(3/1) Der Traum

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Der Regen ergoss sich seit gut zwei Stunden aus einem bleiernen, tief hängenden Himmel. Er füllte die Lagune, die Kanäle und alle undichten Gemäuer der Stadt, ließ die Gondeln und Motorboote dort draußen an den Hauswänden höher und höher steigen. Er spülte die Touristen und die Einheimischen in die Unterkünfte und Häuser hinein, schwemmte die Stimmen der Menschen, der Tauben und Möwen hinweg und wusch die Gerüche nach Algen und Muscheln aus der Luft fort. Übrig blieb ein nasser Duft, schwer und rein. Ein sauberer, frischer Duft, der das Zimmer füllte und in jeden Winkel drang.

Er hatte die Balkontür weit offen gelassen. Im Dämmerlicht des Abends lag er auf dem Bett, die Arme und Beine weit von sich gestreckt. Die frische Luft und der leichte Wind, der durchs Zimmer strich, hatten seinen Kopf abgekühlt und die Kopfschmerzen verschwinden lassen. Als es zunehmend dunkler wurde, bewegte er sich nicht, um eine Lampe anzuschalten; das Rauschen des herab strömenden Regens hielt ihn in seinem schläfrigen, beinahe hypnotischen Zustand.
Er lag schon so lange still und vollkommen ohne Zeitgefühl da - vielleicht war er tatsächlich zwischendurch einige Momente lang eingeschlafen. Oder länger, er konnte es nicht sagen. Er wollte schlafen, aber er hatte sich vorgenommen, an diesem Abend noch mit Harald zu telefonieren; also behielt er die Augen auf ... und atmete tiefer. Und zwinkerte jedes Mal kräftig, wenn sie ihm versehentlich zufielen.

Der weiche Klang des stetig fallenden Regens hatte eine beruhigende Wirkung. Erst seit er heute Nachmittag hier hinauf gelangt war, konnte er tatsächlich zur Ruhe kommen. Seine Hände lagen entspannt auf der Bettdecke, die rechte hielt das Handy locker umfasst. Nur noch ein nächster Moment und Atemzug - und noch einer - dann würde er sich aufraffen. Vielleicht. Denn dazu musste er seinen tranceähnlichen Zustand beenden.

Schließlich gab er sich einen Ruck, bewegte seinen schweren, müden Körper nach links hinüber, legte das Handy auf der Kommode ab und stemmte sich mühsam zum Sitzen hoch. Er zog das T-Shirt über den Kopf und warf es auf den Boden. Dann strampelte er sich aus seiner Jeans heraus, warf sie daneben und ließ sich wieder zurück fallen. Er arbeitete sich unter die leichte Decke und zog sie bis unter das Kinn.
Der Pizzateller, auf dem zwei übrig gebliebene Stücke lagen, befand sich noch hinter ihm auf der Tagesdecke, aber er war zu müde, um sich umzudrehen und den Teller vom Bett zu nehmen. Im Liegen fischte er noch einmal nach dem Handy, stellte den Weckalarm mit zusammen gekniffenen Augen auf acht Uhr ein und schob es zurück auf die Kommode.

Er schloss die Augen. Der Regen rauschte.

Die Tür ... Er hatte die Balkontür offen gelassen.

Eine Sekunde lang überlegte er, noch einmal aufzustehen, aber dann entschied er, seinen Kopf nun nicht aus diesem angenehmen Dämmerzustand zu scheuchen, nur, um diese Tür zu schließen. Der Regen drang nicht ins Zimmer ein, er wollte ihn riechen und hören, wenn er einschlief. Auch gab es nichts, was er nicht auch morgen tun konnte, es kam auf eine weitere Nacht nun nicht mehr an. Harald konnte auf seinen Anruf warten.

