080 ** Dienstag, Kinder, wird's was geben ** Fr. 20.12.2019

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So, wie wir jeden ersten Schultag nach irgendwelchen Ferien mit einer Tafel Schokolade begrüßen, so verabschieden wir vier Tänzer - falsch, Milly ist ja jetzt dabei und heute auch Sebastian - wir Sechs also diesen letzten Schultag des Jahres mit einem heißen Crepes. Im Sommer ist es eher so das riesige Eis von Möhrchen. Der Crepes-Stand ist passenderweise direkt in der U-Bahnstation Martinstraße. Nachdem wir uns alle für einen Belag für die Crepes entschieden haben, erobern wir eine der wenigen Bänke hier unten und sehen bald alle aus wie Nutella-Nikoläuse mit Puderzucker.

„Mm. ... Schagt mal, habt ihr schon Ferien- und Schilveschterpläne? Wir schollten uns ab und tschu schehen auscher am 25. zum Brunch."
„Mensch Moritz, ab zwanzig Gramm wird's undeutlich."
„Ich liebe dich sehr, mein Schatz. Aber – mit vollem Mund nicht reden, das kann jeder. Mit vollem Mund nicht essen, das ist die Kunst!"
Milly zeigt Moritz einen Vogel und gibt ihm dann einen marmeladigen Schmatzer auf die Backe.
„Ihhhh! Das klebt!"
„Tja, mit vollem Mund nicht küssen ist in deiner Gegenwart einfach nicht machbar."

Ich denke weiter über die Silvesterfrage nach. Ich bin jedes Jahr hin und her gerissen. Und oft haben die Familien Seitz und Gersten-Frey auch einfach alle zusammen gefeiert. Aber dieses Jahr?
„Sagt mal – was haltet ihr davon, wenn wir Silvester zusammen im Hause Gersten-Frey feiern? Mit offenem Kommen und Gehen und dann gemeinsamem Sekt um Mitternacht?"
Max schaut mich irritiert an.
„Was meinst du mit 'offenem Kommen und Gehen'??? Ich kann kein Ägyptisch."

„Na, ist doch ganz einfach. Ich wäre gerne am Anfang bei meiner Familie, kann mich aber irgendwann abseilen und nach nebenan kommen. Moritz und Milly verbringen wahrscheinlich gerne den Abend mit uns, wollen sich aber vielleicht um Mitternacht Zeit für sich nehmen. U.S.W. Wir verabreden eine Startzeit und, wer auch dort schlafen wird. Essen können wir kurz vorher planen, wenn wir alle wissen, wie unsere Runde konkret aussehen wird. Und dann haben wir einen lockeren Abend in wechselnder Besetzung."

„Sebastian schluckt den Rest von seinem Crepes runter.
„Sind mein Schlafsack und ich auch willkommen? Meine Eltern gehen auf einen piekfeinen Empfang, da kriegen mich keine zehn Pferde hin, Antoine darf nicht raus und ich da nicht rein. Und in unserem Kellerloch hocken wollte ich eigentlich nicht."
Paul grinst ihn an.
„Ich hatte deine Anwesenheit eigentlich fest vorausgesetzt. Wer rudert uns denn sonst ans andere Ufer, wenns feucht-fröhlich wird???"
„Prima, dann kommt gleich die nächste Frage: wie haltet ihr es mit Alkohol?"
„Gesoffen wird nicht in Papas Haus!"
Max wird energisch.

„Das hab ich ja auch nicht gemeint. Im Gegenteil. Ich mag keine 'Katzen' ...Ich möchte mich gerne auf das einstellen, was bei euch üblich ist. Vergesst nicht – das ist mein allererstes Silvester in Freiheit! Wie läuft das so bei euch?"
Bei den „Katzen" muss mein Hirn erstmal einen Moment rattern, bis ich kapiere, dass er keinen Bock auf einen fetten Kater am nächsten Morgen hat. Und damit passt er hervorragend zu uns.
„Gut, dann besprecht das doch mal in den verschiedenenen Familien, und morgen chatten wir, um was zu planen."

Kaum sind Max und ich zu Hause und theatralisch erschöpft aufs Sofa gesunken, da kommt schon die erste Nachricht von Sebastian in den Chat.
„Was haltet ihr davon, wenn ich das Equipment von meinem Vater entführe und mich zur Verfügung stelle, den ganzen Abend lang alkoholfreie Cocktails zu mixen? Ich werde die ganze Zeit da sein. Und der 'perfekte Gastgeber' gehört zu meiner 'Grundausstattung' als wohl erzogener Sohn. Ich suche ein paar leckere Varianten aus nach Euren Wünschen und bring dann alles mit."

Begeisterte Chat-Teilnehmer sind anstrengend.
Wo nehmen die jetzt noch die Energie her???
In den folgenden Minuten bimmelt es unaufhörlich, weil alle ganz begeistert sind. Max und ich kucken uns an, halten unsere Handys nebeneinander, tippen ein Zeichen und drücken auf senden. Bei den anderen ploppen gleichzeitig zwei grüne Häkchen auf, und wir fallen wieder zurück in unsere Ferienlethargie, bis wir zum Mittagessen gerufen werden.

Ole platzt bald vor Aufregung, weil sie wohl heute im Kindergarten Geschenke für die Eltern gebastelt haben und er es nicht aushält, uns NICHT zu verraten, was es ist. Lotta redet wie üblich wie ein fröhlich plätschernder Wasserfall. Mama sagt energisch:"So, dann lasst uns bitte mal die nächsten Tage planen, damit es keine Hektik gibt."
Und Papa kuckt Max und mir in die Gesichter und bricht in schallendes Gelächter aus.
„Sei gnädig, Jana. Pubertät ist anstrengend. Die Herren brauchen dringend eine Pause."

Mist!
Schmollen klappt nicht. Wir müssen einfach mitlachen. Dann schnappt sich unser Planungskönig Max ein größeres Blatt Papier aus Oles Malkiste und einen Stift und fängt an zu schreiben.
„Weihnachtsbaum besorgen ...
und schmücken ...
Porzellanstadt aufbauen ...
alle Geschenke verpacken ...
in der Warteschlange auf der Hauptpost stehen ..."
Die Stimmung am Tisch wird immer alberner und die Vorschläge immer absurder.
„Langenberg, Antoine entführen ...
Weihnachtsessen planen ...
Weihnachtsessen im Supermarkt erkämpfen ...
Weihnachtsessen kochen ...
Kinder zwingen, auf vollen Magen den Tisch abzudecken ..."
„Hm. Wenn wir in Langenberg Antoine entführen, könnten wir doch eigentlich gleich nach Remscheid weiterfahren ..."
Max zuckt zusammen.
Facepalm, Lasse. Seeehr taktvoll!

Bevor die Stimmung kippt, schaltet sich Mama wieder ein.
„Habt ihr alle schon alle Geschenke? Und habt ihr noch einen Tipp für Antoine für mich? Was macht er denn gerne? Bitte aufschreiben."
Max und ich müssen nicht lange überlegen.
„Sein wichtigstes Hobby ist Wildwasserkajak. Er war da in Frankreich wohl auch ziemlich gut drin."
„Ihr habt gesagt, dass er in Deutschland bleiben und studieren will. Da will er doch bestimmt irgendwann auch die deutschen Gewässer erkunden, oder?"
Wir kucken uns fragend an.
„Sch.Schon. Wissen wir nicht. Aber Sebastian ist ja Ruderer, und ich könnte mir schon vorstellen, dass die beiden mal zusammen Wasserurlaub machen wollen."
„Gut, dann schaue ich, ob ich einen Reiseführer für Kanuwandern in Deutschland finde. Damit kann er sicher was anfangen."
„Klasse Idee, Tante Jana."

Max Liste wird ziemlich lang. Wir besprechen, wann wer was macht, und schreiben die entsprechenden Namen dahinter. Dann wandert der Zettel an unseren Kühlschrank, damit alle jederzeit draufkucken und im Zweifelsfalle was ergänzen können. Mama räumt gründlich die Küche auf, weil sie noch einmal Kekse backen will, Papa legt derweil Ole zum Mittagsschlaf ins Bett, was dem Protestgebrüll entlockt. Wir „Pubertisten" ...
Unverschämtheit!
... lassen uns wieder kraftlos aufs Sofa fallen.

„Sorry, Max. Das mit Remscheid ist mir vorhin so rausgerutscht, das war nicht so prickelnd für dich."
Aus den Kissen brummt die Stimme von Max.
„Schon in Ordnung. Du hast nur laut gesagt, was ich in exakt dem selben Moment gedacht habe. Aber er hat ja den Koffer."
Er versucht, gelassen zu klingen, aber an seinen wackelnden Schultern kann ich erkennen, dass er weint. Ich streiche ihm über den Rücken. Es dauert eine ganze Weile, bis er wieder aus den Kissen auftaucht.

„Bereit fürs Chillen und fürs Training?"
Max nickt und ist auf einmal so schnell zur Tür raus und die Treppe hoch, dass ich nur noch den Staub von seinen Füßen sehe. Ich flitze hinterher und folge ihm in sein Zimmer, wo er zwei Engel unter seinem Bett vorholt.
„Ui, sind die schön! Für wen sind die denn?"
„Der Grüne aus Glas ist für deine Mutter. Und der hölzerne Schutzengel ... ist für Anni."
Die letzten Worte kommen nur ganz leise.
„Aber ich habe keine Ahnung, wann und wie ich ihr den geben soll."

„Ich bin so froh, dass ihr das leidige Ding aus der Welt geschafft habt. Es ging euch beiden echt sch..."
„Erinner mich nicht daran. Ich versinke immernoch kollektiv mit mir selbst im Boden, wenn ich dran denke. Sie hat mir vergeben, und sie will, dass ich wieder Anni sage. Aber ein Paar sind wir nicht. Das Vertrauen muss erst wieder wachsen, und das Ende ist offen."
Ich gebe ihm einen Schubs gegen die Schulter.
„Hei, nicht so trübe. Du hast so unglaublich viel dazugelernt in diesen fünf Monaten, das schaffen andere in fünf Jahren nicht, weil sie einfach vernagelt und ignorant und dumm sind. Es ist sooo offensichtlich, dass du ihr immer noch total wichtig bist."

Max nickt bloß, legt seinen Kopf auf sein Kissen und umschließt den Engel fest mit beiden Händen. Ich lasse ihn eine Weile so liegen und betrachte derweil die Lichtreflexionen in dem grünen Glasengel für Mama.
„Du, Max. Wenn du zuviel mit dem Engel kuschelst, wird dein hässliches Entlein noch eifersüchtig."
Max schüttelt den Kopf, ohne die Augen zu öffnen.
„Nö. Der weiß das. Außerdem ist er ... der ist im Koffer für Papa. So lange waren wir noch nie getrennt. Aber ich habe Papa einen Brief geschrieben, weil ich ihm mit dem Bild vom stolzen Schwan Mut machen will. Hoffentlich klappt es ..."

Mir fällt fasst der Glasengel aus der Hand.
Max! Hat sich von seinem Entlein getrennt!
Das gab es wirklich noch nie.
„Also, wenn er nicht kapiert, was DAS Signal bedeutet, dann ist ihm nicht mehr zu helfen. Das Vieh ist das Wertvollste, das du besitzt, so lange ich denken kann."
Max klappt die Augen auf und glitzert mich empört an.
„Das 'vIeH' ist eine Schwanentengans, bitteschön."
Endlich stiehlt sich wieder ein Grinsen auf seine Lippen. Dann dreht er sich auf den Rücken und sieht schon viel besser aus.
„Ja, ich glaube, er weiß, was das Vieh mir bedeutet. Vielleicht hält er es nicht aus, weil es von Mama ist. Dann soll er es mir einfach wiedergeben. Ansonsten soll es ihn durch die Therapie begleiten."
O.K., Ich hab dich!
„Das 'vIeH' ist eine Schwanentengans, bitteschön."
Yessss!!!
Max verblüffter Gesichtsausdruck ist ein Bild für die Götter.


Max Sa. 21.12.2019

Da wir nach dem Training sofort ins Bett gegangen sind, wache ich völlig ferienuntypisch schon auf, als es draußen noch stockdunkel ist. Der Glasengel ist inzwischen weihnachtlich verpackt, aber den Holzengel habe ich die ganze Nacht in der Hand gehabt.
Und ich weiß immer noch nicht, wie der zu Anni kommt ...

Klar würden wir Pubertisten gerne gammeln, aber drei Tage vor Weihnachten stehen wir dann natürlich doch irgendwann auf und helfen. Lasse fährt mit Onkel Thorsten los, um den Baum zu kaufen. Dann fahre ich mit Tante Jana los für den Megaeinkauf.
Ein Einkaufswagen reicht da nicht ...
Allein das Verräumen der Einkäufe hinterher dauert fast eine Stunde.

Am Nachmittag telefoniere ich mit Onkel Uwe, weil Mama und Papa im Moment so sehr bei mir im Kopf rumspuken und mir zum Teil ganz schön im Magen liegen. Ich brauche grade Trost. Und dann stelle ich, ohne nachzudenken, einfach eine Frage, die mich jetzt schon seit ein paar Tagen beschäftigt.
„Du, sag mal – ich war ja schon fünf, als Mama starb. Da hat sie doch sicher in diesen Kindergartenjahren schon einiges mit mir unternommen. Schwimmbad, Museum, Spielplatz, wasweißich. Kannst du mir davon was erzählen? Hatte ich einen Lieblingsplatz? Oder hatte sie einen Lieblingsplatz?"

Onkel Uwe lacht.
„Ja, ja und ja. Als Vierjähriger warst du eigentlich 24/7 in Ritterrüstung unterwegs. Du konntest alle deine Bücher darüber auswendig, dein Bett war eine Burg, dein Schlafanzug sah aus wie eine Rüstung, es war schwer, dich davon zu überzeugen, dass Ritter nicht mit Helm und Schwert geschlafen haben, und dein Lieblingsausflugsziel war die Isenburg. Deine Mutter ist immer sehr gerne mit dir da hingefahren, weil sie und dein Vater ... Ich weiß gar nicht, ob ich dir das erzählen darf."
„Na los, spucks aus. Zumindest, wenns was Schönes ist!"
„Also gut. Sie hatten da ihr erstes Date."
Ich bin sprachlos.
„Max?"
Wie ein Film ziehen an meinem geistigen Auge die Bilder vom kleinen Max vorbei, der an Mamas Hand auf den Mauerresten balanciert.
„Max, bist du noch dran?"
„Hm."
„Alles in Ordnung bei dir?"
„Hm."
„Könntest du bitte dein Vokabular etwas erweitern?"
„Hm. ... Wie? Äh ... tschuldige, was?"
Am anderen Ende lacht sich Onkel Uwe kringelig.
„Waaaas???"
„Du sagst immer nur hm. Was sich dahinter verborgen hat in deinen grauen Zellen, konnte ich daran leider nicht ablesen."
„Ach sooooo. Ja ... ich hatte plötzlich einen Film im Kopf. Ich war mit Mama an dieser Burg und bin mit ihr auf den Mauern geklettert. Ich kann mich nicht erinnern, dass mir ihr Gesicht jemals sooo genau vor Augen stand wie grade eben!"

„Das ist was Besonderes. Und was besonders Schönes. Halt es fest. Und wenn du es übers Herz bringst, dann fahr da mal hin. Man hat dich damals echt nur mit einem Abschleppkommando da weggekriegt."
„Wo liegt denn die Iseburg? Daran kann ich mich natürlich nicht erinnern."
„Wenn du von Stadtwald nach Heisingen fährst, dann liegt die Ruine hinter ein paar Wohnstraßen auf der rechten Seite, kurz bevor die Bebauung von Stadtwald endet. Die Burg hat mal über der Ruhr gethront, jetzt natürlich Baldeneysee."
„Huch. In Essen! Cool. Ich wusste nicht, dass die sooo nah ist. Da kann ich ja einfach mit dem Bus hin."
„Ja, genau. Mach das mal, wenn du dich bereit dazu fühlst."

Kaum haben wir aufgelegt, googele ich nach der Isenburg.
Äh, der NEUEN Isenburg. Gab also wohl noch 'ne Alte. Da will ich bald mal hin!

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4.12.2020

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