Alle sind nachts wach

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          Die Ana, die er auf dem Schiff kennengelernt hatte, hätte auf ihn gehört. Da war sich die Ana, die kaum da er das Zimmer verlassen hatte, auf die Bücher stürzte, sicher. Fanatiker also?

Sie saß im Schneidersitz gegen die Rückwand ihres Bettes gelehnt, aufgeschlagene Bücher wie ein Nest um sich herum ausgebreitet. Zu Drachen gab es unzählige Einträge. Zu ihrer Enttäuschung existierten in Anderthal keine wirklichen Drachen, doch ihre Figuren fanden sich überall in märchenhaften Erzählungen, religiösen Schriften und Omen wieder. Sie tauchten auf Familienwappen auf und auf den Flaggen der freien Flussstädte im Norden. Ritter aus Nachbarländern trugen sie auf ihren Schilden und es gab eine Steinart, die allgemein als Drachenschuppen bezeichnet wurden.

Viele Bücher offenbarten versteckte Zeichnungen, die sie nur durch ihr Monokular sah. Es half mit großem Enthusiasmus. Aber Aufzeichnungen über Drachenbroschen, die Augen öffneten, gab es keine. Der Stapel der durchgeblätterten Bücher auf dem Schreibtisch wuchs, während das Licht im Zimmer sich änderte. Ein Dienstmädchen brachte Ana Essen und eine Kerze als es zu dunkel wurde. Doch schließlich lag Ana verkehrtherum im Bett und hatte kein Buch mehr auf dem Boden, das ihr etwas über Drachenbroschen sagen konnte.

Aber sie hatte ja nicht alle Bücher des Palasts...

Und sie war noch nie in einem Palast gewesen...
Ana kaute auf ihrer Unterlippe.

Es war eine furchtbare Idee. Die Art von Idee, die Adriel seinen Nerv verlieren lassen würde, mit Schimpftiraden und Mord-Vorwürfen. Aber an die hatte sie sich inzwischen gewöhnt...

Sie setzte sich in ihrem Bett aufrecht hin. Morgen würde sie ohnehin für gesund erklärt werden, was sollte also groß dabei sein, wenn sie nachts eine Erkundungstour durch den Palast wagte und vielleicht den Ursprung dieser wunderschönen Bücher fand? Schließlich hatte niemand explizit gesagt, dass sie nicht durch den Palast durfte.

Ein warmes Kribbeln erfasste ihre Hände. Ganz vorsichtig und leise kletterte sie aus dem Bett, als könne sie jetzt schon jemand erwischen. Doch vor der Tür hielt sie wieder inne.
Gab es irgendeinen Grund, warum dieser Ausflug zu mehr Ärger mit dem Usurpator führen konnte? Ihre Hand zögerte auf der Türklinke. Mehr Ärger für Adriel?

Sie wollte Adriels bereits schon angefressene Beziehung zu seinem Bruder nicht kaputt machen. Was würde er tun, wenn er sie hier draußen fand?

Die Tür war abgeschlossen. Sie zögerte, die Klinke jetzt heruntergedrückt. Sie könnte das Schloss verschwinden lassen. Adriel hatte sie schließlich mit Magie üben lassen. Und wäre es wirklich schlimm, wenn Kellen sie ausschaltete, bevor die Seelenweberinnen einen Weg fanden, sie zu zwingen, ihr Versprechen einzuhalten?

‚Du würdest auch keinen Unschuldigen wegsperren.'

Ihr Blick fiel zurück auf das Kissen, unter dem der Dolch und ihr Monokular versteckt lagen. Im Nachdunkel sah ihr Zimmer verdächtig so aus, wie als die Seelenweberin darin aufgetaucht war.

Die Tür gab nach, bevor die Panik ihre Tintenfinger auf ihre Haut gelegt hatte. Reiner Instinkt.

Zu ihrer Überraschung stand keine Wache vor ihrem Zimmer, oder sonst irgendwo auf dem Flur. Sie mussten gedacht haben, das ein Schloss genug war.

Es war kühl. Der fortschreitende Winter hielt auch in die dicken Steinmauern Einzug. Fahles Mondlicht fiel durch kleine spitzzulaufende Fenster auf einen weichen, dicken Teppich. Dahinter hörte sie das gleichmäßige Rauschen der Wellen.

Jemand hatte Kerzen entzündet, die ihre gedämpften Schritte mit flackerndem Licht begleiteten. Schatten tanzten auf aufwendigen Tapeten, die seidig schimmerten und viel weicher waren, als Ana erwartet hätte. Winzige Blumenmuster zogen sich darüber. Sie fuhr sie mit den Fingerspitzen nach, während sie sich fort stahl. Fort vor dem Zimmer, in dem ein unbenutzter Dolch lag und kein Weg nach Hause.

Der Gang machte einen rechtwinkligen Knick und öffnete sich zu einer Brücke über einen größeren Saal unter ihr, in dem sich gedämpft ein Pärchen unterhielt. Es war heller hier. Große Fenster, die über beide Stockwerke gingen, fingen die kluftige Schönheit der Küste in der Nacht ein.

Ana glaubte Salz in der Luft zu schmecken und den warmen Geruch einer vergangenen Mahlzeit. Es war beinahe schwindelerregend, über das Geländer hinunter in den Saal zu spähen, dessen polierte Fliesen ein Bild von drei jungen Menschen an einem Brunnen darstellte.

Knapp daneben standen zwei Leute in teuren Kleidern, die Köpfe zusammengesteckt. Ana bewunderte für eine ganze Minute die aufwendigen Stoffe ihrer Kleidung, gebannt von den satten Farben und den glitzernden Edelsteinen, deren Funkeln die Distanz zu ich überbrückte. Sie hatte sowas schon mal gesehen. In Filmen, deren Produktionspreise zu hoch waren, um sie zu begreifen. Sie hier unter sich zu sehen- lebendig, getragen... es war etwas ganz anderes, das ihre Aufmerksamkeit nicht loslassen wollte. Und für einen ganz ganz kleinen Moment stellte sie sich vor, selbst so etwas tragen zu dürfen. Sie würde ohnehin nicht nach Hause kommen. Also wenn sie nur einen Weg aus dem Vertrag mit den Weberinnen kommen würde...

Der Mann unten bewegte sich und eine silbrige Brosche fing das Mondlicht ein. Ana zuckte in ihr schattiges Versteck zurück. Eine Warnung, hatten die Seelenweberinnen gesagt. Ein altes Symbol von Fanatikern, hatte es Sir Ranwic genannt. Aber keines der Bücher hatte von Warnungen gesprochen. Wie konnte sie von Ballkleidern träumen, wenn ihr Freund unten in den Zellen auf sein Urteil wartete?

Sie musste mehr herausfinden, denn sie hatte berechtigte Zweifel, dass sich die Jägergilde mit halbem Wissen zufriedenstellen lassen würde.

Versunken in ihre leise Konversation, bemerkten die Zwei unter ihr nie den kleinen grauen Schatten weit oben, der hastig die Sicherheit am anderen Ende des Übergangs suchte.

Dort gabelte sich der Weg. Die Wände waren wieder dunkler und solide. Türen zu jeder Seite wie in einem Hotel. Sie schlich rechts weiter, erst sieben Schritte später merkend, dass sie keine Ahnung hatte, wo in diesem Ort die Bibliothek war.

Sie war schon einmal dort gewesen, in ihren Träumen. Und sie wusste, dass sie ebenso über zwei Stöcke ging und große Fenster hatte, die allerdings die Stadt zeigten, die auf der anderen Seite des Berges ruhte.

Unentschlossen blieb sie stehen. Der Flur war spärlicher beleuchtet und hatte links von ihr einen Erker, dessen große bodentiefe Fenster den Blick auf die Klippen und die dahinterliegende See frei gaben. Keine Stadt.

Kein Pool.
Ana machte einen bewussten Schritt von ihnen weg, auch wenn das bedeutete, dass sie im Dunkeln stand. Sie würde lieber im Tageslicht gegen diese Ängste kämpfen.
Türen gingen an seinem Ende zur rechten Seite weg, doch jede von ihnen war klein und unscheinbar. Kein Eingang zu einem zweistöckigen Saal.

