8 - Von Unterschieden und Gemeinsamkeiten

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"So wie man die Strahlen der Sonne nicht zudecken kann, so kann man auch das Licht der Wahrheit nicht auslöschen."

✶✶✶

Vom Essen gesättigt und zufrieden warf ich mich in die Kissen.

Die Sterne am Himmel leuchteten hell und es kam mir beinahe so vor, als lächle mir Altair zu. Ich fühlte mich wieder wie ein Mensch. Ausser den Wunden an meinem Körper schien alles andere Leid verschwunden zu sein.

Zahir hatte gemeint, dass wir uns nur zwei Tagesmärsche von Jaradina — wie er die Oase nannte — befanden. Sie würden mich dort hin begleiten und danach würden sich unsere Wege wieder trennen.

Ich hatte mich nicht gegen ihren Entscheid gesträubt.

Die Brüder waren in ein Gespräch vertieft und schienen über irgendetwas zu diskutieren. Ich spürte, wie mich die Müdigkeit überfiel. Ein warmes, zufriedenes Gefühl machte sich in meinem ganzen Körper breit und sorgte dafür, dass meine Lider so schwer wie Blei wurden.

„Luay und ich werden uns ein Zelt teilen", hörte ich Zahir sagen, weswegen ich mich wieder aufsetzte und die Augen rieb. „Du kannst in meinem schlafen."

Mittlerweile hatte ich mich schon fast daran gewöhnt, dass die Herren über mein Schicksal entschieden. Ich fügte mich, denn ich war zu schwach für Proteste jeglicher Art. Hauptsache, ich konnte vor Sand und Wind geschützt an einem Ort nächtigen. Das war alles, was zählte.

Mein Blick fiel auf das zweite Zelt, das ich erst nach dem Essen neben Luays Jurte entdeckt hatte. Es war genau gleich gross und ich ertappte mich dabei, wie ich darüber mutmasste, wie es wohl im Inneren aussehen könnte. Zahir wirkte trotz seiner Direktheit zurückhaltend und verschlossen. Vermutlich lag es auch daran, dass ich noch keinen Blick auf sein Gesicht hatte werfen dürfen. Es war schon merkwürdig, mit jemanden Zeit zu verbringen, ohne seinen Mund sehen zu können. Als wäre es eine Mauer aus Tüchern, die er aufrecht hielt, um sein wahres Wesen dahinter zu verbergen.

Zahir erhob sich und ich folgte ihm in sein Zelt. Er hielt mir die Plane hoch, sodass ich hindurchschlüpfen konnte.

Im Gegensatz zu Luays Zelt war der Boden nicht mit Holzdielen und edlen Teppichen ausgelegt worden. Unberührter, samtweicher Sand erstreckte sich zu unseren Füssen. Meine Zehen gruben sich darin ein und ich stellte erstaunt fest, dass es warm war, als hätte der Boden die Hitze der Sonne gespeichert.

„Keine Teppiche?", fragte ich.

Ein Kopfschütteln. „Ich will den Sand fühlen."

Den Blick, den ich Zahir von der Seite zuwarf, ignorierte er. Ich spürte dieses dringende Bedürfnis, seine Lippen sehen zu wollen. Keine Ahnung, weshalb, aber die Ungeduld wuchs in mir wie ein Rinnsal in einem Wadi, das allmählich zu einem Bach anschwillt. Dieser Mann verbarg nicht nur sein Gesicht hinter diesem Turban, sondern so viel mehr.

Er ging auf das Bett zu, welches im hinteren Bereich des Zeltes stand. Zu den Füssen der Bettpfeiler leuchteten kniehohe Laternen aus Terracotta, die mit ihrer ockerfarbenen Tönung beinahe nahtlos in den Sand übergingen. Die Kerzen darin tauchten den ganzen Innenraum in ein warmes Licht. Rechts neben dem Bett stand ein Sekretär aus dunklem Wüsteneisenholz mit einem dreibeinigen Hocker. Papyrus und Pergament stapelten sich darauf und in einem Tintenglas erkannte ich sogar eine Schreibfeder.

Zahir räusperte sich. Ich spürte, wie er verlegen wurde. Das hier war sein heiliges Reich. Sein Zelt.

„Ich stelle dir mein Bett zur Verfügung", sagte er und machte eine beiläufige Handbewegung auf die weissen Kissen und Laken.

Mir stieg die Hitze in den Kopf. Das hier war mir irgendwie unangenehm. Ich schluckte den Kloss in meinem Hals herunter und murmelte dankende Worte.

Zahir öffnete seine Reisetruhe, die anders als in Luays Zelt nicht direkt am vorderen Ende des Bettes platziert worden war, sondern links daneben. Er holte einen Stoff hervor, der dieselbe Farbe aufwies wie die Kleidung, die er trug.

„Das mag zwar etwas zu gross für dich sein, aber eignet sich für unsere Reise morgen besser, als Hana'as festliche Tücher."

Er streckte mir ein Gewand hin.

„Oh", stiess ich überrascht aus.

„Luay und ich kennen die Gepflogenheiten der Casbari", erklärte er.„Obwohl wir nicht mit allen Dingen einverstanden sind, respektieren wir selbstverständlich deinen Wunsch, dich verhüllen zu wollen."

Er senkte den Blick und erst jetzt bemerkte ich, dass er unglaublich lange und dunkle Wimpern hatte. Das Licht der Laternen warf einen gefächerten Schatten auf den Teil seiner Wangenknochen, den ich sehen konnte.

Ich nahm die Kleider in meine Hände. Zahir trat einen Schritt von mir weg.

„Ich entschuldige mich dafür, falls ich dich heute Nacht auf unsittliche Art betrachtet habe. Ich kann dir versichern, dass ich keine Absichten hegte, deine Würde in irgendeiner Weise zu verletzen."

Er lehnte seinen Oberkörper etwas vor. Eine um Vergebung bittende Verneigung.

Meine Ohren brannten, denn so viel Respekt hatte mir ein Mann bis anhin noch nie in meinem Leben entgegengebracht. Er behandelte mich wie eine Königin. Peinlich berührt wandte ich mich von ihm ab.

„Das ... ich ..."

Ich wusste wirklich nicht, was ich sagen sollte. Es tat mir leid, dass er sich nun entschuldigte. Wofür denn? Er hatte rein gar nichts verbrochen. Wenn er und sein Bruder etwas getan hatten, dann war es mich vor dem sicheren Verdursten zu bewahren.

Er richtete sich wieder gerade auf.

„Das Bett ist mit frischen Laken und Kissen bezogen. Ich hoffe, es wird dir für diese Nacht dienen können", sagte er und machte sich auf in Richtung Ausgang.

Kurz bevor er die Zeltplane erreichte, hielt er allerdings inne, als zögere er, als gäbe es noch etwas, das er mir sagen wollte. Ich blieb reglos an Ort und Stelle stehen und wartete. Als er sprach, war seine Stimme einige Akzente tiefer als zuvor.

„Du bist nicht geklettert, habe ich recht?"

Ich blinzelte. „Was?"

Er drehte sich leicht zur Seite und stand mit dem Profil zu mir. „Du hattest kaum Kraft, um auf eigenen Beinen zu stehen."

Eine Pause.

„Du bist nicht auf Luays Zelt geklettert."

Mein Herz schlug unregelmässig in meiner Brust. Da war er schon wieder— sein Versuch, die Wahrheit aus mir herauszukitzeln. Luay hatte sich mit meiner Geschichte zufriedengegeben. Nicht aber er.

„Irgendwie habe ich es geschafft", murmelte ich, doch es klang wenig überzeugend.

Zahir drehte sich ganz zu mir um, die Hände hinter dem Rücken verschränkt und ich glaubte, ein Lächeln in seinen Augen zu sehen. Kleine Fältchen traten an seinen Augenwinkeln hervor und liessen ihn verschmitzt wirken.

„Ich weiss, was ich gesehen habe. Die Sterne haben dich geschickt, Najmah."

Eine Gänsehaut bildete sich auf meinen Armen und kroch bis zu meinem Nacken. Was lag bloss in seinen Worten, dass sie diese Reaktion in mir hervorriefen? Ich räusperte mich und fingerte an dem Stoff in meinen Händen herum.

„Ich glaube, du standest heute zu lange in der Sonne", erwiderte ich möglichst gelassen.

Zahir liess ein kehliges Lachen hören. Dasselbe Lachen, das er von sich gestossen hatte, als ich ihn und seinen Bruder wegen der viel zu freizügigen, muzedinischen Tracht angeschnauzt hatte.

„Und ich glaube, dass dir der Schlaf gut tun wird", konterte er. „Das verbessert die Laune und den Anstand. Ich weiss ja nicht, wie die Casbari das machen, aber ein Muzedin würde demjenigen, der ihm Schutz, Kost und Logie bietet, nicht in die Hand beissen."

Nun war ich sicher, dass mein Gesicht in Flammen stehen musste. Ich war zu weit gegangen, hatte seinen Respekt durch meine vorlaute Art mit Füssen getreten. Ich biss mir auf die Zunge und starrte zu Boden.

„Du hast recht", brachte ich hervor. „Entschuldige. Es war ein wirklich langer Tag."

„Schlaf schön, kleiner Stern."

Er hob die Zeltplane hoch und verschwand in die Nacht.

✶✶✶

Ich schlief nicht in Zahirs Bett, sondern daneben zu einem Ball zusammengerollt im Sand.

Ich konnte es nicht. Es fühlte sich zu persönlich an, selbst wenn er behauptet hatte, er hätte die Laken noch gewechselt. Sein ganzes Zelt roch nach Zedernholz und einem Hauch von Honig. Eine angenehme Mischung, die sich samtig über mich gelegt und mir schnell den Schlaf gebracht hatte.

Als Zahir am nächsten Morgen vorsichtig ins Zelt trat, um mich fürs Frühstück zu holen, hatte ich mich bereits in das Gewand gezwängt, welches er mir gegeben hatte. Ich sah aus wie ein Haufen blauer Lumpen, die um einen Kaktus gewickelt worden waren.

Er grunzte amüsiert hinter seinem Turban, während er das Resultat meines kläglichen Versuches, die muzedinische Reisekleidung für Männer über meinen weiblichen Körper zu zwängen, begutachtete. Irgendwas musste ich falsch gemacht haben.

„Ich habe noch nie Hosen getragen", maulte ich, als sein Blick auf meine Füsse fiel, die auf dem viel zu langen Stoff standen.

„Kremple sie am Bund etwas hoch, so fällst du nicht hin."

Ich tat, was er vorschlug und wühlte zwischen all den Stofflagen, bis meine baren Füsse endlich unter dem Saum sichtbar wurden. Zahir zupfte an meinen Ärmeln, die bei ihm selbst bis zur Mitte seines Unterarmes reichten, bei mir jedoch über die Hände hingen.

„Dasselbe tust du mit den Ärmeln", sagte er und half mir dabei, ohne meine Haut zu berühren.

Dann richtete er seinen Blick auf den Turban, den ich nicht wie er gerollt, sondern wie ein Kopftuch über meinen Scheitel gelegt und einen Zipfel mir vorne über die Schultern geworfen hatte, sodass mein Gesicht mindestens etwas verdeckt war. An seiner Kleidung hing derselbe Duft nach Holz und Honig, der in seinem Zelt waberte.

„Hm", sagte Zahir, „du siehst aus wie eine blaue Kämpferin."

Ich fasste es als Kompliment auf.

„Jetzt kann ich mich so wie du hinter blauen Tüchern verstecken", erwiderte ich auf eine Art, die irgendwo zwischen Scherz und Wahrheit lag. Ich fühlte mich sicherer, nun, wo ich bei Bedarf jederzeit ein Stück Stoff schützend vor mein Gesicht schieben konnte.

Zahir lachte trocken auf.

Wir traten hinaus in die Morgensonne und zum ersten Mal seit meinem Sturz vom Himmel, konnte ich das ganze Zeltlager der beiden sehen. Zwei Kamele, die an einen Pflock im Boden angebunden waren, knieten etwas weiter weg im Schatten eines verdorrten Baumes. Ich hatte sie gar nicht gehört. Der Teppich mit den Fackeln lag noch immer ausgebreitet auf dem Sitzplatz vor unseren sandfarbenen Zelten, nur dieses Mal spannte ein schwarzes Tuch darüber, das uns Schatten spenden sollte.

Luay sass am Boden, in der Hand eine Tasse Tee. Vor ihm lagen zwei Silbertablette. Eins mit süssen Brötchen und das zweite mit drei Schalen Milch. Abermals stellte sich mir die Frage, wie sie bloss diese Dinge mitten in der Wüste hatten besorgen können.

„Guten Morgen!", wurde ich von Luay begrüsst, der sich erhob, als er mich sah. „Ich hoffe, du bist zur Ruhe gekommen."

Obwohl ich nicht in dem weichen Bett geschlafen hatte, fühlte ich mich ausgeruht und wieder bei Kräften.

„Das bin ich", bestätigte ich und setzte mich auf die Knie.

Zahir liess sich neben mir nieder und so frühstückten wir. Abermals wurde mir Tee eingeschenkt, dieses Mal mit zwei Löffeln Zucker. Luay meinte, dass die Muzedin den Tee zum Frühstück süsser tranken als am Nachmittag oder am Abend. Wir Kasbahren schütteten immer Zucker rein — egal zu welcher Tageszeit.

„Leben deine Eltern eigentlich in Jaradina?", suchte Luay das Gespräch.

Auch heute trug er wieder dieselben indigoblauen Kleider wie gestern. Es gab mir ein merkwürdiges Gefühl der Zugehörigkeit, genau gleich angezogen zu sein wie meine zwei neuen Reisebegleiter.

„Nein, aber dort wollen wir uns treffen", antwortete ich und tunkte ein süsses Brötchen in die Milchschale.

Es war Ziegenmilch, wie ich feststellen musste. Meine Lieblingsmilch und ich konnte es nicht unterdrücken, vor Wohlgenuss laut zu seufzen. Das rief ein breites Lächeln auf Luays Gesicht hervor.

„Und woher kamst du, bevor wir dich aufgelesen haben?", fragte Zahir.

Er hatte die Brötchen noch nicht angerührt, sondern sass einfach nur da und beobachtete mich.

„Ich war bei meiner Grossmutter in Kesh. Sie ist dort eine berühmte Ausbildnerin."

Ein interessiertes Funkeln huschte über Zahirs Augen. „Worin hat sie dich ausgebildet?"

„In allem, was ein Kasbahrenmädchen im Alter zwischen zwölf und neunzehn lernen darf."

Sein fragender Blick signalisierte mir, dass er nicht wusste, was das bedeutete, also holte ich aus:

„Wie man als Wüstennomadin zu leben hat, wie man in der Dürre überlebt, wie man die Sterne liest, wie man einen Brunnen gräbt und so weiter. Man gibt uns während unserer Reifung zur Frau Zeit, alles zu lernen, was wir können, damit wir danach fürs eigenständige Leben in der Wüste ausgerüstet sind."

„Und diese Ausbildung hast du nun beendet?"

„Genau. Und jetzt soll ich zu meinen Eltern zurück, damit sie ..."

Ich hielt inne, denn mein Magen zog sich zusammen.

„Damit sie was?", hakte Zahir nach und legte den Kopf schief. „Damit du sie bei der Viehzucht unterstützen kannst?"

Seine Augen fanden die meinen und machten den Stein, der sich plötzlich in meinem Bauch befand, noch schwerer. Mir war schmerzlich bewusst geworden, dass die unbeschwerte und spannende Zeit des Lernens für mich bald vorbei war. Obwohl ich schon immer wusste, dass mich das irgendwann mal treffen würde, tat es dennoch weh, so nahe vor dem Ende meiner Reifung zu stehen.

Wie gerne ich noch mehr Zeit gehabt hätte ...

„Nein", hauchte ich schliesslich. „Ich kehre nach Hause zurück, damit meine Eltern mich mit einem Kasbahren verheiraten können." Ich senkte den Blick und starrte auf meine Hände. „Mein Wissen soll ihm und seiner Familie dienen."

Luay liess ein Schnauben hören. „Arrangierte Hochzeiten", brummte er und am Klang seiner Stimme spürte ich tiefe Abneigung. „Ein weiterer Grund, weshalb ich Mühe mit den Traditionen der Casbari habe. Sie verwandeln ihre Frauen zu Schatten ihrer Ehemänner."

Aus einem mir unerklärlichen Grund wollte ich ihm widersprechen. Er hatte eine einseitige Vorstellung von unseren ehelichen Arrangements. Sie waren keineswegs erzwungen, sondern dienten dem einfachen Zweck der Erhaltung unserer Traditionen.

„Ich denke, dass meine Eltern bestimmt am besten wissen werden, was gut für mich ist", hielt ich dagegen.

„Nachdem sie dich sieben Sternzyklen lang nicht gesehen haben?"

Der Einwand kam von Zahir und ich riss meinen Kopf herum, um ihn anzufunkeln.

„Bist du denn noch dieselbe Najmah, die sie damals zu ihrer Ausbildung geschickt haben?", bohrte er nach.

Ein Kloss bildete sich in meinem Hals. Zahirs Frage und Luays offene Skepsis wühlten mich auf. Ich war mir doch auch nicht sicher, ob das wirklich der richtige Weg war! Woher sollte ich das schon wissen? Ich schritt den mir vorgezeichneten Pfad hinunter, weil es unzählige Kasbahrinnen vor mir auch so getan hatten. Man tat es, weil es schon immer so getan wurde. Warum sollte ich es also anders machen? Das waren die Gebräuche unserer Vorfahren und die galt es in Ehren zu halten.

Ich räusperte mich. „Ach, was wisst ihr schon. Eure Adelszelte lassen vermuten, dass ihr zwei nicht wirklich viel vom echten Nomadenleben versteht."

Zahir hob die Hände in die Luft und Luay biss meines Erachtens etwas zu energisch in sein Brötchen.

„Was macht ihr hier eigentlich mitten in der Wüste mit all euren teuren Besitztümern?"

Ich wedelte mit der Hand und deutete damit auf die silbernen Tablette.

Es war an der Zeit, dass ich aufhörte, den Herren nur über mich zu erzählen, wo ich doch nichts über sie in Erfahrung gebracht hatte. Wenn sie mich schon bis nach Jaradin begleiten würden, dann wollte ich mindestens wissen, woher sie kamen.

Die zwei Brüder warfen sich vielsagende Blicke zu, weswegen ich die Augen zusammenkniff.

„Wir sind aus Azoul, der Hauptstadt", nuschelte Luay mit vollem Mund, „und sind wegen geschäftlichen Angelegenheiten auf der Durchreise."

Das war eine sehr unspezifische Antwort.

„Dahin wollt ihr also zurückkehren?", versuchte ich mehr aus ihnen herauszupressen.

Zahir schien das Sprechen ganz verlernt zu haben und ich hätte schwören können, wenn ich sein Gesicht sehen könnte, dass sein Kiefer mahlte. Seine Augenbrauen zogen sich streng am Ansatz seiner Nase zusammen.

„In ein paar Tagen werden wir zurückerwartet", sagte Luay.

Er tunkte sein Brötchen in die Milch und ich spürte, dass er schwindelte. Sitty hatte mir die Gabe des Zuhörens wirklich gut beigebracht. Ich roch es beinahe in der Luft, dass etwas nicht stimmte.

„Wie könnt ihr eigentlich Brüder sein?"

Ich beschloss, das Thema zu wechseln, denn meine Begleiter wirkten zu angespannt. Luay blickte mich fragend an, weshalb ich erklärte: „Ihr seht euch überhaupt nicht ähnlich."

„Wir teilen uns den Vater, nicht aber die Mutter."

Ich blinzelte überrascht in Zahirs Richtung. Er hatte die Sprache offenbar wiedergefunden.

„Meine Mutter ist eine Muzedin und Luays Mutter eine Serengeke."

Ich verschluckte mich beinahe an meinem Brötchen. Nicht nur überraschte mich die Tatsache, dass ihr Vater zwei Frauen gleichzeitig haben musste, sondern auch Luays Abstammung.

Die Serengeke?", hakte ich keuchend nach und klopfte mir mit der Hand auf die Brust. „Diese Reiter, die—?"

Zahir nickte. „Die Reiternomaden aus den südlichen Steppen, ja."

„Jene, die dir im Galopp mit ihren gekurvten Bögen einen Pfeil mitten ins Herz schiessen können." Luay grinste stolz. „Genau die."

Für einen Moment war ich sprachlos. Die Serengeke waren genauso ein Mythos wie die Muzedin. Entweder spielten die zwei Kerle ein böses Spiel mit mir, oder Schadscharats Magie hatte mir den Verstand verblendet und ich war tatsächlich verrückt geworden. Ich schüttelte ungläubig den Kopf und nahm einen grossen Schluck von meinem Tee.

„Und wieso verhüllst du dich nicht so wie Zahir?", richtete ich meine nächste Frage an Luay. „Liegt das an deiner serengekischen Herkunft?"

Ich versuchte, das möglichst beiläufig zu fragen und nicht zu neugierig zu klingen. Es hatte mich beim Abendessen schon gewundert, dass sie zwar dieselbe Kleidung trugen, aber Luay — der jüngere der beiden — mir ohne Mühe sein Gesicht offenbarte, während Zahir sich mit dem Essen unter dem Turban abrang, damit ich ja keinen Blick auf seine Gesichtszüge erhaschen konnte.

Zahir liess ein leises Lachen hören. „So viele Fragen heute."

Ich wollte ihm nicht den Grund nennen, dass es möglicherweise daran lag, dass ich von den Traditionen und Gebräuchen ihrer Völker nur über Legenden und Geschichtsbücher gehört oder gelesen hatte. Diese waren in der Bibliothek von Kesh, die meine einzige Wissensquelle war, ein seltener Fund.

Ich zuckte mit den Schultern. „Ich muss meine kostbare Zeit nutzen, um so viel zu fragen, wie ich kann, bevor ich ich nichts mehr wissen darf", erwiderte ich und leerte meinen Tee.

Zahirs bestürzten Blick ignorierte ich dabei. „Warum solltest du nichts mehr wissen dürfen?", kam seine Gegenfrage.

Ich knirschte mit den Zähnen und warf Luay einen bösen Blick zu.

„Weil es unsere ach so grausamen kasbharischen Traditionen verbieten."

Das klang zynischer, als ich es gewollt hatte.

Stille. Nur der Wind, der am Tuch über unseren Köpfen zog und es zum Flattern brachte. Zahir bewegte sich neben mir und rückte näher.

„Muzedinische Männer verdecken ihr Gesicht, solange sie unverheiratet sind", erklärte er schliesslich und blickte mir dabei direkt in die Augen. „Sie enthüllen es erst, wenn sie die Frau ihres Herzens gefunden haben. Die Erste, die ihr Gesicht sehen darf, soll jene sein, mit welcher sie den Rest ihres Lebens verbringen."

Ich blinzelte ihn an. Das klang erschreckend ähnlich wie die Vorstellungen meines Volkes — einfach umgekehrt. Wir Kasbahrinnen sollten Gesicht und Haare nur unseren engsten Familienangehörigen oder Ehemännern zeigen. Ansonsten galt es, uns der Sittlichkeit wegen zu verhüllen.

Luay lachte, als er meinen Gesichtsausdruck richtig deutete. „Überrascht über die Gemeinsamkeiten mit den Casbari?"

Ich nickte.

„Aber... warum tut ihr das?", hakte ich nach, denn es machte keinen Sinn. „Warum die Männer?"

Waren es nicht die Frauen, die sich vor den lüsternen Blicken der Männer schützen mussten? War das bei den Muzedin anders?

Zahir sah meine unausgesprochenen Fragen. Ich fühlte es beinahe, wie er meine Gedanken lesen konnte. Nun — wahrscheinlich konnte er sie nicht wirklich lesen, sondern nur von meinem Gesicht ablesen.

„Wir Muzedin glauben, dass eine Frau ihren Ehemann nicht wegen seines Aussehens wählen soll, sondern wegen seines Verhaltens ihr und anderen Personen gegenüber", sagte er.

Ich runzelte die Stirn.

„Seine Fähigkeiten als Mensch zählen und diese treten durch die Vermummung nun mal besser zutage. Somit vermeiden wir Hochmut und Arroganz und erziehen die jungen Burschen zu zurückhaltenden, respektvollen und bescheidenen Männern."

Luay schnaubte durch die Nase.

„In der Theorie zieht man damit vernünftige Männer gross", sagte er. „Aber trotz aller Traditionen gibt es dennoch Schakale, die Schaden anrichten können."

„Nebst dieses Brauches hat die Verhüllung des Gesichtes aber auch einen praktischen Nutzen", fuhr Zahir fort. Er lehnte sich zurück, schaufelte Sand in seine Faust und liess die Körner zwischen seinen Fingern auf den Teppich rieseln. „Der Turban schützt uns in der Wüste vor dem Sand und den Dämonen, die hier herumlungern."

Ich blickte von einem Bruder zum anderen, irgendwie einfach überfordert. Vielehe, Männer, die sich verhüllen, Muzedin und Serengeke. Mir schwirrte der Kopf.

„Um deine Frage zu beantworten: Ich trage meinen Turban offen, weil ich im Gegensatz zu meinem älteren Bruder verheiratet bin", sagte Luay und zeigte mir sein schönes Lächeln. „Ich habe die Frau meines Lebens bereits gefunden. Zahir sucht noch."

„Wie hast du sie überzeugt — deine Frau?", fragte ich.

Wenn er dieses Strahlen hinter einem Tuch versteckt hatte, dann musste er über andere Qualitäten verfügen, die seine Gattin überzeugt hatte.

Ich konnte es nicht vermeiden, dass ich mir wieder vorstellte, wie Zahir wohl unter seinem Tuch aussehen musste. Ob sein Lächeln genau so herzerwärmend war, wie jenes seines Bruders?

Luay lachte laut auf. „Das weiss ich auch nicht!"

„Dein Talent, selbst in der Einöde das leckerste Essen aufzutischen, natürlich!", fand Zahir und deutete auf die mittlerweile leer gefegten Schalen.

Wir hatten unser Frühstück verputzt.

„Das war wirklich lecker", pflichtete ich ihm bei. „Wie habt ihr das eigentlich zubereitet?"

Luay grinste und schüttelte den Kopf, als sei meine Frage irgendwie rhetorischer Natur.

„Najmah, ich kann zaubern."

Diesmal lachte ich laut auf und winkte mit der Hand ab.

„Ach, sei nicht albern. Jetzt sag schon! Habt ihr immer so viel Proviant mit dabei? Wie schafft ihr es, das durch die Hitze zu schleppen, ohne dass es verdirbt?"

Luays Augenbraue zuckte irritiert, sein Lächeln verstarb.

„Nein, wirklich", beharrte er.

Ich schüttelte den Kopf, was er offenbar als Herausforderung interpretierte.

„Also gut", sagte er und rieb sich die Hände. „Sag, was du haben möchtest. Etwas Essbares. Ich kann es herholen. Egal, was du willst."

Ich starrte ihn lange an, doch sein eindringlicher Blick liess nicht nach. Er meinte es ernst. Todernst.

Also überlegte ich, was ich denn wollen würde. Ich wollte es für ihn schwierig machen, denn wenn er ein fieser Gauner war, dann würde er wahrscheinlich die offensichtlichen Dinge — wie Früchte, Nüsse oder Tee — schon hier haben und „herzaubern" können. Es musste etwas sein, das viel Vorbereitung brauchte. Etwas, das man nicht einfach so mit sich in der Wüste herumtrug.

„Baklava", schoss es aus mir raus.

Dafür brauchte es nämlich einen Ofen und dieser klebrige Blätterteig liess sich nur schlecht transportieren. Ich grinste triumphierend. Das würde er niemals schaffen.

Luay nickte ziemlich unbeeindruckt von meinem Wunsch und hob einen glockenförmigen Deckel auf, der hinter ihm lag und deckte damit ein leeres Silbertablett zu. Dann schloss er die Augen.

Ich spürte es augenblicklich in der Luft.

Dasselbe Vibrieren, das ich beinahe hatte berühren können, als ich vor Schadscharat gestanden hatte.

Ein Wind kam auf und zog an meinem Tuch, sodass es den Zipfel löste und ich ihn wieder umständlich vors Gesicht stopfen musste. Luay murmelte leise vor sich hin, die Lider geschlossen.

Dann war ein helles Klonk zu hören und er löste seine grossen Hände von der Speiseglocke. Meine Augen waren wie Harz darauf geheftet, als er die Glocke hochhob.

Der Schock sass so tief, dass es beinahe weh tat. Wie vom Blitz getroffen, starrte ich den Teller an, der darunter zum Vorschein kam. Klebrige Baklava stapelten sich übereinander, der Sirup floss an ihnen herunter, als sei er gerade eben darauf getröpfelt worden.

„Wie ...?", krächzte ich.

Luay lachte. „Hab ich doch gesagt: Magie!"

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Randbemerkungen:

Sorry, das Kapitel wurde etwas lang. Die labern bisschen viel. 

Ich hoffe euch hat die Prise Magie gefallen ;-) Ab jetzt wird es nur verrückter, versprochen.

Hab euch lieb!

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