84 - So-Ra

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Namjoon zieht seine Jacke an, schnappt sich seine Unterlagen und den Autoschlüssel und frotzelt.
"Zum Aufbrezeln brauchst du sicher kein Publikum. Deshalb flüchte ich jetzt lieber in meine Arbeit."
Da helfen weder Grübchenalarm noch Dackelblick, mein Lieber!
"Ohhhhh, du Armer - du wirst noch vor Mitternacht an Vernachlässigung zu Grunde gehen."
"Ganz bestimmt! Die anderen werden dir dann meine ungebroche Liebe beteuern."
"Dann brauche ich aber ganz dringend noch einen Kuss!"
"Kriegst du."
Ich liebe diese schmeichelnden, kribbelig-warmen Joonie-Küsse. Mein ganzer Körper fühlt dann so intensiv, dass mir manchmal fast schwindelig wird davon.

Ich weiß nicht genau, wann So-Ra mich abholen wird, aber ich hetze mich nicht. In aller Ruhe mache ich mich im Zwiebellook wintertauglich ausgehfein. Ich bin sehr neugierig auf den Abend. So-Ra hatte dem Komplott mit Namjoon sofort zugestimmt und angefangen zu planen.
Wer weiß, was dabei rausgekommen ist.

Schon um 17.00 Uhr steht sie vor meiner Tür. Ich wundere mich, wie früh wir aufbrechen. Aber das klärt sich schnell. Denn als erstes gehen wir essen in einem kleinen, neu eröffneten Restaurant in Hongdae. Die Auswahl ist unschlagbar groß, denn es gibt einfach fünf Listen, aus denen man sich jeweils die Komponenten aussucht, die man essen möchte. Ich lasse die Suppe weg und entscheide mich für Reis, Fisch, verschiedene Gemüse und einen Nachtisch. Daraus wird frisch gekocht, und das dauert natürlich eine Weile. Aber dafür schmeckt es himmlisch.
"Wo hast du diesen Geheimtipp denn aufgetrieben?"
"Na, bei den 'Insidern'. Du weißt doch - die App, die jeder mit füttern kann. Die Tanzschule von Hobi inseriert da jetzt auch."

"Echt? Cool! Hobi ist wirklich eine Perle und ein Arbeitstier. Er erfüllt sich und anderen den Traum vom Tanzen, hilft unglaublich viel beim Aufbau des Netzwerks, hat für jeden ein offenes Ohr, macht grade den Führerschein, ..."
"... trainiert nebenbei noch Standard- und Lateintänze und bekommt von seinem neuen Kollegen einen Sozialpädagogik-Crashkurs."
Ich reiße meine Augen auf.
"Wann macht er das denn noch?!? Und wieso weiß ich das nicht?"

So-Ra zögert einen Moment. Dann gibt sie sich einen Ruck.
"Du weißt eine ganze Menge nicht, Sweetie. Und das ist Absicht. Die Jungs haben keine Geheimnisse vor dir. Aber sie wollen, dass du dich ganz erholen und auf dich konzentrieren kannst. Sie regeln eine ganze Menge untereinander, Yoongi und Namjoon fangen einiges auf. Hoseok ist auch mit mir im Gespräch."
Ich glaube, ich höre nicht richtig.
"Aber ..."

"Und bevor du protestierst - das ist ihr Dankeschön dafür, dass du in ihren Leben eine Wende zum Guten bewirkt hast. Auf Kosten deiner eigenen Kraftreserven wohlbemerkt."
Aha. Das muss ich jetzt erstmal verdauen.
Lange brauche ich dafür allerdings nicht, denn diese liebevolle Schonung ist ja aus Zuneigung und Dankbarkeit entsprungen. Nach anfänglicher Irritation fühle ich mich sehr wohl damit.
Ich sollte es genießen, es ist ein Geschenk. Und ein tolles Zeichen, dass sie sich allmählich frei machen von ihren alten Lasten.

"Deinem Gesicht und deiner Haltung entnehme ich, dass der Groschen gefallen ist. Gratuliere! Sie sind mächtig stolz darauf, dass sie so weit gekommen sind, und versichern sich das auch immer wieder gegenseitig. Aber jetzt verstumme ich sofort und sage kein Wort mehr dazu."
Sie lächelt mich an, die Botschaft ist angekommen. Ich fühle mich warm und beschenkt.
"Danke. Du bist auch eine Perle. Eine ganz besondere!"
In tiefer Verbundenheit sehe ich ihr in die Augen und drücke kurz ihre Hand, bevor ich weiterspreche.

"Achtung! Ich wechsele jetzt das Thema. Wann fängt das Kino an?"
So-Ra schaut auf ihr Handy, dann auf ihre Uhr.
"Dauert noch ein bisschen. Wenn du fertig bist, können wir zahlen. Dann bummeln wir noch ein bisschen um die Ecken bis dahin."

Eine halbe Stunde später zeigt So-Ra vor einem Hinterhof-Kino unsere Tickets vor und führt mich in einen kleinen Saal. Naja. Ein großes Wohnzimmer. Oder so. Etwa dreißig Sitzgelegenheiten in Form von Sesseln und Sofas sind so angeordnet, dass alle einen guten Blick auf die etwas erhöhte Leinwand haben. Kleine Tische mit noch kleineren Tiffanylampen stehen dazwischen, das Licht ist dämmrig, die Atmosphäre heimelig. Es riecht nach altem Samt, Zitrone und Vanille.

Wir suchen uns unser Sofa.
"Hast du das hier auch bei den 'Insidern' gefunden?"
"Jepp. Und der Film klingt auch interessant."
"Was kucken wir denn?"
"Einen Indipendentfilm. Im Grunde - wenn ich das richtig verstanden habe - ist das eine moderne Adaption von 'Antigone'. Eine junge Frau in der Zwickmühle zwischen zwei Gangs in der Bronx. Bei dem Bandenkrieg stirbt ihr Bruder. Ab dann soll es abweichen. Es geht wohl um Gewissen und innere Konflikte."
"Antigone! Im modernen Indipendentfilm. Na, da bin ich ja mal gespannt."
"Glaub mir - ich auch."

Zu meinem Erstaunen wird das 'Wohnzimmer' rappelvoll. So-Ra versichert mir, dass man hier Tage bis Wochen im Voraus Plätze reservieren muss, weil dieses besondere Kino schon länger kein Geheimtipp mehr ist.
"Und warum kenne ich das dann nicht?"
"Weil ich das selbst erst vor ein paar Wochen durch Zufall entdeckt habe. Und du in dieser Zeit nun wirklich mit viel zu viel anderem beschäftigt warst."
"Auch wieder wahr."
Auf einmal fühlt sich das seltsam an.
"Ich hab echt viel verpasst in diesem Jahr. Aber es ging ja ununterbrochen Schlag auf Schlag."

So-Ra ist empört.
"Muss ich dich schütteln? Du hast gar nichts verpasst. Du hast vor riesigen Herausforderungen gestanden und sie gemeistert. Du hast Verluste erlitten und sie verarbeitet. Du hast für sieben, ach, noch viel mehr Menschen eine große Verantwortung übernommen und bist ihr gerecht geworden. Du hast alte und ganz alte Wunden freigelegt und ihnen erlaubt zu heilen. Du hast einen wirklich großen Auftrag bekommen und ihn in all seinen Facetten erfüllt. Ja - du hast ganz viel anderes in dieser Zeit nicht getan, erlebt, mitgemacht. Aber dafür bist du heute stärker, sicherer, klarer und freier als jemals zuvor."
Mal wieder ertappt. Die Außenstehenden können all die Veränderungen viel besser in Worte fassen als ich. Ich steck halt mittendrin.
"Und deshalb habe ich nicht was verpasst sondern ganz viel gewonnen. Verstanden, Mama."

"Ui, es geht los!"
Langsam wird das Licht im Saal immer weiter runtergedimmt, bis nur noch die Notausgangschilder zu sehen sind. Wir tauchen ab in die dunkelsten Ecken New Yorks und in die tückischen Untiefen der menschlichen Seele. Alles andere blenden wir aus.
Hinterher brauche ich eine Weile, bis ich die Schwere und Düsternis der letzten zwei Stunden abschütteln kann. Die Umsetzung des schweren Themas ist hervorragend gelungen. Das Schicksal des Mädchens hat mich während der gesamten Lauflänge in seinen Bann gezogen.

Aber So-Ra ist noch nicht fertig mit ihrem Programm. Wir setzen unseren Bummel durch den Samstag abends sehr belebten Stadtteil fort.
Gut, dass wir uns so dick angezogen haben!
Inzwischen ist es Nacht und klirrend kalt geworden. Unser Atem gefriert vor uns in der Luft, der Himmel ist sternenklar. Intuitiv ziehe ich mir den Schal fester um den Hals und meine uncoole, aber warme Mütze über die Ohren.

Während wir rumalbern und viel lachen, werde ich kaum merklich in eine bestimmte Richtung gelotst, bis wir schließlich vor einer todschicken Cocktailbar landen.
"Und? Hast du Lust?"
Inzwischen habe ich den Kopf wieder frei und nicke begeistert. Es scheint Ewigkeiten her, dass wir zwei uns so nach Lust und Laune ins Nachtleben gestürzt haben. In Erinnerung an die guten, alten Zeiten reagiere ich automatisch. Allerdings mischt sich meine wunderbare Gegenwart mit rein.
"Na klar! Mann aufreißen!"

Wir weisen uns beim Türsteher aus, bringen unsere Mäntel zur Garderobe und stürzen uns ins Gewühl. Es ist so laut, dass wir fast schreien müssen, um uns zu verstehen. Jetzt kommt auch ihre Reaktion auf meinen Schlachtruf.
"Hä? Wieso 'Mann'?"
"Weil uns nur EINER fehlt. Schon vergessen?"
Ihr Lachen geht im Lärm unter wie Staub in einer Scheune.
"Du dumme Nuss!"
"Knack!"

Das frustrierte 'Pfff!' ahne ich mehr am Gesichtsausdruck, als dass ich es höre. Und was ich da sehe, irritiert mich. Es ist plötzlich ein bisschen wie eine Mischung aus Trauer und Entschlossenheit, die so gar nicht zur Unbeschwertheit des Augenblicks passt. Mir fehlt dabei das Augenzwinkern. Sogar ein mutwilliges Glitzern hätte ich jetzt lieber gesehen.

Aber gleich ist sie wieder fröhlich, erkämpft sich an der ersten Bar unsere Lieblings-Cocktails und lässt ihre Luchsaugen auf der Suche nach Beute durch den Raum schweifen. Wir schalten endgültig um in den Frotzelmodus und leeren den ersten Cocktail zügig. So-Ra besorgt sich an der zweiten Bar schnell noch einen Frischen, ich steige erstmal auf was Alkoholfreies um. Der Abend ist ja noch lang.

So-Ra streift wie ein hungriger Tiger durch die Menge. Kurz darauf tippt sie mir auf die Schulter und zeigt zu einem schon etwas abgelebten Mann in den Fünfzigern, der mit einem jungen Begleiter an einem Tisch sitzt. Erst weiß ich gar nicht, welchen sie meint.

"Wie wärs denn mit dem reichen, alten Sack da drüben? Dann muss ich nie wieder ..."
"Zu alt. Dafür ist er nicht reich genug."
"Dann versuch ichs mit dem Porschefahrer daneben."
Allmählich ... warum habe ich dieses Gefühl, dass das alles nicht echt ist. Es ist zwar unser übliches Spiel, aber ... irgendwie anders. Aufgesetzt. Ich sollte aufpassen.
"Das ist der Sohn vom Alten. Oder sein Spielzeug. Lass bloß die Finger davon, sonst hast du gleich beide am Arsch kleben."
So-Ra lacht laut auf und wechselt die Richtung.
Hab ich mich getäuscht eben?

Nein, habe ich nicht.
"Hey. Da sitzt mein Opfer für heute."
Ein mittelalter Casanova mit Erbsenhirn lässt seine beachtlichen Muskeln spielen und zwinkert So-Ra quer durch den Raum zu. 
Da wird doch ... Wo ist dein guter Geschmack geblieben?!?
"Gnade, Schnucki. Ich will dich nicht in einem Jahr schon beerdigen müssen, weil du an seiner Dummheit eingegangen bist."

Unbeirrt steuert sie weiter durch den Raum. Jetzt hat sie eine Cola Baccardi in der Hand, und bei mir schrillen alle Alarmglocken.
"Okay. Aber bei dem kannst du nicht meckern. Ist der nicht süß?"
Sie nickt in Richtung Wand, und ich traue meinen Augen nicht. Ein schüchterner Jüngling sitzt in der hintersten Ecke, lässt seine angstgeweiteten Augen umherschweifen und klammert sich dabei so krampfhaft an sein Cocktailglas, dass ich jeden Moment mit lautem Klirren rechne, weil es zersprungen ist. Der sitzt da entweder wegen einer Wette oder in einem Anfall von Wahnsinn. Und er würde auf der Stelle tot umfallen, wenn er von so einer viel älteren, schönen, entschlossenen und inzwischen beschwipsten Frau angebaggert würde.

"Oh doch, kann ich! Willst du den armen Jungen umbringen? So-Ra, was ist denn heute los mit dir?! Bevor du hier unsinnige Muttergefühle entwickelst, schnapp dir lieber Hoseok. Der ist erwachsenen, vernünftig, nicht so scheu, kann was mit sich und seinem Leben anfangen, hat einen starken Charakter, einen feinen Humor und ein Herz aus Gold."
So-Ra bleibt abrupt stehen. Ich will sie an den Schultern zu mir drehen, damit sie mich ansehen muss. Da spüre ich, dass sie sich schlagartig völlig versteift hat.
Okay - Fehler. Aber warum? Was hab ich grade gesagt, dass ..."

Mein Blick fällt wieder auf den Jüngling.
Hoseok. Hoseok! Spinne ich? ... Raus hier! Bevor sie völlig die Kontrolle über sich verliert.
Energisch schiebe ich meine wie paralysierte Freundin in einem großen Bogen in Richtung Ausgang, stelle zwischendurch unsere beiden Gläser irgendwo ab und packe uns beide wieder warm ein. Ihr Gesicht ist die ganze Zeit verschlossen, verwirrt, ver- ... ängstigt?!?
Aber wohin jetzt? Zu ihr ist näher als zu mir. Also los! Gut, dass ich kaum getrunken habe - so kann ich zum Glück fahren.

Ich lege ihr einen Arm um die Schulter und versuche, mich zu erinnern, wo ihr Auto steht. Der Weg da hin ist weit, kalt und mühsam. Ich schiebe sie auf den Beifahrersitz, schnalle sie an, nehme ihr den Autoschlüssel ab und fahre sie nach Hause. Stumm starrt meine erschütterte Freundin immer gradeaus.

Kaum sind wir in ihrer Wohnung, lässt sie Schuhe, Mantel, Handtasche und die ganze Anspannung einfach fallen und schleicht in ihr Schlafzimmer. Kopfschüttelnd hänge ich unsere beiden Mäntel an die Garderobe und folge ihr auf dem Fuße. Ohne sich umzudrehen, murmelt sie vor sich hin.
"Frag nicht. Ich hab selbst keine Ahnung."
So einfach kommst du nicht davon!
Ich hindere sie daran, mir die Tür vor der Nase zuzumachen, schiebe sie zum Bett, zwinge sie, sich zu setzen, und nehme sie sehr fest in die Arme. Da endlich bricht der mühsam aufrecht gehaltene Damm, die Tränen laufen, sie wird weich in meinen Armen. Ich lasse ihr Zeit.

Erst nach einer kleinen, halben Ewigkeit beruhigt sie sich und fängt an zu flüstern.
"Glaub mir - mir war das bis vorhin selbst überhaupt nicht klar. Und ich habe Angst. Wenn ich das jetzt ausspreche, dann kann ich es vielleicht nicht mehr verbergen. Das kann uns beiden so unerträglich weh tun. Das ist doch verrückt!"
"Dann gehorche deiner Angst und rede einfach ein bisschen um den heißen Brei, bis dir und mir einiges klarer wird. Aber - ganz wichtig! - vorweg: du bist nicht verrückt, und es ist nicht unmöglich. Lass dir Zeit."
DAS musst du nicht aussprechen, meine Liebe. Das ist auch so klar. Ihr habt euch schnell gut verstanden. Nur sein Alter und vielleicht seine intensive Suche nach sich selbst haben dir jeglichen Gedanken an DIESEN Aspekt verboten. Es war bisher einfach nicht dran. Und was mach ich jetzt daraus???

"Was war dein allererster Eindruck von ihm. Damals im ... Juni?"
"Irgendwann dann, ja. Der allererste? Da kannte ich ihn noch nicht. Du hast ja am Anfang nur spärlich erzählt, weil du wusstest, dass ich dagegen war. Mein erster Gedanke war:'der ist so zielstrebig, eiskalt und raffiniert - der wird Nelli gnadenlos über den Tisch ziehen.' Das hat sich eigentlich erst geändert an dem Abend, als Namjoon aufgetaucht ist. Denn dieselben Eigenschaften waren auf einmal von Vorteil. Er war klar, fair und dir gegenüber loyal. Danach hat er sich wieder auf sich konzentriert, systematisch nachgeforscht, was denn nun sein Weg sein kann. Beharrlich. Geduldig. Durchdacht. Das hat mich echt beeindruckt. Er ... er ist so reif für sein Alter."

Wir lassen uns aufs Bett fallen und schweigen eine Weile miteinander. Ab und zu huscht ein Lächeln über ihr Gesicht, dann wieder Gewitterwolken, dann schüttelt sie den Kopf.
"Und genau da liegt das Problem. Ich bin zwölf Jahre älter. Mitte dreißig fängt die biologische Uhr an, lauter zu ticken. Aber bei aller Reife ist für ihn jetzt einfach was anderes dran. Innerlich zur Ruhe kommen. Erfolg im Beruf erarbeiten. Die erste eigene Wohnung. Vielleicht eines Tages eine Aussprache mit seinen Eltern. Er braucht seine Zeit und sein Tempo, um im Leben Fuß zu fassen - und nicht eine tickende Zeitbombe auf zwei Beinen, die schon ganz andere Standards gewohnt ist."

Bei mir klopft mal wieder ziemlich hartnäckig das schlechte Gewissen an die Tür.
"Und das alles ist durch meine blöde Bemerkung vorhin über dich hereingebrochen."
"Alles auf einmal. Zack - war es da. Dass ich ... dass ich ihn ... sehr, sehr, sehr gern hab. Gern mit ihm Zeit verbringe. Mich in seiner Gegenwart wohlfühle."
"Das alles darf auch sein!"
"Und - dass ich ihm noch jahrelang seine Freiheit lassen muss, wenn ich ihm nicht schaden will. Er darf durch mich keinerlei Zeit- oder Erwartungsdruck ausgesetzt sein."
"Auch das darf sein. Aber - guess what! Grade ER ist eine echte Wundertüte. Da ist alles drin. Wir haben ja keine Ahnung, was er fühlt. Von 'lasst mir mei Ruh' bis 'er schmachtet heimlich schon seit Monaten nach dir' ist alles möglich."

"Aber ... was soll ich denn jetzt machen? Wie soll ich mich nach diesem Augenöffner normal verhalten können?"
"Hm. Intuitiv würde ich sagen, halt erstmal Abstand. Aber nur räumlich, nicht inneren Abstand. Nicht Schweigen, bleib im Gespräch. Komm runter, geh mit den Gedanken und Gefühlen spazieren, schreib sie auf, male Bilder, finde Lieder, die dich ausdrücken - lass es zu. Rede bitte viel mit mir darüber, damit du an deinen Fragen und Zweifeln nicht erstickst. Gib dem ganzen Zeit - wenn du es kannst, Zeit, bis die Tanzschule einen guten Start hingelegt hat. Schaffst du das?"

Zweifelnd blickt sie mich an.
"Keine Ahnung? Muss!"
"Nanana! 'Muss' ist ein ganz schlechter Start."
Sie stutzt, überlegt kurz und lächelt.
"Will. Ich will Geduld haben und dem absurd abwegigen Gefühl eine Chance geben. Besser?"
"Viiiieeel besser. Komm, wir sollten schlafen gehen. Ich lass dich heute nicht allein."
So-Ra seufzt erleichtert.
"Danke! Du bist ein Schatz."

Ich schreibe Namjoon nur kurz und neutral, dass wir einen schönen Abend hatten und ich bei meiner Besti übernachte. Dann hole ich mein immer vorhandenes Survivalpäckchen aus ihrem Kleiderschrank, wir duschen nacheinander, ziehen uns um und schlüpfen unter die Decken.
"Komm her, Süße. Ich bin jetzt dein Traumfänger. Schlaf gut!"

Zum Glück ist So-Ra so erschöpft und vom Alkohol gedämpft, dass sie schnell einschläft. Ihr gleichmäßiger Atem ist das einzige Geräusch im Raum. Ich dagegen liege im Dunkeln neben ihr, bin quietschwach und nüchtern.
Zweiundzwanzig und vierunddreißig - himmeldibimmel! Ich verstehe ihre Verwirrung und Angst, das wird schwer. Aber jetzt gleich aufzugeben, monatelang still zu leiden und irgendwann aus Torschlusspanik an einer zweiten Wahl hängenzubleiben, das ist keine Option.

Mir fällt das Gespräch in Berlin ein, als sie sich 'auch so einen Namjoon' gewünscht hat.
Ich bin echt blind gewesen. Schon da hat sie so einen Tripp angekündigt! Dann wirklich um Längen lieber Hoseok. Haben die beiden denn eine Chance? Sie will ihn definitiv schonen. Er wird sie schonen wollen. Da wird dann sein Einzelkämpferinstinkt wieder greifen und ihn zum Schweigen bringen. Würde er denn überhaupt zugeben, in sie verliebt zu sein? Falls das der Fall wäre.

Das Problem ist wahrscheinlich gar nicht das Alter selbst. Das kann man offen händeln. Kann. Aber wenn beide versuchen, die nur vermuteten, unausgesprochenen Erwartungen des anderen zu erfüllen, dann wird es Chaos geben. Zumindest an dieser Stelle sollte ich mich dann wohl einmischen und die beiden zum Gespräch zwingen, sonst gibt es Rätselraten und Leid ohne Ende. So-Ra ist ja schon jetzt völlig hin und hergerissen zwischen Liebeskummer und Muttergefühlen.

Mir bleibt im Moment nichts anderes übrig, als das abzuwarten und zu beobachten. Aber ich bin ja jetzt vorbereitet. Endlich gibt mein Kopf Ruhe, und ich kann auch schlafen.

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23.9.2023    -    28.3.2024

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