„Und was macht ein kleines Mädchen wie du in dem Westflügel des Palasts?"

Ana hätte geschrien, wenn nicht im nächsten Augenblick eine glänzende Klinge unter ihrem Hals gelegen hätte. Perfekte Position. Noch nicht bereit, sie sofort zu enthaupten, aber eine stumme Warnung nichts desto trotz.

Das Licht der Fenster im Rücken kam ihr Angreifer aus den Schatten. Wäre es nicht für den auffällig blauen Umhang gewesen, der ihm bis zur Hüfte ging, hätte Ana Lord Gallowen wahrscheinlich nicht erkannt.

Er trug noch immer dieses verschlossene Lachen. Es machte seine Züge katzenhafter und gab ihm einige Jahre seines Alters wieder zurück. „Suchst du hier draußen etwa deine Zunge?"

Ana schluckte und machte einen vorsichtigen Schritt zurück, den er gewähren ließ. Aber er senkte seine Waffe nicht. Hier im Halbdunkel war der Fechtmeister ein anderer Mann. Gefährlich. Und sie sah wenig Sinn darin, über ihre Absichten zu lügen.
„Ich wollte zur Bibliothek." Die Worte kamen als raues Flüstern heraus.

Überrascht zog Lord Gallowen die Brauen nach oben.
„...um Wege zu suchen, Kellen zu ermorden?"

„Was? Nein!", Ana hatte für einen kurzen Augenblick nicht den Namen von Adriels Bruder gehört, sondern seinen und der blinde Treffer hatte sie mit mehr Nachdruck sprechen lassen, als sie es sonst getan hätte.

Doch ihr Ausbruch hatte zumindest zur Folge, dass Lord Gallowen beschwichtigend eine Hand hob und seine Waffe endlich sinken ließ. Sie erheiterte ihn sichtlich und Ana wusste nicht, ob das ein gutes Zeichen war.
„Verzeiht, Miss. Viele wären nach einem ungerechtfertigten Auspeitschen auf Rache aus. Obwohl...", er kratzte sich am Kinn, „... die Meisten dafür nicht erst in einem Buch nachlesen müssten." Die Bewegung legte seine eigene silberne Brosche frei.

War es unhöflich, Leute nach ihrem magischen Schmuck zu fragen? Es war kein Sir Ranwic bei ihnen geblieben, um sie davon abzuhalten. Es musste einen Grund geben, warum so viele Leute sie hier trugen. Entweder sie hielt noch eine andere symbolische Bedeutung oder die Menschen wussten von den Warnungen, die die Seelenweberinnen erwähnt hatten.
„Kann ich eine Frage stellen?"

Lord Gallowen steckte seine Waffe weg und legte den Kopf schief. Neugierde so deutlich in sein Gesicht geschrieben, dass Ana noch einen Schritt zurück tat. Der befremdliche Gedanke fand sie, dass ihm Reißzähne gut gestanden hätten.
„Wie man einen Usupator ermordet?"

„Was Ihre Brosche bedeutet."

Es war nur subtil. Für einen einzigen Lidschlag glaubte Ana, dass der Mann sich verspanne. Dass er sich bewusst von einer Reaktion abhielt und stattdessen nur einen einzigen Fingern von außen auf die Tasche presste, aus der die Ecke eines Briefs schaute. Doch als er schließlich zu ihr hinüber blickte, war sein Tonfall perfekt desinteressiert.
„Der zweiköpfige Drache."

Anas Herz schlug lauter. Genau wie die Prophezeiung. Ermutigt kam sie einen Schritt wieder zurück, einen genaueren Blick auf das Bild werfend.
„Wann hat sie ihr Auge geöffnet?"

Lord G runzelte die Stirn. Es war schwer zu sagen, ob er nicht wusste, wovon Ana sprach oder einen Weg suchte, die kommende Lüge glaubhaft zu formulieren. Seine Finger drückten noch immer auf seine Hosentasche, als er sich schließlich vollkommen zu ihr umdrehte.
„Deine eigentliche Frage ist doch: Warum hat sie ein Auge geöffnet? Warum nur eines? Warum nicht alle vier? Warum genau zu dem Moment, als sie es damals getan hat?"

Es war zugegeben mehr, als Ana sich bisher Gedanken gemacht hatte. Aber seine Offenheit nahm ihr ein klein wenig ihrer Angst. Vielleicht musste sie die Bibliothek ja gar nicht finden. Vielleicht war der Abend doch nicht umsonst.
„Wissen Sie es? Warum die Brosche ihr Auge geöffnet hat?"

Seine Hand verließ die Tasche und kam auf seinem Degen zum Ruhen. Er war beinahe einen Kopf größer als Ana und musste sich leicht zu ihr herunter beugen, um ihr in die Augen zu sehen.
„Nein." Seine Stimme rollte über das einzelne Wort nicht unähnlich Adriels oder Kellens Akzent, „Aber ich bin mir sicher, dass es einen Grund gibt. Dass es Zeit war, als sie ihr Auge öffnete."

Anas Herz machte mehrere zu starke Schläge für ihren Körper. Sie konnte das Gefühl nicht so recht abschütteln, dass die Lösung vor ihrer Nase schwebte. Vielleicht nicht in Form von Lord G, aber in der generellen Richtung. Jemand hatte eine Warnung hören müssen. Und Kaïa hatte gewusst, welche. Aber irgendjemand war ihr und Mika'il zuvor gekommen. 

Lord Gs Mundwinkel zuckten wieder. Er musste dieses Gespräch genauso interessant finden, wie Ana, wenn auch aus wahrscheinlich vollkommen anderen Gründen.
„Weißt du, wofür der zweiköpfige Drache steht, Kind?"

Er ließ keinen Zweifel daran, dass Ana nicht den Kopf schütteln brauchte. Er wusste, wer sie war und mit wie wenig Ahnung sie in diese Welt gestolpert war. Die zuckenden Mundwinkel weiteten sich zu einem vollen zufriedenen Lächeln aus und er lehnte sich gegen die Wand, sein Interesse nun scheinbar von dem Griff seiner Waffe gefangen.
„Es ist ein Symbol der Macht. Ein Symbol göttlicher Bestimmung. Das Zeichen der Caraiden." Beim letzten Wort sah er wieder zu ihr auf, als wolle er ihre Reaktion fangen.

Ana aber hatte jahrelang Bilder ignoriert, die sonst niemand sah und nur dieses eine Mal traf sie seinen Blick mit demselben Interesse, dass er auch ihr entgegen brachte. Nicht mehr und nicht weniger und definitiv weit entfernt von dem nervösen Rhythmus, den ihr Puls an den Tag legte.

Adriel war Caraid. Oder hatte zumindest einer sein sollen. Zweifelsohne war dies auch der Grund, warum am Palast so viele die Brosche trugen. Oder nicht Adriel. Die Brosche hatte ihr Auge geöffnet, bevor er ausgerufen worden war. Der Hexer in ihrem Traum hatte eine getragen, die von einem roten Edelstein verziert worden war. Eine Warnung also für seinen... Vater- nein, der war nur Usurpator gewesen. Aber es gab nur noch einen, der zu dieser Zeit womöglich noch Caraid hätte gewesen sein können. Leider hatte nur ein ganzes Land ihn vergessen. 

„Es ist vollkommen gleich, warum sie ihr Auge geöffnet hat", unterbrach Lord G ihre Gedanken und stieß sich von der Wand ab. Seine Finger hatten wieder den Rand des Briefes gefunden und schoben in unbewusst tiefer in die Tasche, „Viel wichtiger ist doch die Absicht des Trägers. Und uns bleibt nur noch wenig Zeit. Du solltest zurück in dein Zimmer gehen. Es sei denn du änderst deine Meinung bezüglich deiner Rachepläne."

Und damit verschwand er so schnell im Dunkel hinter Ana, dass sie nie dazu kam, ihn zu fragen, warum er eigentlich mitten in der Nacht auf dem Flur gewesen war.

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"Broschen, die wissen, wann es Zeit ist, die Augen zu öffnen... also wie Wecker-Broschen?"- Ana, versteht nur Bahnhof.

Immer noch keine Leiche. Die Fliegen haben sie gefunden, aber ich bin nicht Harry Potter. Ich kann nicht den Fliegen folgen xD

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