06 - Ja, Nein, Doch

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"Eine Nacht drüber schlafen" hatte ich gesagt. Enthusiasmus und Tatendrang von gestern sind nicht völlig verflogen, aber doch ziemlicher Ernüchterung gewichen. Beim Frühstück lese ich noch einmal den Brief, den ich gestern Abend geschrieben habe, mache mir Gedanken, wo und wie ich jetzt eigentlich anfangen soll, und kristallisiere drei Ebenen heraus.

Die erste Aufgabe ist natürlich die Sanierung des Hauses. Drunter, drumrum, drüber - sprich Fundament, Außenwände, Isolation, Dach, dazu Wasser, Heizung, Elektrik - das ist alles unabhängig vom zukünftigen Zweck des Hauses. Sozusagen die Voraussetzung für alles andere.

Die zweite Aufgabe ist es herauszufinden, was das sein könnte, das "was mir am Herzen liegt". Welchen gesellschaftsspaltenden Missstand finde ich so empörend, dass ich mit meiner Kraft und Zeit, meinem Vermögen und meinem Herzen daran mitwirken will, dass an dieser Stelle unsere Gesellschaft gerechter und toleranter wird?

Und die dritte Aufgabe ist schnell formuliert: ich kann nicht alles auf den Kopf stellen und Himmel und Hölle in Bewegung setzen für ein edles Hilfsprojekt - und dafür als erstes vier gestrandete Menschen höchst unedel auf die Straße setzen. Was auch immer ich plane und verwirkliche - es muss eine Zukunft bereithalten für Hobi Bauarbeiter, Jeongguk Poltergeist, Yoongi Löwengähnen und Jin Leicheimkeller.

Hier halte ich inne. Kopf und Bauch fangen bei diesem Punkt sofort an, sich zu zanken. So-Ras Stimme mischt kräftig mit, Onkel Harry schaut mich warm an, schwarzes Wasser schwappt durch die Auseinandersetzung und Berge von Antragsformularen mauern mich ein. Energisch schüttele ich den Kopf. Viele Köche verderben den Brei. Ich hocke mich auf meinen Minibalkon und atme ganz bewusst den Duft von Frühling und Gelassenheit ein.

Mein Gedankenwust klärt sich etwas. Ich lege eine Tabelle zu den drei Aufgaben mit Pro und Contra und möglichen Alternativen an. Ich suche mir nochmal den Grundriss vom gesamten Gelände raus.
Die alten Bäume überall sollen die Sanierung überleben. Sie geben dem Park Struktur und sind einfach schön.
Mein Blick fällt auf ein Rechteck links auf dem Gelände in der Nähe der Straße, das von hohen Hecken umgeben und inzwischen wahrscheinlich völlig überwuchert ist.

Und da macht es Klick.
Das alte Pförtnerhaus!
Onkel Harry hatte nur zwei feste Angestellte, ein tüchtiges Ehepaar. Sie war Haushälterin und Köchin, er war Gärtner, Pförtner, Chauffeur und Automechaniker. Die beiden hatten dort, auf halbem Weg zwischen Straße und Villa ihr eigenes Paradies und viele Freiheiten, wenn sie grade nicht gearbeitet haben. Das ehemals ganz hübsche Haus dürfte allerdings zusammengebrochen sein - bei dem Gewicht da drauf.
Sonst wäre mir das gestern doch ins Auge gefallen!

Angezogen mit robuster Kleidung, bewaffnet mit einem Zollstock, einer Heckenschere, alten Grundrissen, Notizpapier und meinem Fotoapparat in meinem Rucksack, dazu einem großen, leeren Korb mache ich mich eine halbe Stunde später auf den Weg. Ich fahre zum Italiener meines Vertrauens, wo ich vor der Abfahrt jede Menge Essen bestellt habe. Damit fülle ich den Korb bis zum Rand und starte zu meinem zweiten Besuch in meiner Vergangenheit. Jetzt wird es spannend.

Es geht schon gegen Mittag, ich habe unterwegs noch zwei Kästen mit verschiedenen Getränken gekauft und fahre nun den Berg zur Villa hinauf. Es ist Sonntag, und außer ein paar Ausflüglern, die hier zu einem Spaziergang im Wald hochfahren, ist nichts los auf der Straße. Die Baustelle auf dem Nachbargrundstück ruht.
Auch auf meinem Grundstück tut sich nichts. Ich bleibe wieder direkt an der Einfahrt stehen und mustere das Gelände. Da, wo die Pförtnerei war, erhebt sich eine grüne Hölle aus Bäumen und Rankenpflanzen. Darunter ist also nicht nichts, dazu ist der Berg zu hoch.
Ich versuche, mit dem Auto weiter die geschwungene Auffahrt rauf zu fahren. Aber schon nach zwanzig Metern muss ich den Wagen abstellen und doch zu Fuß weitergehen.

Als ich mich dem Haus nähere, höre ich erst dumpfes Schimpfen von drinnen.
"Kim Seokjin, wenn du jetzt nicht sofort hoch kommst und mithilfst, dann schmeiße ich dich endgültig raus!"
Eine sehr tiefe Stimme kontert, vielleicht die von Yoongi Löwengähnen.
"Sie wird uns alle rausschmeißen. Da hilft auch dieser bescheuerte Aufriss nichts!"
"Dann eine hellere, jüngere Stimme.
"Soll ich ihn hochholen?"
Ich nähere mich schon der Eingangstreppe, als ich die Stimme von Hobi Bauarbeiter identifizieren kann.
"Du wirst gar nichts, Guckie. Lass Jin gefälligst in Ruhe, er hat dir immer noch nichts getan."
Klingt amüsant - was auch immer der "Aufriss" sein soll - klingt nach hektischer Aktivität. Klingt nach einem Dauerkonflikt zwischen Jeongguk und Jin. Und ich habe den ersten vollständigen Namen. Die 'LeicheimKeller' heißt Kim Seokjin.

Als nächstes biege ich ab, rechts ums Haus herum. Dabei erhasche ich grade noch das Gesicht von Jeongguk Poltergeist, der durchs Küchenfenster späht, dezent und leise "Sie kommt!" brüllt und in den Tiefen des Hauses verschwindet.

Also ... heißt "Aufriss" vielleicht, dass sie alle noch da sind und sich irgendwie vorbereiten, um gut Wetter bei mir zu machen? Interessant! Ich wette, die treibende Kraft dahinter ist Hobi Bauarbeiter, der keinen Bock hat, sich ein neues Dach über dem Kopf zu suchen.
Ich lasse mir viel Zeit, schlendere mit Rucksack und Picknickkorb ums Haus, schaue mich im Park um und verschaffe so den Typen noch etwas Zeit für den "Aufriss".
Die Sache fängt an, Spaß zu machen.

Wieder fühle ich mich völlig sicher. Von diesen Männern geht keine Bedrohung für mich aus. Und wer sagt überhaupt, dass ich mir jetzt als reiche Frau unbedingt ein normales, geregeltes, repräsentatives, gutbürgerliches Leben aufbauen muss? Normal ist langweilig. Das hier ist viel lockender. Ich schicke wie verabredet eine Nachricht an So-Ra, dass ich gleich das Haus betreten werde, und gehe weiter. Schließlich erklimme ich die breiten Stufen zur Veranda.

Aha - da hat sich was verändert! DAS ist in der Tat ein ziemlicher Aufriss.
Kaputte Dachschindeln, Gerümpel und vertrocknete Blätter befinden sich hübsch ordentlich in drei Haufen am anderen Ende der Terrasse. Ein paar pralle Müllsäcke liegen daneben. Der zerrissene Fliesenboden ist notdürftig gefegt. Eine stramme Leistung, sollte das zerfledderte Ding gestern der einzige Besen im Haus sein.

Die Türen zu den drei Wohnzimmern rein sind nun alle weit geöffnet und ermöglichen mir einen erstaunlichen Anblick. Die ganze Zimmerflucht ist gefegt, gewischt und von Spinnweben und Müll befreit. Aufgequollene Parkettbrettchen stapeln sich ordentlich in einer Ecke neben dem linken Kamin. Ich trete näher und verkneife mir einen Lachanfall. Die Jungs meinen es echt ernst. Oder zumindest Hobi Bauarbeiter. Die beiden Kamine sind geputzt, Glasscherben und Staub entfernt, kaputte Möbel wo auch immer hingetragen, die letzten heilen Stühle und Onkel Harrys inzwischen ziemlich wackeliger großer Schreibtisch stehen mitten im mittleren Raum.

Es wirkt wie ... ein Tisch mit Stühlen drumrum, an den man sich setzen, speisen und plaudern möchte. Wie vier Ölgötzen stehen die vier Männer dahinter und sehen mir mit einem ganzen Haufen von Gefühlen in den Gesichtern entgegen. Zwei davon sehe ich zum ersten Mal. Hobi Bauarbeiter sieht entschlossen aus und versteckt einen Besen hinter seinem Rücken. Seine Augen huschen durch den Raum, er scheint sich zu fragen, ob er genug getan hat, um mich weichzuklopfen. Yoongi Löwengähnen ist klein, hager, blass, ein bisschen älter als die anderen, aber nicht so alt wie ich. Er lehnt am Kamin, seine Miene ist so undurchdringlich und neutral wie irgendein Kopf im Wachsfigurenkabinett von Madame Tussaud.

Jin Leicheimkeller hat verstrubbelte Haare und bemerkenswert breite Schultern, sieht käsebleich und traurig aus, deshalb kann ich ihn auch von Yoongi unterscheiden. Das ist Kellerblässe. Seine ganze Haltung zeigt Depression und Resignation. Seine Schuhe sind nass, seine Klamotten hängen an ihm wie an einem Gerippe. Sein Gesicht starrt mit verlorenem Blick knapp an mir vorbei.
Tja, und an Jeongguks Miene kann ich eine Mischung aus Angst, Trotz, Neugierde und unterdrückter Wut ablesen. Eine ziemlich schräge Mischung. Er fühlt sich offensichtlich unwohl und weiß nicht, wohin mit Händen und Füßen vor lauter nervöser Hibbeligkeit. Zerrissene Jeans und Beanie vervollständigen das Bild eines orientierungslosen Jugendlichen beim krampfhaften Versuch, normal auszusehen.

Na dann - auf in die "Schlacht".
Zwecks Findung einer gemeinsamen Basis stelle ich den gut gefüllten Korb auf den Tisch.
"Hi! Jetzt sehe ich Sie alle mal. Wie schön! Gibts hier irgendwo im Haus brauchbares Geschirr und Besteck? Ich hab ein Mittagessen mitgebracht."
In Jeongguk und Hobi kommt Leben. Der Jugendliche lunzt über den Rand vom Korb und fängt an zu strahlen.
"Pizza! Party, Leute!"
Hobi wirft Yoongi einen auffordernden Blick zu, geht mitsamt Besen wortlos raus und klappert kurz darauf in der Küche. Yoongi folgt ihm. Ich höre es plätschern.

Da muss wohl erstmal gespült werden. Soll mir recht sein.
Ich wende mich an den Jungspund, der kaum seine Finger bei sich behalten kann.
"Im Kofferraum ist ein Kasten mit Getränken. Auto ist offen. K..."
Mehr muss ich gar nicht sagen, schon ist er zur Terrassentür rausgeflitzt und aus meinem Blickfeld verschwunden.

Nun steht nur noch Jin vor mir - ein behängter Garderobenständer mit keinem Tropfen Lebenswillen mehr. Er weicht meinem Blick aus und rührt sich weiterhin nicht. Würde er nicht ab und zu blinzeln, könnte man ihn für ein Stück moderner, sozialkritischer Bildhauerei halten.
Ich zwinge ihm kein Gespräch auf sondern fahre beiläufig mit einem Finger über die fleckige Tischplatte. Beeindruckend. Die ist offensichtlich sogar feucht abgewischt worden. Ich fange an, die Pizzaschachteln, Nudelpötte, Pommestüten und Salatboxen aus dem Korb zu heben. Ketchup, Mayo und Dressings daneben. Ich bin gespannt, wie es gleich weitergeht.

Keuchend kommt Jeongguk Poltergeist zurück mit zwei Getränkekästen. Entweder hat er sich länger nicht die Ohren gewaschen und deshalb das Wörtchen "ein" überhört. Oder er ist - völlig zu recht - kackfrech davon ausgegangen, dass sowieso beide Kästen für sie sind. Immerhin hat er nun den Anstand, mich mit Dackelblick anzusehen und nachzufragen.
"Ich ... ähm ... ich hab beide Kisten mitgebracht. Das war doch so gedacht, oder?"
Ich sage nichts dazu und grinse ihn nur an.

Im nächsten Augenblick betreten Hobi Bauarbeiter und Yoongi Löwengähnen wieder das Wohnzimmer. Sie tragen ein Brett mit einem abenteuerlichen Sammelsurium von angeschlagenen Tellern, stumpfen Gläsern, Tassen ohne Henkel und irgendwelchem Besteck herein und decken den Tisch. Ich bekomme den letzten heilen Teller, der tatsächlich auch das einzige Stück Geschirr von früher ist. Das Wasser schießt mir in die Augen, und das Bild eines eleganten Speisezimmers mit festlich gedecktem Tisch schwebt durch meinen Kopf. Ich muss die Zähne zusammenbeißen und ein paarmal schlucken, damit ich nicht hier vor diesen Fremden in Tränen ausbreche. Sehnsucht und das leidige schlechte Gewissen brennen in meiner Kehle wie saurer Essig.

Ich zwinge mich, auch wenn es jetzt schwer fällt, ein harmloses Gespräch aufzubauen.
"Ich bin übrigens Cho Cornelia. Setzen Sie sich doch. Frühstück gefällig?"
Ich setze mich auf den Stuhl, der mir am nächsten ist.

Schon wieder! Ausgerecht der zierliche Stuhl von meinem Schminktisch. Auch das noch. Himmel, ist das lange her! Und tut so weh.
Die vier verbeugen sich, gehen - jeder in seinem eigenen Tempo, auf die Stühle zu, setzen sich und schauen mich abwartend an. Yoongi muss zwar Jeongguk erst schubsen für die Verbeugung, und Hobi muss den lethargischen Jin regelrecht anschieben, aber eigentlich finde ich das sogar niedlich.
Ich zeige auf alle Schachteln und zähle auf, was drin ist.
"Salamipizza, eher scharf. Pizza Hawaii, mild. Quadro stagioni, aber mit viel Zwiebeln drauf. Thunfischpizza mit Spiegelei. Da ist Spaghetti mit Bolognese drin und da Canneloni. Tomaten Mozzarella-Salat. Und in dem gemischten Salat sind Putenstreifen drin. Greifen Sie ruhig zu."

Bei Jeongguk Poltergeist wie der Blitz, bei den anderen eher gesittet, sind Gläser gefüllt und Teller beladen. Die drei Erwachsenen sagen brav Danke und essen los, der Junge kriegt schon den Mund kaum noch zu.
Eieiei - da fehlt eindeutig noch die lenkende Hand von Mama.
Ich versuche, sein Alter abzuschätzen, komme aber zu keinem Ergebnis. Nur, dass er sich schon rasiert, ist deutlich zu erkennen. Ansonsten ist er mehr wie ein zu groß geratenes Kind in einer nicht enden wollenden Trotzphase. Als er jedoch einen mahnenden Blick von Yoongi Löwengähnen auffängt, setzt er sich sofort aufrecht hin, greift nach Messer und Gabel und hört auf, das Essen in sich reinzuschlingen.
Aha. Yoongi scheint hier tatsächlich seine "Mama" und Autorität zu sein. Gut zu wissen.

Eine Weile ist nichts zu hören außer dem Klappern von Besteck, dem Zischen beim Öffnen von Mineralwasser oder Colaflaschen und dem bemühten Nichtschmatzen der aus der Zivilisation gefallenen Männer. Ich esse von jeder Pizza ein Stück, trinke Orangensaft und warte ab. Ich bin gespannt, ob sie außer der demonstrativen Putzerei noch mehr geplant haben, um mich weich zu klopfen.
Irgendwann tritt bei allen ein gewisses Sättigungsgefühl ein. Jin scheint deutlich anwesender zu sein als vorhin, Yoongi nehme ich als still, aber wach und geistesgegenwärtig wahr. Jeongguk ist wieder hibbelig. Und Hobi geht wie offensichtlich immer direkt auf sein Ziel los.

"Wir bedanken uns sehr. Zumindest ich habe schon eine ganze Weile nicht mehr an einem Tisch sitzend eine warme Mahlzeit zu mir genommen. Gleichzeitig bin ich ziemlich verwirrt jetzt. Erst schleichen Sie wie eine "Lost Places"-Jägerin durchs Haus und in den Keller. Dann sagen Sie mir, dass sie die Besitzerin sind. Gefolgt davon, dass Sie diesen Steinhaufen sanieren wollen, wobei Sie immer wieder Ihre Rührung unterdrücken müssen. Das würde uns aber vertreiben. Doch statt uns rauszuwerfen, bieten Sie uns ungefragt ein fürstliches Mahl frei Haus.
Ich habe keine Ahnung, worauf das rauslaufen soll. Ich weiß nur - für mich ist dieses Haus ideal, ich möchte bleiben dürfen. Aber wissen Sie selbst überhaupt, was Sie wollen?"
Holla, die Waldfee, der hat echt Grips im Kopf!

Ich muss leise lachen. Er hat den Nagel genau auf den Kopf getroffen.
"Ganz ehrlich? Nein, ich habe noch keine Ahnung, was hier am Ende bei rauskommen wird. Das Haus und der Park werden auf jeden Fall saniert. Aber wann, wie schnell, mit wem und zu welchem Zweck - das ist mir selbst noch völlig schleierhaft.
Ich habe gestern und heute Morgen viel nachgedacht, das hier Gesehene verdaut, alte Grundrisse studiert und in mich hineingelauscht, wie ich das Testament meines Onkels hier umsetzen will. Er hat sich gewünscht, dass ich dieses Erbe einem wohltätigen Zweck meiner Wahl zuführe. Und da kommen Sie alle ins Spiel. Ich habe irgendwann begriffen, dass ich nicht etwas Gutes tun kann, indem ich als allererstes vier gestrandete Menschen auf die Straße setze. Ich möchte, dass Sie bleiben."
Vier Paar Augen weiten sich für einen ganz kurzen Moment. Jin verfällt ziemlich bald wieder in Lethargie, in Jeongguks Augen schimmert Hoffnung, Hobi zeigt erhöhte Wachsamkeit. Und bei Yoongi meine ich, einen Anflug von Ärger wahrzunehmen. Aber das wäre absurd. Ich werde mich wohl geirrt haben.

"Ihr Bleiben hat allerdings eine Voraussetzung."
Augenblicklich rasseln in vier Gesichtern die Zugbrücken hoch. Ich taste mich dennoch weiter vor.
"Ich kann Sie nicht bleiben lassen, wenn ich nicht erfahre, wer Sie sind, was Sie hinter sich haben und wie Sie hier gelandet sind."
Vier Burgtore knallen mit lautem Dröhnen zu. Vier Gesichter sind vollkommen ausdruckslos, vier angespannte Männer sitzen auf den Kanten ihrer Stühle. Jetzt muss ich vorsichtig sein.
"Ich möchte Ihnen helfen, wieder auf die Füße zu kommen."
Hobi Bauarbeiter schüttelt energisch den Kopf. Seine Stimme klingt sehr distanziert.
"Danke der Nachfrage, mir geht es gut. Ich bin ein ganz normaler junger Mann mit Zielen, für die er ein Startkapital braucht und deshalb möglichst sparsam lebt. Mehr werden Sie von mir nicht erfahren. Vielleicht mag sich ja einer der anderen von Ihnen therapieren lassen."

Er steht auf und fängt an, Geschirr und Besteck einzusammeln. Jeongguk Poltergeist springt auf, rennt raus und stürmt die Treppe hoch. Oben knallt eine Tür. Yoongi Löwengähnen packt die Reste vom Essen so zusammen, dass für die vier noch eine weitere Mahlzeit dabei rauskommt. Und Kim Seokjin wird mit schleppenden Schritten wieder zur "Leiche im Keller".

