029 ** dicke Luft ** Mi. 21.8.2019

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

... und schrecke am Morgen vom penetranten Piepen meines Weckers hoch. Einen Moment lang bin ich mir nicht sicher, ob ich diese nächtliche Attacke nicht auch einfach nur geträumt habe. Aber als ich auf dem Weg zum Bad Papa begegne, werden diese Zweifel ganz schnell beseitigt. Denn er durchbohrt mich mit seinen Blicken und knurrt nur im Vorbeigehen. „Das verzeihe ich dir nie."
Bingo! 6-er im Lotto. Mit Zusatzzahl!

Da ich ja heute zur Zweiten habe, bin ich entsprechend später aufgestanden. Also dauert es nicht lang, bis Papa ins Büro fährt. Dann gehe ich, fertig gepackt für den Tag, direkt zu Tanja in die Küche.
„Tanja, es tut mir l..."
Sie fährt herum. Ich kann sehen, dass sie viel geweint hat in dieser Nacht.
„Da muss dir gar nichts leid tun. Du hast vollkommen recht, und es war richtig gut und tapfer, dass und wie du das angepackt hast. Du hast das sehr erwachsen reflektiert, verstanden und versucht.
Dein Vater ist einfach total vernagelt. Aber unsere Ehe ist NICHT dein Problem. Sondern meins. ICH entscheide, wie lange ich mit wem verheiratet bin. ICH entscheide, was ich mit mir machen lasse. Und MEINE Entscheidung ist, dass ich dir zur Seite stehe, so lange und so gut ich kann. Also bleibe ich. Und wenn er dich wirklich rausschmeißt – dann bin ich auch weg. Am liebsten würde ich IHN rausschmeißen."
Und dann liegen wir uns weinend in den Armen, weil ein eigentlich lieber Mensch uns grade total entgleitet, und wir es beide nicht verhindern können.

Kurz darauf starte ich mit nix im Bauch in meinen Tag und schweige mich bedrückt durch den Vormittag. Meine Kumpel löchern mich erst mit Fragen, aber ich erzähle nur das Nötigste. Ich mag das nicht aussprechen: dass Tanja angedeutet hat, dass sie sich von Papa trennen will und nur wegen mir noch bleibt. Frau Süß starrt mich in Sport zwei Stunden lang misstrauisch von der Seite an. Ich bleibe stur und tobe mich aus. Sehnsüchtig fällt mein Blick zu der großen Matte an der Wand.
Da würde ich jetzt ja gerne wieder drauflos gehen ...
„CSI Essen" ist groß in Fahrt, und sie sind ziemlich erfolgreich darin, die Hartmann nicht an mich ranzulassen. Oder aber uns zu warnen, damit wir uns verkrümeln können. Aber ich habe heute einfach an gar nichts Freude.

Auch beim Mittagessen ist die Stimmung bedrückt. Ich spüre, dass Tanja etwas Schwerwiegendes mit sich auskämpft, und fühle mich unglaublich schuldig. Eine Weile schaut sie mir beim Essen zu, bevor sie aus heiterem Himmel anfängt zu sprechen.
„Nein, Max, es ist nicht deine Schuld."
„Hä?"
Sie lächelt.
„Wenn ich gehe – was hoffentlich nicht nötig sein wird – dann gehe ich nicht, weil du unsere Ehe zerstört hast. Sondern, weil ich erkannt habe, dass ich nicht mit einem Diktator verheiratet sein will. Dann warst du höchstens der Augenöffner für mich, wofür ich dir dankbar sein muss. Aber du bist kein Hindernis für unsre Ehe."
Ich lächele zurück.
„O.K. - und wenn ich jetzt traurig bin, dann nicht, weil es mir um Papa geht. Sondern, weil ich dich mag und dir immer gewünscht habe, dass du bei uns und zusammen mit uns glücklich bist."
„Danke, Max. Mehr hab ich auch nie gewollt."

In stillem Einvernehmen machen wir die Küche klar. Tanja fährt dann für die Spätschicht zur Arbeit, während ich mich nach oben trolle zu meinen Hausaufgaben. Außerdem bereite ich mich auf morgen für Erdkunde bei Moritz vor und mache mir Gedanken, wie ich alleine für Bio lernen will. Ich könnte mir da ja auch jemand suchen. Aber das passt beim allerbesten Willen nicht mehr in meine Woche. Naja – wenn ich donnerstags eh früher gehe, weil Moritz und Paul dann Chemie machen, dann kann ich da ja Bio fest einplanen.

Pünktlich um 15.15 Uhr schlage ich dann bei der Süß auf und steige selbst sofort in Mathe ein, weil ich auch hier nicht reden mag. Sie lässt es zu, und dafür bin ich ihr sehr dankbar. Stattdessen quält sie mich mit Dezimalzahlen bis aufs Blut – multiplizieren, dividieren.
Mann, wo bin ich eigentlich in der Siebten während Mathe gewesen??? Dass da so gaaaar nichts hängen geblieben ist ...

Nach der Nachhilfe schiebe ich mein Fahrrad in den Schuppen – und gehe direkt an unserer Haustür vorbei nach nebenan zu Tanta Jana. Ich bin zwar grottenmüde nach der zersemmelten Nacht, aber ich krieg das alleine nicht sortiert. Sie kennt von uns allen Papa am längsten. Und ich muss das einfach loswerden. Als ich mit meiner Trauermiene zur Tür reinkomme, nimmt sie mich in die Arme, schiebt mich ins Wohnzimmer und macht mir einen heißen Kakao. Auch Thorsten setzt sich dazu, und dann lassen die beiden mir alle Zeit der Welt, mich zu sortieren und auszukotzen.

Hinterher sagen beide eine Weile gar nichts. Schließlich atmet Thorsten einmal tief durch.
„DAS war also das anhaltende Gebrüll gestern Abend."
„Ich bin stolz auf dich, Max. Du bist so klar wie deine Mutter es war. 'Das geht so nicht. Also reden wir.' Dass dein Vater dann so aus dem Ruder gelaufen ist, liegt nicht an dir. Er fürchtet sich davor, Tanja auch noch zu verlieren, und schiebt das auf dich, weil er sich dann nicht mit sich selbst auseinandersetzen muss. Aber das ist nicht deine Baustelle."
„Ach, Tante Jana. Das sagt Tanja auch. Aber ich fühl mich trotzdem sch... deswegen."
„Das lass mal schön bleiben. Deine Baustelle heißt Hartmann, nicht Frey. Allmählich habe ich den Verdacht, er hat beim Tod deiner Mutter so ein Verlust-Trauma erlitten, dass er jetzt mit Gewalt versucht, das Leben unter seine Kontrolle zu zwingen. Dass er damit nur alle um sich wegbeißt, kann er nicht sehen."
„Thorsten hat recht. Ich werde mich um Tanja kümmern, damit sie sich nicht zu alleingelassen fühlt. Und Thorsten kümmert sich um dich. Morgen Abend sind die Elternabende, nächste Woche steht schon der Termin für die Elternbeiratssitzung, und dann rollt die Maschine los."
„Ach, richtig. Pauls Mutter will sich auch aufstellen lassen, weil der nächste Bruder sie jetzt in Erdkunde hat. Die wirst du also fest auf deiner Seite haben. ... Ich danke euch so sehr, dass ihr alle für mich da seid!"
„Und jetzt ab ins Bett mit dir, du fällst gleich vom Stuhl."

