16 | T O M

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»Das kann nicht dein Ernst sein!« Ich weiß nicht, ob Emma der Anblick des Zeltes schockt oder die Aussicht darauf, dass sie überhaupt die Nacht hier verbringen muss.

Mit mir.

Offen gestanden bin ich mir ja selbst nicht mehr sicher, ob das so eine tolle Idee war. Ihre weit aufgerissenen Augen signalisieren mir jedenfalls nichts Gutes. Ich hätte mich doch für eines der Hotels entscheiden sollen. Dann könnten wir jetzt getrennte Wege gehen und die Tür hinter uns zuziehen.

Doch jetzt ist es eindeutig zu spät für diesen glorreichen Einfall und wir müssen einfach das Beste draus machen. Zumal ich sowieso nicht vorhatte, mit ihr in diesem Zelt zu schlafen. Selbst wenn ich ein Auge zubekommen würde, müsste ich damit rechnen, spätestens in ein paar Stunden wieder aus dem Schlaf gerissen zu werden. Ich sehe jetzt schon ihr Gesicht vor mir, wenn sie davon geweckt würde.

Nein. Das brauche ich echt nicht.

Um ein Grinsen bemüht zucke ich mit den Schultern. »Sorry, aber das Hilton war leider schon ausgebucht, Mylady.«

Obwohl sie eben noch wie ein Häufchen Elend vor mir gestanden hat, tötet sie mich jetzt mit ihrem Blick. Innerlich atme ich auf. Da ist sie wieder. Meine kleine Kratzbürste. Mit einem demonstrativen Pfeifen fange ich an, das Zelt aufzuschlagen, und warte nur darauf, dass sie Widerspruch einlegt.

In drei, zwei, eins ...

»Hier gibt es sicherlich wilde Tiere.« Ihrem Blick nach zu urteilen befinden wir uns in einem tiefen Urwald. Dabei ist das hier ein stinknormaler Campingplatz. »Wölfe und ... Bären«, zählt sie auf und bringt mich damit zum Schmunzeln.

»Das ist nicht witzig!« Emma stemmt die Hände in die Hüften. Der verräterische Glanz in ihren Augen spricht eine andere Sprache.

Ich möchte nicht, dass es ihr schlecht geht und beschließe daher, das Spiel zu beenden. Vorsichtig, weil ich ihre Reaktion noch genau vor mir habe, gehe ich auf sie zu. »Du brauchst keine Angst zu haben.« Mit einer ausladenden Handbewegung deute ich zu der Wiese, auf der weitere Besucher ihr Nachtlager aufschlagen. Ein junger Mann mit seinem Sohn ist auch unter ihnen. Wahrscheinlich will er ihm die Grundlagen des Campings beibringen. Wenn ich die Verzweiflung in seinem Gesicht sehe, während er mit den Zeltstangen kämpft, glaube ich eher, dass er von dem Knirps was lernen kann.

Amüsiert wende ich mich wieder Emma zu. »Das Gelände ist abgezäunt und sollte es doch einer hier reinschaffen, wird sich bestimmt ein starker Mann finden, der Rotkäppchen vor dem bösen Wolf rettet«, scherze ich, obwohl ich das ernst meine. Auch wenn sie das nicht wahrhaben will, würde ich sie vor allem und jedem beschützen. Notfalls mit meinem Leben.

»Hmm.« Emma legt den Finger auf die Lippen, auf denen sich ein diabolisches Grinsen ausgebreitet hat. »Dumm nur, dass ich hier gar keinen starken Mann sehen kann.« Demonstrativ schaut sie sich in der Gegend um, bevor sie sich schulterzuckend an mich wendet. »Oder siehst du hier etwa einen?«

Verdammt. Der Punkt geht eindeutig an sie.

»Autsch!« Als hätte ich Schmerzen, verziehe ich mein Gesicht zu einer Grimasse und fasse mir an die Brust. Diesmal bekomme ich jedoch nicht die gewohnt unsichere Reaktion von ihr, sondern ein zuckersüßes Lächeln. Die Niederlage schmeckt trotzdem bitter.

Während der Typ immer noch mit den Stangen kämpft, bin ich fertig mit dem Aufbau. Da Emma meint, sie würde sich kurz frisch machen wollen, entscheide ich mich dazu, dem armen Kerl zu helfen. Nicht, dass er und sein Sohn die Nacht draußen verbringen müssen.

Er wehrt sich erst, weil er sich wahrscheinlich vor seinem Sprössling nicht blamieren will, aber dahingehend kann ich ihn beruhigen. Das hat er bereits. Mit Sicherheit ist er so ein Bürohengst, für den es schon ein Abenteuer ist, wenn die Börsenkurse fallen. Ein bisschen erinnern die beiden mich an Max und Joshua. Ich weiß noch, was passiert ist, als er dem Frechdachs die Natur näherbringen wollte. Fast zwei Tage haben wir nach ihnen gesucht. Sophia hatte eine Heidenangst und hat ihrem Mann einen gehörigen Einlauf verpasst, nachdem sie die beiden überglücklich und erleichtert in die Arme geschlossen hat. Seitdem bleibt Max lieber bei seinen Aktien und überlässt die Survival-Ausbildung seines Jungen schweren Herzens mir.

Nachdem ich das Nachtlager von beiden aufgestellt und der Typ sich tausendmal bedankt hat, kommt Emma zurück und beäugt das Zelt. Was hat sie gedacht, dass es sich auf wundersame Weise doch noch ins Hilton verwandelt? Schließlich seufzt sie und ergibt sich mit hängenden Schultern ihrem Schicksal.

»Was ist mit dir?«, fragt sie, als ich ihr eine gute Nacht wünsche.

Ich drehe mich noch mal zu ihr um. Ein bisschen was hat ihr Blick von einem Welpen, den man an einer Raststätte ausgesetzt hat. »Ich schlafe im Auto.«

»Aber ...«

Ihren geschockten Blick erwidere ich mit einem Zwinkern. »Bist doch schon ein großes Mädchen, oder?« Grinsend wende ich mich von ihr ab und öffne die Hintertür. Zum Glück ist die Karre groß genug, dass ich es mir einigermaßen bequem machen kann. Trotzdem bekomme ich kein Auge zu. Immer noch denke ich über den heutigen Tag nach. Emma hat mir zwar klar und deutlich zu verstehen gegeben, dass ich mich nicht einmischen soll, aber seit wann tue ich das, was man mir sagt? Dass sie Erzieherin ist, überrascht mich nicht. Ich glaube, dass sie sehr gut mit Kindern kann. Verwirrt bin ich aufgrund ihrer Aussage, dass ihr bisher niemand eine Chance gegeben hat. Ein Gedanke schießt mir in den Kopf, den ich allerdings sofort wieder verwerfe. Aus gutem Grund. Ändert nur leider nichts daran, dass ich ihr immer noch helfen will. Die Frage ist nur wie?

Ein Klopfen an der Scheibe lenkt mich von meinen Gedanken ab. Verwundert erblicke ich Emma. »Kannst du auch nicht schlafen?«, flüstert sie, nachdem ich die Hintertür geöffnet habe.

»Nicht wirklich.«

Ihr Blick wandert in den Innenraum und ich ahne Böses. »Kann ich ... vielleicht?«, stottert sie und schlingt ihre Arme um die Taille.

Ein Anblick, der mein Herz erweicht. Dennoch beschließe ich, sie ein wenig zappeln zu lassen. Strafe muss sein.

»Bitte.« Als würde sie dieses eine Wort verdammt viel Überwindung kosten, verzieht sie das Gesicht und tritt von einem Bein auf das andere. Fast bin ich versucht sie zu fragen, ob sie aufs Klo muss. »Ich werde mich auch nicht breiter machen als ich bin. Versprochen«, fügt sie mit einem schüchternen Lächeln hinzu.

Obwohl ich jetzt schon weiß, dass ich das bereuen werde, rutsche ich seufzend in die hinterste Ecke.

»Danke.« Emma atmet mindestens genauso leise aus. Auf allen vieren krabbelt sie ins Auto. Wäre die Situation nicht so beschissen, könnte ich darüber lachen, dass sie dabei die Wolldecke hinter sich herzieht wie Linus von den Peanuts. Darum bemüht, mir nicht zu nahezukommen, legt sie sich auf die Seite und zieht sich die Decke bis zum Kinn.

Ich bin froh, dass sie mit dem Gesicht nach vorne liegt und mich nicht sehen kann. Jede Ölsardine in der Büchse fühlt sich mit Sicherheit wohler.

Worauf habe ich mich da nur eingelassen?

Und alles nur, weil ich dieser Frau einfach keinen Wunsch abschlagen kann. Jedes Mal, wenn sie mit ihrem widerlich-süßen Lächeln um die Ecke kommt, bin ich machtlos. Ich überschreite Grenzen, die ich mir einst selbst gezogen habe. Tue Dinge, die mir bis vor ein paar Monaten nicht mal im Traum eingefallen wären. Es fühlt sich an, als wäre ich ständig in einer Ausnahmesituation. Ich will weglaufen und doch zieht mich irgendwas zu ihr hin. Das kann doch nicht mehr gesund sein. Oder?

Willst du darauf echt eine Antwort?

Besser nicht. Vielleicht sollte ich einfach diese Nacht hinter mich bringen und darauf hoffen, dass mich – wer auch immer – endlich von diesem dämlichen Fluch befreit. Leider hält sich nicht nur das Kribbeln auf der Haut hartnäckig. Auch andere Regionen meines Körpers beschließen, an der Party teilzunehmen. Wäre die ganze Sache nicht so verdammt kompliziert, würde ich die Frau auf der Stelle vernaschen. Doch selbst wenn sie nicht mit diesem Schmierlappen zusammen wäre, könnte ich das nicht. Emma verdient mehr, als abgeschleckt zu werden, nur um dann den Eisstiel in den nächsten Mülleimer zu befördern. Sie ist keine Frau für eine Nacht, sondern für immer. Etwas, das ich ihr nicht geben kann. Von daher ist es vollkommen sinnlos, sich darüber Gedanken zu machen.

»Gute Nacht«, sagt sie noch einmal leise und wickelt sich – insofern das überhaupt möglich ist – noch mehr in die Decke ein.

»Hmm ...« Augen verdrehend versuche ich ebenfalls eine einigermaßen bequeme Position zu finden in dem Wissen, dass ich sowieso nicht schlafen werde. Die Gurtzunge, die sich gnadenlos in meinen Arsch bohrt, ignoriere ich genauso wie mein klopfendes Herz. Ja. Das wird wirklich eine hervorragende Nacht.

Während ich meinen Verstand bitte, mir eine reinzuhauen, sollte ich noch mal auf solche bekloppten Ideen kommen, und dieser das Angebot liebend gern annimmt, zittert Emma wie Espenlaub. Natürlich werden die Nächte hier etwas kühler, aber sie tut gerade so, als wären wir am Nordpol. Was sie da wohl machen würde? Wahrscheinlich zum Eisklotz mutieren und nie wieder auftauen. Ein Grinsen schleicht sich auf mein Gesicht. »Ist dir kalt?«

»Geht schon«, nuschelt sie und bibbert lieber weiter vor sich hin. Selbst die Wolldecke, die sie sich inzwischen fast vollständig über den Kopf gezogen hat, ändert daran nichts. Nur noch ein paar Haarspitzen schimmern im sanften Licht des Mondes.

Amüsiert verdrehe ich die Augen. »Verstehe. Dann zitterst du also nur aus Angst vor den Wölfen und den gefräßigen Bären«, erwidere ich und senke meine Stimme zum Ende hin, dass sie wirklich ein bisschen wie ein Grizzly klingt.

»Sehr witzig.«

»Komm her.« Ich weiß nicht, woher diese Worte kommen, aber die Frau neben mir scheint genauso überrascht darüber zu sein wie ich. Ohne etwas zu erwidern, dreht sie ihren Kopf zu mir. »Na los, mach schon, du Frostbeule, bevor ich es mir anders überlege«, murmle ich und strecke den Arm aus, mit dem ich meinen Kopf abgestützt habe.

Nein. Das kann wirklich nicht mehr gesund sein.

Emma zögert, rutscht aber dann ein Stück zu mir. Behutsam lege ich meinen anderen Arm um sie. »Danke«, nuschelt sie, darum bemüht, die Decke als Barriere zwischen unseren Körpern zu nutzen. Dennoch wird dieses Kribbeln von eben intensiver. Wärme breitet sich in mir aus, obwohl die Gänsehaut am ganzen Körper eindeutig etwas anderes sagt. Verrückt? Ja. Das bin ich auf jeden Fall. Wundert mich das? Nein. Diese Frau kann einen auch echt wahnsinnig machen.

