Kapitel 4 - Klingeling

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Levi

Ich hatte Mittagspause und war auf dem Weg zu einem meiner absoluten Lieblingsorte, der 'Wall of Fame', bei dem es sich um legale Graffiti-Spray-Wände entlang des Ratswegkreisels im Osten Frankfurts handelte. Schon von weitem erkannte ich Diego, den Mann meiner Mutter und meinen besten Freund, der am liebsten graue Shirts und Basecaps trug. Er begutachtete gerade die Wall, überlegte wohl, in welche Lücke er noch ein kleines Kunstwerk setzen konnte, bis ich ihm immer näher kam und er mich bemerkte.

,,Hey Chefkoch'', grüßte er mich und schlug lächelnd in meine Hand ein. ,,Was geht? Kommst spät ...''

,,Ging nicht früher, die letzten Gäste haben sich unverschämt viel Zeit gelassen ...'', sagte ich und ließ meinen Rucksack mit den klappernden Spraydosen neben Diego's auf den dunklen Bordstein fallen.

,,Was für Spastis'', meinte er belustigt. ,,Und wann musst du wieder da sein?''

,,17:30 Uhr'', entgegnete ich, was ihn zum Nicken brachte. ,,Viel Platz ist hier nicht ... Was hast du vor?''

Ein Grinsen schlich sich auf Diego's gutaussehendes Gesicht. Er war sechzehn Jahre älter als ich und hatte kurz zuvor seinen vierzigsten Geburtstag gefeiert, doch er war so jung geblieben, dass er genauso gut auch erst in den frühen Dreißigern hätte sein können.

,,Ich dachte an einen Kobold'', sagte er mit einem amüsierten Funkeln in seinen grauen Augen.

,,Einen Kobold?'', wiederholte ich erheitert, ''Wie kommst du denn da drauf?''

,,Die Idee kam mir, als deine Mutter und ich in Breslau waren. Dort findest du diese kleinen Gnome überall.''

,,Und nun willst du einen sprayen und ihn anschließend Mama zeigen?''

,,Si. Das habe ich vor.''

,,Okay, cool.'' Konzentriert glitt mein Blick über die bunte Wall. ,,Dann nehme ich die freie Stelle über dem Minotaurus.''

,,Alles klar'', meinte Diego und warf mir ein dunkles Multifunktionstuch zu. ,,Weißt du schon, was du sprayst?''

Ich nickte. ,,Ich glaube schon.''

,,Einen Topf voll Froschschenkel?'', witzelte mein Ziehvater.

,,Du mieser Penner'', lachte ich. ,,Du wirst schon sehen!''

,,Alles klar. Dann los.''

Kurze Zeit darauf standen wir mit halb verborgenen Gesichtern und mit Farbdosen bewaffnet vor der Wall und begannen uns auszutoben. Ich wusste sofort, was ich sprayen wollte, denn die ganze Zeit konnte ich an nichts anderes denken, als an das wunderschöne, stolze Gesicht des schwarzhaarigen Püppchens. Also entstanden nach und nach zwei mandelförmige, veilchenblaue Augen, eine wohlgeformte Nase und betörend volle Lippen.

,,Okay. Hau raus! Wer ist sie?'', fragte Diego irgendwann neben mir, befreite sich von seinem Mund- und Nasenschutz und inspizierte mit einem schelmischen Grinsen das mich anstarrende Gesicht.

,,Warum glaubst du, dass ich an jemand bestimmtes gedacht habe? Vielleicht ist das ja auch nur irgendein hübsches Gesicht, eines heißen Pornosternchens.''

,,Bullshit! Ich weiß genau, dass da mehr dahinter steckt!''

Ich lachte belustigt.

,,Und woher?''

,,Ganz einfach: Weil ich, nachdem ich deine Mutter das erste mal gesehen habe, einen nackten Körper und langes braunes Haar auf dem Waggon einer alten Regionalbahn gesprayt habe.''

Mir klappte die Kinnlade herunter.

,,Du hast den Körper meiner Mutter nackt auf einen Zug gesprayt?''

Diego kicherte.

,,Man sah sie nur von hinten. Große Hände lagen auf ihrer Hüfte, natürlich meine Hände.''

,,Weiß sie davon?'', fragte ich neugierig.

,,Ja, ich habe ihr irgendwann davon erzählt.''

,,Und wie hat sie reagiert?''

,,Sie bekam rote Wangen und hat ihr Gesicht in ihren Händen vergraben.''

,,Typisch Mama'', schmunzelte ich.

,,Ja.'' Ein verliebtes Lächeln zeichnete sich auf Diego's Gesicht ab. Es machte mich echt happy, dass er und meine Mutter, nach all den Jahren und trotz ihres Altersunterschied, noch immer so glücklich miteinander waren. ,,So, nun aber zu dir! Sag schon! Wer ist sie?''

Ich atmete tief ein und strich mir aufgekratzt durch mein lockiges Haar, bevor ich nachdenklich meine Augen zusammen kniff.

,,Habe ich dir vor drei Jahren, kurz bevor ich die Kochausbildung angefangen habe, nicht von einer Begegnung mit einem schwarzhaarigen Mädchen erzählt? Sie hatte auffällige, veilchenblaue Augen und stand eines Abends mit einer Freundin vor Rolf's Imbisswagen. Sie bestellten sich Sandwiches ...''

Grübelnd fasste sich Diego an sein glattrasiertes Kinn.

,,Mir dämmert da was ... Hast du ihr nicht deine Handynummer auf einen Geldschein geschrieben? Und hat sie dich nach der Aktion nicht laut lachend abblitzen lassen?''

Ich seufzte und rieb mir bei der Erinnerung die Stirn.

,,Richtig. Habe ich. Aber eigentlich hat sie mich nicht wegen diesem Geldschein abblitzen lassen, sondern weil sie vergeben war, und weil ich gesagt habe, dass sie wie ein unanständiges Mädchen aussieht, das sicherlich einen Dildo in der Schublade ihres Nachtschrankes hat.''

,,Stimmt! Meine Güte, du noch viel lernen musst, junger Padawan!''

Diego lachte herzlich, während ich lässig mit den Schultern zuckte.

,,Ach komm, du bist doch damals bei Mama auch in haufenweise Fettnäpfchen getreten, als du uns kennengelernt hast! Außerdem sieht Medina wirklich aus wie ein böses Mädchen! Diese Augen, diese Lippen, diese Kurven ...'' Ich musste echt aufpassen, keine auffällig harte Hose zu bekommen.

,,Medina also. Schöner Name.''

,,Oh und er passt perfekt zu ihrem Äußeren", schwärmte ich. ,,Naja, jedenfalls saß dieses schwarzhaarige Püppchen gestern Nacht mit ihrer Mutter in unserem Restaurant.''

,,Dein ernst?'', fragte Diego und sah mich mit großen Augen an.

,,Wenn ich's dir sage ...''

,,Und? Hast du mit ihr sprechen können?''

,,Ja. Es war verrückt. Ihre Mutter hat der Kellnerin fünfzig Euro gegeben, für den Koch, der den Hauptgang zubereitet hat, und wie der Zufall es wollte, war ich das. Also bin ich raus an ihren Tisch gegangen, um mich zu bedanken, und dann starrte ich plötzlich in diese veilchenblaue Augen.''

,,Und dann?'', fragte Diego neugierig. ,,Hat sie dich erkannt?''

,,Ja! Also habe ich ihr und ihrer Mutter kurz darauf einen Extra-Gang, eine Schokoladenvariation, zukommen lassen und in diese Schokoladenvariation habe ich einen Zettel mit meiner Nummer gesteckt.''

,,Okay, das ist definitiv besser, als die Geldschein-Aktion", ärgerte mich mein bester Freund. ,,Hat sie sich gemeldet?''

,,Warte doch mal! Die Geschichte ist noch nicht zu Ende! Jedenfalls wollte ich sie unbedingt nochmal sprechen und sichergehen, dass sie den Zettel an sich genommen hat, also habe ich sie auf dem Weg zu ihrem Auto abgefangen.'' Allein wenn ich an diese Begegnung, an die Nähe zu ihr, dachte, zwickte es verschwörerisch in meiner Boxershorts. ,,Ich fragte sie, ob sie diesmal meine Nummer eingespeichert hat, doch sie sagte nein und behauptete, ich sei nicht ihr Typ.''

,,Uff, bitter'', meinte Diego und zog bekümmert die Augenbrauen zusammen.

,,Ja, echt mies ... Und obwohl sie mich zum zweiten Mal abblitzen lassen hat, bekomme ich sie einfach nicht aus meinen Kopf ...''

,,Verstehe ich, aber vielleicht ...'' Das Klingeln meines Handys ließ Diego verstummen. Ich schnaubte.

,,Geh lieber ran ... Vielleicht möchte dein Chef, dass du früher kommst ...''

Genervt tastete ich nach meinem Handy, das sich in der Seitentasche meiner schwarzen Kochhose befand und starrte auf das Display.

,,Anonym'', murmelte ich, nahm aber ab.

,,Rimera'', meldete ich mich mit meinem Nachnamen, den ich besaß, seitdem Diego meine Mutter geheiratet und mich adoptiert hatte.

,,Hallo, mein Name ist Shehu. Spreche ich mit Herrn Levi, einem Koch aus dem Restaurant Gustav?''

Ich runzelte meine Stirn und warf Diego einen verwirrten Blick zu.

,,Ja, tun Sie. Und wer genau sind Sie, Frau She ...''

,,Shehu'', kicherte die Dame und fuhr gut gelaunt fort. ,,Meine Tochter und ich haben gestern Abend bei Ihnen gespeist.''

Plötzlich fühlte es sich an, als ob ein Blitz meinen Körper durchzuckte.

,,Oh ja, ich erinnere mich. Die großzügige Dame und ihre zauberhafte Tochter.'' Bei meinen Worten schüttelte Diego ungläubig den Kopf.

Wieder kicherte die Dame am Handy.

,,Richtig. Ich war so frei, mir Ihren Zettel zu schnappen, nachdem meine Tochter ihn liegen gelassen hat. Nehmen Sie es nicht persönlich. Medina möchte nun mal erobert werden. Und ich junger Mann, gebe Ihnen die Chance, dass zu tun.''

Mir verschlug es die Sprache.

,,Hallo? Sind Sie noch dran?''

,,Ehm ja'', sagte ich und fuhr mir durch die Locken. ,,Und wie, wenn ich fragen darf?''

,,Das dürfen Sie! Nun es ist so: Mein Mann feiert in zwei Wochen seinen fünfzigsten Geburtstag und wir haben vor, eine Gartenparty zu veranstalten. Eigentlich wollte ich irgendeinen gut bewerteten Catering-Service organisieren, aber ich dachte mir, wenn Sie im 'Gustav' für fünfzig Leute kochen können, dann können Sie es auf unsere Gartenparty für dreißig doch allemal, oder?''

Meine Mundwinkel zuckten nach oben.

,,Das geht durchaus.''

,,Oh, fein! Dann würde ich sagen, Sie nehmen sich am vierzehnten Juli einen Tag Urlaub, um sich ein hübsches Extra-Sümmchen zu verdienen und bereiten meinem Mann und unseren Gästen das beste Essen zu, was es je auf einer Gartenparty gegeben hat. Und nach getaner Arbeit können Sie nochmal um die Gunst meiner Tochter buhlen, junger Mann. Und geben Sie sich ordentlich Mühe! Ich wollte schon immer einen Koch in der Familie haben, aber mein Mann ist ein erfolgreicher Banker geworden und meine Tochter wird in seine Fußstapfen treten. Also bleibt mir nur noch ein Schwiegersohn in Spe!''

Ich war kurz zuvor schon sprachlos gewesen, aber nun blieb mir doch glatt die Spucke weg.

,,Haben Sie mich gehört, Herr Levi?''

,,Ehm ja, ja habe ich.''

,,Also steht die Abmachung?''

,,Ja. Sie steht'', antwortete ich.

,,Super. Dann lass ich Ihnen morgen eine Gästeliste mit der Personenanzahl und möglichen Unverträglichkeiten zukommen. Und Sie erstellen bitte eine kleine Auswahl von Menüs, sodass ich einen Favoriten auswählen kann.''

,,Okay. So machen wir's."

,,Na wunderbar. Dann noch einen schönen Tag, Herr Levi.''

,,Gleichfalls'', verabschiedete ich Frau Shehu und starrte noch einige Sekunden fassungslos auf mein Handy.

,,Lass mich raten'', schmunzelte Diego, ''Du hast mal wieder mehr Glück, als Verstand.''

Ich nickte erheitert.

,,Mehr Glück als Verstand.''

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