(1/3) Mitternacht

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Er warf sich in eine dunkle Türnische hinein. Atemlos stützte er die Hände auf die Knie. Vielleicht genügte es, hier eine Weile abzuwarten. Oder sollte er weiter laufen? Er war in diese Gasse geflüchtet, weil sie gleich bei der Brücke lag - und ja, er war instinktiv auch Valerio gefolgt, von dem er annahm, dass dieser sich in den Winkeln der Stadt auskannte. Ganz sicher würde er sich nicht in Schwierigkeiten bringen, indem er unüberlegt in Sackgassen lief. Aber er wollte nicht noch einmal auf ihn treffen, er hatte genug von ihm. Vorsichtig reckte er den Kopf in die Richtung, aus der er gekommen war, versuchte dort hinten etwas zu erkennen.
Der Gang war schnurgerade; er konnte einen Teil der Brücke sehen, sie hob sich schwarz vor den hellen Flammen ab. Die Hauswände am Eingang der Gasse spiegelten den Feuerschein wider. Da draußen war es lauter geworden; eine Frau rief etwas, jemand antwortete. Er hörte, wie sich ein Motorboot knatternd entfernte, jemand schien es in Sicherheit zu bringen. Die Gondel, die unter die Brücke getrieben war, steckte dort fest und brannte. Magnus spürte den beißenden Geruch, der vom schmorenden Kunststoff der Abdeckplane ausging, bis in seine Nase.

Er wunderte sich, dass heute Abend nicht viel mehr Leute in dieser Ecke der Altstadt unterwegs waren, aber dann fiel ihm ein, was der Grund sein konnte: Es gab irgendein Festival, eine historische Veranstaltung auf irgendeinem Platz. Dorthin waren wahrscheinlich die meisten Einheimischen und Touristen gegangen - und so viele waren es nicht mehr, der Sommer war zu Ende. Auch schien er sich in ein reines Wohnviertel verirrt zu haben, es gab hier weder viele Restaurants noch andere Möglichkeiten, sich zu vergnügen oder zu unterhalten. Nun, für Unterhaltung hatte Valerio gesorgt!

Plötzlich musste Magnus an die Frau denken, deren Namen er mit aller Gewalt in die hintersten Ecken seiner Erinnerung zu verdrängen versuchte. Was ging in ihr vor, wo war sie nun? War sie zufrieden, immer noch überzeugt, dass das, was sie zurück ließ, keinen Gedanken mehr wert war? Oder dachte sie an ihn? Ja, sie sollte an ihn denken! So sehr, dass ihr die Freude an ihren neuen Zielen verging. Wenn sie heute bei ihm gewesen wäre, wenn dieser verdammte Abend gestern nicht gewesen wäre, dann könnten sie sich jetzt zusammen auf diesem blöden Festival amüsieren, etwas trinken, Musik hören, über gemeinsame Pläne sprechen. Oh, er quälte sich mit diesen Gedanken, das wusste er. Aufgeschlagen. Realität erfasst. Er durfte schlafen gehen. Es folgte Phase Zwei, der er jetzt schon den Namen „Was-Wäre-Wenn-Phase" geben konnte.

Ja! Was-wäre-wenn. Er wäre jetzt nicht vor einem Brand geflüchtet, in den er auf seltsame Weise involviert war. Er hätte in der letzten Nacht geschlafen, hätte heute bereits mehrmals gegessen und würde hier nicht, schwankend wie ein angeschlagener Zombie, im Dunkeln in einer fremden Türnische stehen und sich vor einem der seltsamsten Kerle wegducken, die die Welt je gesehen hatte: einem engelgesichtigen Idioten, den er beschämenderweise irgendwie unerklärlich faszinierend fand – und alles nur, weil sie weg war, weil sie ihn verlassen hatte, weil sie ihn nicht mehr liebte. Er war so müde, so ausgehungert und durcheinander.

Um einen besseren Blick auf die Szenerie werfen zu können, reckte er den Hals. Jemand lief dort hinten auf der Brücke auf und ab und gestikulierte in der Luft herum, während er telefonierte. Zwei andere Männer schoben mit Stangen die Gondeln von der brennenden Wasseroberfläche weg.
Das Rufen und Schreien der Menschen erhob sich, als weiter hinten, in Richtung des Palazzo, hohe Flammen aufloderten. Das Feuer hatte seine größere Quelle gefunden. Einige Sekunden starrte Magnus auf die grell beleuchtete Szenerie; plötzlich gab es einen ohrenbetäubenden Knall, brennende Teile flogen durch die Luft, kamen prasselnd auf dem Wasser auf und brannten dort weiter. Verdammt, dieser Mistkerl! Das war ein Motorboot gewesen! Wahrscheinlich kam daher das Öl auf dem Wasser. Wie konnte man nur so dumm sein! Es war ihm völlig egal, woher Valerio von dem Öl gewusst hatte - der Punkt war dieser: Wenn er sich hier so sicher war, wie konnte dieser Chaot dann ein brennendes Streichholz hinein werfen!

Ti sento forte e chiaro – Ich höre dich laut und deutlich."

Magnus zuckte so sehr zusammen, dass er sich den Kopf an der Mauerecke stieß. Die Hand auf die Stirn gepresst fuhr er herum und blickte hinter sich. Da war niemand! Unsicher sah er sich in der dunklen Gasse um, starrte angestrengt in die Schatten der Nischen und Mauervorsprünge ... nichts. Er schaute sogar nach oben, um sicher zu gehen, dass man nicht aus einem Fenster zu ihm hinab gesprochen hatte. Er war so müde; durfte er seinen Sinnen nicht trauen? Vielleicht nahmen seine Gedanken bereits unrealistische Züge an!

Sein Herz schlug ihm bis zum Hals. Die Stimme - oder was immer es gewesen sein mochte - hatte sehr nahe gewirkt. Es gab hier keine Möglichkeit für einen ausgewachsenen Menschen, sich versteckt zu halten! Wo hätte Valerio zwischen diesen glatten Mauern bleiben sollen? Komm, so dunkel ist es hier nicht, sagte er sich. Er war schließlich nicht blind! Und die einzige Türnische, die es auf den nächsten Metern gab, war die, in der er selbst stand. Er wollte gerade seinen Mut zusammen nehmen und laut etwas in die gespannte Stille sagen, als sich ein Schatten aus der dunklen Wand neben ihm löste.

„Sono qui – ich bin hier. Mi dispiace."

Magnus schnaufte verächtlich. „Es tut dir leid? Das glaube ich nicht. Verschwinde!" Das Sprechen fiel ihm schwer. Er hatte den Eindruck, als müsste er gegen einen Widerstand anreden. Die Worte kamen so schwerfällig und er hörte sich selbst beim Sprechen zu, als sei er nur passiver Beobachter dieser seltsamen Situation und ein anderer würde für ihn sprechen. Es musste daran liegen, dass er eine Ewigkeit nicht geschlafen hatte. Auch hatte er den Eindruck, als könne er Valerio spüren, seine Präsenz war so stark, dass er ihn wahrnahm, ohne ihn überhaupt einigermaßen erkennen zu können.

Valerio war ein dunkler Schatten vor einer noch dunkleren Wand. Mit einem Schritt trat er ins Mondlicht, das schräg in den schmalen Gang hinunter floss.
"Ti prego ... Insomma, vuoi stare a sentire una buona volta?"

"Das kannst du dir schenken, ich will dir nicht zuhören", antwortete Magnus. „Du redest Blödsinn, lass mich in Ruhe. Du gehst mir auf die Nerven."
Er sah sich nach einer Möglichkeit um, an Valerio vorbei zu kommen. Hinter ihm brannte der Kanal - man würde ihn wiedererkennen, ihn für den Brandstifter halten, wenn er sich dort hinaus wagte. Und vor ihm stand dieser Freak und versperrte ihm den Weg durch die Gasse. Wieder spürte Magnus seinen Hunger, der sich inzwischen wie ein wütendes Raubtier bemerkbar machte. Er wollte zurück ins Hotel, sehen, ob er noch etwas zu essen bekam. Zeit genug war ja, zumindest die Bar musste noch auf haben. Sie schloss erst um Zwölf und es konnte höchstens halb Zehn sein. Und da war auch noch der Süßigkeitenautomat im ersten Stock.

„È mezzanotte."

„Es ist Mitternacht, sagst du? Junge, deine Uhr geht falsch." Er konnte es nicht fassen - dieser Kerl hatte tatsächlich nicht alle Nadeln an der Tanne! Mitternacht! Magnus spürte das unangenehm drückende Gefühl seines Herzens in der Brust. Er lachte. „Alles klar, Schönling! Da hat sich wohl jemand zu sehr auf deine Nase konzentriert und dabei dein Gehirn vergessen. Und eine Batterie hätte man dir in deine Spielzeuguhr hinein tun sollen! Nun gut, man kann nicht alles haben. Ciao, ich muss ins Bett."

Valerio blieb seelenruhig. Er machte einen Schritt auf Magnus zu, der sich gerade in die Mitte des Ganges wenden wollte, verstellte ihm den Weg und griff ihm in die Hemdtasche. „Permesso – Darf ich?" Im Dunkeln blitzte es auf, Magnus erkannte sein Feuerzeug. Bevor er etwas sagen konnte, wurde sein Handgelenk gepackt. Valerio hielt das brennende Feuerzeug an Magnus' Armbanduhr. „Guarda... è mezzanotte. Verschwende nicht deine Zeit mit Spott." Er ließ das Feuerzeug zuschnappen und drückte es ihm in die Hand. „Es ist später, als du denkst, Signor Arroganza."

Völlig verblüfft und stumm vor Schreck starrte Magnus ihn an. Als Valerio lächelte, sah er Zähne im Dämmerlicht der Gasse aufleuchten. Dann erstarb das Lächeln wieder und er wurde ernst. Er neigte den Kopf zur Seite und betrachtete Magnus nachdenklich. Im Schwarz seiner Iris loderte der Feuerschein.
"Wenn du Hunger hast, komm mit mir. Ich lade dich ein." Seine Stimme war Mitternachtssamt und gefährlicher Schatten zugleich.

Magnus wurde schwindelig. Er vertrug diese Stimme nicht. Und die Augen, sie irritierten ihn. Er konnte sich nicht sattsehen und musste doch wegschauen, wenn er sich nicht in diesem Blick auflösen wollte. Mit Gewalt und Willen wandte er sich ab, antwortete nicht auf Valerios Angebot. Sein Geist arbeitete fieberhaft. Das alles war so seltsam, er fühlte sich so ... entrückt. Zweimal ließ er selbst das Feuerzeug schnappen, überprüfte seine Uhr. Sie zeigte exakt Zwölf Uhr an! Und sie war nicht stehen geblieben, sondern lief in normalem Tempo, der Sekundenzeiger bewies es.

Instinktiv wandte Magnus sich dem brennenden Kanal zu, erwog ernsthaft dort hinaus zu gehen - hinaus aus diesem dunklen Gang, weg von dem Irrsinn dieser Situation, von der Stimme und den Augen, die aus seinem Willen und Verstand weiche graue Watte machten, als Valerio sagte:

„Du kommst da jetzt nicht ungesehen hindurch. Vergiss das. Man kennt dein rotes Hemd. Stai attento - Sei vorsichtig. Komm mit mir."

Ohne sich dagegen wehren zu können, ohne sagen zu können, warum er auf ihn hörte oder ihm vertraute, kehrte Magnus dem Feuer den Rücken und folgte Valerio in die Dunkelheit.

Ende Teil 3

H I N W E I S :
Auf YT findet Ihr meinen Autorenkanal unter dem Namen Bettina Deutsch Autorin. Dort könnt Ihr zurzeit 

WELTENTANZ
SHADOW HALL
DIE SCHWÄNE VON TARA und
DER MITTERNACHTSJUNGE

in der Hörfassung genießen.

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