Das hab ich dann wohl versemmelt.
Ich bin ratlos, wie ich nun weitermachen, wie ich doch noch einen Zugang zu den Männern finden kann. Mir fällt aber auf die Schnelle nichts ein. Die Situation droht, mir zu entgleiten. Ich bleibe bewusst sitzen und blicke die verbliebenen beiden Männer direkt an.
"Können wir bitte trotzdem noch weiter miteinander reden?"

Meine Mission scheint zum Scheitern verurteilt zu sein. Beide verlassen den Raum in Richtung Küche. Den Geräuschen zufolge spülen sie noch einmal Geschirr und Besteck. Ob sie sich beraten, kann ich bei dem Geklapper nicht hören. Aber ich gebe die Hoffnung noch nicht auf. Nach einer Weile erscheinen die beiden wieder, setzen sich und mustern mich abschätzend. Hobi Bauarbeiter ergreift das Wort.
"Worüber? Dass wir uns zu unserer eigenen Sicherheit nicht in die Karten kucken lassen werden, dürfte wohl klar sein."
Ja. Worüber? Was hatte ich mir alles für heute vorgenommen?
Mein Blick fällt auf meinen Rucksack, der bislang unberührt neben dem Korb auf dem Boden gelegen hat.
"Ich würde gerne eine Bestandsaufnahme vom gesamten Anwesen machen. Was ist erhalten, noch zu retten? Was ist zerstört, verloren? Ich muss den Architekten ein paar Fakten nennen können."

Yoongi Löwengähnen wirkt träge und genervt.
"Schaffst du das Sightseeing-Programm alleine, Hoseok? Ich halt mich da raus."
Ohne eine Antwort abzuwarten, verlässt er den Raum und folgt Jeongguk die Treppe hoch.
Hobi Bauarbeiter heißt also eigentlich Hoseok.
Mit einem resignierten Seufzer erhebt er sich wieder.
"Was wollen Sie zuerst sehen?"
"Setzen Sie sich doch bitte nochmal. Ich möchte Ihnen einen Überblick verschaffen und von meinen ersten Überlegungen berichten."
Während ich die alten Grundrisse hervorhole, kommt er scheinbar desinteressiert um den Schreibtisch herum und stellt sich neben mich. Ich kann nun sein Gesicht nicht mehr beobachten, und das wird er damit wohl auch bezweckt haben.

Dafür kann ich ihm die Karten erklären.
"Das ist das gesamte Gelände. Am besten kennen Sie sich wahrscheinlich im Haus aus. Da waren früher die Straßen und Wege durch den Park. Und dieser Abzweig hier am Rondell hat zu einem weiteren Gebäude geführt, das jetzt vollkommen überwuchert ist. Ich kann darum nicht erkennen, ob da heute nichts, eine Ruine oder ein ganzes Haus ist. Sind Sie einmal dort gewesen?"
Sein Kopf folgt meinen Armbewegungen, und seine Stimme klingt nun erstaunt.
"Nö. Ich glaube, keiner von uns. Da war schon immer Dschungel. Wie ist das Haus denn genutzt worden?"
"Dort hat das Ehepaar in einer eigenen Wohnung gewohnt, das für uns Haushälterin, Köchin, Pförtner, Gärtner und Automechaniker war. Dort waren die Garage für Onkel Harrys Autos und die Werkstatt, die der Mann sich eingerichtet hatte. Ein kleines Gewächshaus ... und ihre Gemüse- und Kräuterbeete."

Eine Weile ist es still im Raum. Sein Blick ruht auf den Plänen.
"Versteh ich nicht. Eigentlich wollen Sie das Haupthaus retten. Warum fragen sie dann als erstes nach diesem Nebengebäude?"
"Weil ich mich gestern ganz laienhaft bei Youtube schlau gemacht habe, ... naja, versucht habe, mich schlau zu machen, wie so eine Fundamentsanierung eigentlich abläuft, wie lange sowas dauert. Mindestens Kim Seokjin verliert sein "Zimmer" sofort, weil als erstes der Keller und das Fundament in Angriff genommen werden müssen."
"Und?"
"Wie ich gesagt habe - ich möchte Sie alle nicht raussetzen. Aber wenn es hier von Handwerkern und großen Baumaschinen wimmelt, müssen und sicher auch wollen Sie aus der Schusslinie kommen. Sollte das Pförtnerhaus bewohnbar sein, wäre das für Sie eine Ausweichmöglichkeit."

Hoseok Bauarbeiter stöhnt und klatscht sich mit der flachen Hand vor die Stirn.
"Es will mir nicht in den Kopf, warum Sie uns auf Biegen und Brechen helfen wollen. Warum Sie keine Angst vor uns haben. Warum Sie heute wieder alleine hergekommen sind und uns sogar füttern. Da muss doch ein Haken sein! Wer hat Sie geschickt? Was haben Sie vor? Kommen Sie vom Jugendamt, weil Guckie noch minderjährig ist? Mir ist das Ganze echt zu heiß."
Er geht einen Schritt rückwärts, bereit zur Flucht.

Jetzt habe ich nur noch diese eine Chance, etwas zu retten, was ich noch gestern nicht mal geahnt oder gar gewollt habe. Aber ich spüre, dass ich diese Situation retten will. Also gehorche ich meinem Gefühl und rede einfach los.
"Ich kann nicht gut lügen. Und ich mache das hier auch zum ersten Mal. Also kann ich nur um ein bisschen Vertrauen bitten und die Wahrheit sagen, soweit ich selbst sie bis jetzt verstanden habe.
Mein Onkel hat mir sein Vermögen und dieses Anwesen hinterlassen. Ich darf mit all dem machen, was ich will. Aber dieses Haus soll ich sanieren und einem guten Zweck widmen. Ich kenne Sie und Ihre Schicksale nicht, aber ich kann Sie nicht einfach rausschmeißen. Das bringe ich nicht übers Herz! Ich muss und will das Risiko eingehen, dass mein erster Eindruck von Ihnen falsch ist und Sie mir doch noch irgendwann die Kehle durchschneiden werden. Oder aber nach und nach lernen, mir zu vertrauen. Ich möchte nicht die Ursache dafür sein, dass Kim Seokjin demnächst nicht mehr in diesem Keller sondern im Han schwimmt. Kehrseite nach oben.
Verstehen Sie? Das hier ist ganz offensichtlich seine Endstation. Also muss dieses Hier ihm eine neue Perspektive aufzeigen können. Wo anders wird er nicht von vorne anfangen. Und das will ich einfach nicht auf dem Gewissen haben."

Hoseok schüttelt den Kopf.
"Und deshalb ... Sie sind entweder lebensmüde, vor lauter Reichtum übergeschnappt oder auf einem Ego-ichrettedieWelt-Tripp monströser Ausmaße. So jemand wie Sie ist mir echt noch nicht begegnet."
Nervös tigert er dreimal um den Tisch, während ich mir seine wenig schmeichelhafte Einschätzung meiner Person durch den Kopf gehen lasse.
Da war ja So-Ra noch zurückhaltend dagegen! Sollte ich ganz schnell zurückrudern und die Polizei holen? Oder soll ich auf mein Gefühl hören, dass das hier zwar seltsam und vermutlich einmalig, aber für mich jetzt genau richtig ist?

Hobi Bauarbeiter bleibt abrupt vor mir stehen und schaut mich direkt an.
"Ich bin Jung Hoseok. Ich kann nicht für die anderen sprechen, hier ist jeder für sich selbst verantwortlich. Aber auf dem Grundstück nebenan - die Baustelle gibt mir höchstens noch einen Monat zu tun, dann ist meine Firma mit der Arbeit da durch. Wenn sich hier der nächste Job auftut, bin ich nicht böse. Ich bin zwar kein gelernter Maurer, nur Hiwi, aber ich habe nebenan als Mädchen für alles genug gelernt, um hier eine brauchbare Hilfe zu sein. Lassen Sie uns zum Pförtnerhaus gehen und nachsehen, was da noch zu retten ist."
Erstaunlich! Seine Ansage ist klar. Er will bleiben. Er will ehrlich arbeiten. So lange ich ihn und sein Privatleben nicht antaste. Na, das kann er haben. Vielleicht wird er ja nach einer Weile doch noch mitteilsam.

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23.12.2022    -    17.3.2024

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