(1/5) Die Halle

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Das Geräusch ihrer Schritte wurde zwischen den Wänden hin und her geworfen. Es klang, als führte man eine zehnköpfige Touristengruppe durch ein Museum. Ein Museum ... oder ein Jahrhunderte altes Grab.

Lichtreflexe zuckten und tanzten an der hohen Decke; das Wasser, das gleich hinter der Tür den Boden bedeckte, war bei ihrem Eintreten in Bewegung geraten. Algen und Schlick aus dem Kanal hatten sich über Quadratmeter auf den alten Fliesen abgesetzt. Wo der Boden trocken war, zeigten sich im Fackelschein wunderschöne Zeichnungen. Überrascht trat Magnus in die weitläufige Halle hinein. Er bestaunte die verschlungenen Ornamente, die gigantischen Wolkenformationen, aus denen es Sterne regnete, und die zahllosen Engel in fließenden Gewändern. Sie hielten religiöse Spruchbänder, musizierten oder standen und saßen in Gruppen beieinander. Die prächtig bemalten Bodenfliesen überzogen die Fläche von Wand zu Wand. Wenn die Farben auch längst verblasst waren - ihre feinen Schattierungen und die präzisen Konturen der Motive und Faltenwürfe hatten über die Jahrhunderte an Ausdruckskraft nicht verloren. Jede einzelne dieser antiken Fliesen war individueller Teil eines gewaltigen Gemäldes, das über geschätzte fünfundzwanzig Meter den Raum durchlief. Hohe Spiegel, blind geworden durch die Zeit, reihten sich an einer der langen Wände auf und warfen den Fackelschein vielfach in den Raum zurück.

Vorsichtig durchstieg Magnus eine meterlange Pfütze. Das Wasser stand einige Zentimeter hoch; der Grund musste sich hier vorne im Eingangsbereich abgesenkt haben. Es tat weh zu sehen, welchen Schaden das eindringende Wasser anrichtete. Sicher gab es irgendwo Risse zwischen Boden und Mauerwerk; oder das gesamte Haus versank langsam im Schlamm des Kanals, was er für ebenso wahrscheinlich hielt. Eine Schande, dachte er, als er den Blick durch die Halle wandern ließ.

Auf der gegenüber liegenden Seite erhoben sich die vergoldeten Sterne aus der Bodenbemalung und strömten in einem mindestens sechs Meter breiten Bogen die Wand hinauf und bis an die stuckverzierte Decke. Dort schienen sie bis an alle Wände zu explodieren. Abgesehen von einem kreisrunden Schatten, der von einer nicht mehr vorhandenen Rosette stammen mochte, sowie einigen Metern fehlender Stuckornamente über den Spiegeln war an den Seiten und oben alles noch wunderbar erhalten. Dazu hatte man auch die Decke wunderschön bemalt: Stürmische Wolken in graublauen Farbabstufungen türmten sich wie auf einer riesigen Leinwand und die erstaunlich gut erhaltenen Sterne schienen auf die Eigentümer und Gäste des Hauses seit Jahrhunderten herab zu regnen. Es wirkte, als würden die Sterne gut ein bis zwei Meter unterhalb der Wolken schweben. Im Schein der Fackel schienen sie alle in eine Richtung zu tanzen. Ihre Anordnung in einer großen Kreisbahn unter der Decke täuschte dem Auge eine stetige kollektive Linksdrehung vor - einen Sternenwirbel, der sich über Magnus' Kopf mitten im Raum zu bewegen schien.
Hier musste sich ein Meister der Renaissancemalerei verwirklicht haben! Seine Kunst ließ Wände und Decke in einer optischen Täuschung zurück treten. Die gigantischen, dreidimensionalen Wolkenformationen und der wirbelnde Strom tausender mit schimmerndem Blattgold belegter Sterne öffneten den Raum in alle Richtungen und lösten die räumlichen Konturen auf. Dies war kein Haus. Magnus hatte das Gefühl, ein Heiligtum, einen Tempel zu betreten. Wenn man damals so viel Kunstfertigkeit und Geld in diese Eingangshalle investiert hatte, wie mochte es dann auf der oberen Etage aussehen?

Gerade noch konnte er dort hinten einen Stapel alter Stühle und mit Tüchern verdeckte Gegenstände ausmachen, als das Licht die Wände hinauf wanderte und den Boden sowie den Rest der Halle im Dunkeln zurück ließ. Valerio war bereits auf der Treppe, die an der Wand entlang in den oberen Stock führte; Magnus musste zusehen, dass er ihm folgte. Zögernd griff er nach dem mit Weinranken und geflügelten Markuslöwen verzierten Metallgeländer. Die erste Stufe war zusammen mit dem Boden ein wenig abgesunken. Das Wasser stand hier so hoch, dass das kräftige Profil seiner Sohlen vollständig darin verschwand. Gerade noch rechtzeitig tat er einen weiten Schritt hinüber und über die erste Stufe hinweg.
Die Höhe des Wassers in der Halle variierte wahrscheinlich entsprechend den Schwankungen draußen im Kanal. Er erinnerte sich vage an den Anblick feuchter Hauswände mit ihren moosigen Obermarken, über die das Wasser so schnell hinweg gestiegen war, dass man dabei zusehen konnte ... Wo hatte er das gesehen? Oder war es ein Bild aus seinem Traum gewesen? Nein, es musste an dieser kleinen Brücke am Ende der Gasse gewesen sein. Dort, wo sie in die Gondel gestiegen waren! Das hier mochte derselbe Kanalabschnitt sein - oder zumindest schien dieser Teil der Insel mit ihm verbunden. Jedenfalls ließ sich das vermuten. Oder hoffen. Denn er hoffte, im Schlaf nicht allzu weit von der Gasse weg gebracht worden zu sein.

Und wenn doch? Diesem verrückten Kerl war alles Mögliche zuzutrauen! Magnus hatte tatsächlich gedacht, sie seien wesentlich länger auf dem Wasser unterwegs gewesen, es hatte sich so angefühlt ... Aber er konnte sich irren. Vielleicht war er gar nicht so lange eingenickt! Egal, es machte wenig Sinn, jetzt Spekulationen anzustellen. Ob kurz oder lang: Er hatte geschlafen und hatte daher keine Ahnung von dem Weg. Seine Erinnerungen an die maroden Hauswände, das viele Moos, die schmale Brücke und das schnell steigende Wasser waren jedenfalls ein ungefährer Hinweis auf die Gegend, in der er sich befinden musste. Sicher gab es im Umfeld der historischen Altstadt nicht viele Kanäle, die so menschenleer, dazu von alten Bäumen umstanden und so stark von den Gezeiten beeinflusst waren. Dieser Kanal hier musste besonderen Bedingungen und Strömungsverhältnissen ausgesetzt sein. Und die Häuser, sie waren im Grunde unbewohnbar. Er nahm sich vor, Valerio danach zu fragen. Seine Rückfahrt musste sowieso besprochen werden. Egal, wie er heute Nacht hier weg kam und wie lang die Fahrt sein mochte: Er musste seine Sachen packen und am Morgen pünktlich am Flughafen sein.

Valerio hatte am oberen Treppenabsatz auf ihn gewartet. Magnus fühlte sich beobachtet, abgeschätzt. Wie eine Statue stand sein Gastgeber dort oben und wartete, die dunklen Augen so dominant in dem blassen Gesicht, dessen edle Konturen im Schein der Fackel einmal mehr wie aus Marmor gemeißelt wirkten. Die Schatten brachten seine fremdartige Schönheit deutlich hervor ... als habe der Künstler, der sich unten in der Halle verwirklicht hatte, danach auch gleich noch ihn geschaffen. Wer wusste schon, wozu ein Meister der Illusionen fähig war! Magnus musste die Füße heben, um nicht auf der letzten Strecke noch über die Kanten der Stufen zu stolpern, so sehr lenkte ihn der Anblick seiner neuen Bekanntschaft ab. Er unterdrückte den Anflug eines Grinsens, als er sich vorstellte, Valerio sei einem phantastischen Gemälde entsprungen und gar kein Kind dieser Zeit. Er wollte es beinahe glauben, so verwirrend und fremdartig war das, was er an seinem Gastgeber wahrnahm. Und vor der Kulisse dieses magischen Hauses kam er ihm nicht unbedingt realer vor als auf der Brücke. Im Gegenteil - ihm war, als sei er in eine Art Märchen hinein geraten. Und Gast eines Wesens, das nicht von dieser Welt zu sein schien.

Als er oben an der Treppe ankam, stand Valerio noch immer still da und rührte sich nicht. Den Kopf leicht geneigt, die Lider gesenkt, schien er auf etwas zu lauschen. Dann lächelte er – es war nur ein ganz feines Zucken der Mundwinkel, die Muskeln unterhalb der Wangenknochen hatten sich einen Moment lang gerührt, dann war es vorbei. Irritiert blieb Magnus auf dem Treppenabsatz stehen, wartete, die Augen auf sein Gesicht geheftet. Plötzlich hob Valerio den Blick. Sofort wich Magnus ihm aus; Valerio musste nicht bemerken, dass sein Gast ihn anstarrte, wann immer sich Gelegenheit bot! Aber es war gut möglich, dass er dies gar nicht anders kannte und sich darüber schon lange nicht mehr wunderte.

La dentro." Valerio deutete mit der Fackel nach links hinüber und auf die gegenüber liegende Seite, an der sich eine hohe Doppeltür befand. „Dort hinein. Ich bewohne nur wenige Räume."

Seine Stimme wirkte in der Stille des Hauses noch beeindruckender als Magnus sie vor der Geräuschkulisse der Stadt empfunden hatte. Oder war „einschüchternd" das passendere Wort? Seit ihrer Begegnung auf der Brücke dachte er darüber nach, was genau es war, was dieser Mann an sich hatte. Es war nicht nur das Gesicht und diese hohe, schlanke Statur. Es gab viele große Menschen, und unter Südländern fielen sie besonders auf. Es gab viele Menschen auf der Welt, die eine ganz unterschiedliche Attraktivität besaßen. Und Schönheit war Geschmackssache. Es war gut möglich, dass es hier etwas Spezielles gab, etwas, das anderen Leuten nicht so stark auffiel wie ihm. Vielleicht lag es an ihm selbst! Vielleicht gab es irgendetwas in seinem Hinterkopf, ein Ideal, so etwas wie eine Erinnerung, eine früh entwickelte ästhetische Vorliebe oder Wertvorstellung, deren er sich bisher nie bewusst gewesen war und die hier nun angesprochen wurde.
Als Valerio ihm im Gehen einen Moment lang sein Profil zuwandte, während Kopf und Schultern sich in dieser erschütternden, fließenden Eleganz bewegten, die offensichtlich seine Natur war, ließ Magnus seine behelfsmäßig aufgestellte Hypothese wieder fallen. Er konnte sich keinen einzigen Menschen auf der Welt vorstellen, den dieses Wesen nicht zumindest irritierte.

Einer der beiden Flügel stand halb offen. Die Schwärze hinter der Tür schien dick und zäh bis in den Flur zu quellen. Wie Pech, kam es ihm in den Sinn. Sein Magen revoltierte, seine Knie wurden weich. Sobald die Stimmung sich lockerte, würde er den Hausherrn freundlich nach etwas zu essen fragen. Oder er würde hier an Unterzuckerung verenden und im Morgengrauen in einem Sarg aus diesem Haus getragen werden. Aber richtig - Valerio hatte ja gesagt, Magnus sollte ihm folgen, wenn er Hunger habe. Er wollte ihn einladen. Das hatte er hoffentlich nicht vergessen.

Die hohe Tür knarrte, als sie in den Angeln bewegt wurde. Valerio hob die Fackel höher und ließ ihn zuerst in den Raum treten. Dann folgte er zügig und ging zu einem langen Tisch hinüber, auf dessen Ende eine grob geschmiedete Halterung stand. Er steckte die Fackel hinein und deutete ihm näher zu kommen.

Ende Teil 5

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