62 - Nathan - Ich erkenne meinen Bruder.

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Es ist totenstill, als sich Miguels Bruder mit Aleyna nähert. Er trägt ihren deutlich geschwächten Körper bis zu Miguel, bei dem er kurz stehen bleibt. „Was ist?", fragt dieser seinen Bruder, und Kaden seufzt. „Wir haben ein kleines Problem." Keanen runzelt gleichzeitig mit Miguel die Stirn, und tritt näher an die beiden heran. „Was ist?", fragt er Kaden kühl, welcher zu ihm aufsieht.

„Unsere Männer haben sich nicht strikt an eine gewisse Abmachung gehalten. Es ging darum, Aleyna nicht mehr als eben nötig zu verletzen." Es ist, als hätte man mir mit der Faust ins Gesicht geschlagen, als ich diese Worte aus Kadens Mund höre. Aleyna wurde verletzt, obwohl das nicht hätte passieren dürfen. Sie hat gelitten. „Was genau ist passiert?", zischt Miguel, und ich kann deutlich die unterdrückte Wut in ihm hören.

Kaden übergibt mir Aleyna, welche sich sofort wie eine ertrinkende an mich klammert. Ich sehe in ihren halb geöffneten Augen, dass sie viel Leid ertragen musste, und könnte mich dafür schlagen, dass ich nicht auf sie aufpassen konnte. Das hätte niemals passieren dürfen. Kaden holt tief Luft, ehe er sich räuspert. „Sie wurde gebrandmarkt."

Noch bevor jemand reagieren kann, flitzt Ethan an mir, Keanen und Miguel vorbei, packt Kaden am Kragen und drückt ihn gegen das nächstbeste Auto. „Sag das nochmal", presst er hervor, und überrumpelt sieht Keanen zu Ethan. „Sie wurde gebrandmarkt", wiederholt Kaden ruhig, und macht auch keine Anstalten, sich zu wehren. „Wie konnte das passieren, huh? Wie konnte das verdammt nochmal passieren? Habt ihr eure Leute nicht genug im Griff, um sowas zu verhindern? Seid ihr wirklich zu dumm für sowas?"

Ethans Stimme wird immer wie lauter, und Keanen geht langsam zu ihm. „Ethan, lass ihn los", sagt er ruhig, und legt eine Hand auf Ethans Schulter. Dieser jedoch schüttelt diese sofort ab, und wirft Kea einen bösen Blick zu. „Meine Schwester wurde verletzt", keucht er äußerst aufgewühlt, und beißt den Kiefer zusammen, atmet kurz durch, ehe er weiterspricht. „Und da soll ich einfach ruhig bleiben?"

Keanen schüttelt den Kopf, und fährt sich durch die Haare. „Nein, Ethan, natürlich sollst du das nicht. Aber das hier ist nicht der richtige Weg, um das zu regeln. Er ist nicht derjenige, der Aleyna gebrandmarkt hat. Er wurde selbst hintergangen. Du kannst ihn ruhig dafür anschreien, dass er Aleyna und Ray entführt hat, dabei würde ich dir sogar helfen. Doch er ist nicht derjenige, der deine Schwester verletzt hat." Kaden sieht emotionslos zu Keanen, ehe er wieder Ethan ansieht.

„Der Typ wurde schon bestraft, und wird später nochmals eine Strafe bekommen. Und jetzt lass mich gehen." Mühelos stößt Kaden Ethan von sich, reibt sich über sein Shirt, und geht zu seinem Bruder zurück, der aufgeregt telefoniert. Anscheinend wohl mit demjenigen, der für Aleyna's Verletzung verantwortlich ist. Er beendet das Telefonat, und wendet sich Keanen zu. „Ich entschuldige mich für die Brandmarkung. Das war – wie Kaden schon gesagt hat – nicht etwas, was wir wollten."

Keanen nickt nur, und sieht Miguel kalt an. „Nehmt jetzt die Kette und haut ab", murrt er nur, und Ethan wirft die Kette mit dem Anhänger zu Miguel rüber. Dieser fängt sie, und pfeift seine Männer mit einem letzten Blick zu uns rüber zusammen. Auch wir ziehen uns zurück zu unseren Autos, wobei ich meinen Blick kaum von Aleyna löse. Sie sieht völlig fertig aus, gebrochen. Ich möchte ehrlich gesagt gar nicht so genau wissen, was sie alles erleben musste, bis sie überhaupt verraten hat, wer die Kette hat.

Ich kenne Aleyna's Dickschädel, und kann mir vorstellen, dass sie sicherlich mehrere Stunden gefoltert wurde. Sie zittert am ganzen Körper, und überall an ihren Kleidern kleben Blut und Dreck. Unter ihrem Ärmel lugt leicht ein weißer Verband hervor, der ziemlich frisch aussieht, weshalb ich stark davon ausgehe, dass sie dort gebrandmarkt wurde. Nur mit Mühe wende ich meinen Blick von dem Verband ab, und nicke Caine dankend zu, welcher mir die Türe aufhält. Zusammen mit Aleyna setze ich mich auf die Rückbank, und lege ihren Kopf auf meinen Schoss.

„Bequem so?", frage ich sie leise, und als ich ein leichtes Nicken als Antwort erhalte, schlucke ich trocken. Nicht mal mehr zum Sprechen hat sie genug Kraft. Caine schaltet sofort die Heizung ein, sobald er hinter dem Steuer Platz genommen hat, und ich lege meine Jacke über Aleyna, die sich zu einer Kugel zusammengerollt hat. Vorsichtig fahre ich mit den Fingern leicht durch ihre Haare und massiere Aleyna's Schläfe leicht, in der Hoffnung, es würde sie irgendwie beruhigen.

Ihr Gesicht ist geprägt von getrockneten Tränen, die sich in Form von verlaufenem Make-Up zeigen. Dunkle Augenringe zeichnen sich unter ihren sonst so hellen, fröhlichen Augen ab, die jetzt auch nur noch einer matten Scheibe gleichen. „Wo ist Ethan?", frage ich Caine, der das Auto mittlerweile schon auf den Highway lenkt. „Er fährt mit Keanen mit. Es ist besser, wenn Aleyna zuerst medizinisch versorgt wird, bevor er zu ihr kann. Er würde ihren Anblick jetzt nicht ertragen, und völlig ausflippen. Das müssen wir verhindern, denn es könnte nicht nur ihn gefährden."

Ich nicke bloss, und schaue aus dem Fenster raus. Die Sterne leuchten noch immer so hell wie vorhin, und keine Wolke ist zu sehen. Die Lichter von Los Angeles ziehen an uns vorbei, während wir auf schnellstem Wege zum Krankenhaus fahren. Wir sind uns dem Risiko aufzufliegen bewusst, denn eine Entführung kann man nicht mehr vertuschen. Aleyna werden Fragen gestellt werden, denen sie nicht ausweichen kann, und wir haben keine Zeit, um mit einer handfesten Theorie aufzukommen.

Es ist ein reines Glücksspiel, was wir hier spielen, doch Aleyna muss versorgt werden.

Das hat jetzt erste Priorität für uns. Und vielleicht schaffen wir es, dass Aleyna den Fragen lange genug ausweichen kann, um uns somit Zeit zu verschaffen. Zeit, in der wir Ray finden, und Miguel mitsamt seinen unzuverlässigen Leuten umlegen können, und ihren Boss direkt hinterher. Doch dazu muss Aleyna zuerst zustimmen, und ich könnte mir gut vorstellen, dass sie nach all den Erlebnissen nicht mehr bereit dazu ist. Und ich könnte sie sogar verstehen.

Durch uns ist sie in so einige wirklich gefährliche Situationen geraten, um genau zu sein hat sich ihr Leben komplett geändert. Ihr Vater wird für sie nie mehr das sein, was er mal war, sie wird sich nie mehr nur an den liebenden Vater erinnern. Da wird immer ein Teil in ihrem Kopf sein, der ihr sagt, dass er ein krimineller war. Dass sein Sohn, ihr Bruder, sein Werk fortsetzen wird. Dass sogar ihre engsten Freunde alle mit in diesen kriminellen Angelegenheiten hängen, außer Ava.

Es ist unsere Schuld, dass Aleyna all das erleben muss.

Und das bringt mich so ziemlich um den Verstand.

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„Wir sind da." Caine parkiert vor dem Eingang der Notaufnahme, und schnell steige ich mit Aleyna aus. Mittlerweile ist es das dritte Mal, dass ich mit ihr hier reinspaziere, und ich hoffe inständig, dass es auch das letzte Mal sein wird. Aleyna hat in den letzten Monaten wirklich genug Verletzungen über sich ergehen lassen müssen, es reicht.

„Nate", flüstert Aleyna kurz bevor wir die Eingangstüre erreichen, und ich bleibe stehen. Al hat ihre Augen ganz leicht geöffnet, und sieht mich an. „Ja?", erwidere ich, und schaue Aleyna ebenfalls in die Augen. „Ich habe Angst", flüstert diese mit zitternder Stimme, und ich schlucke hart. Wie soll ich ihr denn eine Angst nehmen, die mehr als nur berechtigt ist?

Eine Träne rollt von Aleyna's Wange und tropft auf den Asphalt unter uns, während ich nicht weiss, was ich sagen soll. „Ich bin bei dir", antworte ich irgendwann nur leise, und lächle gequält. „Ich bin hier, und zusammen stehen wir das durch. Du bist eine Kämpferin, schon vergessen?" Aleyna lächelt ebenfalls leicht, ehe sie die Augen wieder schließt. Ich betrete das Krankenhaus, und wie jedes Mal kommt sofort jemand auf uns zugeeilt, und nur wenig später wird Aleyna weggebracht. Wie immer.

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„Ich fass das einfach nicht", murmelt Ethan zum sicher hundertsten Mal vor sich hin, und schüttelt dabei ratlos den Kopf. „Wie konnte sich unser Leben so verdammt schnell ändern? Wie konnte das alles in so kurzer Zeit passieren? Und wieso muss es immer Aleyna sein, die verletzt wird? Ausgerechnet sie hat es am wenigsten verdient, verdammt. Sie ist der liebste Mensch den ich kenne, sie ist meine Zwillingsschwester. So viele Dinge sind schon passiert, sie hat genug erlebt. Es reicht doch auch mal."

Ich lege Ethan eine Hand auf die Schulter, während seine Verzweiflung sich wieder zuspitzt. Ich weiss nicht, was ich ihm sagen soll, was ich tun soll, damit er sich beruhigen kann. Ich kann mich selbst nicht mal beruhigen. Noch dazu ist mein Bruder noch immer bei den Typen, die ihm wohl weiss nicht was alles antun würden, und nebenbei braucht er dringend seine Medikamente. Auch er hat es am wenigsten verdient so behandelt zu werden.

Doch scheinbar trifft es immer die schwächsten im Team, und zum ersten Mal in meinem Leben würde ich alles dafür geben, mit Aleyna oder Ray tauschen zu können. Um ihnen all das zu ersparen.

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Seit Stunden sitze ich an Aleyna's Bett und warte darauf, dass sie endlich erwacht. Zum Glück ist alles nicht ganz so schlimm, wie es aussah, doch trotzdem schwebt Aleyna noch nicht ganz außer Gefahr. Zwar nicht mehr lebensgefährlich, doch trotzdem noch gefährlich. Was ich aus den Ärzten herausbekommen konnte war, dass sich ihre erst gerade frisch genähte Naht entzündet hat, und Al knapp einer Blutvergiftung entgehen konnte.

Ihre Verbrennung wurde soweit es den Ärzten nun mal möglich war verarztet, und wir alle hoffen darauf, dass die Narbe nicht allzu groß wird. Man wird sie immer sehen können, das ist klar, doch ich hoffe trotzdem, dass sie sich noch in Grenzen hält. Ich weiss leider nur zu gut wie es sich anfühlt, eine Erinnerung für sein Leben lang mit sich tragen zu müssen, und ihr somit nicht mehr entgehen zu können. Sie immer sehen zu müssen, immer an diesen Moment denken zu müssen.

Automatisch lege ich meine Hand leicht auf meinen Bauch, wo sich unter dem Stoff meines Shirts leicht eine Wölbung abzeichnet. Ich habe so einige Narben, doch das hier wird die einzige sein, mit der ich mich nie anfreunden, oder wenigstens abfinden werde. Sie wird sich immer falsch anfühlen, fremd. Nicht wie ein Teil von mir, auch wenn sie genau das ist. Noch so viel mehr, eigentlich.

Ich schrecke leicht auf, als sich die Hand, welche ich fest umklammert halte, bewegt, und Aleyna kurz darauf die Augen einen Spalt breit öffnet. Verwirrt blinzelt sie gegen das Licht im Raum an, und blick sich eine Weile um. Dann bleibt ihr Blick an mir hängen, und ein Lächeln schleicht sich auf ihre Lippen. Ein Lächeln, welches mich wieder mal umhaut, und ich nur erwidern kann. Alles andere würde sich so verdammt falsch anfühlen.

„Hey", murmle ich, und streiche Aleyna resigniert ein paar Strähnen aus dem Gesicht. „Hey", murmelt sie ebenfalls, und räuspert sich kurz. Sofort reiche ich ihr den Becher mit Wasser, welcher schon von einer Krankenschwester bereitgestellt wurde, und halte ihn Aleyna hin. Mit meiner Hilfe richtet sie sich leicht auf und trinkt ein paar Schlucke, ehe sie sich wieder zurücklehnt. „Wie geht's mir?", fragt sie mich, und ich schmunzle leicht.

„Besser als wir anfangs dachten", fange ich an, und umschließe Aleyna's Hand nun mit beiden Händen. „Du bist knapp einer Blutvergiftung entgangen, und deine Verbrennung ist auch gut verharztet. Es besteht keine akute Lebensgefahr mehr, doch es wird eine Weile dauern, bis du wieder ganz auf den Beinen bist." Aleyna nickt, und sieht sich diesmal etwas genauer im Raum um. „Und wie fühlst du dich?" Aleyna zuckt mit den Schultern, und senkt den Blick leicht.

„Ich weiss nicht. Mir gehen so viele Dinge gleichzeitig durch den Kopf, dass ich gar nicht weiss, was ich jetzt denken soll. Aber eine Frage habe ich." Ich horche auf, und schaue Aleyna fragend an. Diese fährt sich kurz durch ihre Haare, welche immer noch blaue Spitzen haben, und beißt sich kurz auf die Lippe. „Wieso hast du mich gerettet, und nicht Ray? Immerhin ist er dein Bruder."

Eine Weile sage ich nichts, und halte den Blick auf unsere verschränkten Hände gerichtet. Dann springe ich über meinen Schatten. „Weil es nicht Ray ist, den sie mir auf den Videoaufnahmen gezeigt haben. Ich erkenne meinen Bruder, und das war er nicht. Sie wollten uns hintergehen."

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Hättet ihr damit gerechnet?

- Xo, Zebisthoughts

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