiner Eltern?", brauste er erbost auf.
„Wie schon gesagt... bist auch du für deine Mate ein Mörder, Neffe und gleichgültig ob sie sich nun an dich erinnert oder nicht, sie fürchtet sich hier fast zu Tode. Sie hat bereits gesagt, dass sie fliehen will und dass sie ihren Mate nicht akzeptiert, gleichgültig wer auch immer es ist. Ihr werdet also alle beide euer Trauma überwinden müssen, dass immer noch heiß in euch brennt.
Darum beneide ich dich wirklich nicht, Neffe. Und auch die kleine Julia tut mir unendlich leid, denn ihre Worte sind tatsächlich wahr und entbehren nicht einer gewissen Logik.
Viele der modernen und vor allem die gebissenen Werwölfe finden es heutzutage ungerecht, wenn nicht gar überholt in Wert, Moral und Vorstellung, dass sogar die Kindeskinder unserer Feinde von uns gehasst und vernichtet werden sollen.
Die gebissenen Werwölfe wachsen ja mit einer völlig anderen Mentalität und Glaubenssätzen wie auch Gesetzen auf, nämlich dass ein Kind nicht verantwortlich ist für die Taten des Vaters oder der Mutter. Das darum jedes Kind auch nicht zur Verantwortung gezogen werden kann, für eben solche schlimmen Taten, sondern einzig nur der Täter.
Die gebissenen Werwölfe weigern sich aus eben jenem Grund in Rudelkriegen fremde Welpen zu töten. Und du weißt, dass du das auch mit aller Gewalt nicht aus ihren Köpfen herausbekommen kannst.
Dein Vater ist bereits daran gescheitert, dein Großvater ebenso. Vielleicht ist es nun also wirklich Zeit für eine grundlegende Reform dieser uralten Rudelregeln. Nun auch hier im bayrischen Rudel.
Dann könnten wir alle auch guten Gewissens deine Mate als unsere Luna akzeptieren, ... wenn du sie davon überzeugt hast zunächst einmal ein echter Werwolf und dann auch noch deine Gefährtin zu werden - sobald sie alt genug ist, versteht sich.", lächelte Rita ihm besorgt zu. Nathaniel brummte nur noch irgendwas leises, fluchendes raufte sich erneut frustriert und zornig die Haare und stürmte schließlich ohne jedes weitere Wort nach draußen.