39 - Der Schimmer in deinen Augen wie Musik in meinem Ohr

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An mir nagt zum ersten Mal die Frage, ob ich mir nicht zu viel Zeit für meine Freundin freischaufle, als wir am frühen Dienstag-Nachmittag ein niedliches Café in meiner alten Wohngegend betreten. Allein die Überlegung ist falsch, so kommt es mir jedenfalls vor, doch ich schaffe es nicht, den Gedanken ohne Weiteres beiseitezuschieben, seit Charlotte und ich auf dem Weg hierher in Eintracht festgestellt habe, dass wir beide für gewöhnlich nie so früh auf Arbeit Schluss machen.
Nehmen unsere Treffen gerade überhand? Wie kann es sein, dass ich noch immer ständig mit ihr zusammen sein will, obwohl die rosarote Phase inzwischen vorbei ist? Ich kenne mich so gar nicht.

Charlotte huscht durch die Tür, die ich ihr aufhalte und sieht sich um. Das Café ist eingerichtet wie eine typische New York Bakery. Hell, groß, offen. Eine Drag-Queen klackert in ihren hohen Schuhen über den Fliesenboden und nimmt an einem der Tische Platz. Meine Freundin sieht ihr hinterher, dann flirrt ihr Blick zu den kunstvoll bemalten Kreidetafeln, auf denen die Karte verewigt wurde. Art-Nouveau-Blumenmuster ranken sich um die Schriftzüge. Hier gilt die Selbstbedienungsregel, also schiebe ich sie zum Tresen rüber, ans Ende der Schlange.
„Der Kuchen hier ist geil", informiere ich sie und deute auf die Auslage. Charlotte nickt mit leuchtenden Augen. Ich weiß längst, was ich möchte. Mein Blick begegnet der Frau, die vor uns ansteht und ich bemerke dabei, dass sie mich ungläubig anstarrt. Sie hat so blaue Augen, dass ich fast meine, mitten in zwei kreisrund geschleifte Lapislazuli-Steine zu blicken, und trägt ihre braunen, gewellten Haare zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengebunden. Zaghaft lächelt sie.
„Hey, cool dich hier zu treffen, was machst du so?", fragt sie mich auf einmal.

In meinem Kopf rattert es, aber ich erinnere mich einfach nicht an sie. Ihre Begrüßung klingt nicht, als wäre sie ein Fan, eher als würde sie mich tatsächlich persönlich kennen, aber woher? Ein Glück ist mein Mundwerk so lose. Während ich fieberhaft überlege, wer sie ist, beantworte ich vage ihre Frage.
„Wir wollten gerade nur 'nen Kaffee trinken."
„Geht mir genauso. Ich arbeite in der Nähe und bin häufiger in meiner Mittagspause hier, weil der Kaffee vom Barista besser schmeckt als im Büro." Büro, Büro, Büro ... Ich kenne niemanden, mit Ausnahme von Charlotte, der in einem Büro arbeitet. Zumindest war ich bis vor fünf Sekunden noch vollkommen überzeugt davon. „Du hast lang nichts mehr von dir hören lassen, wieso nicht?", fragt mich das Mädel, das anscheinend irgendwo gleich um die Ecke angestellt ist.
„Viel zu tun", antworte ich knapp. Wir hatten also mal Kontakt ... Hat die meine Nummer? Ich ihre jedenfalls nicht. Oder doch?

Als sie sich vorbeugt, um sich ein Stück Kuchen aus der Auslage zu angeln und mir dabei ihre Brüste in dem rund ausgeschnittenen T-Shirt präsentiert, streift mich der Gedanke, wir könnten mal miteinander geschlafen haben und ich halte das für durchaus plausibel, als sie mich wie zufällig am Arm berührt.
„Schade, hat doch Spaß gemacht letztes Mal", zwinkert sie mir zu. „Dieser Film, den du da seinerzeit rausgesucht hattest, der war so bescheuert. Wie hieß der nochmal?"
Wie der hieß? Wie heißt du denn?!
„Keine Ahnung", sage ich und grinse sie verlegen an, während ich mich am Hinterkopf kratze. Irgendwas mit M, da bin ich mir ziemlich sicher ... Melanie, Melissa, Mona –

„Er erinnert sich nicht an dich." Charlottes Stimme hinter mir erklingt so scharf, dass sie die Luft zu durchschneiden scheint. Ich drehe mich mit großen Augen zu ihr um.
„Macht nix, ich bin Monique", sagt die Brünette irgendwann, nachdem sie Charlotte ausgiebig gemustert hat. Meine Freundin stiert unbekümmert zurück. Sogar mit einem Hauch von aufgeblasener Hochnäsigkeit und Herablassung. Zwei Dinge, die ihr überhaupt nicht stehen.

„Hey", wende ich mich der bekannten Unbekannten zu und versuche mit Freundlichkeit für die feindseligen Blicke zu kompensieren, die Charlotte ihrer neuen Erzrivalin zuwirft. „Ich dachte erst an Mona, aber ich hatte schon so im Gefühl, dass das nicht ganz stimmt." Ich schenke Monique ein Lächeln und greife nach einem Stück Käsekuchen mit Blaubeeren. „Du auch?", frage ich Charlotte nebenbei.
„Ich habe keinen Appetit", murmelt die und ich blinzle, aber sie sieht aus, als würde sie gleich drauf losfauchen, wenn ich jetzt nachhake, was eigentlich ihr Problem ist.

„Wie geht's dir, Monique? Als was arbeitest du nochmal?", verwickle ich also meinen ehemaligen Onenightstand in ein Gespräch. Ich erinnere mich wieder. Ein Kumpel von uns, der Gott und die Welt kennt, hat sie mal zu unserer Aftershowparty nach Tourabschluss mitgeschleppt. Sie war nicht auf den Kopf gefallen.
„Ich bin beim Jugendamt", klärt sie mich auf. „Hauptsächlich für den Papierkram", gibt sie dann zu und ihre Wangen färben sich dabei rot.
„Irgendwer muss die Scheiße auch erledigen", zucke ich die Schultern.
„Das hast du auch schon gesagt, als ich dir das erste Mal davon erzählt habe", schmunzelt sie verschwörerisch.
„Ich muss echt breit an dem Abend gewesen sein." Ich lache über mich, stoppe jedoch, als Charlotte mich antippt. Kaum habe ich mich zu ihr umgedreht, wünschte ich fast, ich hätte sie einfach ignoriert. Ihre sonst so warmen Augen glitzern kalt.
„Ich setze mich an den Tisch dort drüben." Sie deutet auf einen für zwei Personen am Fenster. „Beende dein Pläuschchen ganz in Ruhe. Bestellst du mir einen Latte Macchiato?", fragt sie.
„Selbstverständlich", erwidere ich prompt. Charlotte marschiert zu ihrem auserkorenen Sitzplatz rüber.

„Habe ich euch bei irgendwas gestört?", fragt Monique. Ich schüttle nachdenklich den Kopf.
„Nein, nein. Sie ist wahrscheinlich überarbeitet oder sowas. Besser ich finde gleich mal raus, was mit ihr los ist", leite ich gekonnt eine Verabschiedung ein.
„Vincent", hält Monique mich auf und kaut im nächsten Augenblick unsicher auf ihrer Unterlippe herum. „Ruf mich doch bald mal wieder an. Ich weiß, du erinnerst dich kaum noch, aber es war wirklich gut, glaub mir", beteuert sie und ihre Wangen glühen.

Mitleidig verziehe ich das Gesicht.
„Hey, das glaube ich dir gern, aber das geht leider nicht, das –" Ich deute mit dem Daumen in Richtung Charlotte. „Sie ist meine Freundin, weißt du? Das mit ihr und mir ist ziemlich ernst."
„Oh", macht Monique überrascht und enttäuscht zugleich. „Oh Mann", lacht sie beschämt. „Tut mir leid, hätte ich das gewusst, hätte ich nicht ..."
„Ja ..." Wir schauen uns ein paar Sekunden in die Augen. Die merkwürdige Stille, die sich zwischen uns ausbreitet, wird irgendwann so unangenehm, dass ich das Schweigen breche. „Also, Monique, war witzig, dich hier zu treffen", sage ich und umarme sie flüchtig, ohne groß darüber nachzudenken.
„Jap, lustiges Schicksal", bestätigt sie.
„Mein Schicksal sitzt da drüben und schmollt", murmle ich und beobachte, wie Charlotte krampfhaft so tut, als würde sie aus dem Fenster gucken, obwohl ihre Pupillen dauernd zu uns rüber flitzen. „Viel Erfolg dir", wünsche ich Monique noch. „Im Job, bei den Männern", ergänze ich augenzwinkernd.
„Vielleicht sieht man sich irgendwann nochmal", nickt sie, ehe sie mit ihrem Stück Kuchen rückwärts davonläuft. „Tschüss, Vincent." Ich zeige auf den Teller in ihrer Hand.
„Guten Appetit."
„Gleichfalls", lacht sie, dann verschwindet sie in einem anderen Teil des Gastraums und ich sinke gegenüber von Charlotte auf den zweiten Stuhl.

„Na, Grumpy Cat", begrüße ich sie, wofür ich einen Todesblick kassiere. Ich seufze. „Machst du's uns beiden bitte einfach und sagst mir direkt, was mit dir los ist?"
„Nichts", will sie sich rausreden.
„Dann kann ich mich ja auch verhalten als wäre nichts. Und du genauso", kontere ich trocken. Charlotte sieht mich an, als ich meine Gabel in den Kuchen steche, ein Stück abtrenne und es mir in den Mund schiebe.
„Du hast mit ihr geschlafen, oder?", fragt sie mich.
„Genau, erst letzte Woche. Sie hat mir gerade gesagt, dass sie schwanger von mir ist." Der Scherz ist absolut überzogen, aber nur so überzogen wie Charlottes Reaktion auf die Begegnung mit Monique.

„Warum bist du so ein Arschloch gerade?", knurrt sie, verschränkt die Arme vor der Brust und dreht sich weg.
„Ich war nur höflich zu ihr, im Gegensatz zu dir übrigens. Wenn hier einer das Arschloch ist, dann ja wohl du", verteidige ich mich.
„Tut mir leid, dass ich nicht nett zu Frauen bin, die dich anbaggern, wenn ich – als deine feste Freundin – unmittelbar danebenstehe", zischt sie.
„Anbaggern?", lache ich freudlos auf. „Wir haben Smalltalk geführt. Was machst du denn plötzlich so 'ne Szene? Glaubst du, ich flirte vor deiner Nase mit irgendwelchen Frauen?"
„Na ja, vielleicht ja nicht vor meiner Nase", brummt sie. Ich schnalze mit der Zunge.
„Ich war bloß freundlich zu ihr, jetzt reg dich ab."
„Ich soll mich abregen?" Wütend funkelt sie mich an.
„Ja, du gehst mir auf den Sack mit deinen Unterstellungen."
„Du würdest anders mit mir sprechen, wenn nichts an meinen Unterstellungen dran wäre", analysiert sie mich kühl.
„So ein Quatsch", widerspreche ich. Charlotte schnaubt.
„Vincent, ich streite nicht in der Öffentlichkeit mit dir."
„Du hast doch gar keinen Grund, dich mit mir zu streiten", meine ich fassungslos.
„Natürlich habe ich einen Grund, wieso bist du so arrogant?", hält sie dagegen. „Ich bin eifersüchtig auf sie, ob dir das gefällt oder nicht."
„Dass du eifersüchtig auf einen ehemaligen Onenightstand bist, ist definitiv dein Problem. Als könnte ich was dafür."
„Es ist mein Problem und ich stelle es nicht so dar, als wärst du für meine Unsicherheiten verantwortlich", empört sie sich. „Aber wenn ich irgendwie verletzt bin, dann ist es ohnehin längst zu spät; dann brauchst du nicht drauf rumhacken, wie unbegründet das ist, ich werde mich nämlich trotzdem weiter beschissen fühlen." In mir brodelt es zwar, aber ich balle die Hand nur kurz unter dem Tisch zur Faust, ehe ich sie wieder öffne.
„Es tut mir leid", gebe ich zerknirscht zu. Es bringt schließlich nichts, wenn wir uns ankeifen. Ich bin in diesem öffentlichen Rahmen auch nicht heiß darauf. Charlotte atmet aus.
„Mir tut es auch leid", zieht sie nach. „Du wusstest ja noch nicht mal, wie sie heißt. Klar bedeutet sie dir nichts." Eine Pause entsteht.

„Wieso trifft dich sowas so hart?", frage ich sie. Charlotte presst die Lippen aufeinander.
„Das ist ein sensibles Thema. Ich hab's dir schon mal gesagt, ich werde eben schnell eifersüchtig."
„Das nervt aber."
„Ich verstehe dich, Vince. Mich nervt es auch. Gib mir Zeit." Ich schiebe versöhnlich das Stück Kuchen zu ihr rüber. Sie greift nach der Gabel und isst davon. „Dankeschön", murmelt sie.
„Gibt's noch irgendwas außer Kalorien, was dir helfen würde, dich besser zu fühlen?", hake ich nach.
„Lass uns wieder raus an die frische Luft, wir könnten ein paar Schritte im Park gehen."
„Okay."

+

Draußen zwitschern die Vögel und der Sandweg knirscht unter unseren Füßen. Wir halten beide einen Coffee to go in der Hand, sie in der linken, ich in der rechten. Ihre Rechte wiederum liegt in meiner Linken. Charlotte hat eine Weile nichts gesagt, und auch ich habe mich zurückgehalten, bin ein wenig in Tagträumen abgedriftet. Doch ihre Stimme holt mich sanft zurück.
„Mein Ex hat mich betrogen." Ich mustere sie von der Seite. Da ist der Schmerz in ihrem Gesicht, den ich schon von meinem eigenen Spiegelbild kenne. „Mit meiner besten Freundin."
„Richtig Klischee, na klasse", kommentiere ich es grimmig.
„Die Hinweise waren praktisch unübersehbar, ich wollte es nur nicht wahrhaben. Das hat mich irre gemacht. Vor allem, weil mir das in meiner ersten Beziehung auch schon passiert ist."
„Fuck, ich verstehe dich", beteuere ich. „Du bist nicht allein damit, die Erfahrung machen viele." Charlotte blinzelt und legt den Kopf in den Nacken. Vermutlich, um die Tränen zurückzuhalten. Auch ich schaue hoch zum Himmel. „Ich sehe ein Eichhörnchen, das eine Registrierkasse bedient", beschreibe ich die Wolke unmittelbar über uns. Charlotte lacht und mein Herz erwärmt sich. „Was siehst du?" Meine Freundin schaut mir in die Augen.
„Einen zwei Meter großen Kindskopf, in den ich fürchterlich verliebt bin", sagt sie. Statt etwas zu erwidern, küsse ich sie. Als meine Lippen auf ihre treffen, bin ich wie elektrisiert. Ich schmecke einen Rest Blueberry Cheesecake, der auf ihren Mundwinkeln zurückgeblieben sein muss und sich mit den bitterschokoladigen Aromen des Kaffees vermischt. „Wenn ich jemanden liebe, dann sehr intensiv, weißt du?", flüstert sie. „Ich bin drüber weg. Es ist nur diese Scheiß-Erinnerung. Ich sehe dich und sie – und plötzlich bin ich wieder drin in meinem Schmerz von damals."
„Brauchst du nicht zu sein. Ich bin nicht er."
„Nein", erwidert sie und ihre Augen schimmern. Mir stockt der Atem, weil ein warmes Glücksgefühl mich durchströmt, auf das nur ein einziges Wort passt. Es ist kein Schimmern, dass ich aus vergangenen Beziehungen kenne, wird mir in diesem Augenblick klar. So anders; so viel schöner als alles, was ich je gesehen habe. Ein Schimmern, zu dem drei Worte gehören, für die es zu früh ist, und doch sehe ich, dass sie ihr auf der Zunge liegen. Sie schmeckt sie. Um auch davon zu kosten, küsse ich meine Freundin kurzerhand. Aber der Kuss macht mich nur gieriger. Ich schmunzle, als wir uns voneinander lösen. Sie ebenfalls. Das Schimmern ist geblieben. Ein Schimmern wie Musik.

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