-~4~- Sie kommen spät nach Hause

Màu nền
Font chữ
Font size
Chiều cao dòng

Ich konnte mich nicht daran erinnern, jemals eine so große innere Diskussion mit mir selbst geführt zu haben, wie auf dieser Rückfahrt nach Hause. Meine Gedanken kamen und gingen in der gleichen Geschwindigkeit, wie die Regentropfen, die auf die Frontscheibe meines Autos prasselten.
Sollte ich einfach um siebzehn Uhr fünfzehn rüber, in die 221B gehen und klingeln? Was, wenn ich falsch lag?

Ich trat erschrocken auf die Bremse, als ich bemerkte, dass der Wagen vor mir plötzlich zum Stehen kam, sodass ich gerade noch so anhielt, ohne einen Unfall zu verursachen. Ich erstarrte kurz, bevor ich mich nach der Ursache für den plötzlichen Halt umsah: eine rote Ampel. Ich hatte sie in meinen Gedanken vollständig übersehen.
Zum Glück war ich noch rechtzeitig daraus wieder aufgewacht, sonst hätte mir wesentlich schlimmeres als nur der Schock widerfahren können.

Die restliche Heimfahrt verlief ruhiger, was unter Umständen vielleicht auch der Tatsache geschuldet war, dass ich mich auf die Straße konzentrierte.

Zuhause angekommen, entschied ich mich für ein schnelles Essen aus dem Tiefkühl. Nicht unbedingt meine Präferenz, aber ich konnte mich nicht noch zum Kochen durchringen. Während das Essen auf dem Herd vor sich hin köchelte, tauschte ich meine Arbeitskleidung durch eine bequeme, schwarze Jeans und eine dunkelgrüne Bluse aus.

Etwas später half ich mir das Essen ein, wobei mein Blick ununterbrochen auf der Uhr an meiner Küchenwand lag. Die Zeit wollte einfach nicht vergehen.
Ihr gläsernes Zifferblatt verriet mir, dass ich noch über eine halbe Stunde Zeit hatte, bis es soweit war, dass ich hinübergehen konnte. Jedes Ticken des Sekundenzeigers flüsterte meiner unermässlichen Ungeduld zu, dass ich noch warten musste. Ein beobachteter Teekessel kochte nie.

Inzwischen hatte ich mich einfach dazu entschlossen bei der 221B zu klingeln und falls ich doch falsch liegen sollte, eine kurze Frage, betreffend Mr. Holmes und Dr. Watsons Erscheinen an der Rennbahn, als Entschuldigung für meine Störung vorzuschieben.

Etwas gedankenverloren rührte ich in meiner aufgewärmten Nudelsuppe herum. Die vereinzelten Gemüsestückchen sahen mich aus der trüben Brühe an, als wollten sie mich darum bitten, ihr Leid zu beenden. Ich hatte so lange darüber nachgedacht was wäre, wenn ich mich irrte, dass ich es noch gar nicht in Betracht gezogen hatte, dass ich vielleicht doch richtig lag.
Aber was wollte Mr. Holmes dann von mir? Nun offensichtlich etwas, was mit einem seiner Fälle zutun hatte, aber hätte er dann nicht einfach fragen können, als wir uns auf der Besuchertribüne gesehen hatten? Oder er hätte einfach herüber kommen können, um bei mir zu klingeln.

Hätte John ihn in seinem Blog in der Vergangenheit nicht nur einmal als Dramaqueen bezeichnet, hätte ich mir wohl noch weiter Gedanken darüber gemacht. Aber dieser Fakt und die Tatsache das mein gläserne Freund an der Küchenwand auf einmal einen riesigen Sprung gemacht hatte und mir zeigte, dass es bereits zehn nach fünf war, hielten mich davon ab.

Unter Umständen etwas zu euphorisch erhob ich mich von meinem Stuhl und ließ das um Erlösung flehende Gemüse mit den aufgequollenen Nudelfäden auf meinem Teller zurück, um schnell mein Zeug zusammenzupacken und die Wohnung zu verlassen.

______

Unschlüssig stand ich vor der dunklen Tür, an der die goldenen Letter ,,221B" angebracht waren.
Selbst der leicht schief hängende Türklopfer schien sich über meine erneute Unsicherheit lustig zu machen und der Regen drängte mich unbarmherzig zu einer Entscheidung.

Ich atmete noch einmal schwer aus, bevor ich auf die goldene Schaltfläche der Klingel drückte.
Ich wartete einige Sekunden, doch niemand schien meine Bitte nach Einlass gehört zu haben.
Ich sah mich noch einmal auf dem Gehweg vor der Haustür um, als würden mir die grauen Pflastersteine auf irgendeine Weise eine Antwort liefern, aber diese blieb aus. Selbst im Speedy's war es gerade an diesem Tag besonders ruhig, sodass mir auch von dort aus niemand zur Hilfe kommen konnte und keiner war wohl bei diesem Wetter auf die Idee gekommen, in der Baker Street einen Spaziergang zu machen, um Sherlock Holmes einen Besuch abzustatten oder um Hilfe zu bitten.

War das die Bestätigung dafür, dass ich mit meiner absurden Theorie falsch lag?

In einem erneuten Anflug von Hoffnung, dass ich nicht ignoriert, sondern einfach nur überhört worden war, drückte ich erneut auf die Klingel.
Und tatsächlich: Nur einige Sekunden später öffnete sich die Tür und eine ältere Dame stand darin. Nach dem Klingelschild zu urteilen, wohl Mrs. Hudson. Erwartungsvoll sah sie mich an.

,,Guten Tag, mein Name ist Liv Carter. Ich schätze, Mr. Holmes erwartet mich?", stellte ich mich vor und erklärte den Grund für mein Erscheinen.
,,Oh hallo! Eine neue Klientin! Sherlock hatte Sie gar nicht erwähnt. Kommen Sie doch rein", erwiderte sie fröhlich und trat einen Schritt zur Seite, sodass ich neben ihr durch die Tür gehen konnte.
,,Sherlock ist momentan leider nicht da, aber wenn Sie möchten, können Sie auf ihn warten. Wenn er Sie hier her gebeten hat, dann wird er sicherlich bald hier aufschlagen", flötete sie einfach weiter und deutete mir, ihr zu folgen.
Etwas irritiert kam ich ihrem Vorschlag nach und ließ sie mich in scheinbar ihre eigene Wohnung führen.

,,Vielen Dank, eigentlich wollte ich nur wissen, warum Mr. Holmes und Dr. Watson auf meinem Arbeitsplatz aufgetaucht sind", versuchte ich mich zu erklären, denn langsam dämmerte mir, dass die Tonfolge keine Einladung gewesen sein konnte.

Sie antwortete mir nicht und deutete stattdessen auf ihren Küchentisch, an den ich mich, zugegebenermaßen etwas widerwillig, setzte. Was für eine unangenehme Situation.

,,Das können Sie ihn später gerne fragen. Wenn ich ehrlich bin, dachte ich, als Sie vorhin vor der Tür standen, dass Sie wegen John hier sind und nicht wegen Sherlock. Wie man sich irren kann", erzählte sie mir, was mir ein Lächeln auf die Lippen legte.
Sie stellte vor mir eine Tasse Tee auf den Tisch und daneben eine Schale mit Keksen. Ich bedankte mich bei ihr und sah dann in die klare Flüssigkeit.
So langsam freundete ich mich mit dem Gedanken an, mit der netten und offensichtlich gesprächsbedürftigen älteren Dame auf den Detektiv und seinen Begleiter zu warten, nur um zu fragen, warum die beiden Männer auf einer öffentlichen Veranstaltung waren. Bei weiterer Überlegung war das doch etwas prekär.

,,Milch, Zucker?", fragte Mrs. Hudson und riss mich damit aus meinen Gedanken.
,,Nur Milch, danke", lächelte ich und sah ihr anschließend dabei zu, wie sie die weiße Flüssigkeit in meine Tasse schüttete, die sich strudelartig mit dem Tee vermischte.
,,Wissen Sie zufällig, um was es sich bei Mr. Holmes' neuen Fall handelt?", fragte ich hoffnungsvoll, doch Mrs. Hudson schüttelte nur den Kopf und schenkte mir ein mitleidiges Lächeln. ,,Ich fürchte nicht, meine Liebe."

Ich unterhielt mich noch eine ganze Weile mit der netten Dame an ihrem Küchentisch. Sie erzählte mir von ihrem Ehemann und wie sie Sherlock kennengelernt hatte. Dabei ließ sie nahezu kein Detail aus und ich fragte mich zunehmend, warum sie mir all das erzählte. Ich war eine völlig Fremde. Eine Klientin, wie sie dachte. Warum sollte sie mir also ihre ganze Lebensgeschichte offenlegen?

,,Ja, es waren wilde Jahre gewesen", seufzte sie noch einmal auf. Ihr Blick in die Ferne gerichtet, deutlich in der Vergangenheit schwelgend, bevor sie mich aufmunternd anlächelte und mir zuzwinkerte.

Etwas erschrocken stellte ich nach einem Blick auf die Uhr fest, dass bereits fast vier Stunden vergangen waren, in denen wir uns unterhalten hatten. Vier Stunden ohne eine Spur von dem Detektiv und seinem Begleiter.
Mrs. Hudson hatte wohl meinen Blick bemerkt, denn sie sah mich sorgend an und sagte: ,,Wenn Sie möchten, könnte ich Sie oben in seine Wohnung lassen. Vielleicht ist er doch schon da und wir haben es nur nicht mitbekommen?"
Ich wusste, dass sie sich selbst keinen Glauben schenkte, aber irgendwie schaffte sie es trotzdem mir etwas Hoffnung zu geben.
,,Ja, wir könnten mal nachsehen", bestätigte ich ihre Frage und nickte lächelnd.

Wir erhoben uns von unseren Stühlen und verließen ihre kleine Wohnung, um die Treppe im Flur nach oben zu gehen.

Vor Sherlocks und Johns Wohnungstür blieben wir stehen und ich klopfte zaghaft. Niemand antwortete, aber als ich auf die Türklinke drückte, war die Tür auch nicht abgeschlossen.

Vorsichtig betrat ich die Wohnung und sah mich um. Im Wohnzimmer fiel mein Blick unmittelbar auf die Sessel, die sich gegenüberstanden. Beide von unterschiedlichen Stilen, der eine rot bemustert, der andere schwarz glänzend. Der Dielenboden wurde teilweise von einem Teppich verdeckt, dessen rotes Muster im dauerhaften Disput mit den wilden Tapeten stand.

Überall waren Bücher. Die meisten standen zwar einiger Maßen aufgeräumt in den Regalen, die links und rechts neben dem Kamin standen, doch scheinbar hatten einige keinen Platz mehr darin gefunden und lagen stattdessen auf dem Tisch, den Fensterbrettern, dem Drucker, dem Sofa, dem Boden. Einfach überall.
Ähnlich sah es mit Briefen in jeder denkbaren Farbe aus, auch wenn sich ihr natürliches Verbreitungsgebiet überwiegend auf den Tisch befand.

Ich sah die Geige, die in ihrem Ständer verweilte, vor dem schmalen Fenster, von dem man zu meiner Wohnung herübersehen konnte. Daneben ein Notenständer, auf dem sich das Notenpapier ausrute, das wohl vor noch nicht allzu langer Zeit ruppig mit einem Bleistift penetriert worden war, den nahezu krakeligen Anfängen eines Musikstückes zu entnehmen.

