07 - Nummer Fünf

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"Danke für Ihr Vertrauen, Jung Hoseok. Auch, wenn es erstmal reiner Pragmatismus ist. Wenn Sie beim Nachbarn mitarbeiten - dann ... haben Sie wahrscheinlich zum einen Vorstellungen, was wie lange dauert. Und Sie haben schon die richtigen Sachverständigen, Architekten, Bauleiter und Firmen dort drüben. Das wird mir die aufwendige Suche ersparen und viel Zeit für diesen Sommer herausholen."
Ich stehe auf, greife mir meinen Rucksack und die Pläne.
Wir gehen raus auf die Terrasse. Automatisch biegt Hoseok Bauarbeiter nach links ab, weil das der kürzere Weg ist. Also werde ich nun auch die Erkerseite mit dem Dachstuhlbrand ansehen müssen. Vor der Ecke werde ich langsamer.

Hoseok bleibt stehen und wendet sich zu mir um.
"Was bedeutet Ihnen der Erker? Sie sind bisher immer an der anderen Seite entlang nach hinten gekommen. Warum wollen Sie hier nicht langgehen?"
Mir fällt keine schnelle Antwort ein. Für einen Moment fühle ich nur noch brennenden Schmerz, während mir eine Erinnerung durch den Kopf schießt. Onkel Harry sitzt in der Bibliothek in seinem Ohrensessel und liest mir ein Märchen vor, während ich im Erkerzimmer ganz leise aus Lego die dazu passende Szene baue.
Erst nach einer Weile wird mir meine Umgebung wieder bewusst.
"Das Zimmer war die Bibliothek, Onkel Harrys Lieblingsraum. Im Erker war sowas wie meine eigene Kinderbibliothek. Wir haben viele Stunden dort verbracht, lesend, still die Anwesenheit des anderen genießend."
"Verstehe."

Hoseok Bauarbeiter läuft einfach weiter. Ich starre ihm hinterher. Ich weiß einfach nicht, ob ich den Typ eher sympathisch oder im Gegenteil ziemlich unsympathisch finden soll. Auf der einen Seite bin ich froh, dass wenigstens einer hier kooperiert, nachfragt, mitdenkt. Auf der anderen Seite interessiere ich ihn nicht die Bohne. Er verfolgt nur seine Zwecke, will alles verstehen und im Griff haben, sucht ununterbrochen nach Möglichkeiten, zu seinem eigenen Ziel zu kommen. Ich habe keine Ahnung, ob sich das nicht irgendwann, wenn es ihm besser in den Kram passt, auch gegen mich wenden wird. Und das behagt mir überhaupt nicht.

Schweigend folge ich ihm ums Haus herum und den zugewucherten Weg zur Pförtnerei runter. Ich werfe bewusst keinen Blick nach oben, will die Schäden heute noch nicht von Nahem sehen.

Ein paar Minuten später schauen wir an einer grünen, undurchdringlichen "Wand" hoch. Hier konnte Mutter Natur wirklich vierzehn Jahre lang ungestört in Besitz nehmen, was sich ihr in den Weg stellte. Zunächst erkenne ich nichts. Dann erspähe ich hinter den morschen Resten eines Jägerzaunes ein paar kümmerliche Erdbeerpflanzen.
Der Küchengarten. Was hab ich es geliebt, hier die ersten noch unreifen Erdbeeren und Kirschen, Himbeeren und Äpfel zu klauen!

Hoseok ist schon dabei, alte, verholzte Efeu- und Weinranken beiseite zu zerren. Wie immer geht er direkt auf sein Ziel los. Viel kann er allerdings nicht ausrichten. Aber immerhin erkennen wir nach ein paar Minuten tatsächlich intaktes Mauerwerk. Das macht Hoffnung.
"Gibts hier irgendwo Werkzeug?"
Ich grabe in meinem Gedächtnis, wo die Werkstatt war. Dorthin müssen wir uns erstmal mit meiner Heckenschere und schierer Gewalt durchkämpfen. Aber wir haben Glück. Das Garagentor ist nicht abgeschlossen, und wir können es so weit freischneiden, dass sich ein Torflügel öffnen lässt.

Standen wir vorher schon in grünlichem Dämmerlicht, so ist es hier drinnen wirklich zappenduster. Ich hole meine Taschenlampe raus und taste mich mit dem Lichtstrahl ins Dunkel vor. Onkel Harrys Autos sind natürlich nicht mehr da. Aber dafür steht mein altes Mofa in der Ecke und rostet vor sich hin.

Die Wände scheinen alle intakt zu sein. Auch das einzige Fenster in der Rückwand ist zwar gerissen, aber nicht geborsten.
Wir gehen ein paar Schritte in den großen Raum rein und leuchten alles ab. Es riecht muffig, ist aber nicht so nass wie die Villa. Der Steinboden ist zwar holprig und hat Macken, ist aber auch nicht nass. Immer wieder müssen wir den Kopf einziehen, weil ganze Heerscharen von Spinnen seit Generationen hier zu Hause sind.

Mein Blick richtet sich zur Decke. Das offene Dachgestühl ist verbogen, aber bis auf einige verrutschte Schindeln ist das Dach dicht. Licht dringt keines herein, weil jede Ritze sofort zugewuchert ist. Hier drin kommen wir jedenfalls auch ohne Werkzeug weiter.
Ich will mich grade zur Verbindungstür in die Wohnung wenden, als der Pragmatiker neben mir meine Illusionen mit einem Satz wieder zerstört.
"Sieht gut aus, fragt sich aber, ob das Haus nicht einfach umkippt, sobald das grüne Korsett weggeschnibbelt ist."

Ich seufze und öffne die unverschlossene Tür zum Zwischenflur. Durch das Oberlicht über der Haustür dringt kein Lichtstrahl. Leer und schief baumelt die alte Garderobe mit nur noch einer Schraube an der Wand, ein rissiges Paar Gummistiefel träumt von besseren Zeiten.
Die Tür in die eigentliche Wohnung hängt schief in den Angeln. Aufgescheucht vom Licht meiner Taschenlampe flüchtet eine Maus tiefer ins Dunkel. So viel Trostlosigkeit macht mich schon wieder ganz wehmütig. Also konzentriere ich mich auf die Decken, denn das Dach direkt können wir hier nicht mehr sehen. Aber Feuchtigkeit wegen großen Löchern im Dach würden wir hier an den Zimmerdecken schon erkennen. Und da sind keine. Schweigend arbeiten wir uns durch die dusteren Räume, finden aber soweit alles intakt.

Nur die Küche am anderen Ende des Gebäudes hat es ärger erwischt. Ein Teil der Wand ist eingedrückt, die Fenster sind kaputt, und aus dem Wasserhahn an der großen Spüle wächst absurderweise eine Weinranke. Abgestorbene Äste eines umgestürzten Baumes ragen durch die Zimmerdecke.
"Na, dann würde ich sagen, dass wir das grüne Korsett nur so weit wegschneiden, wie es nötig ist, um das Haus erstmal bewohnbar zu machen. Rohre freimachen, Wasser und Strom herschaffen, die Küche dicht kriegen. Dann haben Sie hier sogar ein richtiges Bad, dazu einen Gemeinschaftsraum, je zwei Leute in ein Zimmer. Das wird doch für ein paar Sommermonate auszuhalten sein. Oder?"

