Kapitel 11 - Unter Männern

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Levi

Alles drehte sich - die Bar, die Menschen und meine Gedanken. Eine Mischung aus heiß und kalt durchströmte meinen Körper. Gänsehaut jagte über meine Haut, es schüttelte mich und doch bedeckte ein feiner Schweißfilm meine Stirn. Es hätte alles so leicht, ja so schön sein können. Bis zu diesem Zeitpunkt war alles gut gelaufen. Und nun riss mir das Schicksal den Boden unter den Füßen weg. Ich verlor meinen Halt, meine Stabilität, meine Träume.

,,Hey, wir schließen. Du musst aufstehen.''

Ausdruckslos starrte ich den Barkeeper vor mir an, oder eher gesagt, die beiden Barkeeper. Konzentriert kniff ich meine Augen zusammen, um nicht mehr zu Schielen.

,,Komm, einen letzten noch.''

,,Ich glaube, du hattest genug, Kumpel'', entgegnete der glattrasierte Ausschenker mit der Igelfrisur. ,,Soll ich dir ein Taxi rufen?''

,,Damit ich ihm ins Auto kotze und die Reinigung bezahlen darf? Nein danke. Gib mir lieber noch nen' Drink.''

,,Ich meine es ernst, Junge. Du musst dich verpissen. Wir wollen Feierabend machen. Kannst du niemanden anrufen der dich abholt?''

Jemanden anrufen? Schwerfällig und in einer atemberaubend langsamen Geschwindigkeit tastete ich nach dem Handy in meiner Hosentasche. Ein nervöses Gefühl legte sich über meinen betäubten Körper, als ich mit verschwommenem Blick die Nachrichten auf meinem Display wahrnahm. Hatte sie vielleicht geschrieben?

Pierre

Sous! Ich platze vor Neugierde!

Wie war dein Date???

Ist sie noch da?

Wann fangen wir morgen an?


Tina

Surprise surprise! Ich fang

Morgen schon an!


Leonard

Digger, warum meldest du dich nicht?

Spucks aus! War es gut?


Niedergeschlagen schob ich das Handy von mir weg. Natürlich hatte sie nicht geschrieben. Aber warum sollte sie auch? Sie hatte besseres verdient, als sich auf einen Mittelklasse-Koch einzulassen, der eine Neunzehnjährige geschwängert hatte und nun gar nicht mehr klarkam.

,,Soll ich für dich anrufen?'', fragte der Barkeeper genervt, ''Sag mir einfach den Namen in deinen Kontakten.''

,,Nein Mann", brummte ich, griff nach meinem Portemonnaie und warf dem Barkeeper nen' Fuffi vor die Nase.

,,Das reicht nicht ganz'', meinte er mit ernstem Gesicht. Also nahm ich einen weiteren Fünfziger.

,,Hier, und öffne mir noch eine Bierflasche, damit ich draußen nicht auf dem Trockenen sitze.''

Wenige Sekunden später schnappte ich mir das Bier und mein Handy und machte mich mit wackeligen Beinen auf den Weg nach draußen. Ich war der Letzte, der die Bar verließ, doch ich befand mich mitten in der Frankfurter Innenstadt - die Nacht war noch nicht vorbei!

Es war Ende Juli und die Luft mild, dennoch fror ich in meinem schwarzen Shirt und das Laufen fiel mir schwer. Ich weiß nicht, wie viel ich getrunken hatte, ich weiß nur noch, dass alles mögliche dabei gewesen war. Tequila, Bacardi, Whiskey - also der reinste Mischkonsum. Doch etwas fehlte noch. Ich lief ein wenig weiter, hielt an einer Straßenecke, lehnte mich gegen die kühle Steinwand und begann, mir eine Tüte zu bauen. Es dauerte eine Weile, bis ich es schaffte, mir eine passable Lunte zu drehen, doch dann war es geschafft. Gerade zückte ich ein Feuerzeug, als nackte Beine und hohe rote High Heels in meinem Blickfeld erschienen.

,,Hey Hübscher, caring is sharing. Darf ich dir Gesellschaft leisten?''

Mein verschleierter Blick wanderte die langen nackten Beine hinauf, über ein hautenges rotes Kleid, blieben kurz an kugelrunden, gemachten Brüsten hängen und wanderten letztendlich zu einem völlig überschminktem Gesicht, umkreist von wilden roten Locken. Eine Nutte. Ohne sie aus den Augen zu lassen, zündete ich die Tüte an und nahm einen kräftigen Zug des grünen Goldes. Die Nutte lächelte einladend, doch das letzte wonach mir der Sinn stand, war Sex. Es sei denn, ich wäre Medina über den Weg gestolpert, dann hätte ich ihr an Ort und Stelle die Klamotten vom Leib gerissen. Ich nahm einen weiteren Zug und reichte die Lunte anschließend der Hure, ich war schließlich ein Gentleman - auch im Suff.

,,Lust mit mir zu kommen?'', fragte das rothaarige Luder und deutete mit ihrem Kopf auf die andere Straßenseite, wo nur ein spärlich beleuchtetes Fenster auf ihre Herkunft hindeutete.

,,Nein danke, ich ...'' Weiter kam ich nicht, denn von jetzt auf gleich, wurde mir so übel, dass sich mein Magen ekelerregend zusammenzog. Alles drehte sich noch viel schneller, als kurz zuvor in der Bar und dann ... kotzte ich der Prostituierten direkt vor die Füße. Ein entsetzter Schrei entwich ihrer Kehle, bevor sie sich mit schnellen Schritten von mir entfernte und zurück in ihr Loch kroch, aus dem sie gekommen war.

,,Ja genau, verpiss dich, Bitch'', murmelte ich zwischen würgenden Geräuschen. Die vielen Nachtmenschen, die meinen Weg kreuzten, machten einen großen Bogen um mich. Mir war so verdammt schlecht, und dennoch hatte ich nicht genug intus, um zu ertragen, welche Richtung mein Leben in den letzten Stunden eingeschlagen hatte. Vater. Ich würde Vater werden. Von einer Frau, die ich nicht liebte, von einem Kind, das ich nicht wollte.

Nach einigen Minuten hatte sich mein Magen wieder beruhigt und ich lief weiter. Langsam, im Schneckentempo, und alles andere als gerade, bis plötzlich meine Beine weg sackten und ich stürzte.

,,Fuck!'', rief ich und krabbelte mit dröhnenden Kopf und schweren Augenlidern an die nächste Hauswand. Stöhnend lehnte ich mich an und raufte mir das Haar. Wieder drehte sich alles - dieses Gefühl war einfach widerlich und meine Gedanken, unerträglich.

,,Ein Kind'', murmelte ich ungläubig und spürte, wie mir Tränen in die Augen stiegen. Wie ein Weichei saß ich da und kämpfte mit meinem Stolz und mit meinem Gewissen. Ich war nicht bereit, ein Kind zu bekommen. Ich war doch noch jung! Ich musste an meine Eltern denken. Auch sie waren in meinem Alter, als sie mich bekommen hatten, meine Mutter sogar noch jünger. Und Diego war genau wie ich vierundzwanzig als Delphin kam, nur waren er und meine Mutter über beide Ohren ineinander verliebt und Delphin ein absolutes Wunschkind gewesen.

Meine Gedanken fuhren Kettenkarussell.

Wie es sich wohl für Diego angefühlt hatte, als er meine Mutter und mich kennenlernte? Ob er mich genauso wenig haben wollte, wie ich das Baby in Amelies Bauch? Ob es ihm wohl lieber gewesen wäre, meine Mutter allein kennenzulernen, ohne lästigen Anhang?

Zitternd griff ich nach meinem Handy und überlegte, Diego anzurufen. Aber, war ich überhaupt noch in der Lage zu sprechen? Doch ich musste es wissen, musste wissen, ob Diego mich genauso wenig haben wollte, wie ich dieses Baby. Aber anstatt die Nummer meines besten Freundes und Ziehvaters zu wählen, schickte ich ihm meinen Standort. Es vergingen keine fünf Minuten, da rief er an, doch ich ertrank gerade in Selbstmitleid und ging nicht ran.

Ich habe keine Ahnung, wie lange ich an dieser beschissenen Hauswand gekauert hatte, doch irgendwann legte sich eine große Hand auf meine Schulter.

,,Verdammt Levi, was ist passiert?'', drang Diegos raue Stimme an mein Ohr. Sie klang besorgt. Schwerfällig hob ich meinen Kopf, den ich so lange hatte hängen lassen, dass mein Nacken schmerzte. Mit erbärmlich feuchten Augen sah ich ihn an.

,,Hättest ... du dir gewünscht, Mama ohne mich kennenzulernen?'', fragte ich in lallender Tonlage.

,,Was? Wie kommst du denn auf so eine beschissene Frage?'', hakte Diego verwirrt nach. Er war vor mir in die Knie gegangen und starrte mich irritiert an.

,,Sag schon'', forderte ich ihn auf, ''Wolltest du mich nicht? Hättest du dir gewünscht, Mama unter anderen Umständen zu begegnen?''

,,Blödsinn'', entgegnete er und schüttelte beinahe belustigt den Kopf. ,,Ich hätte deine Mutter doch niemals kennengelernt, wenn du nicht in meinen Zeichenkurs gekommen wärst. Ich habe es also dir zu verdanken, sie überhaupt kennengelernt zu haben.''

,,Aber ohne mich wäre es einfacher gewesen ... schöner ...''

,,Levi, was ist los?'', bohrte Diego nach, ''Solche Fragen hast du doch noch nie gestellt ... Und warum hast du dich so dermaßen abgeschossen?''

Ich atmete tief ein, biss aber die Zähne zusammen. Ich konnte es ihm nicht sagen ...

,,Levi, ich habe dich von Anfang an gern gehabt und ich liebe dich, wie meinen Sohn, auch wenn unser Verhältnis eher brüderlicher Natur ist.''

Eine Träne verließ meinen Augenwinkel - ich war so ein Schwächling ...

Besorgt fasste Diego mich an den Schultern. ,,Nun sag schon, was ist passiert? So langsam machst du mir eine Scheiß Angst!''

Ich schluckte und schüttelte völlig durch den Wind den Kopf.

,,Sie ... Ich ... Fuck!'', rief ich und vergrub meine Hände in meinen Locken. ,,Amelie ... Sie ist schwanger.''

Überrumpelt sah mein Ziehvater mich an. ,,Amelie? Die kleine Schuhverkäuferin?''

Ich nickte verbittert. Und dann verstand Diego, denn er zog scharf die Luft ein, bevor er sie ruhig wieder ausstieß.

,,Und ... du bist dir sicher, dass es von dir ist?''

Wieder nickte ich.

,,Ja. Sie hat keine anderen Kerle gedatet, ganz sicher.''

Diego lächelte schwach und klopfte mir liebevoll gegen die Wange.

,,Okay, dass ist ne' krasse Nachricht, aber wir schaffen das schon.''

Ich schüttelte niedergeschlagen den Kopf.

,,Du verstehst das nicht ... Ich will dieses Kind nicht! Und ich will auch Amelie nicht! Es ...'' Ich seufzte schwer. ,,Es lief gerade so gut mit Medina ...''

Diego nickte verstehend.

,,Hattest du heute nicht ein Date mit ihr?''

,,Ja'', lachte ich bitter. ,,Und es war perfekt. Sie ist einfach perfekt! Doch dann tauchte Amelie auf und Medina ging. Sie sagte 'Leb Wohl'.'' Zornig mahlte ich bei dieser Erinnerung mit meinem Kiefer. ,,Ich glaube, ich werde Amelie bitten, das Kind abzutreiben'', platzte es da aus mir heraus.

Diego schluckte auffällig.

,,Du solltest auf jeden Fall eine Nacht darüber schlafen, Levi und nochmal nüchtern an die Sache herangehen. Ein Kind ist was wunderschönes, auch wenn es nicht geplant war und auch, wenn die Eltern nicht zusammen sind, kann es dein Leben bereichern.''

,,Aber dann habe ich keine Chance mehr bei Medina! Und ich will sie so sehr, verdammt! Nicht nur körperlich ... Mit ihr Zeit zu verbringen hat sich einfach richtig angefühlt, verstehst du?''

,,Ja, das verstehe ich sogar sehr gut. Aber vielleicht täuschst du dich ja, und sie lässt sich dennoch auf dich ein.''

,,Niemals'', murmelte ich. ,,Aber wahrscheinlich wird sie mich so oder so nicht mehr sehen wollen, egal ob ich nun Vater werde oder nicht. Die ganze Situation heute hat sie mega abgeschreckt. Ich habe die Enttäuschung in ihren wunderschönen Augen erkannt und dieser Ausdruck raubt mir einfach den Verstand.''

,,Sie war geschockt, Padawan. Ist doch klar. Du solltest auf jeden Fall nochmal mit ihr reden. Aber nun bringen wir dich erstmal nach Hause.''

Diego packte mich unter den Armen, richtete sich auf und zog mich mit auf die Füße. Wir hatten beinahe dieselbe Statur - schlank und leicht muskulös. Ich stöhnte, jede Bewegung schmerzte in meinen Gliedern und in meinem Kopf. Mein Kumpel legte mir einen Arm unter die Schulter und stützte mich.

,,Das Auto steht nicht weit entfernt. Am besten fahren wir zu deiner Mutter und Delphin.''

Ich keuchte. 

,,Wie glaubst du, wird Mama reagieren?'', fragte ich und schielte unsicher zu Diego hinüber.

Ein kleines Lächeln zierte sein Gesicht.

,,Also eins kann ich dir versichern, von einer Abtreibung wird sie gar nichts halten.''

,,Und Delphin?'', fragte ich weiter, denn es war mir sehr wichtig, was meine kleine Schwester von mir hielt. Ich liebte sie von ganzem Herzen, seit Diego mir seine Tochter vor sechzehn Jahren das erste Mal in den Arm gelegt hatte. Ich erinnerte mich noch genau an die kleinen Händchen, die noch kleinere Stupsnase und ihre kugelrunden Augen. Ein Stich bohrte sich in mein Herz bei dem Gedanken, dass ich womöglich bald wieder so ein kleines Wesen in den Armen halten würde.

,,Delphin wird sicherlich ganz aus dem Häuschen sein, Tante zu werden'', schmunzelte Diego.

,,Ver ... versteh das nicht falsch'', murmelte ich bedrückt. ,,Ich habe nichts gegen Kinder und konnte mir auch immer vorstellen, selbst welche zu haben, aber ... mit der richtigen Frau an meiner Seite. Eine Frau, die ich liebe und vergöttere.''

,,Und du glaubst, Medina hätte womöglich diese Frau werden können?'', fragte mein Freund interessiert, während wir seinem dunklen Audi immer näher kamen.

,,Womöglich'', sagte ich voller Bedauern. ,,Sie hat mir auf jeden Fall gehörig den Kopf verdreht.''

,,Du musst auf jeden Fall einen Vaterschaftstest machen sobald das Kind da ist und ihr euch gegen eine Abtreibung entscheidet.''

,,Selbstverständlich'', schnaufte ich völlig außer Atem. Wir waren bei Diegos Wagen angekommen und obwohl wir nicht viele Schritte zurückgelegt hatten, hatte mir die kurze Strecke meine letzte Kraft geraubt. ,,Doch ich bin mir sicher, dass es mein Kind ist, auch wenn ich hinterfrage, wie es dazu gekommen ist ...''

,,Du glaubst, die Kleine hat es absichtlich getan?''

Ich nickte verbittert. ,,Ja, das glaube ich.''

,,Das ist eine krasse Unterstellung, Levi. Mit solchen Behauptungen muss man vorsichtig sein. Und du darfst nicht vergessen, dass das Kind nichts dafür kann.''

,,Ich weiß'', flüsterte ich und sah meinem Ziehvater tief in die Augen. ,,Und ich weiß auch, dass ein Kind einen Vater braucht.'' Zitternd fuhr ich mir durch die Locken, denn die nächsten Worte auszusprechen, fiel mir besonders schwer. ,,Nachdem mein Vater gestorben war, habe ich mich sehr einsam gefühlt. Zwar hat Mama alles für mich getan und ich spürte ihre Liebe jeden Tag, und doch war es nicht dasselbe. Ich hatte keinen besten Freund mehr, kein Vorbild, niemand der mit mir Lego baute, Konsole zockte, oder mit mir Comics las. Und dann kamst du.'' Verlegen lächelte ich Diego an, es war das erste Lächeln seit dem Vorfall am Nachmittag. Und auch Diego lächelte gerührt. ,,Ich weiß nicht, was aus mir geworden wäre, wenn du nicht in unser Leben getreten wärst. Ich habe meinen Vater geliebt, aber dich, liebe ich genauso.'' 

Nun ließ ich meinen Kopf hängen und starrte auf den Asphalt hinunter. Ich war ein erwachsener Mann und heulte wie ein kleiner Junge. Da umarmte Diego mich plötzlich fest, nicht wie ein Kumpel, nicht wie ein Bruder, sondern wie ein Vater.

,,Es wird alles gut werden, Levi. Wir schaffen das. Versprochen!''

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