(15/2) Wolfspfade

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Die herbstliche Abendsonne ergoss sich rotgolden durch die hohen Fenster an der gegenüber liegenden Wand. Sie tauchte das Tischtuch vor ihm in warmes Licht. Man hatte ihn auf einen Stuhl nieder gedrückt und gesagt, er solle warten und sich still verhalten... Der Stuhl kippelte ein wenig. Der Steinboden schien uneben zu sein.

Ein Wächter stand ihm im Nacken. Sonst war er allein in dem großen Raum. Er war froh, dass der bewaffnete Mann nicht sein Gesicht sah; so konnte er die Augen hierhin und dorthin wenden, die wenigen Möbel und Gegenstände abtasten, Fenster und Tür auf ihre Beschaffenheit und etwaige Fluchtmöglichkeiten prüfen. Als er bemerkte, dass trotz der nahen Dämmerung keine Leuchter auf dem Tisch standen, lächelte er. Man konnte damit Schädel einschlagen. Alle Tyrannen dieser Welt hatten eine ängstliche Seite. Viele waren allein aus diesem Grund Tyrannen: Weil sie so viel Angst hatten.

Vorsichtig wagte er eine Drehung des Kopfes, um den karg eingerichteten Raum näher zu erfassen; sie sollte beiläufig wirken. Hinter den ungesicherten Fenstern gab es nichts als Himmel. Die Festung lag in beachtlicher Höhe, noch weit oberhalb der Bergstadt. Er musste damit rechnen, dass es an dieser Seite steil hinab ging. Nicht, dass er es gesehen hätte, als man ihn hierher brachte; er war bewusstlos gewesen. Man hatte ihm die Augen verbunden und ihn quer über eines der Pferde gelegt. Aber er erinnerte sich: Einige Male war er kurz zu sich gekommen. Und jedes Mal hatte er die heftige Steigung und die schwer arbeitende Muskulatur des Pferdes gespürt. Es musste eine ganze Weile bergauf gegangen sein. Und einmal, als der Weg in eine der vielen Kurven führte, hatten sich ihm unter der verrutschten Augenbinde hinweg schroff ansteigende, wild bewaldete Berge gezeigt.

Man hatte ihm seine Stiefel zurück gegeben. Er nahm es zur Kenntnis, aber er freute sich vorsichtshalber nicht darüber. Er wertete es nicht als positives Zeichen, das wäre naiv. Es konnte gut sein, dass man ihn lediglich in eine optimistische und vertrauensselige Stimmung versetzen wollte. Wahrscheinlich, um ihm zu entlocken, was man wissen wollte,  ihm aus etwaigen Eingeständnissen einen Strick zu drehen und ihm diesen dann um den Hals zu legen. Weder vertraute ihm der Kardinal tatsächlich so weit, dass er ihm die Schuhe ließ, noch konnte er selbst dem Inquisitor über den Weg trauen. Die Stiefel gehörten zum Programm.

Was er hatte erspüren können, als der Kardinal ihn berührte, sprach nicht davon, dass hier nach irgendwelchen ordentlichen Richtlinien oder sogar gutem menschlichem Urteil verfahren wurde. Im Gegenteil - dieser Mann roch nach dem Blut, das er vergoss. Und damit nicht genug: Er schien eine private Leidenschaft dafür zu hegen, genau das zu tun, was er vorhin ansatzweise an seinem Gesicht demonstriert hatte.

Es gab zwei Möglichkeiten für erste Schachzüge, überlegte er, während er von dem Platz, den man ihm am gedeckten Tisch zugewiesen hatte, die Tür im Auge behielt. Er konnte versuchen sich interessant zu machen - so interessant, dass man ihn für jetzt am Leben ließ und ihn auch gar nicht erst an das weltliche Gericht auslieferte. Der Kardinal fand offenbar eine Art Gefallen an ihm... Wenn er auch ahnte, dass dieses unguter Art war.

Er hatte genug Erfahrung mit diesen Dingen, um zu wissen: Das würde eine riskante Gratwanderung werden. Der Inquisitor hatte alle Macht in eigener Hand. Beinahe. Aber er hasste es, sich selbst einzusetzen, wenn er nicht zumindest einen Funken Sympathie für seinen Gegner empfinden konnte. Womöglich verlor er hier ein solches Spiel. Es brauchte ausgewogenere Bedingungen, um sich ausgerechnet damit aus einer Misere zu retten! Auch hatte er den leisen Verdacht, der Kardinal würde weitaus mehr an der Gewalt interessiert sein, mit der er sich an ihm abarbeiten würde, als an einem unversehrten Zustand. Nein, er durfte sich mit ihm nicht auf dieses Eis begeben.

Eine Alternative dazu wäre das genaue Gegenteil, wenn auch ebenso schwierig: Er machte sich unsichtbar. Unscheinbar, unwichtig. Damit man ihn als einen, der für die Inquisition nicht interessant war, auf die Reise zum nächsten weltlichen Gericht schickte. Nach allem, was er bisher gesehen hatte, wirkte die Festung Albornoz zu gut gesichert für einen Ausbruch. Es war kein Zufall, dass ein Kardinal-Inquisitor wie Vincenzo Grassi sich ausgerechnet hier niederließ. Aber wenn man einen Gefangenen von hier wegbringen musste, konnten sich Fluchtmöglichkeiten ergeben.

Je länger er darüber nachdachte, desto sicherer war er: Der zweite war der bessere Plan. Irgendwie musste er in Erfahrung bringen, ob in Narni auch über weltliche Verbrechen gerichtet wurde... Denn wo es gar keine Reise gab, waren Fluchtgelegenheiten rar. Dann konnte er schneller auf dem Richtplatz ankommen als ihm lieb war.

Er brauchte Wein, so oder so. Er musste schnell wieder ins Gleichgewicht kommen. Er hatte nur zur Verfügung, was er in seinem selbst gewählten, weniger vampirischen Zustand zum Einsatz bringen konnte - und das war, da er seit vier Tagen auf Trauben oder Wein verzichten musste, nicht in bester Form: Sinnestäuschung und Illusion, körperliche Kräfte, Schnelligkeit, das Lesen von Emotionen. Und auch heilende Energien - aber diese würde er hoffentlich nicht noch einmal brauchen, solange man ihn hier festhielt. Es war riskant sie einzusetzen, während man ihn im Blick hatte. Tastend hob er eine Hand an den Verband, der an seinem Hals angebracht war. Ein Medicus, der Kleidung nach ein Dominikaner, hatte seine Wunde versorgt.

Hinter ihm regte sich die Aufmerksamkeit des Wächters. Seit er eben die Hände zum Hals gehoben hatte, spürte er das Unbehagen des Mannes, hier mit ihm allein zu sein, noch deutlicher als zuvor. Warum war der Wachmann so ängstlich? Er hatte doch keine Waffe! Und sollten ihn nicht vier Männer bewachen? Aber vielleicht begleiteten die anderen seinen Gastgeber und diesen ominösen Zeugen hierher; offensichtlich fürchtete man weniger seinen Ausbruch aus diesem Raum als einen Angriff auf Vincenzo Grassi.

Noch überblickte er seine Lage nicht ganz. Aber eines war bereits deutlich geworden, der Kardinal neigte offenbar zu unberechenbarem Verhalten. Und mit dem, was seine Wächter taten, schien er ebenfalls wenig Probleme zu haben. Er musste sehr vorsichtig sein. Wenn er auch nur die geringste Abweichung  von Menschlichem zeigte, entlud sich der ganze Irrsinn der Inquisition an seinem Kopf und er wurde unmittelbar mit teuflischen und dämonischen Mächten in Verbindung gebracht. Der Kardinalpriester würde zu seinem Henker. Denn wenn man seinen Worten glauben konnte, erhielt er seine Macht und Autorität direkt von Rom.

Als ein vom Blut weitgehend entwöhnter Vampir, der nun auch noch von seiner so wichtigen Grundversorgung abgeschnitten war, war er zu schwach für eine gewaltvolle Befreiung aus dieser Festung. Trotz aller Erfahrung hatte er nicht bedacht, dass es einmal so schwierig werden könnte, unterwegs regelmäßig an Wein oder Weintrauben zu kommen.

Oh, er hatte einen Fehler begangen, als er sich entschied, zwei, drei Tage zu Fuß zu gehen und die Städte zu meiden! Er hatte Sehnsucht nach den Bergen und Wäldern Umbriens gehabt, nach den schattigen und einsamen Schluchten, den berauschenden Höhen. Den Wasserfällen. Er wollte Falken sehen.
Und noch viel mehr als das hatte er in den Umbrischen Wäldern zwischen Spoleto und Narni gesucht: Er war einem seltsamen Drang, einem Instinkt gefolgt, der ihn schon so oft rastlos über die verschlungenen Pfade geführt hatte. Einer feinen, unsichtbaren Silberspur war er nachgegangen, dünn wie der Faden einer Spinne, und doch klang er, wie die Saite einer Harfe, auf geheimnisvolle Weise nach Caterina, ihrer Stimme, ihrer Seele. Unzählige Male hatte es ihn verführt in die Wälder einzutauchen, die Sinne auf den Boden und die Felsen gerichtet, auf die dicht begrünten Höhen und in die dunklen Schluchten hinein.

Er schien so nahe bei ihr in solchen Tagen und Nächten, obwohl es doch ganz unmöglich war, denn niemals hatte sie diese Wälder betreten. Aber sie erzählten ihm von ihr, wisperten und raunten Geheimnisse, die er nicht entschlüsseln konnte. Seit Jahrhunderten ließ er sich immer wieder verführen, tauchte in die grüne Dämmerung der Wälder um Narni... und verlor sich jedes Mal aufs Neue. Die vertraute Energie war wie ausgelöscht, sobald er aus den Wäldern heraus war. Also kam er immer wieder her, folgte der singenden Spur wie ein Wolf, lief oder ritt über dieselben Pfade, an sonnigen und Nebeltagen, in schwülwarmen oder kälteklirrenden Nächten, zu allen Jahreszeiten. Und je näher er der Straße nach Rom kam, desto schwerer wurde jedes Mal sein Herz. Und er wusste nie, warum.

So war er ausgerechnet in dem Moment, in dem er in Schwierigkeiten geriet, bereits sehr ausgehungert gewesen. Und als man ihn gefangen nahm, war es klüger, sich nicht zur Wehr zu setzen, sondern abzuwarten.

Es war ihm bekannt, dass es die kleine Stadt Narni südwestlich von Terni gab, aber aus den dicht bewachsenen Tälern heraus war sie nicht zu sehen, da sie auf einem der höheren Berge lag. Durch das Gebiet um Spoleto, Terni und Narni hatte er stets die Wege genommen, die um die Berge herum und durch die wild begrünten Schluchten führten. Er kam wegen der Wälder her. Narni hatte ihn nie interessiert. Dass es oben jenseits der Stadt eine massive Festung gab, die einem unberechenbaren Kardinalpriester ermöglichte, die gesamte Provinz in der eisernen Zange der Inquisition zu halten, hatte er nicht geahnt. Ausgerechnet hier saß er nun seit heute Morgen fest. Die Situation war gefährlich.

Aber er hatte nicht nur Sorge um sich selbst. Bald würde über Venedig der Morgen anbrechen. Magnus schlief jetzt und wusste nicht, was geschah; er hätte ihm sagen sollen, dass er weg musste! Nun würde er es vielleicht nicht rechtzeitig bis zum Morgen zurück schaffen... Um reisen zu können, musste er sich hier noch einige Tage regenerieren, und dazu brauchte er die üblichen Mittel. Und Ruhe.

Wie konnte er seine Sicherheit nur so sehr vernachlässigen? Er machte sich große Vorwürfe. Wie fatal diese Situation war! Es war klar, dass er die Verbindung lösen musste. Er konnte ja nicht noch am Morgen unansprechbar im Gras sitzen und in die Ferne starren; Magnus würde damit nichts anzufangen wissen und mit seinem Zustand nicht zurecht kommen, wenn er ihn so fand.

Bis morgen wollte er sich Zeit lassen und sehen, was sich weiter ergab. Aber vielleicht konnte er heute noch flüchten, die Nacht bot sich an. Alles hing davon ab, ob er an Wein oder Trauben heran kommen konnte. Er musste sich präparieren, musste verhindern, dass er die Kontrolle verlor. Das wäre sein Ende, selbst wenn es Freiheit bedeutete! Es war unmöglich, ohne Hilfe aus diesem exzessiven Zustand wieder zurück zu finden. Er hatte sich seine Menschlichkeit so hart erkämpft, aber damals hatte er Hilfe gehabt. Diesmal gäbe es keine.

Seine Gedanken wurden durch das plötzliche Öffnen der Tür unterbrochen. Er stand auf und neigte ergeben den Kopf, während Vincenzo Grassi den Raum betrat, gefolgt von einem Mann in Reisekleidung. Es war besser, hier nun gute Miene zum bösen Spiel zu machen. Als Valerio aufsah und den Mann in Augenschein nehmen wollte, zuckte er innerlich zusammen. Er bemühte sich die Verwunderung und den Schreck zu verbergen, die ihn im selben Moment erfassten, als ihre Blicke einander begegneten.

"Ich brauche die Herren einander wohl nicht vorzustellen", begann der Kardinal. "Welch interessantes Wiedersehen, nicht wahr?" Er sah vom einen zum anderen. "Nehmt Platz an meinem Tisch und lasst uns beginnen, bevor ich vor Hunger sterbe."

Sein raubvogelartiger Blick huschte zu Valerio hinüber, während sein Gast sich auf der gegenüber liegenden Seite der Tafel niederließ und den Stuhl zurecht rückte. "Und danach werden wir hoffentlich einiges klären können", schloss Vincenzo und gab seinem Leibdiener ein Zeichen, worauf der Mann einen Krug von einem schmalen Tisch an der Wand nahm.

Ende Teil 135




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