TAPE 20《Broken Mirror》

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»War Zac immer so?«, fragte ich vorsichtig und ließ meine Beine an der Klippe baumeln, während ich neben ihm saß. Die Frühlingsluft wirbelte um mich. Die schönen Blumen der Felder wehten im Einklang mit dem Wind und wenn ich mich ganz stark konzentrierte, konnte ich die leichte, sanfte Melodie, die dabei erzeugt wurde deutlich heraus hören. Friedlich sog ich einen Augenblick lang den Zauber diese Umgebung in mich ein, nur um daraufhin meine Lider zu öffnen und diese Schönheit auch mit den Augen mitverfolgen zu können. Den hellblauen, wolkenfreien Himmel, das klare Wasser, die glühende, hell erleuchtete Sonne, welche uns mit seinen warmen Strahlen begünstigte und zu guter Letzt seine Präsenz neben mir. Ich wandte leicht den Kopf zur Seite nur um zu sehen, dass er mich bereits die ganze Zeit über beobachtet hatte. Ein warmes Lächeln bildete sich auf seinem symmetrischen Gesicht und bei seinem Blick, der weiterhin auf mir haftete, brach ich diesen Augenkontakt schnell ab. Meine Haare fielen mir wirr ins Gesicht und ich spürte die Röte aufkommen. Plötzlich fühlte ich zarte Finger, die einzelne Strähnen meiner Haare umfassten und sie mir hinters Ohr legten. Auch nach dieser Geste hatte ich den Blick immer noch nicht gehoben, obwohl ich genauestens wusste, dass er mit seinem intensiven Blick ganz klar darauf hinwies.

»Du bist so schön«, hauchte er. Ich biss mir verlegen auf die Unterlippe, außerstande klar zu denken nach diesen Worten, ehe ich meine Brille zurechtrückte. Kurz darauf spürte ich einen festen Griff um mein Kinn. Gegen meinen Willen wurde ich wieder nach links gewendet, sodass ich ihm ins Gesicht blicken musste. Mittlerweile war ich mir sicher, dass meine Gesichtsröte der einer Tomate deutlich Konkurrenz machte und bei dieser Erkenntnis überkam mich eine noch größere Scham.

»Du kannst ruhig auch mal Komplimente annehmen, die tun dir schon nichts. Einen Grund zum Schämen und dich hinter dieser Brille zu verstecken gibt es nicht«, sagte er amüsierte und tippte dabei auf das Gerüst meiner Brille. Ich konnte mir ein dümmliches Grinsen nicht verkneifen und hob zurückhaltend meinen Blick. Er erwiderte den Blickkontakt, doch da wurde sein Gesichtsausdruck schnell wieder ernst.

»Um aber auf deine Frage zurück zu kommen: Nein, Zac war nicht immer so Aurora.« Nun war er es, der sich von mir abwandte und in Gedanken versunken auf den See hinausstarrte.

»Weißt du, es gibt immer zwei Arten von reichen Menschen. Die, die es in vollen Zügen genießen und die, die es aus tiefstem Herzen verabscheuen. Wir, wie auch er, wurden in dieses Leben unwiderruflich hineingeboren. Manche von uns finden sich schnell zurecht und werden ein Teil dieser Gesellschaft, andere wie Zac aber haben es durchaus schwieriger. Er konnte sich nie in dieses Leben adaptieren, konnte nie durch das falsche Bild, welches die Menschen repräsentieren hinwegsehen. Er hasst es ... er hat es schon immer gehasst.«

Nachdenklich runzelte ich die Stirn und eine Woge des Mitleids wallte in mir auf.

»Und das ist der Grund, weshalb...«

»Nur zum Teil«, unterbrach er meine unausgesprochene Vermutung und fuhr fort.

»Seine Drogenprobleme sind auch durch andere Faktoren beeinflusst worden, die ganz tief in seiner Vergangenheit verankert sind. Zac ist... Zac ist sehr wackelig, was seinen Charakter anbelangt. Er ist nicht schwach. Nein, das würde ich nicht sagen, aber er sieht keinen anderen Weg als mit den Drogen weiter zu machen, um ansatzweise an sein Leben anknüpfen zu können.«

Eine Trauer überflutete mich und ich spürte wie sich Tränen in meinem Blickfeld ansammelten. Wie verzweifelt, wie gebrochen musste ein Mensch sein, der als einzige Möglichkeit nur noch das Gift vor Augen sah? Shane fasste mich erneut am Kinn, weshalb ich keine Gelegenheit hatte meine Tränen gefüllten Augen vor ihm zu verbergen.

»Das ist schrecklich«, brachte ich kaum flüsternd heraus. Shanes Augen funkeln auf, ehe er ruhig zu sprechen begann.

»Du bist so gütig. Das bewundere ich an dir.« Ich nickte nur leicht und ließ frustriert meine Schultern hängen.

»Zugegeben...«, sprach er unbeirrt weiter.

»Finde ich das zufälligerweise auch extrem sexy«, neckte er mich und ich konnte ebenfalls nicht anders als kurz aufzulachen, während die Nässe mein Gesicht allmählich bedeckte. Er wischte sie mir vorsichtig weg und schien dabei recht zufrieden darüber zu sein mich kurz zum Lächeln gebracht zu haben.

Dann starrten wir beide erneut gerade aus der Sonne entgegen, die sich zu einem herzhaften warmen Orange umgewandelt hatte und seine wundervollen Farbnuancen auf dem See reflektierte. Abrupt unterbrach Shane diese Stille, die mir eigentlich nichts ausmachte, indem er ein weiteres Mal zum Sprechen ansetzte.

»Aurora?«

»Mhh?« gab ich von mir. Doch als keine Reaktion von ihm kam, drehte ich mich seitlich zu ihm um. Sein Blick hatte sich verändert und seine Züge wirkten angespannter. Die Atmung, die er vollzog, verlief stockend und das Leuchten seiner Augen war leicht gedämpft.

»Was ist?«, fragte ich ihn nun besorgt und auch etwas verunsichert.

»Ganz gleich, was auch geschieht, versprich mir eins. Verliere niemals deine Güte, verstanden? Denn genau das macht deine Menschlichkeit aus. Versprichst du mir das?«

»Wer.bist.du?«

In meinem bisherigen Leben hatte ich mich nur ein einziges Mal in der Situation befunden, in der ich mich ernsthaft mit dieser Frage auseinandergesetzt hatte. Wer war ich? Wer war ich wirklich, abgesehen von der Identität, die mir einst einmal in der Gesellschaft zugeschrieben wurde. Wenn der Augenblick kam, an dem sich ein Mensch diese Frage stellte, befand dieser sich niemals auf der absoluten Zielgerade nach oben und auch die Bestrebung des ultimativen Höhepunkts war ausgeschlossen. Nein, sobald diese Frage auftauchte, darauf würde ich meine beiden Beine ins Feuer legen, war der Mensch am absoluten Tiefpunkt seines Lebens angelangt. Nicht zu wissen, wie man sich selbst einzuordnen hatte, war als stünde man wie ein kleines schutzloses Kind da, mitten im Nichts. Denn abgesehen davon, dass die Umwelt einen nicht vor Gefahren schützen konnte, war es noch aussichtsloser, wenn man es selbst nicht auf die Reihe bekam. Nicht hinbekam sich zu zügeln und deshalb in einer gewissen Distanz zu sich selber stand.

Einige Sekunden verstrichen, ehe ich bemerkte, dass die monotone Stimme aus meiner Kehle stammte und ich geradewegs an dem Waschbecken gelehnt, mein eigenes Spiegelbild betrachtete.

Vor Schreck weiteten sich meine rot angeschwollenen Augen. Die intensive Farbe dieser, die beschmutzt, besudelt, verunreinigt war durch die Dunkelheit, die mich zerfraß, nahm mich immer weiter ein. Die Frau, die sich geradewegs selbst im Spiegel betrachtete, war nicht mehr einst die, die ihre Träume verfolgte. Die, die sich ein unbekümmertes, friedliches Leben aufbauen und bis an ihr Lebensende, wie sie es als kleines Kind oft in den Märchen vorgelesen bekommen hatte, glücklich leben würde. Diese Frau...diese Frau vor mir war ein gebrochenes Stück Elend, das ihrer inneren Unruhe, die sie bis in ihre Träume verfolgte, sowie dem Selbsthass, den sie immerzu empfand, wenn sie sich jeden Morgen im Spiegel betrachtete, maßlos ausgesetzt war. Genau das war diese Frau.

Ich wollte es nicht wahrhaben, es nicht akzeptieren. Denn wenn ich es schaffen würde, wenn ich nur eine Antwort auf die Frage wer ich bin geben könnte, dann würde ich damit aufzeigen das dieses Bild nicht stimmte. Zeigen, dass ich nicht ganz verloren war.

Doch als die Sekunde verstrichen und auch der Kummer in mir stieg, blieb mir eine Antwort darauf erspart, denn mir wurde bewusst, dass es eine Antwort nicht gab. Es war still, viel zu still und auch das Tropfen meiner Tränen auf den kalten Fliesen hatte nachgelassen.

»Was ist nur aus dir geworden?«, stellte ich die nächste Frage an die Frau im Spiegel und wartete. Meine Unterlippe fing an zu beben, meine Gesichtszüge verzerrten sich und ich schrie schmerzerfüllt auf, als erneut Tränen aufstiegen. Ich wollte diesem elenden Wrack, was vor mir stand nicht mehr länger ins Gesicht blicken. Diese leblosen Augen demonstriert bekommen, um mir nochmal bestätigen zu lassen, dass ich nicht lebte, sondern lediglich nur ums Überleben kämpfte. Ein flehentlicher Ausdruck war daraufhin in meinen Augen ausfindig zu machen und ich sträubte mich dagegen dies zuzulassen und mich noch miserabler zu fühlen.

»Nein, nein, nein!«, schrie ich und schlug einige Male mit meiner Hand hart auf den Waschbecken ein, bis ich die Taubheit bei jedem Aufschlag noch härter zu spüren bekam. Ich schlug und schlug immer weiter, bis ich mich kraftlos abstützte und nach vorne zu fallen drohte. Ich hatte meinen Kopf gesenkt, die Haare waren mir unordentlich ins Gesicht gefallen und erleichtert schloss ich einen kurzen Augenblick lang meine Augen, weil ich mich nicht mehr selber im Spiegel anschauen musste.

Mit den beiden Armen angelehnt und einige gleichmäßige Atemzüge vollführend, umschloss ich das spitze Gerät links in meiner Hand noch fester, ehe ich mir sicher war den nächsten Schritt durchstehen zu können. Ich hob erneut meinen Kopf. Da war sie wieder, das nutzlose Ding. Ich betrachtete mich ausgiebig, nahm jedes kleinste Detail in mich auf bis mein Blick an meinen Haaren haften blieb, die ich mir nun aus dem Gesicht geworfen hatte und die gleichmäßig unterhalb meiner Brusthöhe verweilten.

»Sie riechen wie sie...«

»Nach den endlos langen Lavendelfeldern in der Provinz und den langen, heißen und frischen Sommernächten. Danach riechen Sie.«

Bei dieser Erinnerung schien es, als spürte ich, wie er sein Gesicht erneut in meine Haare vergrub und wie er den Duft in sich einsog.

»Sie hatte genauso schöne Haare...«, flüsterte er.

Nein, nein, nein. Ich schüttelte den Kopf. Hört auf!

Diese Stimmen sollten aufhören. Mein flehentliches Heulen hallte an den vier Wänden wider. Ich wollte, dass die Bilder in meinem Kopf verschwanden. Weit, weit weg gingen und nie wieder den Weg zurückfanden. Doch das taten sie nicht und aus der Verzweiflung heraus umklammerte ich das Ding in meiner Hand noch fester, bis ich bemerkte, dass der Druck allmählich zu viel wurde.

Ich atmete noch einmal tief aus und hob erneut den Blick zum Spiegel. Dieses Mal mit der Absicht dem Ganzen wirklich standhalten zu können. Nachdem es einige Sekunden lang geklappt hatte, entzog ich meine Hände vom Waschbecken und stellte mich in eine aufrechte Position hin.

»Du musst stark bleiben. Stark«, diktierte ich wie eine Mantra, spürte aber gleichzeitig das erneute Beben meiner Unterlippe und den starken Druck in meiner Brust, der jeden Moment eine Implosion hervorrufen würde. Reibungslos, diese trotz anfänglicher Schwierigkeiten, standgehalten zu haben, hob ich langsam die Hand in der ich das Teil, die Schere hielt. Vorsichtig fuhr ich mit den Fingerkuppen über die Spitze bis nach unten und dann von der anderen Seite wieder nach oben.