Ich werfe einen fragenden Blick zu Hoseok Bauarbeiter, der mit skeptischem Blick und gerunzelter Stirn weiter um sich schaut.
"Wenns sein muss. Keine Ahnung, wie lange ich es mit unserer Wasserleiche aushalte. Oder wir legen den gleich in die Badewanne. Dann muss er sich nur noch bis zum Klo bewegen."
Ich schöpfe Hoffnung. Falls ich mit Hoseoks Vermittlung an Handwerker und Fachleute drankomme und die sogar Kapazität haben, sofort loszulegen, dann hätten die Jungs hier weiter ein Dach überm Kopf, wären aus der Schussbahn und könnten sich bei diesem Gebäude sogar nützlich machen.

Wieder setzt mir Hoseok einen Dämpfer auf.
"Fragt sich bloß, ob wir auch Bock drauf haben. Das müssen die anderen alle selbst entscheiden. Ich mach mit, wenn ich hier den Job habe. Aber die anderen machen dann vielleicht die Biege."
Mit diesen unheilschwangeren Worten klettert er durch die gekippte Küchentür nach draußen, steckt sich lässig die Hände in die Hosentaschen und duckt sich unter den wuchernden Pflanzen hindurch in Richtung Villa. Ich bevorzuge den Rückweg durch die Garage und bemühe mich, Hoseok Bauarbeiter zu folgen.

Da lässt mich eine tiefe, junge, samtige Stimme innehalten. Diese Stimme ist wie Klezmermusik - unbeschwert fröhlich mit einem Hauch von Melancholie - und neu.
"Hallo Hobi. Ich bin mal wieder rausgeflogen. Immer das selbe. Kann ich heute schon kommen? Ich hab alles dabei. Nur meine Matratze müsste ich noch holen. Vielleicht können wir das mit eurem Auto machen?"
"Luft anhalten, Kim. Hier hat sich was geändert. Vielleicht sitzen wir bald alle auf der Straße."
Stille.
Mir dämmert was. Hobi Bauarbeiter hatte sich doch gestern mitten im Satz unterbrochen.

Vielleicht ist das da ja "Koll..." ...ege. Dann wären es ab jetzt fünf Männer. Der fünfte heißt Kim Koll. Und hat eine Macke, auf die auch andere keinen Bock haben. Sonst würde er nicht dauernd 'rausfliegen'. Egal. Dann wird es in der Pförtnerei eben enger.

Ich lausche wieder. Leises Scharren mit einem Fuß. Hoseoks Stimme klingt gepresst und auf der Hut, er redet ganz leise.
"Die Besitzerin ist aufgetaucht und will den alten Kasten sanieren. Und die Karre gehört ihr."
"Scheiße!"
"Wer weiß. Da werden auch Bauarbeiter gebraucht. Wenn wir zwei es geschickt anstellen ..."
Die fremde Stimme klingt nun gar nicht mehr fröhlich.
"Trotzdem scheiße. Wenn die spitz kriegt, was ich auf dem Buckel habe, schmeißt die mich als erstes wieder raus. Es war schwer genug, deine Mitbewohner zu überzeugen."
"Abwarten. Noch hat keiner von uns was preisgegeben, und bisher hat sie das gefressen."

Ich beschließe, aus meiner Deckung aufzutauchen und mich dumm zu stellen. Ich trete aus dem Schatten der Bäume.
"Jung Hoseok, wollen wir dann im Haus weitermachen? Bisher habe ich ja nur einen Teil des Erdgeschosses gesehen. Und in den ersten Sto... - Oh! Wer sind Sie denn? Ein Freund?"
Vor mir steht der nächste junge Mann, zur Salzsäule erstarrt. Er ist schlacksig, seine Alltagsklamotten labbern ihm am Leib und sind von dem Baustellenjob verdreckt. Mit seinen langen, schmalen Fingern klammert er sich an die Riemen von zwei großen Taschen. Seine schreckensweiten Augen schielen zwischen den dunkelbraunen Locken hindurch, die ihm lang ins Gesicht hängen.

Hoseok Bauarbeiter wendet mit mitleidiger Miene seinen Kopf zu mir.
"Tun Sie nicht so überrascht. Sie haben doch eh alles mitbekommen. Das hier ist Kim Taehyung und mein Kollege am Bau. Genau wie ich will er sich die Kosten und den Zeitaufwand für den Weg zu einer Wohnung ersparen."