Nicolo stand am blauen Tor und wartete auf ihn. Unter dem Arm hielt er einen großen braunen Umschlag. Die Röntgenbilder ... Sein Boot leuchtete weiß im Mondschein. Auf dem schwarzen Wasser hinter ihm schimmerte eine Bahn aus flüssigem Silber. Schnurgerade wie ein Pfeil durchmaß sie den Kanal und verlor sich in der Ferne. Boote kamen, Gondeln. Er hörte Lautenklänge, Reden und Lachen.
Ihre Gewänder leuchteten im Schein der Laternen, die sie bei sich hatten, burgunderrot, dunkelgolden, mitternachtsblau. Ihn durchströmte ein eigenartiges Gefühl, es war eine überwältigende, schmerzende Sehnsucht und Freude zugleich, ihn befiel eine Unruhe, Panik und der Impuls zu ihnen zu gelangen, sich ihnen zu erkennen zu geben, sie zum Anhalten zu bewegen.
Er konnte nicht hinüber, konnte nicht mitfahren, Nicolo stand zwischen ihm und dem Wasser. Der Arzt sah ihn an und schüttelte langsam den Kopf. Wie in Zeitlupe hob er den ausgestreckten Arm und zeigte auf die Gasse, die sich in Magnus' Rücken auftat. Was meinte er? Magnus wandte sich um und blickte auf das Schild, das sich an der rotfleckigen Wand befand:

RUGA VECCHIA.

Plötzlich hörte er eine Stimme, aber niemand war da.

Di dove sei, klang es in seinem Kopf und überall zwischen den dunklen Mauern. Eine unsagbare Trauer überfiel ihn und er weinte.

Di dove sei ... di dove sei?

Die Stimme war weich und vertraut. Er blickte in dunkle Augen, die er kannte wie seine eigenen.

Sono di Firenze, antwortete er in seinen Gedanken. Ich bin aus Florenz.

Er sah hinüber zum Wasser. Nicolo war verschwunden. Die Gondeln und die Menschen mit den prächtigen Gewändern, die Laternen und die Musik verloren sich weit hinten im Nebel.

Dann stand er in seinem Zimmer und blickte vom Bettende auf das Ölgemälde. Das Gesicht des Edelmannes hatte etwas, das ihm vorher nicht aufgefallen war. Er schien ihn aus dem Bild heraus direkt anzusehen, Vorwurf und Bitterkeit lagen in seiner Mine. Der Narr, der neben dem Mann im Boot saß, bewegte sich. Er griff nach seiner Maske und entblößte ein Gesicht, das seinem eigenen so sehr glich, dass er furchtbar erschrak. Der Narr, der sein Gesicht hatte, streckte den Arm nach ihm aus. Er öffnete die Hand, darin lag ein großer Schlüssel. Den Griff des Schlüssels, die Reite, bildete ein Löwenkopf.

Ein Duft von Ambra und Patchouli streifte seine Sinne und aus dem Augenwinkel sah er, wie sich der bodenlange Vorhang vor dem Balkon im Windzug bauschte.

Jemand stand neben ihm im Dunkeln.

Es war zu real für einen Traum, warnte etwas in seinem Bewusstsein. Dann spürte er, wie sich eine Hand auf sein Schlüsselbein legte.

Magnus riss die Augen auf, sein Herz schlug dumpf und schnell. Einen Moment und noch einen zweiten brauchte er, um sich zu orientieren. Die Zeit raste und hielt zugleich den Atem an, mühsam, wie eine gewaltige Maschinerie, kam sie wieder in Gang und ging als krampfartiger Schmerz durch seinen Körper hindurch. Er lag nicht im Bett! Barfuß und mit kalten Händen und Füßen stand er in der Dunkelheit seines Zimmers, seine Hände umkrallten das Bettende.

Rechts neben ihm bauschte sich der Vorhang im Nachtwind. Er dachte nicht nach, er reagierte reflexartig. Mit wenigen Schritten war er an der Balkontür. Er riss den Vorhang aus dem Weg, schlug mit dem anderen Arm die Tür zu, verriegelte sie, ließ den Stoff davor fallen und hechtete ins Bett. Laken und Decke waren eiskalt. Lange wurde ihm nicht warm, während er dort lag und in die Dunkelheit lauschte.

Ende Teil 18


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