(10/8) Zwei

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Einen weiteren Moment lang starrte Valerio auf den zerdrückten Schädel. Dann beugte er sich zu der Toten hinüber, streckte den Arm aus und zog ihr vorsichtig Schleier und Haube von den Resten ihres Gesichts weg. Nur ein wenig, damit er mehr von ihr sehen konnte. Der Stoff war völlig durchnässt.

"Näher", winkte er Tomaso. Im Schein der Fackel, die der Baumeister nun zögernd über das Gesicht hielt, bot sich ein furchtbarer Anblick. Die Stirn und die eine Seite des Kiefers waren eingedrückt, aber ein Auge war noch intakt. Es stand halb offen. Vorsichtig hob Valerio mit dem Daumen das Augenlid ein wenig an.

Langsam kam er wieder hoch und auf die Beine. "Fiamma..."

"Ja?", kam die Antwort von der dunklen Ecke neben der Tür.

"Etwas älter. Vierzig vielleicht. Oder mehr", begann Valerio. "Braune Augen, braune Haare. Ein wenig rundlich. Große Hände... sie wird etwas größer sein."

Im Dunkeln hinter ihm regte sich die Novizin, sie stand auf.

"Nein, komm nicht her! Bleib da." Valerio hielt seine blutige, von zuckendem Licht erhellte Hand energisch in ihre Richtung ausstreckt, während er die Tote zu seinen Füßen anstarrte. Fiamma hielt in ihrer Bewegung inne.

"Dunkle Haare und Augen", murmelte sie, "...älter.... das muss Ricarda sein."

"Ricarda", murmelte Valerio. "Wir legen sie an die Seite. Komm, pack mit an", forderte er den Baumeister auf.

Tomaso steckte die Fackel in die Trümmer und half Valerio, die Novizin von den restlichen Deckenfragmenten zu befreien. Er rang sichtlich um Fassung und Valerio rechnete in jedem Moment damit, dass er sich übergab, so blass wirkte er. An den Ärmeln zogen sie sie über den Schutt und zur linken Wandseite hinüber. Dort war der Boden frei.

"Tomaso, die Fackel. Hier herüber!", rief Valerio, nachdem er ihren Ärmel losgelassen hatte.

Auf einem Bord an der Wand standen einige Dinge. Nur zufällig hatte Valerio aufgesehen, um sich hier nun nicht auch noch den Kopf anzustoßen. Als Tomaso ihm mehr Licht gab, erkannten sie eine Flasche mit einer trüben Flüssigkeit, ein großes Knäuel dicker Leinenschnüre - und unter dem Bord befand sich, quer über zwei Haken gelegt, ein kurzer Zeigestock. An einem der Haken hing ein altes Tuch.

"Was willst du denn mit den Sachen? Wir haben keine Zeit, das Licht wird schwächer", brummte Tomaso.

Valerio antwortete nicht. Er hatte die Flasche von dem Bord genommen und den Korken abgezogen. Er hielt die Öffnung unter die Nase. "Nussöl", sagte er leise, als habe er nur zu sich selbst gesprochen.

"Hm... Und?", grunzte Tomaso. "Willst du Pasteten backen? Ich muss sagen, du hast ein gutes Gespür für den richtigen Moment."

Valerio sagte nichts. Er griff das Band, den Zeigestock und das verschmutzte Tuch, ging auf die Knie und deutete dem Baumeister, ihm mit dem Licht auf den Boden hinunter zu folgen.

Tomaso war verunsichert. Bei ihrer Auseinandersetzung draußen im Gang hatte er Valerio als einen unnachgiebigen Gegner erlebt, als es darum ging, sich auf die günstigere Vorgehensweise zu einigen. Wenn Valerio still wurde, brütete er eine Idee aus - und wenn man nicht aufpasste, setzte er diese um, bevor man überhaupt ein Wort mitreden konnte. "Ich will ja nicht stören", begann er, "aber was wird das jetzt, wenn ich fragen darf?"

"Eine Fackel", erklärte  Valerio schließlich und begann eilig das Tuch in breite Streifen zu reißen.

Tomaso sah erstaunt zu, wie Valerio die Tücher mit dem Öl tränkte. "Und du meinst, das brennt?"

"Wie Zunder. Es ist Walnussöl. Fett genug, um eine vernünftige Flamme zu halten..." Valerio wickelte die Stoffstreifen eng um das eine Ende des Stocks. "Es wird wahrscheinlich nicht lange brennen...", er machte den ersten Knoten, zog ihn fest und knüpfte einen zweiten dicht darüber, "...aber wir brauchen dringend zwei Fackeln..." Er fügte nun weitere, feste Knoten über die Strecke einer Handlänge hinzu und beendete den Satz: "...zwei Fackeln, weil wir hier so nicht weiter kommen."

Er reichte Tomaso die Flasche mit dem Öl. "Hier, nimm das. Warte..." Er wickelte ein längeres Stück Schnur von dem Knäuel herunter, wand es mehrere Male um seine Hand und streifte die aufgewickelte Schnur über die Finger ab. Er legte sie in seine beiden Hände, die er zu einer Schale formte. "Gieß hier Öl hinein", forderte er Tomaso auf.

Das Öl saugte sich in die dicke Schnur. Tomaso nahm einen Finger und dippte die heraus stehenden Abschnitte immer wieder ein, so dass sie von der fettigen Flüssigkeit bedeckt waren.

Valerio schloss die Hände um die Schnur und drückte das überschüssige Öl heraus. "Das muss für jetzt genügen...", murmelte er und wickelte sie fest um das verknotete Leinengewebe.

Er wollte seine eigene Fackel. Er hatte es satt, sich nach dem Baumeister zu richten und ihm folgen zu müssen - oder ihn wie einen Hund bei sich zu haben, wenn er selbst die Fackel trug. Wie sollte er Caterina finden, wenn er sich nicht frei bewegen konnte und jeden Schritt mit Tomaso absprechen musste! Diese Ölfackel - und die zweite, die hier nun entstand, indem er ein längeres Stück Schnur in die Flasche stopfte und sie schwenkte, damit sich das verbleibende Öl darin hinauf saugte - diese beiden Lichter würden seine sein, bis sie Hilfe erhielten.

Während er nach einem geeigneten Stein suchte, der den Docht im Flaschenhals halten konnte, dachte er an Caterina. Sie musste hier irgendwo liegen... Oder draußen im Gang, was er besser nicht hoffte. Er dachte an Fiamma, die geduldig wartete, dass sie endlich hinaus ans Tageslicht konnte... Und er dachte an Scalea, die dort draußen in der Dunkelheit des Ganges mit ihren gebrochenen Rippen und ihrer durchgebissenen Lippe lag, kalt und schlafend auf den Steinen. So viel Schlafmohnsaft gab man nicht, wenn niemand dabei blieb, um auf sie zu achten.

Aber er konnte doch nicht überall zugleich sein!  Er wollte hilfreicher sein, sich besser einsetzen, mehr tun, er brauchte Hände, die mit anpackten! Tomaso rührte die Verletzten nicht an, er schien kein Blut sehen zu können, er war zu weich und so hilflos, wenn es darum ging, jemandem Mut zuzusprechen... Er war gut beim Anpacken, wenn es um die Trümmer ging. Aber er hatte sein Gesicht gesehen, als er in der Blutlache ausgerutscht war... so ging es jedenfalls nicht weiter.

"Fiamma..." Valerio entzündete die Öllampe, die er aus der Flasche hergestellt hatte, an Tomasos Fackel. "...Du nimmst dieses Licht. Es wird eine Weile brennen."

Die Novizin schenkte ihm einen dankbaren Blick, als er zu ihr hinüber kam und ihr die Lampe vor die Füße stellte. "Oh, das ist wunderbar... vielen Dank."

"Pass auf, dass sie nicht umfällt. Und achte auf den Docht. Dass er nicht in die Flasche zurück rutscht."

Fiamma lächelte. "Das wird gehen... Aber kann ich nicht irgendwie helfen?"

"Ja. Das kannst du", entgegnete Valerio. Sein Ton war ernst. "Ich möchte, dass du in den Gang hinaus gehst. Du findest dort eine Schneise in dem Schotter, sie beginnt gleich hier vorne, an der Tür. Du folgst ihr bis auf die andere Seite, es sind nur ein paar Meter." Er sah sie eindringlich an. "Auf keinen Fall gehst du nach links hinunter und ins Treppenhaus! Und du berührst auch nicht die Außenwände, dort, wo ich einen Platz frei geräumt habe."

Fiamma nickte. Ihre Augen begannen zu glänzen, als Valerio weiter sprach. "Unten in der Wand findest du ein breiteres Loch. Es ist sehr niedrig, wir können dort nicht hinaus, bevor wir es nicht erweitert haben... Aber es ist gefährlich, dort mehr Steine weg zu nehmen. Versuche es also nicht selbst, darum werden wir uns kümmern. Er holte tief Luft, bevor er fortfuhr. "Was ich möchte, ist, dass du dich vor dem Loch flach auf den Boden legst und laut hinaus rufst, so lange du kannst. Versuche es immer wieder! Draußen steht ein Busch vor dem Loch, darum kannst du nicht in den Hof hinaus sehen. Aber wenn wir Glück haben, hört dich jemand... Wenn jemand kommt, sag ihnen, sie müssen den Busch wegnehmen. Sie sollen ihn absägen, direkt am Boden."

"Aber... warum ist denn niemand da... außer euch? Ich verstehe nicht, warum man uns nicht..."

Valerio beugte sich zu ihr hinunter. Er sprach jetzt leise. "Weil man euch aufgeben musste. Das Gebäude wird einstürzen. Niemand kann hier hinein gehen... Darum sind alle weggegangen. Sie tun, was sie können. Sie beten für euch.

Fiammas Ausdruck wechselte von ungläubigem Erstaunen zu Wut. "Wer hat das gesagt? Wer hat gesagt, man kann uns nicht retten?"

"Der Baumeister. Er hat gesagt, es würde nur noch mehr..."

"Wo ist dieser Baumeister? Was ist das für ein feiger, hoffnungsloser Mensch!"

Tomaso hatte ihre Worte gehört. Unbeweglich stand er bei den größeren Trümmern, unterhalb des Lochs, die Fackel erhoben, und sah zu ihr herüber.

"Hier bin ich, Weib", dröhnte seine Stimme durch den Raum. "Ich bin hier, weil ich ein lebensmüder Dummkopf bin. Oder ein weichherziger - wie immer du es haben willst. Auf jeden Fall war ich dumm oder lebensmüde oder weichherzig genug, diesem anderen lebensmüden oder weichherzigen Dummkopf dort zu folgen", er nickte zu Valerio hinüber, "um hier nach dir und deinen Schwestern zu suchen. Ich habe die anderen draußen gelassen, um ihr Leben nicht zu gefährden. Das war übrigens, bevor ich diesem jungen Idioten folgte, der hier irgendwo seine Herzens..."

"Jedenfalls sind wir die einzigen hier", unterbrach Valerio ihn grob. "Und du solltest nun durch das Loch rufen, so laut du kannst. Im Gang liegt Scalea, eure jüngste Novizin. Sie braucht jemanden, der auf sie achtet. Nimm dein Licht mit, sieh nach, ob sie atmet. Ich habe ihr Schlafmohnsaft gegen ihre Schmerzen gegeben und sie muss so schnell wie möglich durch das Loch nach draußen geschoben werden. Wir brauchen mindestens zwei Helfer im Hof. Jemand muss sie annehmen. Und die anderen auch. Und wir brauchen eine Leiter, dazu Wasser, Tragetücher, Strohmatten, Decken und Fackeln. Kannst du dir das merken? Die Leiter ist besonders wichtig... Du musst jemandem sagen, was wir brauchen."

Fiamma nickte. Sie hatte keine Fragen mehr. Und keine Beschwerden. Ihr Blick zeigte, dass sie sich schämte. Unsicher und beinahe ehrfürchtig grüßte sie zu dem Baumeister hinüber, der sich stumm abwandte und weiter die Trümmer durchsuchte. Valerio spürte, wie ihr Blick auf ihm ruhte, als er sich wieder aufrichtete. "An die Arbeit", sagte er knapp. "Unsere Notlichter werden nicht ewig brennen. Und sieh dich nicht auf der rechten Seite des Ganges um, klettere nicht in die Trümmer. Dort liegen Tote. Aber wenn du im Gang jemanden hörst, dann sag uns sofort Bescheid."

Die Novizin hatte mit ihrer Nussöl-Lampe den Raum verlassen und die beiden Männer waren allein.

Tomaso zuckte heftig zusammen, als Valerio ihm plötzlich in den Nacken raunte: "Wenn du noch einmal vor irgend jemandem erwähnst, dass ich hier eine Herzensfrau suche, bringe ich dich um."

Im ersten Moment lachte Tomaso laut auf. Als er sah, dass Valerio es ernst meinte, erstarb sein Lachen und er hob die Fackel und auch die freie Hand, um seine Unschuld zu bekräftigen. "Oh, Junge, das war doch nicht ernst gemeint! Man wird ja wohl noch..."

"Ich studiere hier, du einfältiger Saufbold", zischte Valerio. "Das hier ist mein Leben! Meine Chance, meine Zukunft! Es ist alles, was ich habe!" Er warf einen Blick zur offen stehenden Tür hinüber, bevor er mit gesenkter Stimme fortfuhr: "Und sie... sie ist eine Novizin! Wenn das Kloster sie verbannt, ist ihre Zukunft verwirkt. Du bringst uns beide in Schwierigkeiten! Oder denkst du, solche Geschichten werden hier freudig aufgenommen?"

Tomasos Miene ließ keinen Zweifel daran, dass er seinen Fehler einsah. Seine dunklen Augen glühten. "Gut", sagte er und nickte bedächtig. "Ich hab nicht nachgedacht... Ich merke mir das. Das Mädchen ist dein Geheimnis. Und ich schweige wie ein..." Grab, wollte er wohl sagen, aber er sagte es nicht. Er sah Valerio einen Moment lang ernst in die Augen. "Was, wenn sie im Gang ist? Unter den Trümmern? Möchtest du, dass wir... da suchen? Ich meine, immerhin... Du hast dort auch die Kleine gefunden, und sie lebt noch..."

Valerio schob seine Wut vor. Er blinzelte die Tränen zurück, die ihm in die Augen schossen. "Woher soll ich wissen, wo sie sein könnte", fuhr er ihn halblaut an. "Hier vielleicht...", er wies über die Massen von Steinen und Balken hinweg, "oder dort draußen irgendwo? Soll ich sie suchen, unter zwanzig Metern voller Trümmer... und mit einer Fackel - und einer freien Hand, die ich habe?" Die letzten Worte erstickten beinahe in den Tränen, die nun nicht mehr verborgen blieben. "Ich habe keine Ahnung, wo sie ist!"

Tomaso stand die Betroffenheit im Gesicht. "Gibt es vielleicht irgendeinen Anhaltspunkt? Hat sie Gewohnheiten, Freunde, in deren Nähe sie sich aufhält - oder hatte sie heute besondere Aufgaben hier? Es könnte doch sein, dass sie gar nicht in diesem Raum..."

Valerio schüttelte den Kopf. "Ich weiß es nicht." Er wusste, der Baumeister meinte es gut, aber er quälte ihn mit solchen Fragen! Sie erschienen Valerio so unsinnig! Er konnte ihm wohl kaum erklären, dass er buchstäblich nichts über Caterina, über ihre Kontakte, ihre Gewohnheiten oder Aufgaben wusste! Valerio dachte an ihre Begegnung auf der zweiten Ebene, als sie die Gesangsbücher holen sollte. Die Erinnerung an ihr Gesicht, als er ihr seine Hand hinhielt, gab ihm einen Stich ins Herz.

"Wir fragen Fiamma", schlug Tomaso vor. "Sie wird sich erinnern, wo das Mädchen unmittelbar vor dem Unglück war, ob hier im Raum... oder im Gang. Oder wo auch immer."

Valerio brauste auf. "Nein! Auf keinen Fall!" Dann fuhr er leiser fort: "Ich darf nicht einmal zeigen, dass ich sie kenne! Ich darf ihren Namen gar nicht wissen." Mit der freien Hand strich er sich die losen Haarsträhnen aus Stirn und Gesicht. Zu spät erinnerte er sich daran, dass seine Hände vom Blut der Toten rot gefärbt waren. Und das restliche Öl, das außerdem auf seinen Handflächen klebte, machte es nicht besser. Er hatte es auf die Unterarme gerieben, um es los zu werden, weil seine Hose ebenfalls von dem Blut und Öl nass war und Scalea unter seiner Tunika schlief... er sah aus, als hätte er mit Giovanna ein Schwein geschlachtet.

Tomaso brummte. "Hm.. Dann geht es also weiter. Komm. Tun wir unser Bestes." Er klopfte Valerio auf die nackte Schulter. "Wenn du mich fragst, ich denke nicht, dass hier drinnen noch jemand lebt. Aber wer weiß! Lass uns die Frauen finden, so viele wie möglich, bevor uns das Licht ausgeht... und wir werden sehen.

Vom Gang her hörten sie, wie Fiamma zu rufen begann. Sie machte ihre Sache gut. Zunächst noch zögernd, bald aber kräftig, rief sie  in den Hof hinaus. Dass sie nun zu dritt waren und Aussicht auf baldige Hilfe hatten, machte Valerio Hoffnung.

Sie arbeiteten sich weiter durch den Schutt. Eine gute Zeit lang hing jeder seinen Gedanken nach, niemand sagte ein Wort. Sie fanden nichts. Dann tauchten in dem einheitlichen Grau des Schotters zwei Körper auf. Beide Frauen waren tot, sie sahen es sofort. Als sie sie zu der anderen Toten herüber trugen, die Fiamma Ricarda genannt hatte, hörten sie ein Wimmern. Es klang weiter entfernt - und nach einigem Suchen und Lauschen entdeckten sie eine weitere Novizin, die halb unter einem schweren Deckenfragment begraben lag.

Als die Männer die Brocken von ihr herunter nahmen, stammelte sie kaum hörbar: "Bein.... mein Bein. Lasst mich... zuende."

"Sieh weg, Baumeister", warf Valerio Tomaso zu, als er im Schein der Fackeln sah, wie ihr Gesicht grau wurde. Diese graue, wachsartige Farbe kannte er gut... Er riß ihr das Gewand bis zur Hüfte hoch und sah, dass ein Bein vollkommen zerquetscht war. Der gesamte Oberschenkel war eine blutige Fläche aus Muskelfleisch, Sehnen und gesplitterten Knochen. Das Gewicht auf dem Bein hatte die Arterien abgedrückt, hatte verhindert, dass sie verblutete. Aber nun, da sie die Trümmer entfernt hatten, sprudelte es nur so über ihr Bein hinweg.

Reflexartig presste er seine Hand dort hin, wo er die große Arterie finden würde, wenn dieses Bein nicht so furchtbar... es war zu viel zerstört, es war hoffnungslos! Das würde niemals verheilen! Selbst wenn sich diese Blutung stoppen ließe, was unmöglich war, würde sie elend sterben... Als Valerio sie ansah, musste ihm das Grauen im Gesicht stehen.

Da geschah etwas, das er einfach nicht verstand: Sie tastete nach seiner Hand, zog sie von ihrem Oberschenkel weg und hielt sie. Und lächelte. Sie lächelte!Er wollte nach seiner Tasche greifen, nach den Flaschen... aber sie umfasste seine Hand mit ihren kalten Fingern und hielt sie. Leicht und vertraut, nicht hilflos und ängstlich. Er war es, dachte er. Er war hilflos und hatte Angst. Uns sie sah ihn an, als täte es ihr leid, dass er das hier aushalten musste. Unter ihnen wuchs die dunkle, warme Lache im Rhythmus ihres schlagenden Herzens.

"Alles gut.... ich gehe... zu meinem Gott."

Valerio spürte, wie sich seine Augen mit Tränen füllten. Auf dieser Seite des Lebens war er, der sie bis an diese unfassbare Tür brachte.... und das Bild eines Gottes, der sie auf der anderen Seite entgegen nahm, erleichterte und entlastete ihn nun sehr. Er war dankbar für ihren starken Glauben, den er nicht teilte. Er rutschte auf den Knien herum, versuchte dem Blut auszuweichen.

Sie lächelte wieder, als sie seine Tränen sah. Dann schüttelte sie den Kopf, die Bewegung war nur schwach. Es erschien ihm, als wollte sie nicht, dass ihn ihr Zustand so berührte. "Ihr... habt lange gebraucht...", hauchte sie und ihre blassen Lippen zitterten, das Lächeln konnte sich an ihnen nicht halten. Ihr Blick und ein unmerkliches Nicken mit dem Kinn wiesen auf ihr Bein hinunter und Valerio verstand. Sie hatte gewollt, dass man das Trümmerteil von ihrem Bein nahm. Damit sie sterben konnte.

"Es tut mir leid.... wir haben dich nicht... Wir sind nur zu zweit und wir konnten nicht..."

"Nicht... alles gut." Sie blinzelte. Ein Beben ging durch sie hindurch. "Nur... Hand halten. ...gleich vorbei..."

Es ist gleich vorbei. Valerio fühlte sich wie ein Kind, getröstet von der Mutter. Das war verkehrt, es musste doch anders herum sein! Er rührte sich nicht. Er sah ihr gebannt ins Gesicht, weil sie seinen Blick festhielt. Er wusste nicht, wohin er sonst schauen sollte. Er durfte nun nicht wegsehen. Aber er konnte es nicht verhindern... hier saß er bei einer Sterbenden, teilte ihre letzten Sekunden mit ihr und sie hielt seine Hand, anstatt dass er ihre hielt... und er dachte an Caterina. Was, wenn er sie so finden würde! Wenn er - wie hier - nichts, gar nichts für sie tun konnte als zuzusehen, wie das Leben rot aus ihr heraus strömte... Ihre Augen rollten nach hinten weg, die Lider schlossen sich.

Sie lächelte immer noch. Valerio wischte sich die Nase mit dem Handrücken ab, zog seine blutigen Finger aus ihrer leblosen Hand. Vielleicht hatte sie nicht gemerkt, dass er nicht bei ihr gewesen war in diesem letzten Augenblick. Vielleicht war es aber auch gar nicht von Bedeutung.

"Sterben können diese Nonnen, das muss man ihnen lassen", schnaufte Tomaso. "Den Glauben möchte ich haben."

Valerio schluchzte auf. Es schüttelte ihn. Nur einmal, dann hatte er sich wieder gefangen. Er zog seine Ölfackel zwischen den Steinen hervor. Langsam stand er auf, wischte sich die blutigen Hände an den Seiten seiner Hose ab. "Zwei", sagte er tonlos, als er an Tomaso vorbei ging.

"Was, zwei? Zwei Überlebende?"

Valerio blieb stehen, ohne sich zu Tomaso umzudrehen. "Zwei Faustschläge", sagte er. Seine Stimme blieb ohne Klang. "Zwei Faustschläge in dein feiges Gesicht schuldest du mir, wenn wir hier rauskommen. Einen weniger, wenn du derjenige bist, der sich in das Blut der nächsten Sterbenden kniet, um ihr die Hand zu halten. Aber ich denke, das bringst du nicht."

Ende Teil 82

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