Ich schleiche mich nach nebenan, husche die Treppe hoch und gehe sofort ins Bett. Mein Kopf rast. Ich finde keine Ruhe. Also stehe ich wieder auf, ziehe die innere Notbremse und schleiche mich aus dem Haus. Ich radele zum Friedhof und setze mich zu Mama. Sie hört mir immer zu. Ich gehe erst, als der Obergärtner schlüsselklimpernd durch die Reihen geht und mich kurz vor der Dunkelheit rausschmeißt. Wenigstens setzt er eine mitleidige Miene auf und klopft mir einmal kurz auf die Schulter. Es ist nicht zu übersehen, dass es mir scheiße geht. Aber ich gönne ihm auch seinen Feierabend und trolle mich. Heute Nacht träume ich überhaupt nichts. Ich schlafe wie ein Stein.
Danke, Mama!


            Do. 22.8.2019

Donnerstag ist der Marathon-Tag. Ich habe mit Tanja verabredet, dass ich Papa ein bisschen aus dem Weg gehe und deshalb vom Sport direkt zu Moritz radle. Dadurch habe ich zwar heute einiges zu schleppen. Aber ihr war es ganz recht, weil sie für sich nach der Arbeit auch noch was organisieren wollte. Heute bin ich in der Mittagspause auch endlich in der Lage, den anderen zu erzählen, was am Dienstag Abend passiert ist. Die drei schütteln nur noch den Kopf.
„Cool. Ich dachte, WIR sind Kindsköppe. Aber dein Vater schlägt uns ja um Längen."

„Oh Mann, Moritz. Ich gäb viel drum, wenn es andersrum wäre."
„Das weiß ich doch, Max. Aber Tanja und Jana haben recht. Wenn dein Vater spinnt, muss ER sein Leben neu auf die Kette kriegen. DU bist nicht in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass dein Vater glücklich und in Watte gepackt ist. Du bist grade froh, wenn du selbst ohne zu viele Beulen durch dieses Jahr kommst. Da kannst du sein Schicksal nicht auch noch schultern."

Ich hasse es, wenn alle anderen immer recht haben. Und ich hasse es, wenn die Menschen um mich drumrum unglücklich sind.
Also entschuldige ich mich bei meinen Freunden und tigere los zur Sporthalle. Bingo, die Süß ist schon da.
„Frau Süß ... dürfte ich nochmal früher rein?"
Sie schaut mich mit großen Augen an.
„Klar. Aber wenn du nochmal schreien willst, dann bitte nicht alleine."
„Ne, heute nicht. Aber ich muss grade in Bewegung kommen."
„O.K. - Ist es in Ordnung, wenn ich bleibe?"
„Kein Problem. Ich werd das eh nicht mitkriegen."

Ich ziehe mich um, stopfe mir passende Musik ins Ohr und wärme mich auf. Dann stelle ich mich einfach mitten in die Halle, schließe die Augen und tanze. Ich lasse es laufen und komme dabei gut in den Flow. Ich blende die Welt um mich drumrum aus und bin ganz bei mir. Einzelne Sätze schwirren mir durch den Kopf, die ich über Tanztherapie und Körpergefühl und und und ... gelesen habe. Aber ich denke diese Sätze nicht – ich tanze ihre Wahrheit. Ich spüre in mir, wie recht diese Psychologen und Pädagogen damit haben. Meine Seele bewegt mich und vertreibt meine Angst.

Als ich ganz klein war, hat Mama mal davon erzählt, warum sie Tänzerin geworden ist – weil sie sich nur in dieser fließenden Bewegung echt und ehrlich wie sie selbst gefühlt hat. Ich hab das damals nicht verstanden, aber auch nie vergessen. Jetzt verstehe ich es. Mit jeder Faser meines Körpers.

Irgendwann merke ich, dass ich nicht mehr alleine tanze. Ab und zu tauchen Moritz und Paul in meinem Blickfeld auf und gehen auf mich ein. Ich werde wacher und fokussiere mich auf die beiden. Es macht wie immer riesig Spaß zu improvisieren, weil wir so aufeinander eingeschwungen sind. Aber ziemlich bald führen die beiden die Improvisation zum Ende. Einen Moment stehen wir beieinander mitten in der Halle und schnaufen ziemlich.