»Sie hatte genauso schöne Haare...«

»Ihre waren länger, aber ebenso weich wie ihre. Sie hatte diesen kastanienbraunen Ton, nicht dieses braun was Sie haben.«

Langsam nahm ich eine Haarsträhne zwischen meine Finger und betrachtete diese. Shane hatte sie angefasst, sie berührt... Dann nahm ich einige mehr und ich hatte das Gefühl als würde ich sein Einatmen immer noch auf meiner Haut spüren.

Er fand sie schön. Er fand meine Haare schön, wiederholte ich und mit diesem Gedanken hob ich monoton die Schere ich meiner linken Hand in die Höhe und schnitt mir ein Stück Haar ab, was dann federleicht auf den Boden fiel. Langsam und bedächtig. Ein hysterisches Lachen entglitt aus meinem Munde, was sich aber schnell mit einem Schluchzen vermischte. Nichtsdestotrotz stellte es den richtigen Ansporn für mich da, denn plötzlich nahm ich weitere Haare, erst Strähnen dann eine Handvoll mehr in meine Hand und setzte einen erneuten Cut rein, sodass bald viele braune Locken auf den Boden herab regneten, während sich mein Blick durch die aufkommenden Tränen immer mehr verschleierte und ich letztendlich nur noch ein Meer voller Braun unter mir wahrnehmen konnte.

Wieviel Zeit vergangen war konnte ich nicht sagen, aber irgendwann warf ich, nachdem ich fertig war, die Schere in den Waschbecken und betrachtete mich ein letztes Mal aus diesen verlorenen Augen.

Nun war es das mit den schönen langen Haaren, Shane. Nun waren sie nicht mehr schön.

Tick, tock, tick, tock, tick, tock...

Das leise Ticken der Uhr war das einzige Geräusch in der Wohnung, die erklang. Zurückgelehnt saß ich in meinem Sessel und hatte mich seit jeher nicht mehr gerührt. Selbst das Kleid, das ich für heute Abend anhatte, hatte ich nicht ausgezogen, weil mir einfach die nötige Kraft dazu fehlte. So kam es also, dass ich schweigsam einfach nur dasaß und vom Fenster aus auf die Stadt blickte, die erst jetzt zu leben begann. Nachdenken war hierbei vollkommen ausgeschlossen, denn meine Gedanken kreuzten sich quer und schräg und das große Loch in meinem Herzen zog dieses Durcheinander eiskalt zu sich. Ich war wie gelähmt, bis urplötzlich ein Lichtstrahl zu meiner rechten meine Sicht einnahm. Ich kniff die Augen zusammen und ein leichtes Zucken meinerseits war kurz auszumachen. Nachdem das Licht durch meine Beteiligungslosigkeit aus ging, seufzte ich umso genervter aus, als es kurze Zeit später wieder aufblinkte. Ich richtete meinen Kopf in die Richtung aus der diese Störung kam und in mein Blickfeld trat mein Handy, auf dessen Display genau der Name stand, welcher meine Unruhe noch größer werden ließ und meine aufgestaute Wut erneut in den Vordergrund schob. Kurz überlegte ich überhaupt nicht ranzugehen und den Anruf zu ignorieren, doch dann fiel mir eine Frage auf, die ich ihm stellen musste und die mir keine Ruhe lassen würde, weshalb ich schnurstracks das Handy in die Hand nahm und abhob.

»Na endlich, chérie. Ich dachte schon das dich doch jemand erkannt hätte. Und wie lief der Abend?«

Ich lauschte seinen Worten, aber kein Laut kam über die Schwelle meiner Lippen.

»Aurora. Bist du noch dran?«

»Wusstest du es?« In meiner Stimme lag keinerlei Menschlichkeit, keinerlei Gefühl, Wärme, Lebendigkeit, als ich ihm diese Frage stellte, die mir auf der Seele brannte.

»Was sollte ich wissen?«, fragte er leicht überrumpelt von meinem Tonfall. Ich wusste nicht, ob es das minimale Schwanken seiner Stimme war oder ob es an der Frage lag, die er mir gestellt hatte, doch ab der Sekunde war mein Geduldfaden endgültig gerissen, denn schwunghaft war ich aufgestanden und schrie energisch in den Hörer rein:

»Wusstest du, dass Shane Alkoholiker ist!«

Kurz verlor ich mein Gleichgewicht und vor meinen Augen erschienen lauter schwarze Punkt, weshalb ich mich nach einer Stütze suchend schnell an meinen Sessel klammerte. In der Leitung währenddessen erklang ein ungläubiges:

»Was?«

Als ich meine Atmung in den Normalstand zurück zu befördern bestrebte und durch meine Nasenlöcher tiefe Züge einatmete, um sie dann vorsichtig rauszulassen, brach am anderen Ende der Leitung das Chaos aus.

»Ich... bist du dir sicher?«

»Aurora, ich hatte wirklich keine Ahnung ich...«

»Ich will die Akten. Ich möchte die dazugehörigen Daten, alles dazu, jetzt sofort bekommen«, sagte ich und legte auf. Völlig erschöpft ließ ich mich dann wieder auf den Sessel nieder und massierte mir die Schläfen. Die unterschwellig aufkommenden Kopfschmerzen würden mir die heutige Nacht noch schwieriger gestalten als es schon war und als die Sekunden, Minuten verstrichen und ich in meiner Position verharrte und das Massieren auf das ich mich ausgiebig konzentrierte um eine gewisse Konstante herzustellen, vollführte, wurden meine Kopfschmerzen noch unerträglicher. Nach elend langem Warten erklang erneut das bekannte Klingeln meines Handys.

Ich ging ran und ohne auf eine Antwort zu warten, fragte ich verlangend:

»Hast du sie?«

»Die Daten müssten in weniger als fünf Minuten auf deinem Server sein«, sagte er und ich begab mich schnell an meinen Tisch, um meinen Laptop zu öffnen. Abgestützt an der Tischkante blickte ich auf den Bildschirm, zeitgleich ich hörte wie er tief einatmete.

»Ich wusste es wirklich nicht...«, fing er vorsichtig nochmal an und fügte hastig hinzu:

»Diese Daten waren gerichtlich unter Verschluss. Meine Leute haben nicht gründlich nachgegraben. Ich konnte es nicht wissen«, fügte er mit Nachdruck hinzu, doch eine Antwort erhielt er auch dieses Mal nicht. Abrupt blinkte mein Bildschirm auf, welcher daraufhin von einem dicken Balkan umgeben wurde, der prozentual stetig zu steigen begann. Dies mussten die Daten sein. Gebannt wartete ich bis es lud, was eine Stille in der Leitung zur Folge hatte, die auch anhielt, bis der Balken die 50 % erreichte. Dann hörte ich nochmal seine Stimme in der Leitung.

»Hat dich... hat dich denn jemand erkannt?«

Ich schloss einen Moment lang die Augen und überlegte ob ich mich auch dieses Mal weigern sollte zu antworten, doch dann entschied ich mich kurzfristig anderweitig.

»Fast. George River hat mich fast erkannt und das ausgerechnet vor Shane.«

»Also hatte es wirklich was Gutes, dass ich nicht gekommen bin.«

»Wärst du anwesend gewesen hätte er mich definitiv erkannt. Er war knapp davor und...« Dann hielt ich inne. Die Datei war nun komplett heruntergeladen und schnell tippte ich auf den kleinen Ordner, der auf dem Bildschirm angezeigt wurde.

»Ich habe sie jetzt bekommen, hast du sie auch?« fragte er und ich nickte, doch dann bemerkte ich, dass er dies kaum sehen konnte, also brachte ich ein gepresstes »Ja« heraus und überflog die ersten Seiten der Dokumente, die vor mir lagen.

Name, Alter, Geburtsdatum, Geburtstort. Verdammt, das war es nicht wonach ich suchte. Auf der letzten Seite angekommen hielt ich inne. Er war seit einigen Jahren wieder Clean war angegeben. Aber wann hatte das denn überhaupt angefangen? Ich überflog schnell nochmal die Seite, bis ich ganz unten an einer Randbemerkung stoppte und einige Schritte zurück trat als ich das Datum zu sehen bekam.

Er hatte es nur wenige Sekunden darauf ebenfalls gesehen, denn seine Stimme verriet ihn als er mit Bedacht meinen Namen aussprach.

»Nein...«, hauchte ich gequält in den Hörer hinein und schloss die Augen. Er sollte es nicht aussprechen. Bitte... tu es nicht.

»Aurora. Du weißt was dieses Datum zu bedeuten hat«, sprach er aus und ich schüttelte hektisch den Kopf.

Nein, nein, nein. Und auch wenn meine Sinne seine Stimme nun komplett ausgeblendet hatten, war es schier unmöglich gegen die Stimmen in meinem Kopf anzukämpfen, die folgende Sätze formten.

31 Tage. Einen Monat. Genau einen Monat später, nachdem ich die Stadt verlassen hatte am 18.06.2010 wurde er eingeliefert.

Da stand es. Schwarz auf weiß.

Eingeliefert: 18.07.2010

Auch wenn es Sonntag war und ich erst am Morgengrauen endlich meinen Schlaf gefunden hatte, gewährte dieser erwünschte Friede nicht lange, denn ein nicht aufzuhörendes Piepen, was plötzlich wie aus dem nichts erklang, weckte mich aus meinem drum bemühten Schlaf und angestrengt streckte ich meine Hand in die Richtung aus, aus der dieses nervige Geräusch erschien. Mit geschlossenen Augen in der die Gegend tastend, stoppte ich endlich nach gefüllter Ewigkeit, als ich das Teil zu erfassen bekam. Ungeachtet wer mich wohl anrief, drückte ich einfach auf das Display und legte mir das Handy auf das eine Ohr, während ich mich mit dem anderen weiter in mein gemütliches Kissen einkuschelte.

»Jaa...«, brummte ich.

»Endlich! Warum bist du nicht ran gegangen?«, nahm ich die hysterische Stimme Elvanas wahr, die durch die lauten Hintergrundgeräusche von ihrer Seite aus leicht übertönt wurde. Ich wurde hellhörig und mit Mühe bekam ich es sogar auf die Reihe ein Auge zu öffnen.

»Was ist denn los? Wir haben Sonntag Ela. Hätte das nicht warten können?« Ich fuhr mir durchs Gesicht und warf einige meiner, nun kürzeren Haarsträhnen aus dem Gesicht.

»Vergiss den Sonntag. Steh auf und komm sofort ins Büro. Mr. Caprino fragt schon die ganze Zeit nach dir und er ist im Moment nicht wirklich in Stimmung um deinen morgigen Schönheitsschlaf als Entschuldigung anzunehmen.«

Mein Herz rutschte mir bei ihren Worten bis in die Hose. Warum wollte er mich sehen? Erinnerte er sich etwa an gestern? Erinnerte er sich an den Kuss? Und was am wichtigsten war, was hatten wir an einem Sonntag auf der Arbeit zu suchen? Blanke Panik durchflutete, in Binnen von Sekunden, meine gesamten Zellen und sofort war ich hellwach und richtete mich im Bett auf.

»Wie... was ist passiert?«

»Die Konkurrenz hat die Produktionsvorstellung vorverlegt, Aurora. Unseren vertraulichen Quellen zufolge sollten sie es ursprünglich erst in einem Monat vorstellen, was perfekter nicht hätte sein können, da unser Projekt schon in zwei Wochen fertig gewesen wäre. Gestern Abend aber während die Charity Veranstaltung in vollem Gange war, fand eine Konferenzbesprechung statt von der Mr. Caprino nicht eingeweiht wurde. Diesen Moment haben sie extra ausgenutzt diese.... ach ist jetzt auch egal. Auf jeden Fall ist hier die Hölle los. Mr. Caprino hat jeden ins Büro verordnet. Die Mitarbeiter sind total überrumpelt und er selbst sieht in keinem besseren Zustand aus. Die ganze Zeit über verlangt er von mir, dass ich ihm irgendwelche Medikamente gegen Kopfschmerzen zukommen lasse. Ich bin total überfordert gerade.« Durch ein lautes Husten ihrerseits brach sie kurz ab, ehe sie ansetzte:

»Jetzt muss ich los, um ihm diese zu besorgen. Bitte beeil dich«, sagte sie und legte auf. Weshalb er nach einer Aspirin verlangte, hatte natürlich andere Gründe liebe Elvana, die du lieber nicht wissen möchtest. Doch wenn er schon brummig drauf war, dachte ich, dann wollte ich ihm im Moment kein weiterer Dorn im Auge sein. Nach gestern Abend fehlte mich letztlich doch jeglicher Nerv zu. Also stand ich auf und zog mich schnell an, um dann 20 Minuten später in das nächste Taxi einzusteigen.

»Dem Himmel sei Dank«, sagte Elvana, als ich aus der Aufzugstür heraustrat und zügig auf sie zuging.

»Wo sind alle?«, fragte ich und blickte mich um. Also dafür das Elvana panisch geklungen hatte wirkte die Umgebung relativ ruhig und harmonisch durch die vorhandene Stille.

»Sie sind bei Mr. Caprino im Büro. Hop, hop schnapp dir gefälligst einen Stift und einen Block und los geht's«, sagte sie, doch ihre letzten Worte wurden durch ein lautstarkes Husten ihrerseits unterbrochen, welches über Sekunden hinweg anhielt. Ich nahm sie näher ins Visier als sich ihr Hustenanfall nicht gelegt hatte. Bei genauerer Betrachtung fiel mir auf das sie blasser wirkte als sonst.

»Geht es dir gut?«

»Nein. Ich war anscheinend gestern zu oft in der Nähe des großen Kühlschranks als ich dem Chefkoch Anordnungen bezüglich des Essens gegeben habe. Es ist nur eine leichte Erkältung mehr nicht. Jetzt lass uns aber nicht weiter rumtrödeln. Wir müssen jetzt los«, knüpfte sie an und diktierte mich ins Büro.

Wenn ich dachte zuvor würde die vollkommene Stille herrschen, dann änderte sich meine Meinung schlagartig, als wir über die Türschwelle des Büros von Mr. Caprino überschritten. Er saß wie gewöhnlich an seinem Schreibtisch, umgeben war er jedoch von einer großen Meute, die ihm hie und da etwas zureichte, Fragen stellte oder die auf ihn einzureden bestrebte. Er indes ging hastig mit der Hand durch einige Blätter, die ihm bei unserem Betreten gerade wieder zugeschoben wurden. Neben ihm hatten sich einige Mitarbeiter versammelt, die wie wild in irgendwelchen Akten rumblätterten, andere hingegen führten Telefonate oder tippten auf ihren Tablets rum. Als Elvana und ich näher traten schien niemand unsere Anwesenheit zu bemerken, was ich geschickt ausnutzte, um Shane näher in Augenschein zu nehmen. Es schien fast so, als ob nichts wäre. Mal abgesehen von seinen wirren Haaren, die in jede Richtung herab lagen, war nichts was darauf hindeuten ließ das gestern Abend etwas passiert war. Ihm ging es gut, Aurora redete ich mir ein wurde dann aber von seiner harten Stimme wieder ins jetzt zurückkatapultiert.

»Mrs. Delly rufen Sie die untere Abteilung an und verkünden Sie, dass die Projektübernahme auf diese Woche vorverschoben wird«, sagte Shane ohne von seinen Unterlagen aufzusehen. Eine ältere Dame dicht neben ihm, die anscheinend angesprochen wurde, riss erschrocken die Augen auf.

»Aber Sir, das ist...«

»Tun sie es! Wir werden die Tage durcharbeiten müssen. Stellen Sie sich alle also darauf ein, dass Sie diese Woche von Tag bis Nacht in diesem Gebäude durcharbeiten müssen, wie Sie es noch nie getan haben.«

Ein schlaksiger Mann mittleren Alters zwang sich nach vorne und tauschte dabei unsichere Blicke mit seinen Kollegen aus, ehe er sich zurückhaltend an Shane wandte.

»Sir, was ist mit dem 31. Oktober? Ich... ich möchte ja nicht unhöflich klingen, aber ich habe meinen Kindern versprochen, dass... «
Die restlichen Leute stimmten plötzlich aus jeder Richtung von Shane mit ein.

Schnaubend drehte sich Shane zu seinen Mitarbeitern um und wollte eine giftige Antwort abgeben, doch als er die flehentlichen Blicke um sich herum sah, seufzte er tief auf.

»In Ordnung. Ihr könnt am 31 eher aufbrechen, aber bis dahin erwarte ich in den kommenden Tagen vollen Einsatz von jedem von euch. Andernfalls werden Sie Halloween wohl oder übel in diesen Räumlichkeiten verbringen müssen.«

Der Mitarbeiter, der Shane zuvor angesprochen hatte, wollte etwas hinzufügen, aber Shane war mit seinen Worten noch nicht am Ende gelangt.