Mrs. Hudson war hinter mir im Türrahmen stehengeblieben. Ich drehte mich zu ihr um und sie hob entschuldigend die Schultern. ,,Tut mir leid, sie scheinen noch nicht wieder zurück zu sein", erklärte sie.
,,Ja, scheinbar...", erwiderte ich geistesabwesend. ,,Ich schätze, dann werde ich wohl nach Hause gehen."
,,In dieser Dunkelheit? Sie sollten auf sich aufpassen, meine Liebe", erwiderte Mrs. Hudson, wiedermal besorgt um mein Wohlergehen. Wir kannten uns nun gerade vier Stunden, doch ihr herzliches Wesen schien ihre Fürsorge für mich bereits einzufordern.
,,Keine Sorge", erwiderte ich lächelnd. ,,Ich wohne direkt gegenüber. Ich muss nur die Straße überqueren."
,,Ein Jammer, dass wir uns vorher noch nie getroffen haben", sagte Mrs. Hudson und sprach damit wahrlich meine Gedanken aus.
,,In der Tat."

Wir verließen die Wohnung wieder, wobei mir Mrs. Hudson die Treppe hinunter folgte.
Gerade als ich mich verabschiedet hatte und die Haustür öffnen wollte, wurde sie hektisch aufgerissen und ein Mantel-tragender Lockenkopf, gefolgt von einem etwas kleineren Militärarzt traten hindurch.

Ersterer blieb abrupt vor mir stehen und musterte mich irritiert, letzterer tat es ihm gleich, jedoch weniger penetrant. Die hellblauen Augen des Detektivs durchbohrten mich nahezu.
Erschrocken sah ich ihn an und bevor ich etwas sagen konnte, erhob er das Wort: ,,Was machen Sie hier, Mrs. Carter?"

Warum stellte er gerade diese Frage? Er, der alles genau deduzieren konnte, jedes Wort mit bedacht wählte, fragte mich eine solche Frage? Sollte es mich verunsichern? Falls das der Grund für diese Frage war, klappte es durchaus.
,,Sie kommen spät nach Hause", antwortete ich ausweichend, was für ihn scheinbar Antwort genug war, denn sein irritierter Blick wich seiner üblichen, kalten Miene.
,,Ich hatte Sie nicht hier erwartet", erklärte er mir.

Was tat er da? Sein Ziel war eindeutig mich zu verunsichern. Er drängte mich in eine Ecke, um zu testen, wie ich mich verhalten würde und wir wechselten gerade erst zum zweiten Mal einige Worte, wobei man das erste Mal wohl fast nicht als erwähnenswert bezeichnen könnte. Unhöflich. Unbehagen kroch mir den Rücken hinauf, da ich wusste, dass ich genau das sagen würde, was ich dachte, wenn ich in die Enge getrieben wurde. Ohne Entkommen. Seine Belastungsprobe funktionierte durchaus.

,,Sie haben mich eingeladen", erwiderte ich und im nächsten Moment hätte ich mich wohl selbst dafür verfluchen können, da es nicht stimmen konnte, was ich gesagt hatte.

Aber anstatt verwirrt oder abweisend zu reagieren, antwortete der Detektiv zu meiner Überraschung etwas anderes: ,,Wir waren essen."

Er dachte also, dass ich sein Rätsel nicht lösen konnte und war deswegen nicht zur ausgemachten Zeit gekommen? Eine gewisse Erleichterung, nun allerdings gepaart mit Verwirrung machte sich in mir breit.

,,Wie dem auch sei. Ich werde jetzt wohl wieder nach Hause gehen. Es ist spät", sagte ich, um meine Irritation nicht all zu offensichtlich zu machen.

Damit trat ich an den beiden Männern vorbei, durch die Tür und machte mich auf den kurzen Weg nach Hause.

Bạn đang đọc truyện trên: Truyen2U.Pro