5 ▪ Green Day und Flausen

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Während ich einen Vortrag über afrikanische Häkelkunst, Beschwörungen und Fledermäuse als Opfergaben über mich ergehen ließ, kamen wir langsam, aber sicher vom Kurs ab. Das ist keine Metapher.

Wo wir in Wirklichkeit rechts hätten einbiegen müssen, lotste ich Bailey weiter gerade aus. Wenn Madisons Beschreibung verlangte, eine andere Abzweigung einzuschlagen, überhäufte ich die Puppe dreist mit neuen Fragen, damit sie es nicht bemerkte. So auch, als wir statt durch ein Wohnviertel zu laufen im Schutz der sich außerhalb säumenden Laubbäume blieben. Dank mir musste niemand einen Spaziergang oder Aufenthalt im Garten unterbrechen. Plappernde Voodoopuppe verdarben einem schneller die Lust darauf, als man empathielos oder lästige Angewohnheiten sagen konnte, da sprach ich aus eigener Erfahrung.

Bailey war zu beschäftigt mit einer Geschichte darüber, wie er als Teenager mal auf eBay geraten war und dort einen engen Kumpel kennengelernt hatte, um das zu hinterfragen. Unauffällig trieb ich sie weiter zu einer gewissen Böschung, die an einer anderen Ecke der Hügelkette lag, welche wir durchquerten.
Jede Zelle in mir war mit Anspannung gefüllt, doch ich schaffte es, mir nichts anmerken zu lassen. Ich zitterte natürlich nur, weil das Kostüm nicht dick genug war.

Aber auch jemand wie Bailey blieb nicht auf ewig ahnungslos. Als wir den Edgehill Way durchkreuzten, der sich in der entgegensetzten Richtung von Mount Davidson erstreckte, stellte er das Summen von Shadow On The Wall ein. Bailey beäugte irritiert die Eukalyptusbäume, wie ein Tourist, der so viele mit Filtern veredelte Fotos geknipst hatte, dass ihm die Attraktionen außerhalb der Kamera befremdlich vorkamen. ,,Moment, wo sind wir?"

Vor uns schlängelte sich eine von Grundstücken umkränzte Straße durch die unebene Landschaft. Ich war nicht umsonst stets an steilen Abhängen entlang gelaufen, denn Vorsorge für den Notfall machte sich gut.

Mein Puls pochte gegen meinen Adamsapfel und ich tischte die nächste astreine Lüge auf: ,,Als ich noch lebendig war, hatte ich in der Nähe einen Lieblingsort. Ich wollte den kurz besuchen, weißt du? Für die Melancholie".
,,Oh, du hast hier gewohnt? Cool!", jauchzte Bailey und starrte den Eukalyptus jetzt bewundernd an. ,,Zeigst du mir diesen Ort?"
,,Äh, sicher", sagte ich und lugte auf die Halde neben uns. Die Härchen auf meinen Armen sträubten sich wie das gelbe Gras unter meinen klitschnassen, pelzigen Schuhen. Miguel würde mich jetzt damit aufziehen, dass ich auf einen Rückzieher aus war. Tatsachen waren erbarmungslos.

,,Es geht da hinunter", sagte ich. Baileys Neugier ließ sie mein Beispiel nachahmen und so nah an die Halde heran treten, dass es eine Prise Erde darauf regnete. Er beugte sich mit einem ,,Wow!" darüber und die Stecknadeln klimperten beim Zusammenstoßen wie ein Windspiel, das von einem Kleinkind mit schrillen Textmarkern bemalt worden war. Lästereien über Teilnehmer von Quiz-Shows, Politik und die Simplizität von Jugendlichen gebaren die Phrase Dummheit sollte weh tun, aber galt das für naives Abenteuerlust auch?

Bailey blubberte etwas vor sich hin, bis er mir seinen Entschluss mitteilte. ,,Das Rikiso gehe ich ein. Maddie wird mir diesen Abstecher nicht verübeln. Sie würde mir nie etwas verübeln". Er reckte die Brust nach vorn wie ein gesättigter Spatz.
,,Supi, dass du dabei bist", nuschelte ich. ,,Die Gegend ist voll von Tälern und Wald. Ich mag so was". Ich brachte ein Lächeln zustande, das so wackelig war wie Bailey auf den wulstigen Füßchen. Ein bedauerlicher Rest von mir war noch erpicht darauf, dass der Groschen bei ihm fiel.

,,Schön, dass wir eine Gemeinsamkeit haben". Bailey wippte auf und ab wie ein Kleinkind, das von dem Warten auf sein Weihnachtsgeschenk ganz hibbelig war. Warum erinnerte sie mich von oben bis unten an ein solches? Ich mochte keine Kleinkinder treten. ,,Bringst du mich jetzt zu diesem Ort?", fragte er.
Und charismatisch, wie ich war, entgegnete ich: ,,Nein".

Die Spitze meines Pantoffels traf auf seinen Bauch und drückte eine Formation an kunterbunten Stecknadeln bis zum Anschlag hinein. Bailey wurde davon geschleudert wie ein Flummi, und das sah überhaupt nicht ulkig aus. Sie segelte fiepend sieben Meter nach unten, mit offenen Armen vom Abhang empfangen.
Ich fühlte mich wie ein Tier, das seit seiner Geburt in Gefangenschaft vor sich hin vegetiert hatte. Jetzt waren endlich die Ketten von mir gelöst, und die Freiheit übermannte mich mit Überwältigung und Erleichterung zugleich.

Mit in die Höhe schießendem Adrenalinspiegel machte ich mich auf den verbleibenden Weg zur Villa meiner Abuelos. Ich war in die Achterbahn gestiegen. Es gab kein Zurück mehr.

Ich rannte den zum Zickzack gekrümmten Edgehill Way hinunter, in dessen abgelegenem Waldgebiet ich größtenteils vor verblüfften Blicken geschützt war. (Ich konnte die Einwohner bei meinen Klamotten nicht verurteilen.)
Dem war nicht mehr so, als ich in den inneren Kreis der Stadt gelangte, wo sich sternenförmige Kreuzungen an Einfamilienhäuser und gepflegte Hecken schmiegten.

Meine Lunge brannte schon jetzt wie Kalifornien und der Amazonas zusammen. Es wäre rettend gewesen, hätte ich die winterliche Kälte zu einem Saft pressen und mich an diesem erquicken können. Blöd gelaufen. Ich musste mich damit abfinden, dass meine einzige magische Fähigkeit darin bestand, meine billige Kürbis-Halskette per Knopfdruck zum Leuchten zu bringen. Oder spontan meinen Gastgeber einen Hang hinunter zu kicken.
Ich saugte an meiner Zunge, um die Flüche über mich selbst im Zaum zu halten.

Ich überflog die Straßenschilder und stürzte mich in die nächstbeste Kreuzung. Die Abkürzung hatte ich bereits eingeplant.

Der gewohnte Trubel wogte in den Straßen und Geschäften, je näher ich San Franciscos Zentrum kam. Hier und da Pärchen, die sich die Zungen in den Hals schoben oder erotisch zwinkernd Pralinenschachteln überreichten. Da ich mit einem ideenreichen Köpfchen auf die Welt gekommen war, musste ich mir von allerlei selbstkreierten Konversationen den Magen verderben lassen: ,,Oh, hier draußen friert es mich, aber du, Martina, bist so heiß... so heiß wie... ach, braucht man zum Anmachen poetische Vergleiche?"
Mein böses Oberstübchen war ohne Frage schmalziger als meine Gehörgänge.

Und obwohl ich es mir nicht leisten konnte, langsamer zu werden oder noch an meiner Entscheidung herumzubasteln, pendelte mein Gewissen permanent hin und her.

Bailey hatte die ganze Wanderung über Lieder aus den 90ern und 2000ern geplärrt, was ihre Vorlesung über Voodoo-Kultur nicht verständlicher gemacht hatte. Wäre nicht dieses ständige Bewusstsein von Gefahr gewesen, hätte ich sie mit meiner engelsgleichen Stimme bei der Hitparade unterstützt. Wie ich so durch verwahrloste Gassen und über zugeparkte Bürgersteige preschte, fehlten mir die Melodie von Boulevard Of Broken Dreams und Living Dead Girl fast, wovon Zweites Madison gewidmet gewesen war. Nun, in einem Graben oder Gebüsch des Edgehill Way, war für Bailey höchstens 21 Guns angebracht.

Ich sollte nicht so negativ denken. Es war eine Überwindung gewesen, Bailey über die Kante zu befördern, und ich hatte gehofft, mich nicht dazu aufraffen zu müssen. Wieso eigentlich? Meinen ganzen Besuch über war es mein innigstes Verlangen gewesen, mir meine improvisorischen Teammitglieder vom Hals zu schaffen. Als es dann so weit war, hätte ich mich fast hinterhergeschmissen.

Dabei war mir abseits von Wünsch-dir-was längst klar gewesen, dass sich auch Baileys vertrauensvolle Natur nicht für immer an der Nase herumführen ließ.
Spätestens, wenn das Amulett in der Vitrine vor ihr schlummerte, wäre Bailey misstrauisch geworden und hätte mich nicht so leicht mit einem Ich wäre dann fertig hier, bye abdüsen lassen. Hätte er Gnade gezeigt? Konnte Bailey austicken, ihr eine gesellige Fassade entgleiten, wenn sich Verrat und Diebstahl offenbarten? Gab es bei ihr überhaupt eine Fassade, die Boshaftes verschleierte?

Dass Bailey Schadenfreude und Hass im Herzen trüge, kam mir so falsch vor wie mein knalliger Anzug inmitten der Gespenster-Lobby. Aber bei dem, was er vorhatte und woran er Vergnügen fand, konnte es nicht anders sein.

Vor der Mutprobe hatte mich ähnliche Gehemmtheit geplagt und mein Bruder meinte daraufhin skrupellos, dass Gewissensbisse ein Magnet für Feigheit seien. Als Miguels Worte in mein Gedächtnis hüpften, wäre ich fast gegen eine Straßenlaterne gelaufen. Ich schlug einen Haken in die Allee rechts von mir, um die Zweifel abzuschütteln.

Denn der Glaube, dass ich recht behielt, war das Einzige, woran ich mich zu klammern wagte. Ob Bailey mich in eine Fledermaus verwandelt hätte oder nicht: Es ging darum, das Richtige zu tun und auf Biegen und Brechen eine totale Sonnenfinsternis hinauszuzögern.
Also hatte ich den Durchbruch machen und das redselige Wesen ohne subtilen Hinterhalt ausschalten müssen. Mir blieb nur übrig, darauf zu vertrauen, dass Madison keinen Schmarrn erzählt hatte und Bailey sich nichts brechen konnte. Ernsthaft. Mir darüber Sorgen zu machen, musste das Mindeste sein nach all seinen Verlockungen, Green Day und Rob Zombie mitzugrölen.

Aus einer Haustür trat eine Frau höheren Alters, die einen strengen Dutt mit geblümtem Rock und grauer Nadelstreifen-Bluse kombiniert hatte. So eine, die sich darüber echauffierte, dass die Knödel farblich nicht zum Gemüse passten.
Als ich an ihr vorbeibrauste, zog sie sich die Brille bis zur Nasenspitze, als könnte der Hippie, welcher ein Peace-Zeichen zeigend an ihr vorüberstürmte, ein verschmierter Fleck auf dem Glas sein. Ihr verwirrtes Schmunzeln brachte mich gedanklich zu der Person, welche sich noch mehr über mein Kostüm lustig gemacht hatte als Miguel. Madison.

Unweigerlich drifteten meine Gedanken zu diesem wilden Mädchen ab. Trotz ihrer krassen Gesichtsverletzung und beängstigenden Stimmungsschwankungen war sie der Part des verrückten Trios, welcher mir am greifbarsten erschien. Vielleicht gerade wegen der Stimmungsschwankungen, denn anders als Bailey oder Adriane schwärmte sie nicht mit einem Zuckerwattenlächeln davon, wie sie Angst und Schrecken verbreitete.

Ich wollte nicht behaupten, dass ich plötzlich in einen Strudel aus Empathie gespült wurde, aber ich versuchte zu begreifen, wie es war, als jemand in meinem Alter durch die Welt zu spuken.

Baileys Knäuel eines Gehirns hatte sich den Weg nicht gemerkt, er kannte sich hier nicht aus und humpelte gerade bestimmt orientierungslos durch Wiesen und Sträucher. Derweil krallte ich mir das Amulett. Besonders Señora Ludwig mutete ich Besorgnis zu, wenn wir nicht auf dem Mount Davidson auftauchten. Dadurch war es mir mit sehr viel Glück möglich, das meteorologische Desaster zu verspäten, und wenn die Nacht ihnen zuvorkam, sogar zu vereiteln.
Und dann würde ich es allen Dreien nehmen, diesen heiligen Spaß zu haben, den man mir gepredigt hatte wie ein Heilmittel gegen Krebs. Spöttische, dreckige Freude, die einen daran erinnerte, was sie einst gewesen war.

Ich ließ alle Zweifel und Reue auf mein Gehirn einprasseln, und sie sickerten darin ein wie Sahne in Kaffee. Verachtung, die sich in mir festbiss. Irrsinn, der mich einfach nicht verlassen wollte.

Ich erhaschte einen Blick auf das jadegrüne Straßenschild, an welchem ich vorbeischlitterte. Das, wofür ich mit keuchendem Atem kämpfte, war jetzt zum Greifen nahe, und dennoch... Mit jedem Meter, den ich zurücklegte, wucherte der Zwiespalt stärker in mir. Weil Randale und Trotz das einzige waren, das einem nach dem Abkratzen blieb. Weil Madison niemals über etwas anderes würde kichern können als das, was ich ihr ruinierte.
Für solche Flausen benötigte es dringend einen Hebel zum Abschalten wie bei Plastik-Halsketten.

Am Ende der Allee kam ein vertrautes Haus in Sicht. Bei Tageslicht waren seine Fassade und die Rosensträucher davor ein verworrenes Muster aus Weiß, jetzt ließen Mondlicht und Straßenlaternen das Gebäude zur idealen Kulisse einer schnulzigen Romanze mutieren.

Mein Herzschlag ging schneller als meine Schritte. Ich spornte mich mit der Nostalgie meines gewöhnlichen Lebens an, schrieb in Gedanken Hymnen über den unübertrefflichen Genuss der Sandwiches aus den Restaurants, an denen ich vorbeirannte. Ich ersinnte mir, wie ich unter der Dusche Karaoke schmetterte oder mich nach einem Schultag mit einer Partie Plants vs. Zombies vergnügte, ohne die Zombies dabei als schräge Allegorie wahrzunehmen. Ich dachte an jeglichen anderen normalen Moment, den ich wiederhaben könnte, wenn ich es bis dorthin schaffte. Zu der Villa meiner Großeltern.

Und das, obwohl ich nicht verdrängte, dass ,,Alles wird glatt laufen und bald wieder normal sein" eine unrealistisch hohe Erwartung war.

Warum musste eine Reise in die Zukunft auch solch ein Dilemma mit sich ziehen?

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