»Es interessiert mich nicht, welche Versprechungen Sie gemacht haben. Sie haben alle Ihrem Job nachzugehen, ich bezahle Sie schließlich als Gegenleistung fütr eine exzellente Arbeit, die ich von allen von Ihnen erwarte. Wenn Sie nicht bereit dafür sind alles zu geben, habe ich keine Probleme damit neue Kollegen zu finden, die die Pflichten in dieser Firma ernster nehmen als Sie.«

Eine Kündigung. Er sprach von einer fristlosen Kündigung.

Dankend nickten die Mitarbeiter Shane zu, andere wiederrum erklärten sich von seiner Mahnung sogar bereit länger zu bleiben. Selbst Elvana, die sich als erste freiwillig meldete, stellte sich in ihrem Zustand zur Verfügung.

»Nein«, sprach er dazwischen.

»Das ist nicht nötig Ms. Harvis, bleiben Sie zuhause. Ich brauche hier keine kranke Mitarbeiterin, die sich zu Tode arbeiten. Ms. Duront wird kommen und die Akten mit mir durcharbeiten«, gab er laut bekannt und mein Kopf schoss in seine Richtung.

Also hatte er meine Anwesenheit doch bemerkt. Trotzdem blickte er zu Elvana, die sichtlich verwirrt einen irritieren Blick in meine Richtung warf. Auch einige der Mitarbeiter um Shane herum schienen verblüfft über seine Worte, einige wiederrum betrachteten mich sogar ganz missbilligend. Konnte ich es ihnen übelnehmen? Er zog die Anwesenheit einer einfachen Assistentin denen von jahrelang qualifizierten Menschen vor, aber warum? Panisch und etwas überrumpelt von den Blicken ergriff ich ungeachtet das nächste Wort.

»Ehh ich ... ich kann nicht, ich habe an dem Tag eine Verabredung.«

Meine Ausreden waren mal wieder blendend. Ganz toll. Nun aber bot es wenigstens den Anlass, dass Shane sich doch zu mir wandte. Einige Sekunden lang zog er die Augen zu schlitzen und observierte mich ausgiebig bis seine Augen an meiner Brust zu verweilen kamen und ein leichtes Funkeln in ihnen zu erkennen war.

Was für ein... Doch dann bemerkte auch ich es. Er starrte nicht auf meine Brust, sondern auf meine Haare. Er starrte auf meine Haare. Er hatte bemerkt, dass sie kürzer waren. Scheiße. Mit einem kurzen Räuspern warf ich sie unauffällig nach hinten, sodass er von seiner Hypnose gerissen und mich geradewegs anschauen konnte.

»Dann werden Sie wohl oder übel ihre Verabredung canceln müssen, Ms. Duront. Ich möchte Sie hier haben. Wer zu spät kommt den bestraft bekanntlich das Leben«, sagte er beinahe gefährlich flüsternd und auch Elvana warf mir einen vielsagenden Blick zu, der soviel besagen wie, dass die Diskussion hiermit beendet war.

Die alte Dame neben mir ergriff erneut das Wort und blickte runter auf ihre Notizen.

»Uhm Sir, sollen wir auch Mr. Cunningford Bescheid geben, dass...«

»Nein. Ich möchte ihn nicht hier haben«, sagte Shane recht barsch, doch da ertönte bereits eine andere Stimme in der Nähe der Tür.

»Tja, leider zu spät mein Freund.«

Jack hatte die Hände in die Hosentasche gesteckt und sich an den Türrahmen gelehnt, während er und Shane einen stummen Blickkampf miteinander führten. Beide wirkten todernst als zwischen den Blicken keine Reaktion, Mimik oder jegliche Wärme herrschte, welche diese feste Bindung zwischen den beiden kennzeichnete. Die Kälte war von beiden Seiten aus deutlich zu spüren, was dazu führte, dass niemand sich traute etwas zu sagen oder sich einzumischen.

»Wir müssen reden...«, fing Jack als erster an, doch Shane reagierte nur mit einem weiteren, kalten Blick darauf, ehe er selber das Wort ergriff und seine Stimme emotionsloser denn je erschien.

»Verlasst alle den Raum. Jetzt.«

Oh, das bedeutete eindeutig Krieg.

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