Runterschlucken? Leugnen? Kontern?
"Und ich bin der Weihnachtsmann, wenn Herr Kim überhaupt eine Wohnung hat. Dann hätte seine Kleidung nämlich mal eine Waschmaschine von innen gesehen, und er müsste hier nicht mit seiner Matratze anrücken."

Ich wende mich an Kim Koll Taehyung, der vor Schreck einen Schritt rückwärts taumelt.
" Wir können gerne mit meinem Auto Ihre Matratze herholen. Einer mehr oder weniger ist jetzt auch egal."
Fassungslos starrt der junge Mann mich an, als wäre ich ein Geist. Dann wendet er sich an Hoseok Bauarbeiter.
"Habt ihr der 'ne Droge verpasst? Oder ist die immer so schräg drauf?"
"Die ist immer so."
Er dreht sich einfach um und läuft weiter zur Villa.
"Also steh da nicht blöd rum. Komm lieber mit rein und dann nimm das Angebot an. Die Chance kommt nicht wieder."
"Äh ... jetzt gleich?"

Hoseok bleibt stehen und dreht sich sichtlich genervt nochmal um.
"Wow! Du stehst echt auf der Leitung. Cho Cornelia hat dir angeboten, deine Matratze zu holen. Also ist es okay, wenn du hier einziehst, sie fragt nicht nach deiner Vorgeschichte, sie nimmt dich mit unter die Fittiche ihres Helfersyndroms. Und alles, was du tun musst, ist, das Angebot anzunehmen, deine Taschen ins Haus zu tragen und ihr dann den Weg zu deiner Matratze zu zeigen. Worauf wartest du noch? Ich mach dann nachher weiter mit dem Sightseeing."
Weg ist er.

Ich muss mir das Lachen verkneifen, denn Kim Koll Taehyung steht da wie ein lebendiges Fragezeichen. Aber dann stammelt er mit roten Ohren ein "Danke. Echt!" in meine Richtung und setzt sich in Bewegung hinter Hoseok Bauarbeiter her. Das Letzte, was ich höre, wirft er mir über die Schulter zu.
"Bin gleich wieder da."
"Okay - ich warte dann am Auto."
Fragt sich nur, wie ich ohne Spanngurte auf meinem kleinen Auto eine große Matratze befestigen soll. Ich schlendere den verwachsenen Weg entlang, am ehemaligen Blumenrondell vorbei und den Hang runter.

Ich lass das auf mich zukommen. Auch wenn ich mich selbst grade nicht verstehe. Warum ist es mir so ... egal? ..., dass ich mit dem Haus vier mehr oder weniger durchgeknallte Obdachlose erbe? Dass da einfach noch einer dazu kommt? Dass ich nahezu NICHTS über die Typen weiß? Ich muss unbedingt rausfinden, welche unverarbeiteten Altlasten auf der Seele die mit sich rumschleppen, damit ich sie besser einschätzen kann. Ich muss jedenfalls aufpassen, dass sie meine Gutmütigkeit nicht zu sehr ausnutzen und mich rupfen wie eine Weihnachtsgans.

Wenige Minuten später hüpft Kim Koll Taehyung neben mich auf den Beifahrersitz und schnallt sich an. Er muss sich mit einem Kamm durch die Locken gefahren sein, und seine schlanken Hände sind eindeutig frisch und mit Seife gewaschen. Er lotst mich den Berg runter und in ein ziemlich kleinbürgerliches Stadtviertel. Bei einer Garagenreihe bittet er mich anzuhalten. Kim Koll steigt aus, öffnet eine der Garagen und taucht kurz darauf mit einer fetten Rolle neben dem Auto auf.
"Ich weiß nicht, wie wir die am Auto befestigen können. Haben Sie zufällig ein Seil oder sowas im Kofferraum?"
"Ein Seil nicht. Aber Ihre Rolle wird von Spanngurten zusammengehalten. Wenn wir die Matratze flach aufs Dach legen und die Fenster öffnen, können wir die Spanngurte nutzen, um das Ungetüm fest zu machen."
Mit vereinten Kräften wuchten wir sein "Bett" aufs Auto und spannen es sehr straff mit den Gummigurten darauf fest. Kim Koll holt noch eine Tüte mit Schuhen und einen Rucksack aus der Garage. Dann lotst er mich zurück zur Villa. Ich muss langsam fahren, aber wir kommen tatsächlich heile an.

Mithilfe der Heckenschere schnibbele ich die Auffahrt noch etwas frei, damit ich näher an die Villa rankomme. Kim Koll zerrt tote Äste und einen Baumstamm beiseite. So kann ich dann noch dreißig Meter weiter fahren. Aber dann ist endgültig Schluss. Immerhin kann ich jetzt das zugewucherte Rondell sehen.
Aus einem Fenster im ersten Stock lugt der Kopf von Jeongguk Poltergeist raus.
"Komme!"
Wenige Augenblicke später steht er vor uns, sondiert die Lage, setzt sich den Rucksack auf und trägt zusammen mit Kim Koll die wabbelige Matratze ums Haus.

Dann bleibt für mich wohl die Tasche mit Schuhen.
Aber bevor ich den jungen Männern folge, gebe ich an So-Ra einen Lagebericht ab. Währenddessen spukt mir ein Wort durch den Kopf.
Helfersyndrom. Ist mein Verhalten wirklich so irrational?
Ich werde diese Frage jetzt nicht beantworten können. Aber ich sollte sie auch nicht vergessen.
Vielleicht bringt sie mich am Ende sogar auf die Spur, was der Zweck dieses Hauses sein soll.

Ich folge den jungen Männern ins Wohnzimmer. Die Matratze liegt auf dem Schreibtisch, von den Jungs ist nichts zu sehen. Ich gehe näher an die Tür zur Halle. Die Eingangshalle ist leer. Dafür höre ich Stimmen aus der Bibliothek. Sie scheinen sich gut zu verstehen. Kim Koll klingt erfreut.
"Cool hier. Ich bleib gleich hier unten und machs mir gemütlich."
Wie aus dem Nichts steht Yoongi Löwengähnen mitten in der Halle, redet einfach durch die offene Zimmertür und wird sehr deutlich.
"Vergiss es. Hier sind viel zu viele Bücher und ein funktionierender Kamin. Du wirst schön oben wohnen, wo noch ein Raum benutzbar ist. Und wo wir dich im Auge haben können."
Ohne ein weiteres Wort schleicht er wieder davon. Sein Blick fällt auf mich, er sagt aber nichts. Er sieht unzufrieden aus. Leise verschwindet er über die Treppe nach oben.

In meinem Kopf beginnt es zu rattern. Es fühlt sich unbehaglich an.
Nummer 5 hat etwas auf dem Kerbholz, das dafür sorgt, dass er dauernd irgendwo rausfliegt. Er soll sich von Büchern und Kaminen fernhalten. Yoongi Löwengähnen will ihn im Auge behalten. Wonach klingt das? ... Nach Feuer. ... Brandstiftung. ... Na, wunderbar. Der Knabe ist mein Lottogewinn.
...
Nicht vorverurteilen, Nelli! Warts ab!
Während sich Jeongguk Poltergeist und Kim Koll Taehyung mit Besen, einem Eimer Wasser und einem Putzlumpen bewaffnen und schnatternd über die Treppe nach oben verschwinden, kommt Hoseok Bauarbeiter zu mir runter.
"Haben Sie heute noch was vor?"
"Nicht, dass ich wüsste."
"Dann nehmen Sie Ihre Kamera mit."
"Wo gehen wir hin?"
"Firmenschilder knipsen und Sanierung lernen."

Mit diesen Worten verschwindet der wortkarge Mann durchs Wohnzimmer nach draußen. Wenn ich verstehen will, was seine kryptischen Worte bedeuten, muss ich ihm wohl oder übel brav nachdackeln. Und das gefällt mir überhaupt nicht. Seine bestimmende Art und sein Befehlston beginnen, mich zu ärgern. Ich weiß nur noch nicht, wie ich damit umgehen soll. Jedenfalls hat der Mann seine lässige Gelassenheit von unserer ersten Begegnung auf der Kellertreppe zurückgewonnen und strahlt Souveränität aus.

Das passt hervorragend zu meiner chronischen Unentschlossenheit. Wenn ich nicht aufpasse, nimmt der mir völlig das Heft aus der Hand.
Dummerweise verstärkt sich das noch, denn wieder muss ich hinter ihm herlaufen. Er folgt einem Trampelpfad zur Grundstücksgrenze. Dort sind zwei Leitern als Überbrückung über den schmiedeeisernen Zaun aufgestellt.

Ich bemühe mich, ihn einzuholen und meine Stimme fest klingen zu lassen.
"Warten Sie bitte."
Hoseok Bauarbeiter bleibt einfach vor dem Zaun stehen.
"Könnten Sie bitte aufhören, mich wie einen Befehlsempfänger zu behandeln und dauernd vorweg zu rennen? Das ist mein Haus, das ist meine Baustelle. Also sind das auch meine Entscheidungen und Handlungsschritte. Sagen Sie mir bitte, wo Sie mich hinführen wollen."
Stumm stehen wir voreinander und sehen uns fest in die Augen. Ich habe Mühe, seinem selbstbewussten Blick standzuhalten. Doch da sehe ich in seinen Augen so etwas wie Anerkennung aufflackern.

Hab ich es geschafft?
"Na gut. Entschuldigung. Unter uns Kerlen funktioniert das halt nicht anders. Ich schlage vor, dass ich Ihnen die Baustelle nebenan zeige, und dass Sie dann die Firmenschilder am Zaun fotografieren. Dann haben Sie alle Infos zusammen und können gleich morgen lostelefonieren. Ist das so recht?"
"Besser. Ich möchte auf Augenhöhe und offen mit Ihnen zusammenarbeiten. Sonst ist mir das Risiko zu groß."

Er nickt, hält für mich die Leiter, folgt mir rüber und dirigiert mich dann zu dem nächsten Trampelpfad, bis wir an der eingerüsteten Seite des Nachbarschlosses stehen. An der Hauswand entlang ist ein breiter, tiefer Graben ausgehoben, in dem die Fundamentsanierung bereits abgeschlossen ist. An der hinteren Ecke zweigt ein weiterer Graben ab, der sich bis nach unten zur Straße fortsetzt. Ich zeige darauf.
"Kommen da durch alle technischen Zuleitungen und Abwasser und so?"
"Ganz genau. Tae und ich arbeiten für die Firma, die für diese ganzen groben Vorarbeiten zuständig ist. Auch die Trockenlegung und Isolation machen wir. Sobald es nach drinnen geht, sind wir raus. Also Elektrik und so. Aber die Trocknung und Isolation von innen haben wir noch vor uns. Das kann ich Ihnen zeigen."

In der kommenden Stunde zeigt Hoseok mir von außen und innen alle möglichen Arbeitsschritte, die uns noch bevorstehen, erklärt mir die Verwendung verschiedenster Baumaterialien und Werkzeuge und verwandelt meinen Kopf in einen gedanklichen Bienenstock.
"Reicht. Mehr kann ich nicht aufnehmen. Aber jetzt habe ich schon viel bessere Vorstellungen von meinem Projekt. Danke! Und was war das mit den Firmenschildern?"
"Lassen Sie uns an die Straße gehen. Da haben alle beteiligten Firmen ihre Werbebanner an den Zaun gehängt."

Inzwischen ist es später Nachmittag. Ich habe hunderte Fotos im Kasten, einige Entdeckungen gemacht, alle fünf Männer ein bisssssssschen kennen gelernt und ein paar Ideen entwickelt. Von den Werbebannern aus laufen wir die Straße entlang zurück zur Villa.
Hoseok läuft schweigend neben mir her, während ich überlege, was ich als nächstes tun muss.
Morgen arbeite ich nur halbtags, danach könnte ich tatsächlich die ganze Telefoniererei erledigen. Den Vorschlag mit der Pförtnerei sollte ich den Männern sofort unterbreiten.

Allmählich will ich auch nach Hause. Aber ein paar grundsätzliche Fragen muss ich noch stellen.
Mein Handy brummt in meiner Jackentasche. So-Ra.

"In einer Stunde Abendessen bei dir, lebend. Bringe was mit."

Ich antworte sofort.

"in 2 Stunden"
"naaaaa gut ..."

Kim Kolls Matratze ist inzwischen vom Schreibtisch verschwunden. Hoseok Bauarbeiter trommelt alle Männer im Wohnzimmer zusammen. Jin erscheint allerdings nicht. Ich erläutere den vier den Plan mit dem Pförtnerhaus und kündige an, dass ich sie alle legal als Hilfsarbeiter anstellen und sozialversichern will. Sie würden dann für Kost, Logie und ein Taschengeld unter der Anleitung von Fachleuten das neue Quartier instandsetzen und dorthin umziehen. Parallel sollte es an der Villa schon losgehen. Falls ich Firmen dafür finde.
Die Reaktion ist durchwachsen. Yoongi protestiert aber als einziger deutlich.
"Ich habe aber schon einen Minijob in der Stadt. Den will ich nicht verlieren. Und ich hasse Veränderungen."
"Es wird Ihnen nichts anderes übrig bleiben, als umzuziehen. Wie Sie sich das alte Haus einteilen, ob Sie mein Jobangebot annehmen, überlasse ich Ihnen."

Kim Koll stellt tausend Fragen, weil er ja nicht alles mitbekommen hat, Jeongguk Poltergeist sitzt schon wieder angespannt auf der Stuhlkante, bereit, nach oben zu verschwinden oder irgendwas an die Wand zu werfen oder ... was weiß ich, was sein Gesichtsausdruck bedeuten soll. Hoseok weiß offensichtlich, was er will und hält sich zurück. Für heute reicht mir das. Ich bin müde, habe Hunger, fühle mich, als würde mein Schädel bald platzen vor lauter Eindrücken und Informationen.
"Ein paar Fragen habe ich noch. Wie regeln Sie hier Ihre Verpflegung, wie finanzieren, wie lagern Sie das? Wie kriegen Sie das mit der Hygiene hin? Auf welche Fähigkeiten kann ich bei Ihnen aufbauen?"
Die Antworten sind spärlich, die Botschaft ist klar: halt dich raus. Ich gebe erstmal auf. Bleierne Müdigkeit breitet sich in mir aus. Ich tausche noch mit Hoseok Bauarbeiter Telefonnummern aus und verabschiede mich dann. Der Tag war lang. Und nachher wird mir noch So-Ra auf den Zahn fühlen.

Mit dem leeren Korb und meinem vollen Rucksack stapfe ich zu meinem Auto.
Kopf hoch! So wenig habe ich doch gar nicht geschafft heute. Nur Mut! Wir müssen uns eben alle erstmal daran gewöhnen.
Ich bin zu müde, um mir selbst das abzukaufen.
Ich muss meine Kräfte besser einteilen, gut auf mich aufpassen, damit ich mich nicht selbst immer wieder klein mache.

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25.12.2022    -    17.3.2024

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