010 * Zuversicht * Mi. 7. August 2019

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Nachdem ich eine 6. Klasse mit Mathe gequält und eine 5. mit Sport erfreut habe, freue ich mich auf meinen eigenen Kurs. Ich habe gleich zwölf Leute, die ich schon anderthalb Jahre kenne, und zwei Neuzugänge. Einer von extern, eine in der Wiederholung. Wer Sport-LK wählt, der WILL das. Deshalb kann ich hier so richtig aus den Vollen schöpfen. Ich werde heute ein paar Stationen aufbauen, damit ich bei den beiden Neuen im Kurs sehen kann, was sie wirklich draufhaben. Die Halle ist so groß, dass das problemlos geht. Als meine Großen in die Halle kommen, begrüße ich sie und gebe zügig Anweisungen, damit wir schnell mit dem Aufbau fertig sind.

„+ Seien Sie bitte so gut und teilen Sie an der Fensterfront einen zwei Meter breiten Streifen über die ganze Länge ab. Da werden sie einfach eine kurze Distanz auf Zeit laufen.
+ Die Seile werden zu den Sprossenwänden gezogen, bis etwa 1,5 Meter davor. Da klettern Sie bitte aufs Seil und kommen an der Sprossenwand wieder runter. Wie sie vom Seil auf die Sprossenwand kommen, ist ihr Problem, ich bin gespannt."
Ich liiieeeebe es, meinen Schülern ab und zu so einen Brocken zum Selbstdenken hinzuwerfen.
„+ Als dritte Station holen Sie bitte die Torwand aus dem Kabuff, ich möchte einfach Ihre Treffsicherheit mit dem Ball testen. Wer lieber Fußball spielt, schießt aus 8 Meter Entfernung, wer lieber wirft, wirft aus 6 Meter Entfernung. Bitte markieren Sie beide Abstände auf dem Boden. Die Torwand kommt in die Ecke.
+ Auf dem hintersten Feld wird ein Badmintonnetz gespannt. Welche Art von Schläger und Ball Sie nutzen wollen, bleibt wieder Ihnen überlassen.
+ Und hier in der Mitte machen wir ein bisschen Fitness und Ausdauer. Sie werden Liegestützen, Kniebeugen und Situps machen und mitzählen, damit ich ein Bild davon bekomme, wie lange Sie durchhalten. Los geht's!"

Sebastian zieht einen Schmollmund.
Tja – ein Ruderboot haben wir hier in der Halle nun doch nicht. Mit dem Knaben werde ich noch meinen Spaß haben.
Die anderen sehen auch nicht alle begeistert aus, aber bisher konnte ich meine Truppe noch immer motivieren, denn sie wissen, dass ich nichts ohne Grund verlange. Zu meiner Freude sehe ich, dass Lore und Annika gemeinsam reingekommen sind und nun auch gemeinsam die Laufstrecke abtrennen.
Die beiden scheinen sich gut zu verstehen, und dann kommt Lore hoffentlich auch bald aus ihrer Schamecke raus.

Schnell schließe ich die Geräteschränke auf und stelle Bälle und Schläger bereit. Dazu kleine Blöcke und Bleistifte, damit sich jeder seine eigenen Ergebnisse notieren kann.

Als alle Stationen aufgebaut sind, rekapitulieren wir die Aufgaben der einzelnen Stationen. Ich verteile dazu Stoppuhren, Bälle und Schläger. Die Schüler teilen sich in fünf Gruppen á zwei oder drei Leuten ein und legen selbständig los. Das Tänzer-Trio ist natürlich beisammen, und sie starten an der Torwand. Annika und Lore starten bei ihrer Kerndisziplin, dem Laufen, und ansonsten haben sich lauter Zweiergrüppchen gebildet. Sebastian macht keine Anstalten, zu einer Gruppe zu gehen.
„Sebastian, schließen Sie sich bitte Murat und Ben an."
Bloß nicht diskutieren!

Bald ist in der ganzen Halle das Schnaufen der Schüler, das Quietschen von Schuhen auf Parkett, das Ploppen von Schlägern und das donnernde Vibrieren der Torwand zu hören. Ich selbst gehe zur Sprossenwand, denn ich bin neugierig, wie die Schüler das meistern werden. In dem ganzen Bereich von den Seilen bis zu den beiden Sprossenwänden liegen dicke Matten. Der Abstand beträgt etwa 1 bis 1,5M. Das Seil raufzukommen, ist für Murat, Ben und Sebastian kein wirkliches Problem. Aber dann. Mühsam versuchen sie, sich in Richtung Wand zu schaukeln. Erst nach einer Weile kapieren sie dann, dass sie dafür wieder ein Stück am Seil runter müssen, damit sie mit dem Seilende bis zur Sprossenwand schwingen können. 

Die Gruppen rotieren zum ersten Mal. Die Tänzer gehen weiter zur verhassten Gymnastik. Dabei sind sie da noch relativ gut dabei, weil sie viel Ganzkörperspannung haben. Annika und Lore steigen gleich nicht ganz so weit nach oben am Seil, aber sie brauchen doch eine Weile, bis sie ausreichend Schwung haben. Am Netz wird diesmal Volleyball gespielt. Hatte ich zwar nicht aufgezählt, werde ich aber gelten lassen.

Die nächste Rotation steht an. Das Tänzer-Trio ist inzwischen beim Netz ganz hinten angekommen und hatte sich mit Badminton-Schlägern bewaffnet. Und Milly in der dritten Gruppe zeigt den anderen sofort, worauf es ankommt, denn sie macht seit sieben Jahren in einem guten Kinderzirkus mit. Sie macht keine Anstalten zu klettern. Im Gegenteil. Sie geht ein paar Schritte rückwärts, mit dem Seilende in der Hand, nimmt Anlauf, springt am tiefsten Punkt auf das untere Ende vom Seil und saust sofort bis rüber zur Wand durch ihren Schwung. Einen Arm ausgestreckt, rübergesprungen. Fertig. Da von dieser Station bisher das meiste Gestöhne und die spektakulärsten Stunts kamen, hatte sie von Anfang an die Aufmerksamkeit aller auf sich und genießt ihren Triumph.
„Sie haben die Aufgabe so komisch formuliert, da wusste ich, ich sollte erst denken, dann machen."
„Und damit hatten Sie auch völlig recht."

Als Milly sich das Seil griff, hat Max die anderen sofort gebremst und sehr interessiert rübergeschaut. Hinterher haben sich die Drei ein High Five gegeben.
Schlauer, kleiner Mistkäfer. Der hat gleich geplant, die Kletteraufgabe auf jeden Fall erst nach Milly anzugehen! Warum auch selbst denken!?!
Aber vor allem bin ich froh, dass er offensichtlich heute auf Zack ist und seinen Humor wieder gefunden hat.

Ich beobachte die anderen. Sebastian zieht sein Programm innerhalb seiner Gruppe ohne jede Kommunikation durch. Wie alle, die vor Milly schon an der Station waren, ärgert er sich, dass er nicht selbst so weit gedacht hat. Aber während sich alle anderen vor den Kopf patschen und lachen, kriegt er eine finstere Miene und starrt mich böse an.
Uiii, wenn Blicke töten könnten ... Der muss sich an meine Herausforderungen erst noch gewöhnen.
Ich sehe, dass Murat ihn anspricht, kurz zu mir deutet und ihm dann was erklärt. Viel helfen tut es nicht. Wenn er so weiter macht, wird auch Murat bald aufgeben, ein bissssschen muss er den anderen schon entgegenkommen.

Nach Milly versuchen natürlich alle, sich so rüberzuschwingen, und bei den meisten klappt das dann auch. Als alle mit dem kompletten Parcours durch sind und sich in der Mitte in einen Kreis setzen für die Nachbesprechung, geht Sebastian stattdessen entschlossen auf das Seil zu, greift es sich und schwingt sich locker rüber. Ohne eine Miene zu verziehen setzt er sich in die größte Lücke vom Kreis und sagt für den Rest der Stunde kein Wort mehr.
Hilfe, wer hat denn dem in die Muttermilch gesch... Kann der auch lachen???

Da ich weiß, dass ich allen vertrauen kann, habe ich ihre Notizen zu ihren Zeiten oder anderen Ergebnissen zwischendurch nicht kontrolliert. Ich hatte meine Augen mal hier, mal da und nehme nun die Zettel entgegen, damit ich mir ein Bild machen kann. Die meisten bewegen sich im Rahmen dessen, was ich von ihnen erwartet hatte.

Lore ist heute am dritten Tag schon viel lockerer, wozu Annika sicher einen Teil beträgt. Aber sie merkt auch, dass sie hier keiner für die Ehrenrunde auslacht. Sie macht sich gut. Als Läuferin ist natürlich an der Station ihre Leistung besonders gut. Aber auch bei der Gymnastik hat sie sich gut geschlagen und an der Torwand hochkonzentriert geworfen und viel getroffen.
Ich muss sie mal fragen, ob sie auch irgendeinen Ballsport macht.

Über Sebastian kann ich nur den Kopf schütteln. Er hat an jeder Station sehr professionell geschnaubt und seine Muskeln ausgeschüttelt und seine schicken, modernen Turnschuhe nachgebunden, als müsse er die Olympiade gewinnen. Aber die Leistungen sind außer beim Werfen nur durchschnittlich. Irgendein Dämon treibt ihn an, der ihm jede Freude am Tun nimmt.
Vielleicht sollte ich herausfinden, wo er eigentlich herkommt, auf welcher Schule er war, was den Schulwechsel ausgelöst hat.

Kurz winke ich Max zu mir.
„Denken Sie dran, gleich nochmal zu mir zu kommen wegen morgen?"
Er nickt, trollt sich in die Umkleide und ist nach wenigen Minuten wieder da. Seine Freunde sind schon gegangen, weil sie irgendwo hin müssen. Vielleicht haben sie noch Nachmittagsunterricht. Als Max sich zu mir auf den Kasten setzt, grinse ich ihn als erstes an.
„Sind wir jetzt noch im Sportunterricht, oder kann ich 'Du' sagen?"
Max rollt fast vom Kasten vor lachen.
„Schon o.k., die Sportstunde ist jedenfalls vorbei."
„Gut. Und nochmal gut. Du wirktest heute schon viel gelassener als am Montag. Hast du dich einfach wieder gefasst, oder hat sich was Hilfreiches ergeben für dich?"

Max holt tief Luft.
„Zum einen hat mir meine Stiefmutter gestern Mittag gesteckt, dass sie Papa direkt vom Büro abholt und mit ihm ausfüüüüührlich essen geht. Nachtigall, ik hör dir trapsen. Ich konnte also ins Tanztraining und mal wieder so richtig powern und mich selbst genießen. Nach der offiziellen Gruppe werden wir mit dem Trainer das ganze Jahr lang zu viert weiterarbeiten, weil er uns alle gezielt auf die Aufnahmeprüfungen trimmen will. Sie wissen schon – Paul muss Freestyle üben, Moritz muss den Spitzentanz draufkriegen, sowas."
Ich kann mir das Lachen nicht verkneifen.
„Der Arme!"

„Aber der Knaller kommt jetzt: er hat mit den Eltern von Moritz und Paul ausgehandelt, dass wir bis zu den Aufnahmeprüfungen am Sonntag Nachmittag Extra-Training kriegen, um geeignete Vorführstücke für die praktischen Abi-Prüfungen und die Aufnahmeprüfungen einzustudieren. Und er besteht darauf, dass er von mir kein Geld haben will, weil er all diese Sondertermine ja sowieso arbeiten muss für Moritz und Paul. Und weil wir ja gar nicht wissen, was morgen dabei rauskommt, und ob ich sonntags überhaupt aus dem Haus komme."

Max strahlt mich an, und ich strahle ihn an.
„Fantastisch! Das sind gute Voraussetzungen für morgen und für dein Abi. Und es gibt dir einfach Selbstbewusstsein für morgen. Pass auf. Wir sind morgen per 'Sie', du hältst erstmal die Klappe und ich lasse ihn kommen. Er soll sich gehört fühlen. Ich biete ihm die Mathenachhilfe an und male ein zuversichtliches Bild, denn das war ja seine eigentliche Frage. Bei dem Preis lasse ich auch ihn kommen.
Er wird das vermeiden wollen, aber ich werde selbst das Tanzen ansprechen. Vermutlich wettert er dann nochmal los und versucht, sich zu rechtfertigen. Ich werde mich möglichst auf keine Diskussionen über die Nachsitzerei einlassen, denn ich war ja in der Regel nicht dabei, werde ihm aber versprechen, dass es nicht wieder vorkommt, weil ich einfach weiß, dass du das gar nicht willst. Dann werde ich versuchen, an den letzten Rest von Vater in ihm zu apellieren, und da das nicht funktionieren wird, halte ich ihm dann den Schulvertrag unter die Nase. Wenns sein muss, drohe ich ihm mit Rechtsmaßnahmen, hoffe aber, dass es nicht so weit kommt. Du redest nur, wenn du gefragt wirst. Und zwar weder provokant noch aggressiv noch weinerlich noch bettelnd. Das ist dein Part. Wir betteln nicht! Du hast ein Recht darauf. Soweit klar?"

Max schluckt und nickt.
„Gut. Was kannst du bis morgen Nachmittag tun, dass du nicht vorher durchdrehst vor Angst?"
Seine Augen weiten sich für einen Moment, und ich rede leise weiter.
„Max, es ist keine Schande, dass du grade um deine Zukunft bangst. Ich hätte an deiner Stelle eine Sch...angst. Das ganze ist so demütigend für dich, schäm dich bitte nicht. Halt dich fest an dem Gedanken, dass Moritz und Paul und Lasse und dein Tanztrainer und ich und anscheinend sogar deine Stiefmutter hinter dir stehen und dir den Weg ebnen wollen."
Max nickt wieder und richtet sich etwas auf.

„Ach, und für Mathe morgen. Du hast gesagt, dass du gestern nichts verstanden hast. Deshalb ändere ich deine Hausaufgaben für erste so um, dass du bitte immer versuchst, die Aufgaben zu machen, und dabei sorgfältig überlegst und aufschreibst, WAS du nicht verstanden hast und an welchem Punkt der Aufgabe du hängen bleibst. Das hilft mir nämlich dann, dir schneller zu helfen. Und jetzt ab mit dir. Lass heute alles an dir abtropfen, hörst du? Lass dich nicht verrückt machen!"

..................................................................

24.9.2020    -    7.4.2021

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro