∞ 25 Ich lasse dich schlafen, Markus

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Die Wut brodelte in mir wie die Lava eines Vulkans, der kurz davor stand, auszubrechen.
Jede meiner Sicherungen brannte durch und hätte ich das Treppengeländer nicht losgelassen, hätte ich es wahrscheinlich zerbrochen.
"Du mieses Stück Scheisse!"
Knurrte ich und Aidens Blick wurde in Null
Komma Nichts alarmiert.
Oh ja er wusste genau was kam.
Ich stürmte durch den kleinen Gang ins Wohnzimmer, wo Elli schnell vom Sofa aufsprang und sich hinter den Glastisch in der Mitte verzog.
„Was ist denn dein Problem Mädchen? Hast du die Tollwut oder was?"
Völlig verständnislos starrte sie mich an und schüttelte dabei den Kopf. Sie schien wohl der Meinung, ich gehörte in ein Irrenhaus.
Zu ihrem Pech befand ich mich aber auf freiem Fuss.
„Marlon? Ist das dein scheissernst? Du hast nicht das Recht um ihn zu weinen!"
Ich griff nach ihrem Wasserglas auf dem kleinen Tisch und stiess Aiden neben mir zur Seite, der aufstehen wollte, um mich davon abzuhalten.
Dann warf ich es nach ihr und es flog knapp an ihrem Ohr vorbei, bevor es splitternd an der Wand zerschellte.
Mit einem Aufschrei hielt sich die junge Frau schützend die Arme vors Gesicht und duckte sich, während Glassplitter auf sie nieder regnete.
Leider hatte keiner zufällig ihre Adern aufgeschlitzt.
Ich bebte vor Wut und mein ganzer Körper zitterte.
Wie konnte ich einen Toten betrauern und gleichzeitig ihr den Tod wünschen? Vielleicht wurde ich in dem Leben hier wirklich noch verrückt. Vielleicht war ich es auch jetzt schon. Niemand sonst hätte sich ab ihrer dummen Reaktion so aufgeregt, ausser ich.
Vielleicht war dieses Lebeb nicht das Richtige für mich.
"Hör auf Jessy! Lass es einfach gut sein, sie geht jetzt!"
Langsam und bestimmt kam Aiden auf mich zu und schob fürsorglich sein eigenes Glas aus meiner Reichweite.
Als mein brennender Blick den seinen traf, musterte er mich auffordernd.
Diese Autorität waren in diesem Moment jedoch fehl am Platz.
Er hatte mir gar nichts zu sagen. Ich war wütend auf ihn und hatte mir vorgenommen, ihn zu hassen. Und er hatte Ellie in mein Haus gebracht. Schon wieder. Jetzt war sie da. Ich würde sie nicht so einfach gehen lassen. Vielleicht war meine Eifersucht auch teilweise Schuld daran. Ich war momentan emotional einfach nicht zurechnungsfähig.
"Nein", schmerzhaft lächelnd, schüttelte ich den Kopf. „Sie geht nicht."
„Scheisse Aiden was soll das Ganze! Ich will hier weg."
Jammerte Elli, die mittlerweile kapiert hatte, dass ich es wirklich ernst meinte, wenn ich sagte dass ich sie fertig machen wollte und versuchte sich entlang der Mauer weiter von mir weg zu schieben.
"Ich mach dich kaputt, das verspreche ich dir. Du wirst keine einzige falsche Träne mehr rauspressen können, wenn ich mit dir fertig bin."
Meine Stimme war ruhig. Und das war gefährlich. Ich war eigentlich immer dann gefährlich, wenn mich die Wut packte. Mit Regulierung der Emotionen hatte ich schon immer einige Probleme gehabt.
Blitzschnell schoss ich vor, warf dabei den alten Sessel um und packte das kreischende Mädchen an den Haaren.
Instinkt übernahm die Kontrolle über mich, und nur ein Satz wiederholte sich wie ein Mantra in meinem stillgelegten Hirn.
"Mach sie fertig. Lass es raus. Lass es alles an ihr aus." Ich liess also all die Wut an ihr aus, die ich vielleicht nicht einmal wegen ihr besass. Aber sie war mein Ventil und ich redete mir ein, dass sie es verdient hatte. Ich war nunmal keine Heilige. Auch wenn mein Bruder das gerne glaubte.
Ich riss sie zu Boden und kniete mich über sie, während ich meine Knie in ihren Bauch rammte.
Dann schlug ich ihr mit meiner geballten Faust in die Rippen, worauf sie in sich zusammen sackte. Ihr Schrei wurde in ihrer Kehle erstickt. Gut so.
„Jetzt hältst du es nicht mehr für wichtig, den Tod eines Menschen zu nutzen um dich aufzuspielen, na?"
Zischte ich ihr ins Ohr und beugte mich zu ihr runter.
Wimmernd wand sie sich am Boden, schlug mit ihren Händen nach mir und versuchte, mir zu entkommen während Aiden auf mich zustürzte.
„Scheisse verdammte, Jessy lass das!"
Fuhr er mich an und riss meine Hand von dem geschockten Mädchen unter mir weg.
Er beschützte sie auch noch. Er musste sie wohl echt gerne haben.
"Fass mich nicht an!"
Wie eine Furie bäumte ich mich auf und pure Wut erfüllte meine Augen. Wäre diese Welt eine magische gewesen, hätten meine Augen geleuchtet wie die des Teufels.
Doch das war sie nicht. Denn sonst hätte ich all das Leid auch einfach wegzaubern können. Und Markus zurückgeholt.
Unschlüssig stand Aiden einen Moment neben mir, sah mich mit einem unergründlichen Blick in seinen Meergrünen Augen an.
Er ballte die Hand zur Faust und schüttelte langsam den Kopf. Seine Haare hingen ihm in die Stirn und dieses Mal verspürte ich keinerlei Reaktion darauf. Die Wut hatte alles verdrängt.
Dann wandte er sich ab und rannte die Treppe in kräftigen Sätzen hoch.
Er hatte wohl kapiert dass ich nicht auf ihn hören würden.
Ich wandte mich wieder Elli zu, welche weinend die Hände von sich streckte.
"Stop. Bitte! Es tut mir leid, okay? Egal was ich getan habe, es tut mir leid."
Keuchte sie und leckte sich über die blutige Lippe.
Das war der Moment, indem ich eigentlich hätte aufhören sollen.
Sie hatte sich ergeben und jedes bisschen Ehre in mir wollte auch, dass ich es nun gut sein liess.
Doch wieso sollte ich?
Hier in diesem Rattenloch von Stadt nahm doch auch nie Jemand Rücksicht auf uns. Wir waren allen egal also war es doch auch egal, ob ich ein unschuldiges Mädchen zu Tode prügelte.
Was machte das für einen Unterschied? Die Welt blieb genau gleich beschissen und ohne Perspektiven.
"Oh nein, ich hab grad erst angefangen."
Hauchte ich und wickelte ihre dicken Haare langsam um meine Faust.
Ich fühlte mich verloren. Und wenn das hier das Ich war, das dann hervorkam, wollte ich nicht so sein.
Weinend versuchte sie weg zu kriechen.
An ihren Haaren zog ich sie zurück wie ein Pferd an seinen Zügeln.
„Wo willst du denn hin?"
Fragte ich unbeeindruckt und eine kranke Seite, die mir zu jeder anderen Zeit Angst gemacht hatte, amüsierte sich über ihre kläglichen Versuche, zu entkommen. Das hatte ich also schon mit mir angerichtet. Dieses Leben zerstörte meine
Menschlichkeit und ich liess es auch noch zu.
Ich hob meine Faust, welche an den Knöcheln aufgesprungen war, um erneut zuzuschlagen.
Ich hörte wie die Anderen die Treppe runter getrampelt kamen und durch das Wohnzimmer auf mich zustürzten.
Sie sollten alle weggehen und mich in Ruhe lassen.
„Jessy was machst du! Hör auf damit!"
Rief Lucas verwirrt durch den Raum.
„Sie hat es verdient! Sie hat sich über Markus lustig gemacht!"
Schrie ich und spürte wie meine Lippen zu zittern begannen.
Dann spürte ich die starken Arme meines Bruders, die sich um meinen Bauch schlangen und mich unerbittlich von dem wimmernden Häufchen Elend unter mir wegzogen.
Ich wehrte mich, doch es half nichts, er war stärker.
Und ich würde ihn nie in meinem Leben schlagen.
„Sie hat es verdient! Lass mich!"
Dann umarmte er mich.
Legte die Arme um meine Schultern und drückte mich fest gegen sich, sodass ich von seiner Wärme umgeben war.
Schon als Kind hatte mich Jake einmal so umarmt. Es war, als ich mich für Dads Tod verantwortlich machte.
Sie strahlte Wärme und Zuversicht aus. Aber sie zeigte mir auch sein Verständnis, und dass er mir nichts hiervon vorwarf. Obwohl er es sollte.
„Lass mich..."
Ich versuchte mich raus zu winden, bis ich irgendwann die Kraft dazu verlor und nur noch schwach wimmerte.
„Sie hat es verdient.."
Meine Schreie hatten sich in Schluchzer umgewandelt und ich machte mich los, um ihn mit tropfendem Kinn anzusehen. Überall Salz.
Er nahm meine Arme und legte seinen Kopf an meinen.
"Ich weiss", leise flüsterte er.
„Ich weiss kleine Schwester."
Jake fuhr mir übers Haar und ich schloss die Augen.
Ich wusste nicht wie er es anstellte, doch er schien all die Wut aus mir raus zu saugen, alleine durch seine Berührungen.
Hinterlassen tat er nur ein gebrochenes Mädchen, welches sich zitternd und nur knapp auf den Beinen halten konnte.
Aus den Augenwinkeln nahm ich Aiden und Leon wahr, die eine wimmernde und fluchende Elli auf die Couch hoben.
Unternehmen tat ich nichts.
Weder als ich zum wieder aufgestellten Sessel ihr gegenüber geführt wurde, noch als die Jungs uns beiden das Blut weg wischten.
Ich schwieg einfach und starrte sie an, wie sie mit ihren blauen Augen immer wieder feindselig und verstört zu mir rüber blickte.
„Was hast du dir nur dabei gedacht, Kätzchen."
Seufzte Aiden als er sich auf der Armlehne des Sesselns niederliess und streckte die Hand nach mir aus.
Vor wenigen Minuten hätte ich das gebraucht und gewollt.
„Fass mich nicht an."
Meinte ich nur rau. Ich würdigte ihn nicht einmal eines Blickes. Ich wollte ich ihn nicht mehr in meiner Nähe sehen.
Was auch immer er für mich schon getan hatte, das mit Elli vergass ich nicht. Er meinte es mit mir nicht ernst. Also sollte er es doch gleich ganz lassen.
Er verzog die Lippen als hätte ich einen unschuldigen Welpen getreten, stand dann aber wieder auf und verschwand in der Küche. Mein Blick hing an seinem breiten Kreuz und der braunen Kapuzenjacke, bevor ich mich wieder dem Geschehen widmete.
Leon liess sich grinsend neben mich sinken und zwinkerte mir zu.
„Egal was sie sagen, diese Abreibung hat sie gebraucht."
Sein breites Lächeln war ansteckend, mit seinen hellen blonden Haaren und demselben Schalk in den Augen, erinnerte er mich an Markus.
Also lächelte ich auch leicht.
Ab und zu hatte ich das Gefühl er und sein bester Freund Lucas waren neben Jake die einzigen, die mich wirklich verstehen konnten. Deswegen waren sie auch meine besten Freunde. Obwohl Lucas auch noch grösseres Potential hatte.
„Was ist denn hier los?"
Eine verschlafene Leonie tappte von der oberen, dunkeln Etage verwirrt runter und starrte auf die versammelte Crew. Sie hatte wohl auch hier übernachtet. Aber Moment mal, in welchem Zimmer denn?
Niemand antwortete, also rieb sie sich die Augen und murmelte ein „na dann" bevor sie sich wieder umdrehte und verschwand. Beinahe hätte ich gelächelt. Doch ich verkniff es mir, als ich Aiden am Türrahmen lehnen sah, der mich beobachtete.
Sein Blick war undefinierbar.
Und das verunsicherte mich.
Also startete ich eine Offensive, so wie immer.
„Ich will dass sie geht."
Meinte ich dann in die Stille hinein.
Sofort spürte ich die Blicke der anderen auf mir. Sie wussten wohl nicht genau, wie sie sich bei einem Zickenkrieg verhalten sollten. Ganz einfach, sie sollten auf meiner Seite sein.
„Jessy, es ist gefährlich draussen. Es ist mitten in der Nacht und sie ist verletzt..."
Setzte Kenan an, der gerade das Blutige Tuch in einen Eimer warf und sich die Bandana richtete. Hatte er die sogar beim Schlafen an?
„Das ist mir egal. Ich will dass sie geht. Sofort."
Fragend sah Kenan zu meinem Bruder, der nur die Schultern zuckte.
„Was soll ich machen?"
„Sie weg schicken."
Meine Stimme war kalt und da es mein Zuhause war, konnte mir diese Bitte auch keiner übel nehmen.
Elli hatte sich unterdessen aufgesetzt und schwieg. Gut so, sie würde es nicht wagen, ihre Klappe noch einmal aufzureissen.
Aiden schnaubte und stiess sich von der Türe ab.
„Ich gehe mit ihr und bringe sie zu mir."
Ich verzog die Lippen unmerklich und sein Blick streifte mich kurz.
„Hier will ich im Moment sowieso nicht sein."
Au, das hatte gesessen.
Ich verzog jedoch keine Miene und Leon drückte meinen Arm ermutigend.
Dylan stand nur am Rande und sah zu, während er mich mitfühlend betrachtete.
Aber wenigstens wusste er, dass er sich zurückhalten musste, da er noch neu war. Immerhin kannte er das Wort Respekt.
„Passt auf Leonie auf."
Jake nickte nur und Elli stand humpelnd auf und liess sich von Aiden die Jacke umlegen.
Meine Nägel gruben sich in das Polster.
Sollte sie nur gehen. Ich hoffte für sie, dass ich sie nie wieder sehen würde. Und Aiden gerade auch nicht.
Als die zwei das Haus verlassen hatten, schienen meine Lungen wieder mehr Luft zum Atmen zu bekommen.
„Na dann, ich schlage vor wir gehen jetzt alle wieder pennen."
Die Stimmung war bedrückt und auch Leons Versuch der Heiterkeit schlug fehl.
Niemand konnte über Markus' tragischen Tod hinwegsehen, nicht einmal Dylan, der ihn gar nicht gekannt hatte. Sowas berührte die Menschen eben.
„Ist vielleicht besser so."
Meinte Jake und nickte mir zu.
Sofort erhob ich mich und stapfte an den verwirrten Jungs vorbei, die nur hilflose Blicke wechselten.
Wow, waren die untauglich wenn es um wütende Mädchen ging.
Ich trampelte die Treppe rauf, verschwand in meinem Zimmer und liess die jungen Männer unten stehen.
Kaum hatte ich die Türe hinter mir geschlossen warf ich mich aufs Bett und vergrub mich unter dem Kissen und der flauschigen Decke.
„Ich hoffe dir geht es jetzt gut."
Flüsterte ich in die Stille hinein und hoffte auf eine Antwort.
Irgend ein singender Engel oder eine sanfte Melodie hätte gereicht. Doch da war nichts.
Nur erdrückende Stille.

Die nächsten Tage, die ich eigentlich bei Aiden und Leonie verbringen sollte, lag ich im Bett bei mir zu Hause.
Aiden wollte ich nicht sehen, aber Leonie und ich sahen uns jeden Tag alle Filme an, die gerade liefen und futterten haufenweise Chips. Billiges und fettiges Zeug, aber es half. Ich ass um zu verdrängen und die Filme waren ebenfalls ziemlich hilfreich.
So konnte ich aus der realen Welt in die Fantasiewelt fliehen, in der meine Probleme nicht existierten.
Heute war wieder ein solcher Tag, in dem ich die Schule schwänzte und Leonie es mir zuliebe auch tat. Ich wunderte mich schon etwas, wieso die Lehrer nichts dagegen unternahmen, aber Jake hatte mir ja versichert, dass ich mir keine Sorgen darum machen sollte.
„Reichst du mir mal die Schokolade?"
Fragte meine beste Freundin, die ihre Haare zu einem Dutt zusammengebunden hatte und in Schlabberhosen und altem T-Shirt neben mir sass. Unsere Beine hatten wir unter der Decke platziert und beide starrten wir auf den Laptop, der uns als Fernseher diente.
„Jo."
Machte ich und biss noch ein grosses Stück ab, bevor ich es ihr weiterreichte.
„Also..."
Begann sie dann und kaute noch fertig.
„Denkst du, du kannst demnächst wieder in die Schule?"
Ich nickte. Ich fühlte mich tatsächlich besser.
Man konnte nicht behaupten, dass ich den Tod der sich vor meinen Augen ereignet hatte, verarbeitet hatte, nein. Es war gerade mal knapp eine Woche vergangen. Aber ich begann es zu akzeptieren.
„Ich denke schon."
Sie nickte und räusperte sich kurz.
„Jessy, ich weiss nicht ob es zu früh ist, aber die Jungs meinten, ich soll dich fragen."
Ich blickte hoch und suchte ihren Blick.
„Was fragen?"
„Ob du morgen an die Beerdigung gehen möchtest."
Ich schluckte.
Es war gut, dass die Jungs eine organisiert hatten. Das war das Mindeste, was Markus verdiente.
„Ich fühle mich zwar nicht bereit, aber ich muss dabei sein. Ich muss noch mit Mara reden."
Mara. Oh wie musste sie jetzt wohl gerade leiden. Ich hustete, um die aufsteigenden Tränen zu verstecken.
„Das finde ich schön. Ich denke, er würde sich darüber freuen."
Dankbar lächelte ich Leonie zu. Sie war so einfühlsam. Manchmal fragte ich mich, wie es kam, dass ihr Bruder alle negativen Eigenschaften bekommen hatte.
„Wer kommt denn alles zur Beerdigung?"
Fragte ich nach einer Weile unauffällig, während wir beobachteten, wie Hulk gerade Loki quer durchs Zimmer katapultierte. Normalerweise lachte ich an dieser Stelle. Heute aber nicht.
Leonie blickte mich von der Seite an, doch ich starrte konzentriert weiter auf den Bildschirm.
„Du meinst, ob Aiden auch kommt?"
Ich zuckte nur die Schultern.
„Ja er wird auch dort sein. Aber ohne Elli, falls dich das beruhigt."
Tat es.
Ich schwieg und nach einer Weile klappte sie den Laptop zu.
„Hei!" protestierte ich und einige Chipskrümel fanden ihren Weg mein Shirt hinunter.
„Was ist da eigentlich zwischen Aiden und dir vorgefallen?"
Ich blinzelte gespielt unwissend.
„Nichts."
Sie seufzte.
„Und das soll ich dir abkaufen? Aiden ist seit dem Tag als du erstmals auf Elli getroffen bist dauerangepisst. Du hast seine Freundin vor einer Woche fast zerfetzt und ihr verhaltet euch, als würdet ihr euch gegenseitig umbringen wollen."
Ich kratzte mich an der Stirn. Ja, das hatte sie gut zusammengefasst.
„Dein Bruder ist einfach ein Arsch."
Entfuhr es mir und sie legte den Kopf schief. „Das weiss ich. Aber könntest du den Grund dafür etwas präzisieren?"
Ich liess mich ins Kissen nach hinten fallen und sie rückte näher zu mir.
„Okay. Ich erzähl es dir. Aber bitte verurteile mich nicht."
Ich berichtete ihr von mir und Aiden. Von unserem ersten Kuss in der Gasse, gefolgt von unserer Schwärmerei in Long Island. Ich schüttete ihr mein Herz aus, dass ich wirklich geglaubt hatte, das zwischen uns etwas Ernstes war. Vor allem nachdem er mich nach unserem Training so liebevoll geküsst hatte. Und ich erzählte ihr, dass er noch am selben Abend Ellie angeschleppt hatte.
„Ohje. Er ist wirklich ein Arsch."
Bestätigte Leonie und zog das Haarband aus ihren langen Haaren. Sie fielen ihr offen und golden glänzend über die Schultern.
„Ich weiss einfach nicht, wieso er das getan hat. Was er an ihr findet."
Leonie strich mir tröstend über die Schulter.
„Wenn ich ehrlich bin, weiss ich das auch nicht. Ich hab ihn noch nie glücklicher gesehen als damals, als er bei dir war. Du hast ihn zum strahlen gebracht."
Ich lächelte gequält. Das hatte ich auch gedacht.
„Ich weiss nicht, wieso er sich selbst sabotiert hat. Vielleicht hat er Angst bekommen, als du weg gerannt bist?"
Ich nickte.
„Das habe ich auch befürchtet. Aber ich hatte mit ihm reden wollen und da war es schon zu spät. Da hatte er schon sein Betthäschen gefunden."
Leonie faltete die leere Chipstüte und legte sie ordentlich auf den Boden zu den anderen. Wir mussten dringend mal aufräumen.
„Vielleicht will er auch einfach seine Gefühle für dich nicht zulassen. Er will nicht nochmal verletzt werden."
Ich horchte auf.
„Nochmals? Wurde er das denn schonmal?"
Aiden wirkte auf mich eher wie der Typ, der andere Herzen brach. Welches Mädchen könnte es geschafft haben, ihm weh zu tun?
Leonie verstummte plötzlich und sah auf die Uhr.
„Ich muss jetzt echt los. Heute Nachmittag schreibe ich eine Klausur."
Sie sprang vom Bett und ich versuchte, mit den Händen nach ihr zu schnappen.
„Nein, warte doch! Wieso blockieren bei diesem Thema immer alle!"
Leicht verzweifelt beobachtete ich, wie sie sich ihre Handtasche schnappte und zur Türe rauschte.
„Sorry, muss echt los. Aber morgen bin ich hier und bringe dir dein Kleid für die Beerdigung."
Dann war sie weg.

Sie hielt ihr Wort. Ich betrachtete mich im Spiegel und meine Zähne klapperten. Mir war ganz flau im Magen. Ich war noch nie an einer Beerdigung gewesen, an die ich mich erinnern konnte.
Es würde auch nichts grosses werden, dafür waren die Bronx nicht geschaffen. Aber immerhin hatten selbst die Bullen genug Respekt vor Friedhöfen, um uns dort in Ruhe zu lassen.
Leonie zog  gerade mit trauriger Miene den Reissverschluss meines pechschwarzen Kleids zu.
Es fühlte sich eng an. Beinahe als wolle es mich ersticken.
Was vielleicht auch besser wäre. Nein. Stop, das hatte ich doch gegoogelt. Es nannte sich die Schuld des Überlebenden und genau das traf bei mir zu.
Ich fühlte mich schuldig, dass ich noch frische Luft atmete und Markus ab heute unter der Erde liegen würde. Ein kleiner Teil in mir wünschte sich sogar, dass es umgekehrt sei. Doch das konnte ich niemandem erzählen und versuchte auch, den Gedanken daran zu verwerfen.
"Bist du bereit?"
Leonie unterbrach meinen Gedankengang erneut und ich lockerte meine Fäuste. Ich hatte nicht gemerkt, wie sich meine Fingernägel in die Haut gegraben hatten.
Ich sah sie unglücklich an, nickte aber trotzdem.
"Ja."
Gelogen. Ich war eine verdammt gute Lügnerin.
Wir liefen aus dem Haus, wo auch schon das Quintett wartete. Alle hatten einen schwarzen Anzug an, und sahen abgöttisch gut aus. Auch wenn ich wusste, dass das weder ihre, noch legal erworbene Kleidungsstücke waren.
Das war aber auch unwichtig. Hauptsache Markus wurde heute angemessen geehrt. Und solange ich atmete, würde er das auch.

Niemand sprach ein Wort während der Fahrt, auch ich sah bloss aus dem Fenster. Jeder fühlte den Verlust auf sich lasten. Da war ich nicht die Einzige, das konnte ich an den verspannten Gesichtern ablesen.
Dann wandte ich mich aber wieder der Umgebung zu, die noch immer jeglichen Glanz in meinen Augen verloren hatte.
Die grauen Häuser zogen an uns vorbei, und ich beobachtete die unzähligen Leute, die wie jeden Tag, ihrer normalen Tätigkeit nachgingen.
Ich musste mir auch einen Nebenjob suchen. Irgendwie Geld verdienen. Man wusste ja nie was passierte, wenn man die Schule nicht mehr wirklich besuchte.
Wir hielten vor einem grossen Eisernen Tor, welches links und rechts mit zwei Engeln geschmückt war.
Mein Blick hob sich und ich betrachtete die verwitterten Gestalten, auf denen mehr Taubenkacke lag als Segnungen des Herren. Passte zu uns.
Sie sahen auf die Besucher hinunter, die es wagten das Tor zu durchschreiten.
Ihre Gesichtszüge waren sanft, trotzdem beschlich mich das Gefühl, sie würden die Augen feindselig zusammenkneifen, sobald ich hindurch ging.
Ich hatte keinen guten Draht zu Friedhöfen.
Alle sagten, da könne man mit den Verstorbenen in Einklang kommen, doch für mich war es umso schlimmer zu wissen, dass hier jemand lag, den ich nie wieder sehen würde.
Deswegen war es auch so schrecklich, die unzähligen, kleinen, aneinander gereihten und nicht verzierten Gräber anzusehen. Überall lag ein toter Mensch darunter. Über den wir mit unseren lebendigen Füssen liefen.
Ich weiss auch nicht, es kam mir einfach falsch vor.
Jake half mir aus dem Auto und legte mir einen Arm um die Schultern. Angenehme Wärme, der Geruch nach meinem Bruder.
Die Wirkung die er erzielen wollte, war wohl Geborgenheit, aber es klappte nicht mehr als ich Elli und Aiden entdeckte, just in dem Augenblick in welchem ich durch das Tor trat.
Mein Magen krampfte sich zusammen und ich presste die Lippen zu einem schmalen Streifen zusammen.
„Ich dachte sie kommt nicht."
Presste ich hervor und Leonie senkte den Blick.
„Das wusste ich nicht."
Auch egal. Ich musste sie einfach ignorieren.
Während wir an den Gräbern vorbei liefen, überkam mich eine Gänsehaut. Die meisten Gräber waren schon von Moos oder Flechten überwachsen und bloss einige verwelkte Blumen lagen dort.
Bei Markus' grab war eine tiefe Grube eingelassen und darin lag ein brauner, glänzender Sarg. Der Stein davor war weiss und war verziert. Ein Markt in einer kleinen Gasse war eingemeisselt. Das war Markus' Leben gewesen. Und jeder den ich kannte hatte ihn respektiert.
Die Mitglieder hatten für dieses Prachtstück wohl kräftig Kohle hinblättern müssen. Doch das kümmerte mich gerade nicht.
Die Menschen die sich bereits vereinzelt um das Grab zusammengefunden hatten, waren unwichtig. Nur der Sarg zählte, indem ein nicht atmender Mensch lag.
Mein Herz raste und es verschlimmerte sich mit jedem Schritt den ich machte.
Mara, die einzige Angehörige die er gehabt hatte, wollte keinen Pfarrer oder ein öffentliches Begräbnis. Nur wir, die Black Angels kamen zusammen. Auf einem verkümmerten Friedhof, auf welchem Markus wohl nicht der einzige Black Angel war.
Ich machte mich sofort von Jake los, als ich Mara sah.
Ihr Gesicht war tränenüberströmt und ihre geschwollenen Augen gerötet. Es sah aus als hätte sie die letzten Tage kein Auge zugemacht.
So wie ich.
Ich eilte über das nasse Gras zu ihr und wir umarmten uns ohne Worte. Das war nicht nötig.
Meine Entschuldigung reichte viel zu tief, als dass ich sie hätte aussprechen können. Und ihre Verzeihung löste in mir eine erneute Lawine von Gefühlen aus.
Dann, nach einiger Zeit löste sie sich von mir und flüsterte mit rauer Stimme: "Ich möchte dass du die Rede hälst. Ich kann das einfach nicht."
Geschockt sah ich sie an.
Doch bevor ich den Kopf schütteln konnte, fügte sie hinzu:
"Du warst als letzte bei ihm bevor er..." Wieder brach sie in Tränen aus.
Ihr Schluchzen erinnerte mich an meines.
Ich sah wieder seinen leblosen Körper vor mir, den ich rüttelte und hoffte, dass wieder Blut floss.
Ich richtete meinen leeren Blick zurück auf das braunhaarige, kaputte Mädchen und nickte dann.
"Ich machs."
Ich musste stark sein, um Maras Willen.
Und das war ich Markus schuldig.
Aus einem Behälter griff ich mir eine der schwarzen Rosen und umfasste sie mit zitternden Händen.
Ihre Dornen stachen tief in meine Haut und der Schmerz liess mich zusammenzucken.
Aber er reinigte auch meinen Kopf.
Sie roch nicht, sie duftete nach nichts.
Sie besass einfach nur schöne, schwarz glänzende Blätter, welche auch bald verwelken würden. Und dann war sie weg.
Ich räusperte mich und realisierte mit schmerzendem Unterleib, dass ich direkt neben Markus Sarg stand.
Augenblicklich wurde es totenstill, und alle sahen zu mir.
Ich hörte bloss den rasenden Puls, und das rauschen in meinen Ohren. Ich hoffte echt, dass ich nicht umkippte. Und so wie Dylan und Jake mich ansahen, hofften sie es auch. Aber ich erhob trotzdem meine Stimme.
Sie klang rau und bitter.
Aber ehrlich.
Ohne zu wissen, was ich wirklich sagen wollte, strömten die Worte aus meinem geöffneten Mund.
"Markus war für uns alle ein Freund. Er war immer da, und daran wird sich auch jetzt nichts ändern. Er ist bei uns, auch wenn wir ihn nicht sehen können. Ich will euch nicht erzählen, was er alles geleistet hat, oder wie er lebte. Das wisst ihr nämlich, denn ihr wart immer seine Familie. Ich erzähle euch meine Erinnerung an ihn. Nicht die Fröhlichen, Lustigen. Nein. Meine Letzte."
Ich sah zu Mara. Ich hoffte, dass Markus jetzt vom
Himmel hinunter sah und wusste, dass ich mein letztes Versprechen an ihn erfüllte.
Es war merkwürdig, dass Markus da gleich neben mir lag, und doch nie wieder richtig da sein würde.
"Ich wollte einkaufen, als ich ihn traf. Wir wurden von Polizisten gesehen und flohen. Doch als wir umzingelt waren, kämpften wir. Rücken an Rücken.
Wie zwei Freunde, eine Familie.
Doch Markus wurde angeschossen und sagte mir ich solle fliehen.
Er hatte sich für MICH geopfert. Und das hätte er für alle hier getan."
Ich blickte in die Runde aus traurigen und berührten Gesichtern und meine Unterlippe zitterte. Scheisse, jetzt reiss dich zusammen.
Ich zögerte und mit einem Blick zu Mara, die den Kopf ihrer Rose krampfhaft umschlossen hielt, mich jedoch nicht aus den tränenden Augen liess, fuhr ich fort.
„Als ich dann zu ihm in die Zelle kam, war er kaum noch am Leben. Er hatte zu viel Blut verloren und die Wunde eiterte, ohne dass Jemand etwas getan hat. Jede Rettung kam zu spät, das erkannte ich jedoch erst als wir auf dem Bürgersteg sassen. Zumindest befand er sich in Freiheit als er starb. Ich weinte. Doch er..."
Meine Stimme brach und ich hielt mir kurz die Finger vor den Mund um mich zu zwingen, nicht wieder zu weinen.
Dann fasste ich mich und hob den Kopf.
„Doch er umfasste meine Hand und sah mich an. Er war bereit zu gehen.
Das letzte was er sagte, bevor er von uns ging, war..."
Ich sah nun direkt zu Mara.
Meine Stimme zitterte und ich konnte die Tränen nun nicht mehr länger zurück halten.
"Ich sollte dir sagen Mara, wie sehr er dich liebte. Er liebte dich, und das hätte er für immer getan. Er wollte dass du weisst, dass du das Letzte warst, woran er gedacht hat. Als er starb, hat er voller Liebe an dich gedacht."
Mara schluchzte laut auf und sank in sich zusammen. Doch es war ein Schluchzer der Erleichterung. Ich hatte ihr eine grosse Last von den Schultern nehmen können. Sofort fingen sie dir Leute um sie herum auf.
Ich drehte mich um und legte die Rose auf den Sarg.
Dabei strichen meine Fingerkuppen über das harte Material und ich schloss kurz voller Schmerzen die Augen. Meine Lippen zitterten.
"Danke, für alles. Und nun lasse ich die Schlafen. Ich werde dich nie vergessen. Auf das wir uns bald wieder sehen werden."
Dann lief ich zurück und sah den restlichen Leuten zu, wie sie der Reihe nach an Markus' Grab traten und Abschied nahmen.
Die ganze Zeit über sagten sie rührende Dinge, doch ich stand nur da, den Blick geradeaus gerichtet und klammerte mich an meinem Bruder.
Meine Tränen versiegten erst, als wir den Friedhof verlassen hatten und ich wieder auf altem, schmutzigen Asphalt stand.
"Kommst du?"
Die Stimme liess mich zusammenfahren und ich drehte mich langsam um.
Meine Stimme hatte eigentlich nicht die Kraft, wütend zu klingen, doch für ihn brauchte ich gerne die restlichen Reserven auf.
"Was meinst du damit, Aiden?"
"Du wohnst diese Woche bei Leo und mir."
Er hatte die Hände in den Hosentaschen vergraben und stand an seinen Wagen gelehnt vor mir.
Ein altes Ding, die schwarze Farbe war abgeblättert sodass ich nicht einmal mehr wusste, ob das die eigentliche Farbe des Autos gewesen war. Immerhin war es nicht geklaut.
Ich konnte in seinen Augen Trauer entdecken, aber er wusste, dass das Leben weiter gehen musste.
Er war es sich gewohnt, solche Dinge waren ihm wahrscheinlich öfters passiert als mir.
Ich wusste auch, dass ich das Geschehene loslassen musste und damit abschliessen. Aber es fiel mir nicht leicht.
Seit dem Tod meiner Eltern war das Thema Tod nie wieder zur Sprache gekommen.
Egal wer mich darauf ansprach, ich verdrängte es und wich aus. Ich wollte mich nicht nochmals mit der Trauer auseinandersetzen, die mich jedes mal zerrissen hatte. Also musste ich sehen, wie ich mich angemessen ablenken konnte.
Leonie hätte nun bestimmt belehrend gemeint, dass die Probleme vor denen ich davon lief, mich irgendwann einholen würden.
Aber das hatten sie doch schon längst. Also musste ich nun schneller rennen.
Langsam und noch immer mit geröteten Augen blickte ich zu Jake.
Eine Art Hilfegesuch, auch wenn ich wusste dass ich selbst diesem Deal zugestimmt hatte. 
„Es gehört zum Bündnis Jess."
Ich biss mir fest auf die Lippe und senkte den Blick.
„Aber wenn du nicht zu ihm willst, verstehe ich das. Niemand zwingt dich mit ihm zu gehen. Du kannst mit mir nach Hause kommen."
Das war mein Bruder, stets auf meiner Seite.
Ich betrachtete Aiden aus den Augenwinkeln. Er stand sichtlich angespannt da und hatte die Oberlippe verächtlich zurückzog. Ich wollte endlich wissen, was zwischen diesen zwei jungen Männern vorgefallen war.
„Aber dann brechen wir den Deal."
Ich sah, dass es Jake nicht gefiel, dass wir Aidens Truppe brauchten. Aber die Black Angels existierten nunmal nur, wenn wir genug Leute waren um angemessenen Schaden anzurichten und uns zu verteidigen.
„Mach dir darum keine Gedanken."
Und wie ich das machte.
Meine Aufgabe war simpel und ich hatte nicht dabei mein Leben verloren wie Markus.
Also konnte ich es auch nicht verantworten, unsere Leben noch komplizierter zu machen, nur weil ich nicht zu diesem Arschloch nach Hause wollte.
Und ausserdem war da ja noch Leonie, die würde mir schon helfen vor ihrem Bruder zu entkommen.
"Nein, ist okay, ich geh ja schon. Mein Koffer ist ja dort. Ich habe also alles was ich brauche."
Ich zuckte möglichst gleichgültig mit den Schultern und Jake zog mich eng an sich.
„Wenn du was brauchst ruf mich an, ich werde schneller bei dir sein als du Arschloch sagen kannst."
Ich musste grinsen.
„Da wär ich mir aber nicht so sicher."
Er verzog die Lippen ebenfalls zu einem Lächeln und küsste mich auf die Stirn, bevor ich missmutig zu Aiden hinüberlief.
Meine Hände zitterten noch immer und die Dornen der schwarzen Rose hatten kleine Löcher in meiner Haut hinterlassen die etwas brannten.
Schnell schob ich sie unter mein Shirt.
Aiden hielt mir die Tür der Beifahrerseite auf, doch ich beachtete ihn gar nicht und setzte mich hinten rein.
Als ich die Türe schloss holte mich kurz eine Erinnerung ein.
Ich war schon einmal auf diese Weise von Jake weg gefahren.
Aber wenn ich nun aus dem Fenster sah, entdeckte ich einen erwachsenen Bruder der mich finden würde, wenn es sein musste.
Ich atmete tief durch starrte auf Aidens Hinterkopf.
Seine flaschengrünen Augen beobachteten mich durch den Rückspiegel.
Neben mir liess sich Leonie auf den Sitz sinken und lächelte mir ermutigend zu.
Ihre Maskara war verlaufen, durch die geröteten Augen stach das intensive Grün jedoch nur noch deutlicher hervor.
„Können wir endlich?"
Motzte ich und seine langen Wimpern verdeckten die schönen Pupillen.
„Jetzt können wir."
Schwungvoll liess sich Elli neben Aiden plumpsen und gab ihm einen schmatzenden Kuss auf die Wange.
Am liebsten wäre ich wieder ausgestiegen und weg gerannt. Aber zu spät, die Reifen setzten sich bereits in Bewegung.
Eine Weile sagte niemand etwas.
Elli puderte sich im Rückspiegel die Nase und wischte die Tränenspuren von ihrem Gesicht, wodurch wieder die blauen Flecken hervor kamen, die ich ihr verpasst hatte.
Und Aiden hielt den Blick starr und teilnahmslos auf die unbefahrene Strasse gerichtet.
Dann musste ich einfach etwas sagen.
„Wieso ist sie gekommen? Sie hat Markus doch nicht einmal gekannt. Nicht dass sie etwas anderes kennt als ihr Schminkzeug."
Merkte ich trocken und sprach damit extra Aiden an.
Elli schwieg und klappte die Puderdose zu, während Aiden genervt den Kopf an die Lehne stiess.
„Kannst du es nicht einfach für ein einziges Mal lassen Jessy? Sie ist mitgekommen weil sie sich so bei Markus für ihr Verhalten entschuldigen wollte, okey?"
Das war irgendwie nett von ihr. Scheisse.
„Wers glaubt."
Murmelte ich und warf Elli, deren Blick gesenkt blieb, noch einen giftigen Seitenblick zu.
Dann stupste mich Leonie vielsagend an und ich hielt wieder meine Klappe.
Kaum waren wir nach einer ziemlich unangenehmen Fahrt angekommen, schloss ich mich in meinem Zimmer ein und ging selbst zum Nachtessen nicht hinunter.
Ich brauchte die Zeit um die Trauer erfolgreich zu verdrängen und damit sie nicht alle Zeugen meiner Heulattacken wurden.
Viel helfen tat es allerdings nicht.
Trotzdem lag ich die ganze Nacht wach und liess mir jede Erinnerung an Markus durch den Kopf gehen.
Dieser Tag gehörte nur ihm. Und ich hoffte sehr, dass er sah wie wir ihn alle vermissten.

Ich sass neben Leonie auf dem Sofa und wir schauten uns einen Action Film an. Dazu stopften wir uns voll mit allem möglichen Fast Food voll.
Nicht dass es in unserer Umgebung so etwas wie ein Gemüsebeet geben würde. Ich glaube, Fabio hatte mal erwähnt dass seine Grossmutter das einst versucht hatte.
Das Gemüse war verdorben noch bevor es auf dem Tisch landen konnte. Also nicht die Mühe wert.
Ich hatte meine Augen konzentriert auf den Film gerichtet und schnabulierte ein Chip nach dem anderen. Aufhören kam gar nicht infrage.
Gerade rettete der heimliche Held seine Herzensdame vor dem Bösewicht und alle lebten glücklich bis an ihr Ende.
Ich schüttelte schnaubend den Kopf.
Wieso mussten uns alle Filme ein solches Happy End abliefern, wenn wir im echten Leben sowieso keins bekamen? Es war einfach nur ungerecht und vermittelte einen falschen Eindruck vom Leben.
Markus hatte kein Happy End bekommen. Denn er war nun seit genau zwei Monaten tot.
"Jessy, hör auf rum zu schmollen! Es sind Herbstferien. Was machen wir?"
Erwartungsvoll sah mich Leo an und ich sah sie mit gehobener Augenbraue an.
„Dir ist klar dass ich auch nicht in die Schule ging, als noch keine Ferien waren? Ist also nichts Besonderes mehr."
Schulterzuckend liess ich mich gegen die Lehne fallen und seufzte.
In diesem Moment wurden Leonie von hinen zwei kräftige, gebräunte Arme und die Schultern geschlungen.
"Party, Schwesterherz, wir machen heute die ganze Nacht Party."
Lachend machte sich meine beste Freundinn von Aiden los und sah mich dann an.
"Dass ist doch eine gute Idee, nicht wahr?"
Ich vermied es, Aiden anzusehen, auch wenn ich seinen bohrenden Blick spürte, worunter mir ziemlich heiss wurde.
„Ich weiss nicht."
Irgendwie konnten alle normal weiterleben, seit der Beerdigung. Nur ich nicht. Obwohl ich von Mara seit seiner Beerdigung nichts mehr gehört hatte.
Dafür hatte ich umso mehr von Elli gehört. Vor allem wenn sie Abends bei Aiden im Zimmer war.
Ich musste die Musik richtig hoch stellen, damit ich es nicht hörte.
Aber das schlimmste war das Frühstück, in welchem sie sich immer gerne in seinen Sachen präsentierte während ich missmutig mein Müsli löffelte.
„Komm schon...ohne dich habe ich doch Niemanden."
Bettelnd sah mich die blondhaarige Schönheit neben mir an.
„Hey! Und was ist mit mir?"
Entschuldigend tätschelte sie die Wange ihres Bruders, worum sie wahrscheinlich jedes Mädchen im Umkreis von zehn Kilometern beneidete.
Ausgenommen mir natürlich. Na gut vielleicht war das jetzt gelogen.
„Sorry Aiden, aber ich will mich nicht mit Elli um die Wette zu dir quetschen. Ausserdem bist du mein Bruder und kein Mädchen. Wenn du dabei bist, spricht mich doch kein Typ an."
„Was auch gut ist."
Murrte er leise, liess sich dann aber schwungvoll neben sie fallen.
Demonstrativ stand ich auf und lehnte mich an die Lehne.
"Bin dabei, du hast mich überredet. Etwas Ablenkung schadet ja nicht."
Schulterzuckend liess ich ihre freudige Umarmung über mich ergehen und half den ganzen Nachmittag beim Vorbereiten mit.
Wir brachten alle zerbrechlichen Gegenstände in Sicherheit und schmückten jeden Ecken mit Neonlichtern, die wir auf den letzten Drücker noch gekauft hatten.
Wir setzten auf alles was wie ein Tisch aussah Schüsseln mit Snacks ab und holten fast den gesamten Alkoholvorrat aus dem Keller.
Und das wollte was heissen. Denn wenn Jugendliche aus den Bronx  etwas hatten, war das Alkohol. Oder Drogen.
Während der ganzen Zeit versuchte ich Aiden so gut es ging aus dem Weg zu gehen.
Das klappte auch ganz gut, bis zu dem Moment als ich mich umzog.
Ich konnte schliesslich nicht mit meiner Jogginghose an eine Party gehen, bei der sowohl Lucas als auch Dylan anwesend sein würden.
Also musste etwas anderes her. Ich hatte mich für ein enges rotes Kleid entschieden, schlicht, aber mit schwarzen Steinchen an der linken Hüfte. Das hatte ich in meiner Zeit im Heim geklaut. Für mein Budget war das viel zu teuer gewesen.
Meine Haare liess ich einfach über meinen Rücken fallen und dazu kam noch etwas Mascara und Eyeliner. Dann noch etwas Wimperntusche und voilà. Eine fertige Jessica, die bereit war, ihre Sorgen mit Alkohol und Jungs runter zu kippen. Hörte sich doch vielversprechend an.
Leonie war noch kurz ausser haus, um einen Freund von ihr abzuholen, der für diese Nacht den DJ spielen würde.
Und genau das war mein Dilemma. Ich bekam den Reissverschluss meines Kleides nicht zu. Dafür hätte ich sie genau jetzt gebraucht.
Jedes Mal wenn ich versuchte wie ein Krake meinen Rücken zu erreichen, sah ich aus wie der Exorzist und schaffte es dennoch nicht.
Frustriert stöhnte ich auf.
So sehr es mir missfiel, ich konnte bloss zwischen Elli und Aiden wählen.
Die Antwort darauf war natürlich bereits getroffen.
Ich atmete tief durch und verfluchte diesen Moment meiner Schwäche.
"Aiden! Kommst du mal kurz?"
Ich hatte die ganzen acht Wochen, in denen ich vier davon hier verbracht hatte, nicht mit ihm gesprochen ausser es ging darum zu streiten, wer als nächstes in das kleine Bad ging. Deshalb war ich erstaunt, als kurz darauf die Tür geöffnet wurde und ein grinsender Aiden eintrat. Etwas zu fröhlich für meinen Geschmack.
"Na Kätzchen, wie kann ich dir behilflich..."
Er brach mitten im Satz ab und musterte mich von oben bis unten.
Komischerweise war es mir nicht unangenehm, wie wenn man draussen von irgendwelchen Betrunkenen angestarrt wurde.
Ich biss mir dennoch auf die Lippen, nachdem ich leise: "Ich bekomm den Reisverschluss nicht zu," geflüstert hatte.
Es war mehr als peinlich, dass er meine Unfähigkeit mitansehen musste.
Aiden sah mich kurz mit einem undefinierbaren Blick an, bevor er nickte und langsam auf mich zukam.
Wie ein Raubtier. Und das Schlimmste war, ich wollte nur all zu gerne seine Beute sein.
Schwaches Herz.
Ich drehte ihm schnell den Rücken zu, sah ihn aber noch in meinem Spiegel.
Er blieb dicht hinter mir stehen und zog den Reissverschluss langsam hoch.
Als seine Fingerknöchel meinen Rücken streiften, überkam mich eine Gänsehaut, die zu meinem Leidwesen nicht unbemerkt blieb.
Doch Aiden hielt ausnahmsweise mal die Klappe. Die Stelle die er berührte, brannte heiss und mein Atem ging etwas schneller.
Er musste meine Haare zur Seite streichen, um ihn ganz zu zu bekommen, und ich spürte seinen warmen Atem in meinem Nacken, was die Stepptanz übenden Käferchen in meinem Bauch als gute Tanzeinlage ansahen.
Seine warmen Hände verharrten kurz an meinen Schultern und ich brauchte eine Sekunde, um mich aus dem Bann seiner grünen Augen zu reissen und den Blick vom Spiegel abzuwenden.
Schnell lief ich mit einem knappen "Danke" an ihm vorbei zur Tür um schnellstmöglich zu entkommen.
Doch kurz bevor ich sie öffnen konnte, packte mich Aiden am Handgelenkt.
Nicht fest, aber bestimmt zog er mich in einer fliessenden Bewegung an seine Brust.
Da ich darauf nicht gefasst war, hatte ich automatisch eine Hand gehoben, die nun auf seinem halb offenen, weissen Hemd ruhte, welches an ihm leider ziemlich gut aussah.
Sein Herz schlug ein wenig schneller, was mir eine ziemliche Genugtuung verschaffte. Aber dann kam mir in den Sinn, dass meins wahrscheinlich gerade wie ein Presslufthammer in meiner Brust hämmerte.
Ich beging den Fehler ihm erneut in die Augen zu sehen und versank in ihnen. Das dunkle Grün verschlang mich förmlich und ich war nicht fähig mich zu rühren.
Wieso hatte er bloss immer solch eine Wirkung auf mich?
Aiden beugte sich leicht nach unten und streifte dabei kurz mit seinen vollen Lippen mein Ohr.
"Du siehst wunderschön aus, Kätzchen."
Damit hatte er gerade eben die Käferchen um eine Zugabe gebeten.
Ich schluckte leer und meine Herzfrequenz war wahrscheinlich gesundheitsschädlich.
Ich machte den Mund langsam auf, doch schloss ihn dann wieder.
Mir kam in den Sinn, dass ich im Gegensatz zu Elli keine kleine Schlampe war, die sich an alles und Jeden ran machte.
Und so sehr ich sie auch hasste, er war ihr Freund, nicht meiner. Also sollte er es ja nicht wagen, sie zu betrügen.
Aidens Lippen waren nun nah bei meinen, und sein Blick wanderte zwischen ihnen und meinen Augen hin und her.
Mein guter Vorsatz einer ehrenhaften Frau war verflogen und ich wartete nur darauf, dass er mir noch näher kam.
Doch dann unterbrach uns das Klingeln der ersten Gäste.
Danke o Holde Menschen.
„Ich geh schon."
Ich machte mich schnell von ihm los, während er etwas frustriert sein Hemd richtete und lief nach unten.
Kurz vor der Tür, krachte es oben und ein
"Verdammtes Timing" war zu hören.
Egal wie sehr ich es zu unterdrücken versuchte, ein kleines Lächeln stahl sich auf meine Lippen.
Dann atmete ich tief ein, nahm einen fetten Schluck aus einer Flasche mit irgend einem Gemisch und nahm mir vor, jetzt nicht mehr nachzudenken.
Dann öffnete ich schwungvoll die Tür und meinte:
"Willkommen in der Nacht eures Lebens.."

Und meine Sternchen wie findet ihr den Moment zwischen Jessy und Aiden? Vergesst nicht, dass es Elli ja auch noch gibt^^ aber das Wichtigste, was wird wohl an der Party geschehen? Hehe :3
Love you und bis zum nächsten Kapitel!
Angora77

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