Besagte scheint sich immer mehr zu entspannen. Das machen die leisen tiefen Atemzüge deutlich. Seltsamerweise überkommt mich nach einiger Zeit ebenfalls eine eigenartige Schwere. Dabei brauche ich sonst immer Stunden, bis ich endlich einschlafe.

Wieso ausgerechnet jetzt nicht?

Jetzt, wenn ich auf keinen Fall meine Augen schließen darf. Leider scheint meinem müden Körper das herzlich egal zu sein. Die Gedanken daran, was passiert, wenn mich dieses fürchterliche Geräusch wieder aus dem Schlaf reißt, lösen sich in Rauch auf und machen Platz für ein Gefühl von Ruhe und tiefer Zufriedenheit. Meine Lider werden immer schwerer und senken sich schließlich komplett.

»Hey ... Aufwachen, Kleiner!«

»Mhm ...« Als mich etwas Weiches an der Wange kitzelt, weiß ich, dass es nur SIE sein kann. »Nur noch fünf Minuten.« Um ehrlich zu sein habe ich gar nicht vor, meine Augen jemals wieder zu öffnen. Ich will diesen Schmerz nicht mehr spüren. Das Gefühl, dass mich jemand langsam und qualvoll aufschlitzt, um sich alles von mir zu nehmen und nichts als diese endlose Leere zurückzulassen.

»Komm schon, du Schlafmütze! Mach die Augen auf«, drängelt sie erneut. Das konnte sie schon immer gut.

Auch wenn ich nach wie vor unglaubliche Angst davor habe, ins kalte Wasser der Realität geschmissen zu werden, blinzle ich ... und schaue direkt in ihr Gesicht.

»Siehst du. War doch gar nicht so schwer, oder?« Sie lächelt sanft und strahlt dabei mindestens genauso wie die Sonne, die sich ihren Weg durch die fast geschlossenen Jalousien erkämpft.

Wie ich diesen Anblick vermisst habe. Erleichtert strecke ich meinen Arm aus. Ich will sie endlich wieder fühlen ... ihren Duft riechen, der mir so gefehlt hat ... Sogar ihren schiefen Gesang vermisse ich. Oder ihr Gemecker, wenn ich mal wieder meine Wäsche nicht ordentlich weggeräumt habe.

»Du weißt, dass das nicht geht«, sagt sie leise und senkt den Kopf. »Du gehörst hier nicht hin.«

Doch! Genau hierhin gehöre ich. Zu ihr. Wieso will sie nicht, dass ich bei ihr bleibe?

»Weil du noch gebraucht wirst«, beantwortet sie meine stille Frage und versucht, sich ein Lächeln abzuringen. »So gern ich dich auch bei mir hätte ... du musst zurück. Deine Zeit ist noch nicht gekommen.«

Es ist diese Stimme, die ich so sehr liebe. Ihre Worte gefallen mir jedoch überhaupt nicht. Denn ICH brauche sie! Alles andere ist mir gerade vollkommen egal. Ich will sie zu mir ziehen, aber irgendwie fühle ich mich komisch. Leicht, aber doch seltsam schwer.

»Ich ... muss jetzt gehen. Und du musst aufwachen. Versprich es mir.«

»Du kannst nicht einfach wieder verschwinden! Bleib bei mir! Bitte!« So sehr ich sie auch anflehe, sie geht immer weiter auf diesen Lichtkegel zu. Ich will ihr nachlaufen, doch ich bin genauso machtlos wie in dieser Nacht. »Komm zurück ...« Es ist nur noch ein zittriges Flüstern, das meinem Mund entweicht, was dafür sorgt, dass sie sich in der Ferne noch mal umdreht.

»Wach auf. Bitte«, sagt sie, bevor sie in dem dichten Nebel, der mich inzwischen umgibt, verschwindet.

Alles ist verschwommen. Meine Beine ... Wie Blei ziehen sie mich immer weiter in die Tiefe. Ich höre eine Stimme, gedämpft. So, als wäre ich unter Wasser und sie an Land.

»Tu mir das nicht an! Verdammt!«

Sie klingt genauso hilflos. Wie an einem Rettungsboot auf tosender See klammere ich mich an diesem einen Gedanken fest. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät ... Sie muss einfach ...

Stattdessen ... etwas Bitteres ... auf meinen Lippen. Instinktiv beiße ich die Zähne zusammen.

»Das könnte dir so passen!«

Ich bekomme keine Luft mehr. Panik. Immer wieder versuche ich zu atmen, aber meine Lungen sind wie zugeschnürt.

»Jetzt mach endlich den Mund auf! Dann bekommst du auch Luft.« Da ist sie wieder ... diese Stimme. Männlich. Ich kenne sie. »Na bitte! Geht doch!«

Froh darüber endlich atmen zu können ... Aber was ist das? Ekelig! Mein Mund ... Ganz egal, was, ich will es einfach nur loswerden.

»Ich werde das nicht zulassen! Hörst du?!«, schreit der Typ erneut. »So. Und jetzt schön schlucken.«

Erneut versuche ich, mich zu wehren, aber ... Das ist ein Fehler, das weiß ich irgendwie und doch kann ich nichts dagegen tun. Ich schlucke ... huste, aber es wird nicht besser. Mir wird schlecht ...

»Jetzt hör endlich auf, dich dagegen zu wehren, du verdammter Sturkopf! Du machst es nur schlimmer damit!«

Den Teufel werde ich! Ich darf das einfach nicht zulassen. Koste es, was es wolle. Dann war alles umsonst.

»Also schön. Du hast es ja nicht anders gewollt«, meint er, bevor es wieder ruhiger in mir wird.

Leider nicht allzu lang. Denn dann ... wieder ... wird mir etwas eingeflößt. Diesmal beiße ich die Zähne nicht zusammen. Es schmeckt nach gar nix. Wasser vielleicht? Egal, was es ist, es sorgt dafür, dass dieser widerliche Geschmack für kurze Zeit aus meinem Mund verschwindet.

Aber dann ... was ist das jetzt schon wieder? Der Druck in mir wird stärker, breitet sich aus. Es tut weh! So als hätte mich jemand aufgepumpt und würde jetzt auf mir herumtrampeln. Ich will doch einfach nur meine Ruhe. Dieses Leben ... ich will es nicht. Nicht mehr. Wieso versteht das keiner? Nicht mal sie ...

»Zwing mich nicht dazu, das Scheißzeug mit Gewalt aus dir rauszuholen!«

Was soll das denn jetzt schon wieder heißen? Der Schmerz wird stärker. Unerträglich. Ich will die Beine anziehen, aber ...  Er – wer er auch ist – soll verdammt noch mal damit aufhören. Ich halte das nicht mehr aus!

»Dann gib endlich auf!«

Okay. Gerade würde ich alles tun. Als ich anfange zu würgen, lässt der beißende Schmerz nach, nur um kurz darauf mit voller Wucht wiederzukommen. Ich könnte heulen, schreien. Am liebsten alles auf einmal. Doch ich bin gerade mal in der Lage dazu, zwischendurch nach Luft zu schnappen.

»Na, bitte! Geht doch! Und jetzt raus damit!«

Ich würge und würge, kein Ende in Sicht. Mein Herz rast, da überkommt es mich erneut. Ich ziehe die Beine an und presse alles aus mir heraus. Doch das macht es nur schlimmer. Dazu hat sich mein Bewusstsein den Weg an die Oberfläche zurück erkämpft, dass ich spüre, woher dieser Schmerz kommt.

Scheiße ...

»Nein ...« Wieder sagt er etwas. Die Stimme vertrauter und doch verstehe ich nicht alles. Dafür spüre ich plötzlich etwas auf meinem Rücken. »Ich weiß, es ist nicht angenehm«, sagt die Stimme, die immer vertrauter klingt, diesmal bedeutend ruhiger.

Nicht angenehm?! Er hat ja keine Ahnung! Es fühlt sich an, als würde mich jemand zerquetschen. Ein Gefühl, das ich gut kenne. Nur, dass es diesmal nicht aufhören will ...

»Gleich wird es besser. Versprochen.«

Es vergeht eine gefühlte Ewigkeit, bis das, was er sagt, eintritt. Erschöpft lasse ich mich auf einen weichen Untergrund sinken. Ich bin am Ende.

»Hey! Nicht wieder einschlafen!«

Ein erneuter Ruck saust durch meinen Körper. Bitte nicht schon wieder! Doch anstatt des Schmerzes spüre ich eine Hand, die sanft über meine Haare streicht.

»Keine Angst. Es ist vorbei, Wuschel.«

Wuschel? So hat mich bisher nur einer genannt. Auch wenn ich am Ende meiner Kräfte bin, versuche ich meine Augen zu öffnen und erblicke einen Schatten.

»Tom?« Das ist tatsächlich ... Greg. Was macht er hier? »Tom! Hörst du mich?«, fragt er, aber ich bin nicht in der Lage dazu, ihm zu antworten. »Scheiße ...!«

Das kann er laut sagen. Mein Hals brennt wie Feuer und in meinem Kopf dreht sich alles. Erst recht, als er mich hochzieht und mit sich schleift. Ich versuche, mich zu wehren, aber es ist sinnlos. Er ist zu stark und ich zu schwach.

Als mir ein eiskalter Schauer über den Rücken läuft, kann ich nicht anders. Ich reiße die Augen auf und schnappe nach Luft. Tausend kleine Nadeln bohren sich in meine Haut.

Und dann entdecke ich ihn. Meinen Bruder und ... die Tränen in seinen Augen. »MACH. DAS. NIE. WIEDER.«

Mein Blick fällt auf die weißen Fliesen an der Wand. Die, die sich auch in meiner Dusche befinden. Wieso bin ich pitschnass? Und vor allem ... wie komme ich hierhin? Gerade war ich doch noch ... Das Letzte, an das ich mich erinnere, ist, dass ich mich ins Bett gelegt habe, nachdem ich die ...

Nein! Das hat er nicht getan! Wieso tut er mir das an? »Warum?« Es ist das erste Wort, das meinen Mund nach langer Zeit verlässt und es kostet mich so viel Kraft, dass ich sofort wieder einschlafen will. Vielleicht ist es ja noch nicht zu spät und ich kann ...

»Scheiße! Jetzt bleib endlich wach, Tom!«, schreit Greg und rüttelt an meinen Schultern, sodass ich gar keine andere Wahl habe, als meine Augen wieder zu öffnen. »Gott sei Dank ...«

Er will die Arme um mich legen, doch ich schlage sie weg. »Wie konntest du?! Ich hasse dich! Hau ab!«

Aber er denkt gar nicht dran und drückt mich an seinen ebenfalls nassen Körper. »Beruhige dich. Es ist okay.«

»Nichts ist okay, verdammt!« Das Wasser von meinen Haaren tropft langsam auf mein Gesicht und vermischt sich mit den Tränen, die sich in meinen Augen gebildet haben. Wut mischt sich mit Verzweiflung. »Ich kann ... einfach ... nicht mehr!«

Anstatt mich endlich in Ruhe zu lassen, streicht er mir über die nassen Haare. »Ich weiß, Tom. Ich weiß ... aber das ist keine Lösung. Verdammt! Du brauchst Hilfe.«

»Ich will ... aber keine Hilfe!«

Um Atem ringend schrecke ich hoch. Es ist nicht das Bild, das ich jedes Mal fürchte, wenn ich die Augen schließe. Aber die Szene, die ich gesehen habe, will ich auch einfach nur vergessen. Seufzend fahre ich mir übers Gesicht und realisiere erst jetzt, dass ich nicht alleine bin. Neben mir regt sich etwas. Ich reibe mir die Augen und sehe ... Haare. Wie ein Teppich aus Gold breiten sie sich auf dem kleinen Kissen aus.

Fuck ... Emma!

»Hmm ... was ist los?«, nuschelt sie im Halbschlaf und dreht ihren Kopf zu mir.

»Nichts. Schlaf weiter.« Mich zu einem Lächeln zwingend streiche ich ihr eine Locke aus dem Gesicht. Sie brummt zufrieden und kuschelt sich wieder in ihre Decke. Um sie nicht noch mal zu wecken, beuge ich mich in Zeitlupe zum Griff. Das silberne Metall bewegt sich Millimeter für Millimeter, bevor die Tür mit einem kaum hörbaren Klacken aufspringt. Frische Nachtluft weht mir entgegen und klärt meine Gedanken. Ein letztes Mal blicke ich zu Emma. Ihre Lippen kräuseln sich leicht. Ich hoffe, sie hat schönere Träume. Auf jede meiner Bewegungen bedacht, verlasse ich den Wagen und atme draußen erleichtert aus.

Das war knapp.

Die Tür lehne ich nur an und sinke erschöpft gegen mein Auto. Immer noch habe ich diese Bilder vor Augen. Warum ich ausgerechnet davon geträumt habe? Ich weiß es nicht. Vielleicht, weil ich mich nach wie vor frage, was ich für Emma tun kann. Dabei sollte ich aus eigener Erfahrung wissen, dass man sich nicht helfen lassen kann, wenn man nicht will. Auch wenn mein Bruder das damals gnadenlos ignoriert hat. Wahrscheinlich habe ich ihm deshalb nie die Chance gegeben, ein klärendes Gespräch zu führen. Einerseits verstehe ich ihn nach allem, was passiert ist. Andererseits habe ich ihn schon oft dafür verflucht, dass er mich nicht einfach hat sterben lassen. Bis heute mischt er sich ein. Ständig macht er mir Vorwürfe, stellt das, was ich tue infrage oder – noch schlimmer – drängt mich zu einer Therapie.

Dank Emma begreife ich jedoch langsam, was es bedeutet auf der anderen Seite zu stehen. Zu wissen, dass es dem Menschen, der einem wichtig ist, schlecht geht und man rein gar nichts dagegen tun kann, kann einen wirklich wahnsinnig machen.

Seufzend fahre ich mir durch die Haare. Mein Pony ist verschwitzt. Ich lausche, höre aber keinen Mucks von drinnen. Heißt dann wohl, dass Emma wieder eingeschlafen ist. Gut. So gern ich diese Frau auch habe – gerade brauche ich einfach einen Moment für mich. Nur meine Zigarette und ich.

Am Vorderreifen lasse ich mich ins Gras sinken. Ich klopfe einen Glimmstängel aus der kleinen Öffnung, die durch die Enge in meiner Hosentasche noch minimaler ist und drehe an dem kleinen Rädchen des Feuerzeugs. Die Flamme tanzt wild im Wind. Ehe sie erlischt, halte ich die Hand davor und führe sie zu der Zigarette in meinem Mund. Der Vollmond strahlt mich regelrecht an, während ich den Rauch ganz tief inhaliere. Auch diesmal tut das Nikotin, was es soll, sodass ich spätestens nach dem dritten Zug meine Lider senke.

Einerseits will ich Emma helfen, weil ich nachempfinden kann, wie es ist keinen Ausweg zu haben. Nicht erst seit gestern bin ich davon überzeugt, dass bei ihr einiges schiefläuft. Umsonst setzt man sich nicht besoffen in eine 350-PS-Karre. Irgendwas muss sie dazu getrieben haben, den so gut wie sicheren Tod billigend in Kauf zu nehmen.

Andererseits frage ich mich, ob sie recht hat. Vielleicht stecke ich wirklich schon zu tief drin. Aber soll ich deshalb einfach zusehen? Was ist, wenn sie wieder eine Dummheit begeht? Natürlich empfinde ich nicht das Gleiche für diese Frau wie für sie. Und doch könnte ich es mir nicht verzeihen, noch einmal tatenlos zuzusehen, wie jemand aus meinem Leben einfach so verschwindet.

Schnaubend schüttle ich den Kopf und ziehe so stark am Filter, dass sich die Glut leuchtend orange verfärbt. Nach zwei weiteren Zügen ist nur noch der Filter übrig, weshalb ich überlege, mir gleich noch eine anzuzünden. Ich brauche das gerade einfach, um meine Gedanken, die schon wieder Achterbahn fahren, endlich zum Stillstand zu bringen. Leider verschafft mir selbst das diesmal nicht die erhoffte Linderung.

Sie wird Fragen stellen. Vergiss das nicht.

Das hat sie doch längst. Bei dem Wortschwall, der manchmal aus ihrem Mund kommt, hat man echt Mühe zu verstehen, was sie sagen will. Im Gegenzug hat sie es jedoch ganz gut drauf, einem die richtigen oder eher die falschen Fragen zu stellen. Klar hätte ich ehrlich sein können, als sie mich gefragt hat, warum ich mich ausgerechnet für diesen Beruf entschieden habe. Aber hätte das überhaupt etwas geändert?

Natürlich hätte es das. Sie vertraut dir nicht, wenn du ihr nicht vertraust.

Das wäre vermutlich das, was Daniel jetzt sagen würde. Leider hat er recht. Die Frage ist nur: Will ich Emma wirklich so nah an mich ranlassen?

Oder ist es womöglich längst zu spät sich diese Frage zu stellen?

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