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Mein Vater kommt rein und setzt sich in einen der Sessel. Auch meine Mutter taucht nun wieder auf und setzt sich.
„So. Auch von mir ein herzliches Willkommen, Paul. Ich bin Jan, der etwas schusselige zweite Mann im Hause. Entschuldige bitte, dass ich hier eben in Dienstkleidung reinmarschiert bin. Ich habe offensichtlich zu lange am Stück gearbeitet und nicht nachgedacht."
Paul nickt.
„Niklas hat dir ja schon ein bisschen was über uns und mich erzählt. Ich bin Arzt, aber mein Leben gehört der Gleichberechtigung und der medizinischen Versorgung von Hybriden aller Art. Ich kann nicht verhindern, dass du auf deinen Tag der Entscheidung hinsteuerst, das abzuwenden, liegt nicht in meiner Macht. Aber ich kann dir helfen zu verstehen, was in den nächsten 75 Stunden mit deinem Körper und mit dir passieren wird. Dann ist es leichter für dich, deinen Abschied bewusst zu gestalten, falls Luisas Suche nach deinem GEGENÜBER erfolglos verlaufen sollte."

Kurz schaut Paul irritiert, dann begreift er, dass mit Luisa meine Mutter gemeint ist. Er wendet sich sehr aufmerksam wieder meinem Vater zu, als der weiter spricht.
„Ich habe verstanden, dass du extrem ängstlich auf alles reagierst, was mit 'krank' anfängt. Das Problem ist, dass ich dir das ab einem gewissen Stadium wahrscheinlich nicht ersparen kann. Ich möchte dir also zunächst erzählen, was ich normalerweise tue, wenn ein Hybrid zu uns kommt und sich auf den Abschied vorbereitet."
Paul erzittert leise, dann nickt er. Meine Aufgabe ist es im Moment einfach nur, da zu sein, zu halten, Sicherheit auszustrahlen. Manchmal in solchen Situationen stehe ich für einen kurzen Moment neben mir und registriere, was für ein fantastisch eingespieltes Team meine Eltern und ich sind. Doch diesmal ist alles irgendwie ein bisschen anders. Ich kann nur nicht greifen, was, wie und warum.

„Wenn alles glatt läuft, wirst du in den nächsten Tagen einfach immer müder werden, wirst nach und nach erst Schwindelgefühle haben, dann vielleicht Kopfschmerzen bekommen, ganz vielleicht auch Übelkeit und dich schließlich mehr und mehr nach innen wenden. Die meisten, die sich durch Angehörige oder Helfer wie zum Beispiel Niklas geborgen fühlen, schlafen ohne Schmerzen friedlich ein. Sehr selten kommt es kurz vorher zu Zitteranfällen, manche weinen, noch seltener treten organische Komplikationen wie Nierenversagen, Herzrasen oder Atemnot auf. Wir überwachen über einen Fühler am Handgelenk in den letzten drei Tagen alle Körperfunktionen, damit wir auf eventuelle Veränderungen reagieren können. Wenn der Sterbende das möchte. Kann derjenige keine Wünsche mehr selbst äußern, verabreichen wir schon mal ein Schmerz- oder Beruhigungsmittel, aber das ist sehr, sehr selten. In den allermeisten Fällen können wir unsere Gäste ohne Eingreifen von außen gehen lassen."

Jetzt ist es also da, das Ende. - Ich will noch nicht gehen!

Paul wird bei diesen Worten immer kleiner in meinen Armen. Auf einmal ist das Sterben konkret. Kein Leugnen mehr möglich.
„Ich möchte, dass du weißt, dass du bei ganz vielen Entscheidungen noch selbst die Wahl hast. Du kannst jetzt hier zur Tür rausgehen und irgendwo alleine sterben. Du kannst dich aufbäumen, dich auf den Marktplatz stellen und losbrüllen:'Ich suche mein GEGENÜBER!' Du kannst Luisas Angebot der gesteuerten Suche annehmen. Dann würdest du am Samstag ins Hospiz kommen und dort alle empfangen, die nach sorgfältigem Filtern als GEGENÜBER in Frage kommen. Das ist anstrengend, wir haben das auch noch nie zu so einem späten Zeitpunkt gemacht. Aber wir hatten schon manches mal damit Erfolg, konnten Wesen glücklich machen und Leben retten. Wenn du Begleitung wünschst, wird Niklas dir nicht von der Seite weichen, außer Luisa verordnet ihm eine Pause. Das müsst ihr beiden dann akzeptieren."

Der Blick, den mir mein Vater zuwirft, spricht Bände. Er sieht genau, dass ich in der kurzen Zeit schon eine tiefere Bindung zu Paul aufgebaut habe, die mich nach seinem Tod in Stücke reißen wird. Und das hat er nach dem Tod von Nena schon einmal erlebt. Ich überschreite grade alle jemals für mich und uns aufgestellten Grenzen. Er macht sich große Sorgen um mich, aber er weiß auch, dass er mich meiner Intuition überlassen muss, damit ich gute Arbeit leiste. Also bleibt es bei diesem vielsagenden Blick.

Allerdings war auch das schon zu viel. Paul schaut zwischen uns beiden hin und her und versucht zu verstehen, was um ihn drumrum grade passiert. Vorsichtig nimmt er ein bisschen Abstand von mir, richtet sich auf und zwingt sich zu antworten.
„Ich ... Ich kann mir das noch nicht alles vorstellen, aber ich denke, ich vertraue ihnen und lasse das auf mich zukommen. Ich spüre jedenfalls, dass sie es gut mit mir meinen, mich nicht missbrauchen und mich nicht im Stich lassen werden. Aber! Ich möchte wissen, was da grade zwischen ihnen und Niklas passiert ist. Ich bin nämlich nicht doof."
Coole Ansage. Mann, ist DER direkt! Mal sehen, wie sich Papa da rauswindet. Das soll Paul nicht belasten!
Mein Vater holt Luft, um ihm zu antworten.

Aber dann gehorche ich doch wieder meiner Intuition und spreche selbst.
„Lass, Papa. Danke. Ich mach das. Paul, in der Situation, in der wir hier grade sind, waren wir als Team schon ganz oft. Aber auch: noch nie. Wir sind sozusagen Arzt, Sozialarbeiterin und Krankenpfleger, Beraterin und Sterbebegleiter in Familienunion. Wir haben solche Gespräche schon oft geführt, solche Entscheidungsprozesse schon ganz oft begleitet. Aber immer im Hospiz oder dort hinten im Krankenzimmer, das ich großzügig unterschlagend als Gästezimmer bezeichnet habe. Ich bin als Sterbebegleiter ungewöhnlich jung, aber dafür ausgebildet. Die Begleitung meiner eigenen Schwester hat mich sozusagen vor der Zeit reif gemacht dafür. Allerdings bin ich damals in Depressionen gefallen, weil ich sie so sehr geliebt habe. Ich musste meinen Eltern versprechen, dass ich mich in Zukunft sehr um freundliche Distanz und klare Professionalität bemühe. Und dass ich ihnen erlaube, mich jederzeit aus einem Begleitungsprozess heraus zu lösen, wenn ich diese Grenzen überschreite."

Ich hole tief Luft für das, was ich jetzt sagen will, und ich spüre sofort, dass er das riecht und sich innerlich verkrampft.
„Neu ist, dass wir hier im Wohnzimmer sitzen, dass ich mich völlig dem verschrieben habe, dir helfen zu wollen, dir einen Schlüssel angeboten habe, um dir Sicherheit zu vermitteln. Neu ist die Ebene per 'du', neu ist meine unprofessionelle Wut über dein beschissenes Schicksal, der verzweifelte Wunsch, dich retten zu können. Ich werde mich also vermutlich in den nächsten Tagen mit Anlauf überfordern und hinterher ziemlich trauern. Das ist eigentlich der Moment, in dem meine Mutter unserer Verabredung entsprechend die Reißleine zieht und die Begleitung einem anderen Pfleger übergibt."
Paul hält die Luft an.

"Aber - ich bin erwachsen und kann jederzeit darauf bestehen, weiter zu machen. Wir vertrauen einander so sehr, dass meine Eltern es mit tragen würden, wenn ich bewusst diese Grenzen überschreite. Und ich habe sie überschritten. Ich breche hier und jetzt dieses Versprechen und bestehe darauf, bis zum letzten Moment bei dir und für dich da sein zu dürfen. Ich bin mit dir längst über alle Schranken und Grenzen der Professionalität hinaus geschossen. Der Blick meines Vaters bedeutete schlicht:'Weißt du, was du da tust? Was du dir grade selbst antust?' Und: ja, ich weiß es. Ich finde dich einfach wundervoll, ich habe keine Ahnung, wie das so schnell gehen konnte, und möchte ganz für dich da sein, obwohl es mir hinterher nicht gut gehen wird. Ich entscheide mich also jetzt und hier, dich nicht im Stich zu lassen. Und ich erlaube dir kein schlechtes Gewissen dafür. ICH entscheide es so, und ICH trage die Konsequenzen. Du sollst dich ganz auf dich konzentrieren."

Während ich geredet habe, habe ich plötzlich gewusst, was ich tun werde. Die Zweifel sind völlig verschwunden. Es ist sehr still im Raum. Paul spielt mit den weichen Ohren seiner Plüschmaus. Dann sackt er gegen mich und flüstert, leiser als ein Hauch.
„Außer meiner Oma hat mich noch nie jemand so geliebt."
Ich bin verblüfft, denn er hat Recht – ich liebe ihn. Ich liebe einen Sterbenden. Ich kann ihn nicht retten, aber ich will, dass er sich geliebt weiß in dem Augenblick, in dem er seinen letzten Atemzug tut.
Und dann werde ich weiter sehen. Irgendwann werde ich schon wieder rauskrabbeln aus dem Loch ...

Wie ich es erwartet habe – meine Eltern sehen besorgt und unglücklich aus. Aber sie akzeptieren meine Entscheidung ohne Diskussion.
„Gut. Dann klärt mich bitte auf, was ihr für die nächsten Tage geplant habt, und dann entscheiden wir, was meine Aufgaben als Arzt dabei sein werden."
Ich bedanke mich bei meinem Vater mit einem warmen Blick, und er nickt mir mit einem leisen Lächeln zu. Er hat – ganz Mensch – Pauls Worte nicht gehört. Meine Mutter schon, auch das sehe ich. Aber auch sie gibt mir nach. Sie spürt, dass mich grade nichts aufhalten kann.

Mama sortiert für uns alle die Fakten.
„** Paul ist rein körperlich gesehen viel fitter als heute Morgen, aber im großen Vergleich deutlich geschwächt und nicht ganz gesund. Medizinisch gesehen müssen wir also mit allem rechnen. Wir wollen versuchen, dass du, Paul, bis zum Schluss hier bleiben kannst. Und Jan wird dafür sorgen, dass ab morgen Abend alle üblicherweise nötigen Medikamente und Hilfsmittel hier sein werden. In der Hoffnung, dass wir sie nicht brauchen ...
** Mit all den Informationen, die ich nun habe, werde ich gleich noch ganz sorgfältig dein Profil in der Suchkartei vervollständigen und den Newsletter dazu rausschicken.
** Morgen früh werde ich versuchen, zu deiner Oma Kontakt aufzunehmen. Vielleicht ist es noch möglich, sie herzuholen. Das würde dir, Paul, sehr gut tun und Niklas auf die einzige Weise entlasten, die er wahrscheinlich akzeptieren könnte.
** Auch gleich morgen früh werden wir zu Dritt in die Kneipe gehen und dort deine Jacke mit den Wertgegenständen auslösen. Sollte es Ärger geben, werde ich nicht zögern, die Polizei zu rufen. Oder den Schlüsseldienst, falls wir den Schlüssel nicht wieder kriegen.
** Da wir so wenig Zeit haben, bleibt uns nichts anderes übrig, als die Suche und den Abschied parallel zu gestalten. Mein Vorschlag ist also, dass wir gleich von der Kneipe zu deinem Zuhause fahren und uns dort den ganzen Vormittag Zeit lassen. Das wirst du ganz selbständig steuern, wie wir es heute Nachmittag besprochen haben. Du wirst deinen Impulsen folgen und uns beide so einbeziehen, wie du es brauchst."

Paul hat sich wieder neben mir aufgerichtet und fühlt nun in sich hinein.
„Das parallele Suchen und Abschiednehmen fühlt sich ziemlich seltsam an. Aber wahrscheinlich geht es echt nicht anders. Ich vertraue auch da auf eure Erfahrung."
Meine Mutter lächelt ihm zu.
„Du bist so tapfer, Paul. Weißt du das? Ich bewundere dich sehr dafür, wie du damit umgehst. Gib die Hoffnung noch nicht auf."
Dann sieht sie meinen Vater an.
„Ich werde mich, sobald wir wieder zu Hause sind, mit den Reaktionen auf die Online-Suche befassen. Ich kann nicht abschätzen, Jan, wieviel Kraft Paul morgen nach dem Mittagessen noch haben wird. Er ist einfach emotional und körperlich in sehr schlechter Verfassung in diese Abschiedsphase hinein geworfen worden. Aber wenn es irgend geht, werden wir den Samstag mit GEGENÜBER-Kandidaten verbringen. Dazu müsstest du, Paul, allerdings ins Hospiz kommen, denn das werden wir definitiv nicht hier tun. Da müssen wir einfach zwischen Privat und Beruf trennen."

Paul springt auf, seine Augen weiten sich panisch, und er bricht auf der Stelle in heiße Tränen aus. Allein die Vorstellung bringt ihn um den Verstand. Ich ziehe ihn einfach wieder in meine Arme und kraule ihn hinter den Ohren. Diese Entscheidung kann ich ihm nicht abnehmen. Mama versucht derweil, ihm die Entscheidung leichter zu machen.

„Paul, das liegt ganz in deiner Entscheidung. Du darfst aber wissen, dass jeder, der auf die Onlinesuche antwortet, informiert ist, dass du noch fünf Minuten vorher das Recht hast, die ganze Aktion abzublasen. Du kannst die Suche in Anspruch nehmen und am Samstag dann ohne schlechtes Gewissen beim Anblick des Krankenhauses sagen:'Ich will doch nicht.' Das kommt gar nicht so selten vor. Viele sind in der Zeit zwischen Suche und Kontakttermin von der Ichkämpfegegenan-Phase in die IchakzeptieremeinSterben-Phase übergegangen und wollen darum dann die Kontakte nicht mehr. Mein Vorschlag an dich ist: ich setze noch heute Abend die Suche auf. Und du entscheidest am Samstag Morgen ganz eigenständig, ob du das dann willst oder nicht. Niemand drängt dich zu irgendwas oder irgendwohin."

Paul schluchzt auf. Sein Schwanz geht hektisch hin und her, weil sein Herz in dieser Zwickmühle gefangen ist.
„Na toll. Das heißt, ich habe jetzt die Option, mich selbst umzubringen, indem ich vor dieser Chance zurück schrecke!"
Ich streichele ihm beruhigend über den Rücken.
„Das stimmt so nicht. Mach dich bitte nicht selbst fertig. Falls du dich am Samstag dagegen entscheiden wirst, dann, weil es sich für dich richtig anfühlt. Dann bringst du dich nicht um, sondern du entscheidest dich aktiv, auf dein Gefühl zu hören und das für dich Richtige zu tun. Und jetzt ab mit dir. Du isst den Rest Milchreis, dann wird geschlafen. Du bist heute einen emotionalen Marathon gelaufen. Und irgendwann muss es gut sein."

Paul nickt erschöpft. Während er isst, holt mein Vater das Armband mit dem Fühler und stellt in der medizinischen Kammer die Funkverbindung her. Alle Geräte sind nun auf Empfang geschaltet und werden, solange er im Haus ist, seine vitalen Werte lückenlos aufzeichnen.

Ich liebe dich, Niklas. Ich will gar kein fremdes GEGENÜBER.
Ich will nur dich an meiner Seite.
Es ist einfach nicht fair, dass das nicht geht. Ich will nur dich!

Kurz darauf schläft er bereits. Ich mache mich auch bettfertig. Die letzte Nacht war für uns beide ziemlich zerhackt, dieser Tag emotional sehr aufreibend – und die nächsten Tage werden mir alles abverlangen. Statt in mein eigenes Zimmer zu gehen, laufe ich den Flur runter und gehe ins Gästezimmer. Ich krabbele hinter Paul in sein Bett und ziehe ihn an mich – in meine Arme, was meine Eltern nicht wissen müssen ...
Ich liebe dich, Paul!

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13.7.2019

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