(12/6) Auf dem Pfad

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Sie hatte gedacht, sie würden nun den Weg nehmen, der direkt an der alten Klostermauer entlang und dann in die Stadt führte. Sie schlüpften jedoch durch eine kleine Lücke zwischen wild gewachsenen Sträuchern. Der parallel zur Klostermauer verlaufende Pfad war sehr schmal. Valerio ging voran und Caterina vermied mit dem linken Fuß zu sehr an die Kante zu treten, denn dort begann der Hang, der zur Ebene hinunter steil abfiel. Dichtes Gebüsch und knorrige Olivenbäume verdeckten rechts des Weges die dahinter aufragende Mauer.

Die weite, mondbeschienene Landschaft zu ihrer Linken gab ihr das Gefühl, in einem Traum zu wandeln. Der leichte Wind, der ihr Gesicht streichelte und sie wach hielt, dazu dieser abenteuerliche Weg hoch oben am Hang und außerhalb der Stadt - und die Silhouette dieses magischen jungen Mannes, der vor ihr ging, halb nackt und mit seinen breiten Schultern, während der Wind mit den langen Strähnen seiner Haare spielte... Das alles war so unwirklich, dass sie immer wieder blinzelte, um sicher zu gehen, dass sie wach war.

Sie beobachtete seine geschmeidigen Bewegungen, starrte auf seinen Rücken, der zur Hüfte hin schmaler wurde, auf die Umrisse seiner wohlgeformten Arme, die kräftig und so lang waren, dass er sie eben darin vollkommen hatte einwickeln können... es war nur ein albernes Spiel gewesen, das er inszeniert hatte, um ihr nahe zu kommen ... Aber für sie bedeutete es so viel mehr! In dem Augenblick, als sie jeden Widerstand gegen diese Arme aufgab und ihr Herz in Erwartung seines Kusses aufgeregt gegen seine Rippen schlug, da hatte sie sich vollkommen geborgen gefühlt. So sehr, dass die Angst sie überwältigte, dieses schützende Gefühl wieder zu verlieren, es loslassen zu müssen.

Das war ihre Frage gewesen: Ob er bleiben würde - oder ob diese Nacht mit ihm nun schon wieder auf einen neuen schmerzlichen Abschied und Verlust hinaus lief: Ein weiteres Zurückfallen in Einsamkeit und Ungewissheit, während sie wieder einmal gehofft hatte, endlich irgendwo angekommen zu sein. Ihr Herz, ihre Seele flog ihm zu und sie hatte keine Ahnung, wie das so schnell geschehen konnte. Wenn sie es ihm jetzt sagen müsste - sie wüsste nicht, mit welchen Worten, welcher Sprache oder Musik dieser Welt.

"Pass  auf, das Gras ist nass", warnte er über seine Schulter hinweg und streckte seine Hand nach hinten, damit sie sich daran festhalten konnte. "Halte dich von der Wegkante weg, dort geht es steil hinunter."

Sie griff nach seiner Hand, die sich fest und warm um ihre schloss. Er war so fürsorglich, dass es sie schmerzte. Eine solche Aufmerksamkeit und Freundlichkeit, so selbstverständlich und großzügig gegeben, musste man sich doch verdienen! Und wer war sie schon! Ein Mädchen ohne Heimat und Namen, ein Bastard einer Familie, für die sie sich schämte - und jetzt auch noch ohne den Schmuck ihrer Haare und untergebracht an einem Ort, den sie zu allerletzt freiwillig für sich gewählt hätte!

Es wurde ein wenig heller auf dem Pfad. Zuerst dachte sie, ihre Augen hätten sich an die Dunkelheit gewöhnt, aber als sie den Blick zum Nachthimmel wandte, sah sie, wie auch die letzten Wolkenschleier sich lösten und den Mond ganz freigaben. Er war ein silberner Teller auf der festlichen Tafel der Nacht, gedeckt mit einem Tuch aus tiefblauem Samt und übersät mit funkelndem Sternenstaub.

Wie staunte sie über die Aussicht, die sie vom Weg aus über die Ebene hatten! Es war nicht dasselbe, eine stabile Mauer zwischen sich und dem steilen Hang zu wissen oder hier direkt am Abgrund entlang zu laufen, auf einem bewachsenen und unebenen Pfad, der nicht viel mehr als Schulterbreite hatte. Das Mondlicht und die Beschaffenheit des Weges verstärkten die Müdigkeit in ihrem Kopf. Es war anstrengend und verwirrend hier zu gehen, wenn man kaum noch die Füße voreinander bekam und Mühe hatte die Augen auf zu halten.  Seltsame Gedanken und Eindrücke quollen an die Oberfläche ihres halb betäubten Verstandes; sie wurden getränkt von dem gewaltigen Meer ihrer Gefühle, einem Meer, das ständig überzuschäumen drohte, seit sie hier angekommen war.

Waren es schon vier Tage? Ihre Welt hatte sich vollständig gedreht. Alles war nun anders... aber war es besser geworden? Sie konnte es nicht sagen. Noch fehlte ihr der Überblick. Sie ahnte, dass die Schwierigkeiten, die ihr hier seit ihrer Ankunft begegneten, nichts mit einer Eingewöhnung zu tun hatten. Es waren Anzeichen von Ärger, der sich über ihrem Kopf zusammen braute... Seit sie bei ihrer Verwandtschaft in Montepulciano gelebt hatte, besaß sie ein Gespür für solche Anfänge und konnte eines vom anderen unterscheiden. Der wunderbare Mann vor ihr, Angelo, an dessen Hand sie ging, konnte ihr eine Hilfe in ihrer Lage sein - oder er war ihr nächstes Verderben.

Schnell schob sie den Gedanken beiseite. Sie wollte so nicht denken! Noch niemals hatte sie Gelegenheit gehabt, die Dinge in ihrem Leben selbst in die Hand zu nehmen. Alles, was man über ihren Kopf hinweg entschieden hatte, war ihr früher oder später zum Unglück geworden - und nichts davon hatte sie abwenden können!  Als sie damals Schottland verließen, ging sie mit ihrer Mutter mit, wie Kinder das tun. Ihr Vater bestimmte, dass sie zur Familie nach Montepulciano in die Toscana zogen und sie lernte, was Ablehnung und Ausgrenzung war. Dann entschieden ihre Eltern nach Rom zu ziehen und sie verlor ihre Mutter am Sumpffieber. Als ihr Vater sie gegen ihren Willen wieder in die Toscana zurück brachte und sie bei der Verwandtschaft ließ, um seine Reise zu unternehmen, war auch hier schon wieder ihr Schicksal durch andere Menschen bestimmt, die nur an ihre eigenen Interessen dachten. Und der Tod ihres Vaters setzte schließlich die neuesten Ereignisse in Gang, deren Folgen sie nun gerade durchlebte...

Nein, das hier musste nun etwas anderes werden! Weil sie es selbst entschied - selbst und allein und in ihrem eigenen Interesse, zum ersten Mal. Oh, es hatte auch etwas Gutes, von der Familie verraten und verlassen zu sein! Es brachte eine gewisse Freiheit. Nicht, dass sich diese bereits großartig und wunderbar in ihrem Leben bemerkbar machte ... aber diese Freiheit war eine Idee in ihrem Kopf, ein neues Gefühl, aufregend und belebend. Eines, das Hoffnung brachte. Ein Funke in ihrem Herzen. Vielleicht konnte es gelingen diesen Funken zu entfachen, ein Feuer zu entfesseln, eines, das wärmer, kraftvoller und heller war als die Dinge, die ihr bisheriges Leben ihr beschert hatte.

Caterina atmete tief durch. Das waren schwere Gedanken für eine so schöne Nacht! Gerade wollte sie fragen, ob dieser Weg am Ende ebenfalls in die Stadt führte, als Angelo sich zu ihr umwandte. "Es ist nicht mehr weit", sagte er. "Siehst du die Zypressen da vorne am Hang? Dahinter ist es schon."

Als sie näher kamen, bemerkte sie, dass der schmale Pfad sich weitete. Die Zypressen, von denen Angelo gesprochen hatte, säumten ihn auf der Seite, die zur Ebene lag. Es war dunkel geworden, seit sie unter den Bäumen liefen; die hohen Gewächse hielten das Licht des Mondes und der Sterne fern. Angelo zog sie an seine Seite, der Weg war nun breit genug, dass sie wieder nebeneinander gehen konnten. Still lauschte sie ihrem Atem, der im gleichen Rhythmus ging, ihren Schritten auf dem sandigen Weg. Sie hatte den Eindruck, als machte er extra kleinere Schritte, damit sie ohne Mühe neben ihm laufen konnte.

Sie sog den herben, dunklen Duft der Bäume ein und wagte es, ihre Hand etwas fester in seine zu schieben. Er sagte nichts. Er öffnete nur seinen Griff, um sie noch weiter hinein zu lassen, dann umschloss er ihre Hand wieder, fester und wärmer als zuvor. Ein eigenartiges Einverständnis herrschte zwischen ihnen. Wie seltsam fühlte es sich an, hier in der Dunkelheit der Nacht mit ihm zu gehen! So als sei dies die größte Selbstverständlichkeit der Welt. Als ob Zeit keine Rolle spielte. Als wenn sie einander ewig kannten und immer schon so miteinander gegangen waren.

Angelo führte sie schließlich an die Seite und blieb stehen. Es war so dunkel, wo sie anhielten, dass Caterina sein Gesicht nicht sehen konnte. Kaum nahm sie seinen Arm im Nachtschatten der Bäume wahr, als er nach vorne zeigte. "Wir sind da. Hier wohne ich."

Sie musste ihre Augen aufreißen und sich anstrengen, um zwischen zwei Zypressen, die zur Ebene hin standen, die Umrisse eines Hauses entdecken zu können. Das Dach zeichnete sich schwach gegen den Nachthimmel ab.

"Es ist sehr dunkel hier", flüsterte sie nervös. "Drinnen brennt kein Licht."

Sie hörte sein schalkhaftes Lächeln heraus, als er sich zu ihr herüber beugte und zurück flüsterte: "Nein, natürlich nicht. Meine Mutter schläft."

"Müssen wir sie aufwecken?"

Er lachte leise. "Möchtest du sie gerne begrüßen? Soll ich sie wecken?" In seinem Ton lag so viel Arglosigkeit, dass es Caterina verdächtig vorkam. Machte er etwa Witze mit ihr? Sie war müde und unsicher, und sie schämte sich für ihre Lage - ganz sicher wollte sie nun nicht mitten in der Nacht und in diesem Zustand ausgerechnet seiner Mutter begegnen!

"Nein", rief sie halblaut. "Auf keinen Fall!" Sie hoffte ihm damit ausreichend zu verstehen gegeben zu haben, wie unangenehm ihr die Sache war. Jetzt, wo sie vor dem Haus standen, klopfte ihr Herz wild. Umständlich zog sie ihren Novizenschleier und das Gewand zurecht, als wollte sie sich darunter verstecken.

"Keine Sorge", flüsterte er. "Ich kann morgen mit ihr reden. Wir wecken sie nicht. Aber wir müssen damit rechnen, dass sie uns von selbst bemerkt."

"Dann müssen wir so leise sein, dass das nicht passiert", wisperte Caterina zurück.

Er lachte wieder. "Hab keine Angst", sagte er und nahm wieder ihre Hand. Dann zog er sie zwischen die Bäume und dahinter durch ein schmales Tor, das sie gar nicht gesehen hatte.

Ende Teil 100




Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro