(12/4) Das Spiel

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Still liefen sie nebeneinander her, bis sie die Gabelung des Weges erreichten. Die niedrige Mauer, die das Klostergelände begrenzte, erlaubte einen weiten Blick über die Ebene. Der Mond kam hinter den Wolkenschleiern hervor und vergoß sein kühles, silbriges Licht über Felder und Höfe und bis über die fernen Berge hinweg. Als Valerio einen Seitenblick zu Caterina hinüber warf, bemerkte er, wie blass sie war. Sie blieb an der Mauer stehen, ihr Blick schweifte über die Ebene.

"Oh, sieh dir den Mond an", sagte sie leise. In ihrer Stimme lagen Sehnsucht und Traurigkeit. "Es ist kaum zu glauben, dass es derselbe Mond ist, der in meiner Heimat scheint. Und derselbe, den mein Vater mir zeigte, nachdem wir in die Toscana zu seiner Verwandtschaft gezogen waren." Sie lächelte wehmütig. " Ich hatte geweint in dieser ersten Nacht, weil mir alles so fremd war. Mein Vater wollte mir zeigen, dass es noch derselbe Mond war, den ich gekannt hatte, als wir..."

Er trat neben sie. Er wusste nicht, was er sagen sollte, darum schwieg er und schaute sie nur an, wie sie ihr Gesicht dem nächtlichen Himmel zuwandte. Sie hatte ein so faszinierendes Profil. Vom ersten Moment an hatte er sich in ihr hübsches Kinn und diese weichen, glatten Wangen verliebt - und in die Nase, die diesen kleinen Schwung hatte. Der Mond schien so hell, dass er den Schatten ihrer Wimpern auf ihrer weißen Haut sehen konnte.

"Und es sind dieselben Sterne", murmelte sie verwundert. "Auch hier."

Der Nachtwind raschelte leise in den Bäumen, die an der Klostermauer standen. Unten in der Ebene bellte ein Hund. In seinem Kopf summte es, die Augen fielen ihm nun beinahe im Stehen zu und er begann zu frieren. "Wir müssen weiter", erinnerte er sie sanft. Er rieb die Gänsehaut an seinen Unterarmen weg. "Du musst noch ein wenig Schlaf bekommen bis zum Morgen."

"Du aber auch", entgegnete sie und wandte sich ihm zu. Ihr Gesicht lag nun in tiefem Schatten. Nur ihre Augen leuchteten hell daraus hervor, weil das Mondlicht sich in ihnen fing. "Wie müde musst du erst sein." In ihren Worten schwangen Mitgefühl und Verständnis. "Du musst heute so viel durchgemacht haben... und ich habe die ganze Zeit nur über mich geredet!"

"Oh, das macht gar nichts, das ist..." Bilder kamen ihm plötzlich in den Sinn, Szenen und Geschehnisse, die er in der letzten Stunde beinahe vergessen hatte. Bei dem Gedanken daran, wie er in den Hof gekommen war, wie er Camilla und den Schmied entdeckt hatte und überall die hellen Ascheflocken flogen, traf ihn siedend heiß eine Erkenntnis. Dass er daran nicht gedacht hatte!

"Was ist mit dir?" Caterina schien schien bemerkt zu haben, dass ihn etwas beschäftigte. Besorgt trat sie näher an ihn heran.

Er zögerte einen Moment. Er brauchte Zeit, seine Gedanken zu ordnen. "Ich merke gerade, dass ich etwas übersehen habe", erklärte er. "Du kannst nicht in der Novizenunterkunft schlafen. Niemand wird heute Nacht dort schlafen."

"Aber warum denn nicht?"

"Weil der Säulengang davor zusammen gebrochen ist. Die Außenmauer ist instabil und die Eingänge sind verschüttet. Selbst, wenn das Gebäude nicht einsturzgefährdet wäre: Du kämst nicht einmal hinein. Dass mir das nicht früher eingefallen ist!"

"Aber wie finde ich denn nun zu den anderen Novizinnen?", fragte Caterina verzweifelt. "Ich muss doch irgendwo schlafen! Hast du eine Ahnung, wo sie untergebracht sein könnten?"

Er wusste nicht, wie er es ihr sagen sollte. Offenbar hatte sie das Ausmaß des Unglücks vorhin in der Kapelle gar nicht vollständig begriffen! Sie war abgelenkt und erschrocken gewesen wegen seines heftigen Ausbruchs, wahrscheinlich waren ihr die Dinge, die er ihr in seiner Wut gesagt hatte, gleich wieder entfallen. Sie hatte mehr auf seinen Zustand geachtet als auf seine Worte.

"Caterina....", begann er vorsichtig, und er hasste es, ihren Namen in Verbindung mit einer so erschreckenden Botschaft auszusprechen, "...Evelina und du, ihr seid die einzigen, die den heutigen Tag unverletzt überlebt haben. Die wenigen anderen, die... leben, sind in der Krankenstube, und..."

"...und alle anderen sind tot", beendete Caterina seinen Satz. Sie nickte langsam. Valerio staunte, wie gefasst sie wirkte. "Wo schläft Evelina", fragte sie, "was meinst du?"

"Ich bin mir nicht sicher", gab er zu. "So etwas wie heute geschieht hier nicht jeden Tag." Er zuckte die Schultern. "Es ging ihr am Mittag nicht sehr gut, sie wirkte verstört. Es ist gut möglich, dass sie in der Krankenstube schläft. Dort werden wohl zwei Schwestern Dienst haben. Oder Camilla hat sie mit zu sich genommen. Sie hat eine eigene kleine Wohnstätte neben der Kirche."

Caterina stieß ein ratloses Seufzen aus. Mit den Händen fuhr sie über ihr müdes Gesicht. "Dann... ja, dann muss ich wohl wach bleiben bis zum Morgen. Oder ich gehe ebenfalls zur Krankenstube, vielleicht kann ich mich dort nützlich machen." Sie sah sich um. "Oder ich könnte hier draußen irgendwie..."

Valerio griff nach ihren Händen. "Nein, das musst du nicht! In der Krankenstube wirst du kein Auge zumachen heute Nacht. Und helfen kannst du dort auch nicht, sie werden zurecht kommen." Er wollte einfach nicht, dass sie eine frische Amputation und andere Verletzungen sah. Darum fuhr er fort: "Außerdem genügt es, wenn man dich am Morgen sieht, denn es wird Fragen geben. Und diesen bist du besser gewachsen, wenn du vorher ein wenig geschlafen hast."

Er atmete tief ein, um wacher zu werden. Ihr aufmerksamer Blick, in dem immer noch das Mondlicht flackerte, irritierte ihn furchtbar, dazu war sie ihm auch wieder viel zu nahe; sie stahl ihm jeden Rest Konzentration, den er in dieser Nacht noch aufbringen konnte. Warum hielt er ihre Hände, während er mit ihr sprach? So konnte er keinen vernünftigen Gedanken fassen!

"Du... du solltest nicht schon heute Nacht deine Geschichte erzählen", begann er seine Erklärung aufs Neue, "denn eine glaubwürdige Geschichte wirst du brauchen, wenn du nachher plötzlich wieder auftauchst.  Und die sollte vorher gut überlegt sein, denn du wirst sie später nicht mehr ändern können."

Er starrte in den nachtschwarzen Schatten, der ihr Gesicht war, spürte, wie er darin aufgesogen wurde. "Also... du... könntest vielleicht..." Er wusste, es machte keinen Sinn, den Gedanken, der sich gerade in seinen Kopf geschlichen hatte, zuende zu bringen. Es war Blödsinn. Er sollte das besser nicht aussprechen, es war zu abwegig. Es war unmöglich! Aber er war müde und durcheinander und ihre Gegenwart war wie das Mondlicht, flirrend und blendend, es war wie wenn man schlief und träumte und trotzdem zu denken und zu reden versuchte... Er war vollkommen verzaubert und wusste nicht mehr, wie er das alles schaffen und dann auch noch nach Hause und in sein Bett finden sollte.

"Was könnte ich?" Er hatte ihre Neugierde geweckt. "Was wolltest du gerade sagen?"

Er gab sich Mühe jetzt nicht auch noch zu stottern. Er war so furchtbar erschöpft, er konnte nicht mehr klar denken und bekam die Worte nicht voreinander - und diese silberne Mondnacht und dieses Mädchen mit dem Sternenfunkeln in den Augen und diesen weichen, zarten Händen in seinen... das alles löste den Boden unter seinen Füßen auf und ließ ihn hilflos im Nichts schweben.
"Also, ich...", stammelte er, "ich finde ich es nicht gut, wenn du allein hier draußen bist oder jetzt in die Krankenstube gehst. Anna ist... sie ist heute Nacht gestorben und ich müsste sie eigentlich vertreten." Er hielt ihre Hände fester. "Orazia hatte lange, bevor ich hierher kam, einmal die Krankenstube geleitet. Anna hatte es mir erzählt. Du hast Orazia erlebt! Ich bin nicht sicher, wie viel sie vom Heilen versteht, aber sie hat keine gute Hand für die Nöte und Bedürfnisse anderer Menschen. Da niemand weiß, wo ich bin, wird sie heute Nacht die Aufsicht über die Pflege der Verletzten übernommen haben, eventuell zusammen mit einem der Heiler vom Franziskanerkloster." Sein Daumen streichelte Caterinas Hand und er suchte hinter dem Sternensilber immer noch vergeblich ihren Blick. Er zog ihre Hände zu sich heran. "Glaube mir... dort möchtest du jetzt nicht sein."

Schon wieder verlor er sich in ihren mondsilbernen Augen. Er war es, der nicht wollte, dass sie dort war!

"Ich soll dort nicht hingehen, sagst du... aber wohin dann? Du hattest einen anderen Vorschlag?"

Oh, wie gut konnte sie zuhören, wenn sie wollte! Und wie er sie einschätzte, würde sie nicht locker lassen, bis sie es aus ihm heraus hatte. Ihre Hände bewegten sich jetzt zusammen mit seinen... sie streichelte seinen Handrücken mit ihren Daumen. So, wie er es bei ihr tat. Hier und da streiften ihre Finger wie zufällig die Haut über seinem Bauch... Das geschah, weil er ihre Hände so sehr zu sich her gezogen hatte... Er konnte nicht mehr denken. Sein Vorschlag, sie fragte danach. Durfte er es aussprechen? Hier oben auf dem Berg kannte er niemanden, bei dem er sie gerne untergebracht hätte. Aber was würde sie von ihm denken! Wenn sie seinen absolut nicht gut überlegten und vollkommen unschicklichen Vorschlag ablehnte - wie stand er dann da, diesen Gedanken überhaupt gehabt zu haben?

"Du könntest... Ich könnte... dich mitnehmen."

Nun war es heraus. Sein Herz schlug wie eine Faust hinter seinem Brustbein.

"Mitnehmen... ? Zu dir?"

Er nickte energisch. "Zu meiner Mutter. Wahrscheinlich ist sie heute zuhause. Sie hilft in der Kirche, in der Armen- und Krankenversorgung. Nur manchmal bleibt sie dort über die Nacht... Wenn jemand besondere Pflege braucht. Sie würde..."

Also ist es nicht sicher, dass sie da ist?" Caterinas Hände hörten auf mit dem, was sie taten.

Er schluckte. "Doch. Sie wird da sein, bestimmt. Und wenn nicht, dann schlafe ich draußen im Garten und überlasse dir mein Lager."

Caterina lachte leise. Er war sich nicht sicher, ob er sich das Liebevolle in ihren Worten nur einbildete. "Aber du kannst doch nicht draußen schlafen! Das geht doch nicht!"

"Warum denn nicht", fragte er verwundert. "Ich schlafe ab und zu unten in der Schlucht, die zwischen dem Monte Subasio und der Stadtmauer liegt. Ich mag das Murmeln des Wassers und das Rauschen, wenn der Wind durch die Bäume streicht. Man hört die Tiere in der Dunkelheit."

"Es gibt Bären, Wölfe und Luchse in den Bergen." Caterinas Stimme bebte.

"Ja", sagte er. "Aber ich achte darauf, dass ich sie nicht störe. Sie müssen vor mir nicht erschrecken, ich verhalte mich ganz ruhig und still. Ich komme ihnen nicht in die Quere."

Ihrem Tonfall war deutlich eine gewisse Ironie zu entnehmen, als sie anmerkte: "Wenn wir einmal mehr Zeit haben und ich nicht gerade ganz dringend einen Schlafplatz suche und vor Hunger sterbe, dann erinnere mich bitte, dass ich dich frage, wovor du Angst hast. Das würde mich sehr interessieren. Wenn es da denn überhaupt etwas gibt, was jemanden wie dich ängstigen könnte." Bevor er antworten konnte, fuhr sie fort: "Ich möchte nicht, dass du zwischen Bären und Wölfen schläfst. Und ich möchte auch nicht, dass wir deine Mutter wecken. Und was würde sie von mir denken?"

Er lachte auf. "Na, dass es hier ein Unglück gab und du irgendwo eingeschlossen warst. Und dass du nun nicht weißt, wo du unterkommen sollst, bis die Nacht vorbei ist! Du könntest einfach unser Gast sein. So wie dich auch jede andere Familie in Assisi aufnehmen würde. Wenn nicht alle bereits schlafen würden."

"Nun warte doch", rief sie, als er sie fest an der Hand packte und sie mit sich zog. "Ich kann doch nicht einfach..."

Valerio ließ nicht locker. "Ich verspreche dir", erklärte er im Gehen, "ich schlafe nicht bei den Wölfen und Bären! Du willst das nicht - und ich respektiere das. Und keine Sorge, falls wir im Haus allein sein sollten. Dafür habe ich eine Idee."

Er ließ ihre Hand auch jetzt nicht los und Caterina blieb nichts anderes übrig, als hinter ihm her zu stolpern.

"Du zwingst mich", zischte sie halb laut, "du lässt mir keine Wahl! Das kannst du nicht tun! Ich bestimme selbst, wo und wie ich die Nacht verbringe!"

Ihre Empörung schien aber nicht ganz ernst gemeint zu sein; sie wehrte sich nur, weil es sich so gehörte. Und weil ihre Ehre in dieser Nacht doch zumindest ansatzweise verteidigt werden musste, bevor sie vielleicht doch nachgab! Er konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen bei ihren schwachen Versuchen, sich aus seinem Griff zu winden. Ihre halbherzigen Befreiungsversuche wirkten nicht sehr überzeugend. Bestimmt hatte sie mehr zu bieten als das!

Einige weitere Meter zog er sie mit sich und steigerte das Tempo seiner Schritte noch, um sie zu provozieren; dann blieb er mit einem Ruck stehen, wandte sich überraschend zu ihr um und sie prallte gegen ihn. Caterina erschrak heftig, als er sie in seinen Armen auffing und sie auch dann nicht gehen ließ, als sie versuchte, sich mit beiden Händen von seiner Brust weg zu schieben. Er hielt sie fest umklammert, bis sie ihre Befreiungsversuche aufgab und ganz still wurde. Sein Herz klopfte wild, als er ihrem Atem lauschte. Er ließ sie nicht los. Und sie rührte sich nicht in seinen Armen. Sie sagte kein Wort mehr.

Er zog sie ganz dicht zu sich heran - viel sanfter nun, aber er achtete darauf, dass sie ihm nicht doch noch entwischte. Schließlich neigte er den Kopf zu ihr herunter und raunte ihr ins Ohr: "Du hast die Wahl. Entweder zwinge ich dich jetzt - zu deinem Wohl - oder ich überrede dich."

Während er sprach, spürte er, dass sie den Atem anhielt. Aufmerksam schien sie jedem seiner Worte zu lauschen. Langsam hob sie ihm nun das Gesicht entgegen. Ihre Stimme war so weich und warm, dass Valerio Mühe hatte sein Gleichgewicht zu halten. Er ließ sich nichts anmerken.

Sie sprach vorsichtig, mit Bedacht. Der Unterton, der da mitschwang, verriet ihm, dass sie das Spiel verstanden hatte. "Und wenn ich... gezwungen würde? Was würde mir geschehen?"

Er packte sie so schnell und fest, dass sie einen erschreckten Schrei gerade noch unterdrücken konnte. Ihre Füße zappelten ein gutes Stück über dem Boden und sie hielt sich an ihm fest, als befürchte sie zu fallen, während er sie mit sich herum schwang. Einige Meter lief er mit ihr, dann setzte er sie sanft auf dem Boden ab.

"Oh", lachte sie. "So ist das also. Du nimmst mich einfach mit. Wie einen Sack Mehl." Er hörte das Schelmische in ihrer Stimme. "Und wenn ich mich... für das Überredet-Werden entscheide, wie... müsste ich mir das vorstellen?"

Ende Teil 98






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