Als ich mich aufrichte, um zur Uhr zu schauen, sehe ich plötzlich meinem kompletten Kurs in die Augen. Sie stehen an der Wand, entspannt, konzentriert, neugierig, ja zum Teil fasziniert. Ich mache eine Geste der Unsicherheit, denn damit habe ich nicht gerechnet. Ich muss sehr weit weg gewesen sein, dass ich das so überhaupt nicht mitbekommen habe. Da stiehlt sich ein Lächeln in manche Gesichter. Und einige fangen an zu klatschen.
Ich glaaauuuuube – jetzt bin ich rot wie eine Tomate.

Von alleine kommen alle in die Mitte und nehmen uns drei mit in einen Kreis. Wir setzen uns. Paul legt mir seinen Arm um die Schulter. Frau Süß schaut mich lächelnd an.
„Kann es sein, Max, dass d... Sie sich tatsächlich für das neue Thema entschieden haben? Sowas wie das grade habe ich noch nie gesehen. In manchen Momenten hatte ich tatsächlich das Gefühl, jetzt kann ich Ihre Seele tanzen sehen. Sie haben uns einfach verzaubert. Ich konnte die anderen nicht davon abhalten, in die Halle zu kommen. Die klebten alle staunend an der Scheibe."

Ich weiß grade gar nicht, wo ich hinsehen soll. Zumal ich ja wirklich nicht weiß, wovon die anderen reden. Ich war ja abgetaucht. Sebastian hebt den Kopf und sieht mich grade an.
„Und ich dachte immer, Handball sei ein unfallträchtiger Sport. Ich hab echt manchmal deine Gelenke brechen sehen. Wie machst du das? Du hattest zum Teil sogar die Augen geschlossen! Du ..., du ... bist geflogen!"

Paul schaltet sich ein.
„Ich hab das so auch noch nicht oft gesehen. Und wir tanzen seit Jaaaaahren zusammen. Aber das war auch der Grund, warum Moritz und ich eingestiegen sind. Er war zu sehr im Flow. Wir hätten ihn total erschreckt, wenn wir ihn einfach angesprochen hätten, dass die Stunde beginnt. Indem wir um ihn drumrum getanzt sind, konnten wir in Kontakt treten. Und wir konnten ihn beobachten. Denn wir kennen Max so gut, dass wir sehen, ob er grade seine Bewegungen kontrolliert oder nicht."

Langsam habe ich mich wieder gefasst.
„Ja, manchmal sieht das halsbrecherisch aus. Zumal viele Bewegungen so schnell sind, dass man sie beim ersten Mal nicht mit den Augen erfassen kann. Aber – ich habe nicht getanzt. Ich WAR Tanz. ... Und ich freue mich grade, Sebastian, dass du so genau hingeschaut hast."
„Ich konnte gar nicht anders. Ich hatte bis vorhin einen Haufen Vorurteile über Tänzer. Aber du hast mich in deinen Bann gezogen in dem Moment, wo ich die Halle betreten habe. Das ... sah wundervoll aus. Du hast irgendwie so ... gestrahlt. Danke, dass du das mit uns geteilt hast."
Cool. Sebastian in freundlich. Hat was.
Wir schauen uns einen Moment lang an, und ich sehe sowas wie Glück in seinen Augen.
Wer weiß, vielleicht ist es ihm total schwer gefallen, grade einfach so loszureden. Das ist jedenfalls der richtige Weg.

Während die anderen sich auch aufwärmen, lege ich mich noch für einen Moment auf den nächsten Mattenwagen, schließe die Augen und lasse das eben Erlebte in mir nachhallen.
Ja, ich habe mein Thema gefunden.

...................................................................

13.10.2020    -    19.4.2021

Happy Birthday, dear Jiminie! Feel yourself, enjoy yourself, love yourself! Your'e the most artistic, esthetic and lovable person I've ever seen.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro